Schweitzer Fachinformationen
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Eine knappe Stunde später
Lindenthals Assistentin Laura hatte es nur kurze Zeit später geschafft, ein Treffen der Kommissarin mit einem technisch versierten Radiomann zu organisieren, der zufälligerweise Nachtschicht geschoben hatte und ein ziemlich guter Bekannter ihres Freundes war. Die Kommissarin hätte auch das LKA und dessen fabelhaftes kriminaltechnisches Labor beauftragen können, Stimme und Umgebungsgeräusche des 110-Anrufers zu analysieren. Doch war sie zu eigensinnig, wenn es darum ging, nicht zu viele Informationen mit anderen zu teilen. Es reichte ihr schon, dass ihr Abteilungschef Uli Timmermann, der »Lackaffe«, versuchte, sie stets und ständig am Telefon nach dem neuesten Stand ihrer Ermittlungen auszuhorchen.
Der Technikerraum des Radiosenders Schwerin FM war mit Nussbaumholz getäfelt und ganz und gar schalldicht. Kabelverbindungen blieben unsichtbar, nur zwei Mikrofone, vier Lautsprecher und ein Zehn-Kanal-Mischpult verrieten, dass sich hier ein Studio befand, in dem ein Radiojournalist nicht nur Sprecher, sondern auch Discjockey war.
Der Techniker war ein Mann mit sandfarbenen Haaren, Brille und Vollbart. Er gab sich und der Kommissarin zwei Stunden Zeit, die Tonaufnahmen des Anrufers der 110-Nummer unter Radio-Kopfhörern zu analysieren. Beide saßen nebeneinander vor dem Mischpult und hörten sich die kurze Aufnahme wieder und wieder an.
». verfolgen Sie die Spur des Löwen .«
Am Ende der langwierigen und anstrengenden Soundsession besaß die Kommissarin eine Liste mit Geräuschen, die sie und der Techniker glaubten, herausgefiltert zu haben. Lindenthal ordnete die Geräusche in Verkehr, menschliche Laute und Vogelstimmen auf.
In nüchternem Tonfall, der gleichwohl eine gewisse Erregung nicht verbarg, erläuterte der Techniker ihre Ergebnisse: »Die Person klingt eher weiblich als männlich«, sagte er zu ihrer Überraschung.
»Warum?«, fragte sie etwas pennälerhaft.
»Sie verstellt ihre Stimme, das höre ich an dem Vibrato ihrer Stimmbänder. Aber sie schafft es nicht ganz, hören Sie .«
Er drückte auf einen Knopf und fuhr die Audiodatei an eine bestimmte Stelle. Und tatsächlich: Die Stimme brach sich mehrmals in hohe und tiefe Töne, und zwischendurch waren Vibrationen zu hören, die eine unverstellt artikulierte, männliche Stimme nicht erzeugen würde.
»Netter Versuch«, bemerkte die Kommissarin.
»Aber wir haben es durchschaut«, sagte der Tontechniker. »Sie könnte das Mikrofon eines Headsets benutzt haben. Es könnten die Fenster eines Internetcafés oder eines anderen öffentlichen Raumes geöffnet gewesen sein. Nur so ist es möglich, dass wir sehr deutlich ihre Worte verstehen, weil sie mit ihrem Mund dicht am Mikrofon ist. Aber die Außengeräusche sind dadurch undeutlicher. Nehmen Sie dieses hier«, der Techniker drückte einen Knopf, um die Tonspur zurückzufahren, »das rhythmische Gurren, das könnten Tauben sein. Dann Geräusche wie ein aufgeregtes Flattern von Flügeln. Vielleicht steht ein Baum vor dem Café, oder ein Park ist in der Nachbarschaft? Oder saßen sie auf einem Fensterbrett und wurden aufgescheucht? Oder dieses hier: eine kaum hörbare, weil offenbar weit entfernte Sirene eines Polizei- oder Rettungswagens. Und dann die Autogeräusche . Und Wind . Hören Sie das feine Rauschen?«
Der Techniker setzte die Tonspur erneut zurück und strich sich hingebungsvoll über den Bart. Eva Lindenthal sah mit Bewunderung auf ihr Gegenüber. Dessen feines Gehör und Erfahrung besaß sie nicht. Beide vernahmen Geräuschbruchstücke an Lauten, die sie für nicht zuordenbar hielt. Wieder setzte er die Datei auf einen bestimmten Punkt zurück.
»Klingt wie knirschender Sand«, sagte er. »Als würde jemand mit seinen Schuhen über Mörtelreste laufen.«
»Wir wissen, dass der Anruf aus der Gegend um Mueß kam«, bemerkte sie. »Da verläuft eine viel befahrene Straße in Richtung Innenstadt. Es gibt das Südufer des Schweriner Sees und eine Menge Häuser. Aber auch Ruinen.«
Der Techniker dachte kurz scharf nach. Seine Augen schienen irgendeine Maserung der Holzvertäfelung zu fixieren.
»Und eine ganz besondere Ruine am Straßenrand unter vielen Bäumen, in unmittelbarer Seenähe mit Wind«, sagte er zur Kommissarin gewandt.
»Die Alte Fähre«, murmelte sie kaum hörbar.
Der Techniker hob den Daumen. »Kein schlechter Ort für ein dunkles Geheimnis«, brummte er, und empfahl sich wortreich für ein nächstes Mal.
Die Schweigepflichterklärung unterschrieb er mit einem sonderbaren Kürzel. Sie war kaum aus dem Studioraum, als er nach seinem Handy griff. Während er mit einer Hand eher fahrig als sinnlich über seinen Bart strich, stand in seinen Augen ein rätselhaftes Funkeln.
