Schweitzer Fachinformationen
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2. Kapitel
Rachel
Der Saal war völlig leer. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ihm klar war, dass ich noch auf meinem Platz saß. Falls ja, gelang es ihm gut, mich zu ignorieren, während er seinen Laptop einpackte.
»Entgegen der Gerüchte, die Sie wahrscheinlich über mich gehört haben, beiße ich nicht.«
Ich zuckte zusammen. Weil der große Hörsaal jetzt leer war, hallte seine tiefe Stimme von allen Wänden wider.
Ich stand auf und begab mich auf den peinlichen Gang nach unten. Ich schuldete dem Mann auf jeden Fall eine Entschuldigung. Selbst wenn er kein Professor gewesen wäre - ein Professor, der für die nächsten fünfzehn Wochen mein neuer Chef sein sollte. Ich hätte mich in den Hintern beißen können, dass ich mich nicht schon gestern Abend beim Verlassen der Bar bei ihm entschuldigt hatte. Jetzt sah es so aus, als täte ich es nur, weil die aktuelle Lage es erforderte.
Was zwar stimmte, nicht, dass wir uns da falsch verstehen, aber ich wollte nicht, dass es so aussah.
Ich atmete tief durch. »Was gestern Abend vorgefallen ist, tut mir sehr leid.«
Seine Miene war undurchdringlich. »Ich dachte mir schon, dass es Ihnen jetzt leidtut.«
»Ich habe Sie ganz offensichtlich mit jemandem verwechselt.«
»Das hatte ich vermutet. Sie dachten, ich wäre das Arschloch. Der mit dem großen Schwanz, stimmt's?«
Ich schloss die Augen. In den vergangenen neunzig Minuten war ich im Geiste wieder und wieder unseren gesamten Wortwechsel von gestern Abend durchgegangen. Ich dachte, ich hätte mich an jedes meiner Worte erinnert, doch das war anscheinend ein Irrtum. Als ich die Augen wieder öffnete, taxierte mich Professor West noch immer. Sein Blick war äußerst intensiv.
»Meine Freundin Ava war ungefähr einen Monat lang mit diesem Owen zusammen«, plapperte ich los. »Er hat ihr von Anfang an nur Blödsinn erzählt, aber das hat sie nicht gemerkt. Eines Abends, als sie von der Arbeit heimgehen wollte, hat er sie doch tatsächlich gefragt: >Hast du was dagegen, wenn ich dich nach Hause bringe? Meine Mutter hat immer gesagt, ich solle meinen Träumen folgen.< Sie ist darauf reingefallen, auf das ganze Getue, vom ersten Tag an. An einem Samstag, an dem er angeblich aus geschäftlichen Gründen nicht in der Stadt war, machte sie Besorgungen für ihre Mutter. Auf dem Rückweg nahm sie eine Abkürzung durch den Madison Square Park und lief ihm dabei über den Weg. Er war mit seiner Frau und seinen Kindern unterwegs.«
»Und für den haben Sie mich gehalten?«
Ich nickte. »Sie ist in meiner Schicht vorbeigekommen und hat Long Island Iced Teas getrunken. Als Owen hereinspazierte, zeigte sie in seine Richtung und behauptete, er sei der im blauen Hemd.«
»Und wir trugen beide blaue Hemden?«
Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich daran dachte, in welchem Zustand Ava gestern Abend gewesen war. »Eigentlich nicht. Ava trinkt kaum Alkohol. Es stellte sich heraus, dass sie angetrunkener war, als ich dachte. Owens Hemd war braun - nicht einmal schwarz, sodass man es etwa für marineblau hätte halten können.«
Professor Wests Mundwinkel zuckten.
»Jedenfalls tut es mir wirklich leid. Ich habe Sie kaum zu Wort kommen lassen. Als ich dann gemerkt habe, was passiert war, habe ich mich so geschämt, dass ich nicht einmal stehen geblieben bin, um mich zu entschuldigen.«
»Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Auch wenn Sie nicht allein zu einem Mann in einem Flur gehen und ihn beschimpfen sollten, hatten Sie ehrenwerte Absichten.«
Ich hätte die Klappe halten und dankbar sein sollen, dass er meine Entschuldigung annahm. Hätte ich. »Warum sollte ich nicht in einem Flur zu einem Mann gehen?«
Er warf mir einen kühlen Blick zu. »Weil Sie anderthalb Meter und einen Keks groß sind und in der lauten Bar niemand gehört hätte, wenn ich Sie in die Herrentoilette geschleift und die Tür zugesperrt hätte.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.«
»Etwas anderes habe ich auch gar nicht behauptet. Ich sagte nur, Sie sollten sich nicht in solche Situationen bringen.«
»Das impliziert aber, dass ich nicht auf mich aufpassen kann.«
Er zog den Reißverschluss seiner Ledertasche zu. »Miss Martin, ich habe gerade Ihre Entschuldigung akzeptiert, weil Sie mich gestern Abend als Arschloch bezeichnet haben. Möchten Sie, dass ich das wieder rückgängig mache?«
Gott, ich benahm mich wirklich idiotisch. In Gegenwart dieses Mannes schien ich mich in eine Psychopathin zu verwandeln. »Nein, tut mir leid. Ich habe mich mies verhalten und möchte, wenn möglich, gern noch einmal von vorne anfangen.«
Er nickte. »Alles, was vor heute Morgen passiert ist, ist vergessen.«
»Danke.«
»Aber der heutige Morgen nicht. Ich dulde kein Zuspätkommen. Sehen Sie zu, dass das nicht wieder vorkommt.«
Ich schluckte. »Ja.«
Er hängte sich die abgewetzte braune Laptoptasche aus Leder über die Schulter. »Wir treffen uns hier morgen Nachmittag um siebzehn Uhr. Dann gehen wir den Lehrplan durch, besprechen die Stunden, die Sie geben werden, und mein Bewertungssystem.«
Der Termin lag mitten in meiner Schicht, aber irgendwie musste ich das hinkriegen. »Okay.«
»Sind Sie für heute fertig?«
»Ja. Und eigentlich muss ich jetzt zur Arbeit. Ich übernehme Avas Schicht, weil sie sich nach gestern Abend nicht besonders gut fühlt. Wir arbeiten beide im O'Leary's.«
»Kellnern Sie dort?«
»Ich kellnere, stehe hinter der Bar, und manchmal beschimpfe ich auch die Gäste.«
Daraufhin schenkte mir Professor West ein strahlendes Lächeln. Wow, das sollte er öfters tun. Nein, streichen. Das sollte er auf gar keinen Fall tun.
