Schweitzer Fachinformationen
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Sophie Henderson blickte in das Meer teilnahmsloser Gesichter und musste schlucken. Egal wie oft sie sich sagte, dass alles gut gehen würde und dass es keine große Sache war, ihre ehemalige Schule zu besuchen und von ihrer Arbeit zu erzählen - für sie war das alles andere als eine Kleinigkeit. Es hat schon seinen Grund, weshalb ich nie Lehrerin werden wollte, dachte sie, während Mr Jones, der Oberstufenleiter, sich immer noch mit der Begrüßung aufhielt.
Die Aula der Churchwell School hatte sich in den gut zehn Jahren seit Sophies Schulabschluss kaum verändert, und so fühlte sie sich auf unangenehme Weise wieder wie damals als Schülerin - auch wenn sie wusste, wie viel Zeit vergangen war, seit sie selbst da unten gesessen und Matthew Carter, der Geschäftsführer von Carter's Cider, den gleichen Vortrag über die Firma gehalten hatte wie jetzt sie selbst. Dass die Schüler in ihrer beneidenswert jugendlichen Frische sie von ihren Plastikstühlen aus eindeutig gelangweilt anstarrten, trug nicht gerade dazu bei, ihre Nerven zu beruhigen. Hatte sie selbst damals auch so dreingeschaut, als Matthew zum Berufs-Informationstag gekommen war? Hoffentlich nicht.
»Daher bin ich überzeugt, dass Sophie nicht nur mit den Mythen aufräumen wird, die sich um die Arbeit einer Kellermeisterin ranken, sondern auch erläutern kann, warum ein Job bei Carter's Cider genau das Richtige für euch sein könnte.« Als Mr Jones mit seiner Einführung fertig war, warf er Sophie einen Blick zu, die sich daraufhin etwas zu schnell von ihrem Stuhl erhob, sodass dieser gefährlich ins Schwanken geriet, ehe er lautstark wieder auf die Holzdielen des Podiums zurückkippte. Sie versuchte, nicht an ihre weichen Knie zu denken, und schaute mit aufgesetztem Lächeln ins Publikum, das nicht ganz freiwillig dort ausharrte.
»Guten Morgen«, sagte sie, wobei ihre Stimme im Saal leicht hallte. »Ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein darf.«
Als sie eine kurze Pause zum Luftholen machte, war sie sich sicher, aus der ersten Reihe ein geflüstertes »Wenigstens eine« zu hören.
»Ich hoffe, ich kann heute all eure Fragen über die Arbeit bei Carter's Cider beantworten. Vielleicht spielen ja ein paar von euch mit dem Gedanken, sich nächsten Sommer nach den Prüfungen bei uns auf eine Lehrstelle zu bewerben.«
»Klar, wenn wir uns mit dem Cider die Kante geben dürfen!«, sagte ein Schüler, gefolgt von lautem Gelächter.
Sophies Lächeln verrutschte leicht. »Also, lustig, dass du das erwähnst, denn die Cider-Verkostung ist tatsächlich Teil meiner Arbeit. Wer weiß, vielleicht gehört das dann auch zu euren Aufgaben. Natürlich nur, wenn ihr alt genug seid, um Alkohol zu trinken.«
Da sich der Zwischenrufer durch Sophies Schlagfertigkeit, wie die Schüler es sagen würden, »voll blamiert« hatte - jedenfalls hatte sie ihm damit den Wind aus den Segeln genommen -, lachte das Publikum jetzt noch lauter, und Sophie fühlte sich dadurch so ermutigt, dass die Anspannung von ihr abfiel. Sie hatte nur deshalb eingewilligt, am Berufs-Informationstag einen Vortrag zu halten, weil David Armitage, der Leiter der Cider-Produktion, versehentlich noch einen anderen Termin zur selben Zeit hatte und, wie er selbst einräumte, »für eine Rede vor den jungen Leuten ohnehin schon etwas zu betagt« sei. Selbst mit ihren neunundzwanzig Jahren spürte Sophie während ihres Vortrags deutlich den Altersunterschied zum Publikum, doch seit ihrem Schulabschluss war ja auch viel passiert. Nach zehn Jahren im Cider-Geschäft war sie zur stellvertretenden Leiterin der Cider-Produktion aufgestiegen und zudem eine engagierte und eloquente Rednerin.
Erst als Sophie ihren Vortrag beendet hatte und für Fragen zur Verfügung stand, spürte sie wieder einen Anflug von Nervosität. Was, wenn sich keiner der Schüler meldete? Sollte sie einfach stehen bleiben oder sich wieder setzen? Mr Jones hatte nicht genau gesagt, was im Anschluss passieren sollte. Zum Glück hob jemand in einer der vorderen Reihen die Hand. Sophie seufzte erleichtert.
»Also, Sie probieren den Cider, bevor er Ihre Fabrik verlässt, oder?«
»Genau.«
»Und was machen Sie, wenn er nicht schmeckt? Schütten Sie den dann weg oder wie?«
»Na ja.« Sophie schmunzelte. »Glücklicherweise kommt das nicht sehr oft vor, denn unser Cider ist ziemlich gut, das finden sowohl wir als auch unsere Kunden. Wobei .« Sie machte eine kleine Kunstpause. »Vor einem Jahr gab es einen Vorfall, nach dem wir ungefähr siebzigtausend Pints aus einem der Eichenbottiche in der Scheune entsorgen mussten.«
»Siebzigtausend!«, staunte Mr Jones. »Das scheint mir eine unerhörte Verschwendung. Ich bin sicher, dafür hätte durchaus noch jemand Verwendung gefunden.« Er deutete grinsend auf sich selbst. Die Schüler lachten halbherzig über seinen lahmen Versuch, witzig zu sein.