Zurück in ihrem Wagen, telefonierte die Kommissarin mit dem Einsatzleiter für mobile Polizeikräfte. Nur etwa dreißig Minuten später schoben sich zwei Einsatzfahrzeuge auf der Bundesstraße 321 vor das verfallene Objekt. Die Kommissarin saß etwas müde, aber gutgelaunt in ihrem Auto und fuhr vorweg. Kurz blitzte in ihr auf, ob sie vielleicht doch dem LKA Bescheid geben sollte. Doch sie wollte gegenüber Alexander Klink, dem Führungsbeamten von Leon Schacht, keinerlei Rechenschaft über Art und Weise ihrer Ermittlungen abgeben. Sie hatte genügend Kraft und Selbstbewusstsein, einen möglichen Zugriff persönlich in die Hand zu nehmen. Sie bediente sich deshalb der Schweriner Polizei, die schließlich ebenfalls wehrhaft war, aber nicht so martialisch ausgestattet wie die Sondereinsatzkommandos.
Die insgesamt sechs Frauen und Männer des Schweriner Polizeikommandos stürmten zielsicher in die Ruine des ehemaligen Ausflugslokals und sicherten die ersten Räume. Tauben flatterten erschreckt aus ihren Nischen und stoben auseinander. Die Beamten fanden zunächst nichts - bis auf etliche Abdrücke und Schleifspuren von Sohlen auf dem sandigen Boden, Aschereste von Kippen und unfassbar viel Müll von Menschen, die hier über die Jahre campiert hatten. Lindenthal bat die Spurensicherer, jeden Winkel auf Blut, Speichel oder andere, eine DNA-Spur enthaltene, menschliche Überreste zu untersuchen.
»Frau Lindenthal?«, hallte es plötzlich durch die Ruine. »Wir haben hier eine männliche Leiche. Kommen Sie schnell!«
Dass die Kommissarin für den leblosen Mann nichts mehr tun konnte, wurde ihr nach einem kurzen Druck auf die Halsschlagader klar. Außerdem war die Leiche bereits in die Starre übergegangen. Sie fühlte eine tiefe Traurigkeit in sich aufsteigen. Zwar kannte sie die Identität des Toten noch nicht; aber ihr Blutdruck war augenblicklich angestiegen, und ihre Hände fühlten sich kalt und feucht an. Mit wackliger Stimme beorderte sie einen Krankenwagen zur Alten Fähre und unterrichtete dann Laura. Sie bat zunächst um Zurückhaltung gegenüber Abteilungsleiter Timmermann. »Ich will erst Näheres zu seiner Todesursache und seiner Identität wissen«, sagte sie zu Laura am Telefon, »und vielleicht noch ein wenig mehr zu den Todesumständen. Informiere unsere Spurensicherung und den Chefpathologen. Bei ihm wird gleich die Leiche eintreffen. Und wir beide sehen uns im Café gegenüber der Inspektion.« Dann legte sie auf.
Ihr Handy klingelte nur wenige Momente später. Eine Nummer des Landeskriminalamts.
»Lindenthal?«
»Maria Baumann am Apparat. Störe ich?«
»Nein, was kann ich denn für Sie tun?«
»Es geht um Leon, Sie wissen, ich mochte ihn sehr«, sagte die LKA-Beamtin leise. »Ich wollte nur mal hören .«
»Wie der Stand der Dinge ist?«, fragte Eva Lindenthal mit einer jetzt deutlich grimmigen Stimme. »Hat Sie Alexander Klink beauftragt?«
Pause.
»Frau Baumann?«
Es klickte in der Leitung. Das Gespräch war unterbrochen. Verwundert starrte die Kommissarin auf ihr Telefon - und entschloss sich, nicht zurückzurufen. Aus ihrer Warte hatte sie der Frau, die ein Verhältnis mit Leon Schacht gehabt hatte, nichts zu berichten. Außerdem hatte sie ein Alibi.
Nur einen Moment später rief Timmermann an, ihr Boss. Sie parierte.
»Warum sechs Polizeikräfte in Mueß?!«, zeterte er.
»Ein unbekannter Toter«, sagte sie mit etwas abgekämpfter Stimme.
Schweigen auf beiden Seiten für einen Moment.
»Das ist unschön«, sagte er schließlich etwas milder. »Und was sagen wir den Journalisten?«
»Dass wir unseren Job machen«, antwortete die Kommissarin trocken.
»Dafür kriegen Sie ja schließlich auch Ihr Geld«, schnappte der Abteilungsleiter zurück.
»Eben«, sagte sie und beendete das Gespräch. Sie fühlte Wut in sich aufsteigen.
Jetzt war auch der Krankenwagen vor Ort eingetroffen. Der Rettungsassistent sah sie fragend an.
»Bringen Sie ihn nach Ihren Routineuntersuchungen in die Gerichtsmedizin. Sie werden dort schon erwartet.«
Sie warf sich burschikos in ihr Auto und nahm Kurs auf die Innenstadt. Vor der Polizeiinspektion bog sie in eine Seitenstraße ab, parkte und schlängelte sich dann zu Fuß durch den Verkehr hinüber zu einem Café. Laura erwartete sie schon. Heute schillerten ihre Perlen am rechten Handgelenk besonders auffällig.
»Du weißt schon, dass du es mit deinem Schmuck nicht übertreiben solltest?«, sagte die Kommissarin mit Blick auf Lauras Bling-Bling.
»Ich weiß«, sagte Laura etwas kleinlaut. »Ich dachte, dass ich dich damit etwas ablenken kann. Die Stimmung ist ohnehin schon angespannt genug.«
Die Kommissarin ging darauf nicht mehr weiter ein. Sie sagte stattdessen. »Danke, dass...
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