»Ich komme mit Ihnen nach draußen.«
Wir liefen gemeinsam durch die Flure und hinaus auf den Parkplatz. Neben meinem Wagen blieb ich stehen. »Das ist meiner. Also . morgen Nachmittag um siebzehn Uhr?«
Professor West betrachtete meinen heruntergekommenen alten Subaru. »Sie stehen auf dem Parkplatz, der für den Hochschulleiter reserviert ist. Sie haben einen Strafzettel.« Er kniff die Augen zusammen. »Vielmehr sieht es so aus, als hätten Sie zwei Tickets. Ist Ihre Zulassung abgelaufen oder so etwas?«
Mist. »Äh . nein. Ich bewahre einen alten Strafzettel im Handschuhfach auf und klemme ihn hinter den Scheibenwischer, wenn ich illegal parken muss.«
Er zog die Brauen hoch. »Einfallsreich.«
»Offensichtlich funktioniert es nicht immer.«
»Offensichtlich.«
»Es gibt hier zu wenig Parkplätze. Wenn man spät dran ist, findet man keinen mehr.«
Er musterte mich. »Hört sich an, als kämen Sie regelmäßig zu spät?«
»Das ist leider richtig.«
»Dann sollte ich meiner Bemerkung von vorhin noch etwas hinzufügen.«
»Oh nein, das ist nicht nötig. Zu Ihrem Seminar werde ich pünktlich sein.«
Er trat einen Schritt auf mich zu und beugte sich vor. »Gut zu wissen, Miss Martin. Aber das meinte ich nicht.«
Ich schluckte. Gott, riecht der gut.
»Ich sagte, dass ich keine Studenten beiße.« Er grinste, und zwar dermaßen anzüglich, dass ich es an ein paar interessanten Stellen spürte. »Das stimmt auch. Aber was das Beißen von frechen Assistentinnen anbetrifft, kann ich nichts versprechen.«
Manche Mädchen hatten Väter, die ihr Gewehr durchluden, wenn Jungs ihre Töchter zu Hause abholten. Ich hatte Charlie.
Obwohl die New Yorker Stadtverwaltung schon vor mindestens zehn Jahren das Rauchen in Speiselokalen untersagt hatte, zündete sich Charlie hinter dem Tresen immer noch eine an. Benson & Hedges ohne Filter. Wer wollte das einem stämmigen Expolizisten auch verbieten?
»Also, wer ist dieser Mann, mit dem du dich heute Abend triffst?« Er holte den Baseballschläger hervor, den er hinter der Bar aufbewahrte, und legte ihn auf den Tresen. »Der bleibt hier liegen, bis er kommt.«
Lachend nahm ich das Tablett mit Getränken. »Ich komme schon klar, Charlie. Es ist ein zweiunddreißigjähriger Buchhalter von der Upper East Side.«
»Lass dich davon nicht blenden. Das Äußere kann täuschen. Salz verwechselt man leicht mit Zucker, Süße.«
Ich wusste gar nicht recht, weshalb ich überhaupt jemanden daten wollte. Seit vor acht Monaten die Sache mit Davis gescheitert war, befand ich mich in einer selbst auferlegten Dating-Auszeit. Ich hatte weder Zeit noch Energie für eine Beziehung. Ganz zu schweigen davon, dass ich im Allgemeinen kein großes Glück mit Männern hatte. Hauptsächlich tat ich es, um Ava einen Gefallen zu tun. Im letzten Winter hatten sie und ihr Freund sich an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag nach sieben Jahren getrennt. Die beiden waren seit dem letzten Jahr an der Highschool ein Paar gewesen. Monatelang sah ich zu, wie sie schmollte, dann überredete ich sie schließlich, sich bei einer dieser Dating-Websites anzumelden. Aus Solidarität registrierte ich mich ebenfalls, allerdings mit dem Vorsatz, nicht wirklich mit jemandem auszugehen. Ich hatte ganze Arbeit geleistet: Auf jener Dating-Website lernte Ava den verheirateten Owen kennen. Mit einer Freundin wie mir würde sie sicher bald zu Antidepressiva greifen müssen.
Ich servierte die Drinks und nahm eine Bestellung von Tisch acht auf, obwohl meine Schicht eigentlich schon zu Ende war. Im Grunde hatte ich nur keine Lust, mich umzuziehen und für meine Verabredung fertig zu machen. Tischbedienung gab es im O'Leary's nach zwanzig Uhr nur, solange wir Lust hatten. Für jeden, dem das nicht passte, hatte Charlie einen Standardspruch parat: Die Straße runter gibt es einen Burgerladen. Pass auf, dass du beim Gehen...
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