»Das glaube ich kaum«, entgegnete Sophie mit einem freundlichen Kopfschütteln. »Schließlich verunreinigt es das Produkt schon ein bisschen, wenn jemand in einen Cider-Bottich geworfen wird!«
Die Oberstufenschüler wirkten plötzlich deutlich interessierter. »Kommt so etwas öfter vor?«, fragte Mr Jones.
»Nein, Gott sei Dank nicht. Und ich glaube, man kann sich das nur erlauben, wenn einem das Unternehmen gehört.« Sophie hatte natürlich auf den Abend angespielt, als Jonathan Carter, das schwarze Schaf der Familie und damals Miteigentümer von Carter's Cider, einen Mann, der die Liebe seines Lebens bedroht hatte, in einen der alten Eichenbottiche geworfen hatte. Jonathan hatte den Kerl schließlich der örtlichen Polizei übergeben, und wenngleich die Details des Falls nie an die Öffentlichkeit gedrungen waren, war die Episode im Ort zur Legende geworden. Schließlich handelte es sich um die spektakulärste Cider-Zutat, seit Jonathans inzwischen verstorbener Vater Jack Carter in den frühen Achtzigerjahren die Rezepturen seines Großvaters abgewandelt hatte und eine Reihe von Landwirten im Dorf deswegen eine Traktordemonstration vor den Toren der Cider-Farm organisiert hatten.
»Es hat vier Tage gedauert, den Bottich zu leeren, zu säubern und mit neuem Vintage-Verschnitt zu füllen. Das hat die Produktion für eine Weile unterbrochen, aber glücklicherweise hat der Mann keinen allzu großen Schaden angerichtet.«
»Ist er denn nicht ertrunken?«, rief einer der Schüler.
»Jeder Bottich ist innen mit einer Edelstahlleiter ausgestattet, damit die Fassmacher hineinsteigen können, wenn Reparaturen anstehen«, antwortete Sophie. »Und dem Mann wäre zwar ziemlich kalt geworden, aber er hätte auch bis zu seiner Befreiung Wasser - oder Cider - treten können.«
»Wäre auch nicht die schlechteste Art, den Löffel abzugeben«, fügte Mr Jones mit einem Grinsen hinzu. Wieder lachten die Anwesenden pflichtbewusst. »Danke, Sophie, für diesen informativen Einblick in Ihren Beruf und das Unternehmen, für das Sie arbeiten. Und wenn jemand Interesse hat, sich nächstes Jahr auf einen Ausbildungsplatz zu bewerben, am Ausgang liegen Informationsblätter, die ihr nachher beim Rausgehen mitnehmen könnt.« Er schüttelte Sophie die Hand, sagte leise: »Gut gemacht«, und sie ging von der Bühne.
Als sie hinter dem Vorhang die Stufen hinabsteigen wollte, erstarrte sie plötzlich. Ein schmerzlich vertrauter Aftershaveduft hing in der Luft. Sie wartete im Dunkeln oben an den Stufen und verfluchte ihre zittrigen Beine.
»Nach dir, Sophie«, flüsterte eine Stimme. »Toller Vortrag übrigens.«
»Was machst du denn hier?«, murmelte Sophie und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
»Wahrscheinlich das Gleiche wie du.« Vorsichtig stieg sie die ausgetretenen Holzstufen hinab und näherte sich dabei der Gestalt. »Ich werde den Schülern hier einen Vortrag darüber halten, dass man für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss.«
»Ich bezweifle, dass du dafür qualifiziert bist.« Sophie wollte an ihm vorbeigehen, doch er streckte den Arm aus und hielt sie zurück. Als sie aufblickte, sah sie ihrem Ex-Freund in die Augen - Mark Simpson, Chef eines Molkereibetriebs, der ein paar Meilen von der Schule entfernt lag. Bei der Erinnerung an ihre letzte Begegnung versetzte es ihr einen Stich, und sie hoffte, dass er das Thema nicht hier, in Hörweite der versammelten Oberstufenschüler, ansprechen würde.
»Sei doch nicht so«, entgegnete Mark, die Hand immer noch an ihrem Ellbogen. »Warum gehen wir heute Abend nicht was trinken? Um über alles zu reden?«
»Es gibt nichts zu bereden.« Sophie zog ihren Arm zurück. »Und da du das letzte Mal mit mir reden wolltest, als ich dich dabei erwischt habe, wie du deine Verwaltungsmitarbeiterin gevögelt hast, in diesem Witz von einem Büro, wo du arbeitest, denke ich, du wirst mir ebenfalls nicht viel zu sagen haben.« Sie hob den Kopf und ging geradewegs Richtung Ausgang, ohne der Versuchung zu erliegen, sich noch einmal umzuschauen. Sie blieb nur kurz stehen, um sich aus dem Besucherbuch auszutragen, dann verließ sie das Schulgebäude. Als sie bei ihrem Wagen angelangt war, zitterten ihre Hände kaum noch.
Bevor sie den Motor anließ, nahm sie ihr Telefon zur Hand und schaute in ihre E-Mails. Ganz oben in ihrem Posteingang fand sich wieder mal eine Mail von einer konkurrierenden Cider-Farm, Martingtons in Herefordshire. Eine alte Bekannte dort versuchte schon seit Jahren, sie von Carter's abzuwerben, und mit jeder Mail von Alannah wurde das Jobangebot attraktiver. Sophie schwankte immer noch: Sollte sie kündigen und den Schritt in eine neue...
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