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Nun soll genauer untersucht werden, wie der oft erwähnte, durch Verstehenwollen ausgelöste Suchprozess beschaffen ist. Einer der wichtigsten Vertreter einer modernen Wahrnehmungstheorie war der Physiologe, Physiker und Universalgelehrte H.L.F. von Helmholtz (1821-1894). Er war Mitbegründer der noch heute vorherrschenden "Vorstellung vom subjektiven, die Sinneseindrücke aktiv deutenden Sehen" (Leonhard, 2019, 5. 481 zu Helmholtz, 1868).
Aus philosophischer Sicht haben wir es bei dem, was hier umrissen wird, mit Erkenntnistheorie zu tun. Neben dem philosophischen Zugang zur Thematik gibt es einen wahrnehmungspsychologischen, zu dem der bereits mehrfach erwähnte Ansatz der Gestaltpsychologie zu zählen ist. Daneben gibt es (vgl. Baumann, 2015) vor allem kognitionswissenschaftliche und neurowissenschaftliche Untersuchungsansätze. Was letztere anlangt, so gewann in den 80er Jahren "... der radikale Konstruktivismus an Boden. Für ihn entscheidet die Selbstreferentialität des neuronalen Netzwerks unseres Gehirns über die W(ahrnehmung) der Außenwelt. Sie ist Produkt der eigenen Operationen im kognitiven Apparat und erzeugt dabei kein Abbild einer objektiven Wirklichkeit, sondern lediglich autopoietische Interpretationen." (Leonhard, 2019, S. 481) In dieser Sicht ist es nicht möglich, Wahrnehmung von außerhalb der Wahrnehmung (also durch Gedanken oder den "Willen") aus zu beeinflussen, wie sich überhaupt viele Neurowissenschaftler ganz explizit gegen die noch auf die antike griechische Philosophie zurückgehende Dichotomie Geist-Körper wenden und eine geistige Mitsteuerung neurobiologischer Vorgänge entschieden abstreiten. Interessant dazu ist die Gegenüberstellung von platonischem und neurowissenschaftlichem Denken bei Gollasch (2017), der mit vielen Beispielen belegt, wie in das Denken der Hirnforscher immer wieder unhinterfragte Voraussetzungen einfließen, die entgegen ihrer eigenen "Doktrin" ihrerseits nicht aus der neurobiologischen Basis ableitbar sind. Neurowissenschaftler neigen, folgt man Baumann (2015), eher zu einer atomistischen oder von-unten-nach-oben-Strategie, beginnend mit der Untersuchung einzelner Nervenzellen, um dann nach und nach komplexere Zusammenhänge aufzuklären. Psychologen neigen eher zu einer holistischen von-oben-nach-unten-Strategie, kümmern sich zunächst um die Erforschung komplexer Wahrnehmungsprozesse und stellen etwa physiologische Details hintan. In den Kognitionswissenschaften findet man eine sehr verbreitete Grundidee, der zufolge Kognition wesentlich Informationsverarbeitung ist. Wir verfügen über Repräsentationen der Welt, die nach bestimmten Regeln umgewandelt und ,verarbeitet' werden. Bis heute von prominenter Bedeutung in den Kognitionswissenschaften sind Arbeiten von D. Marr (1945-1980). Er hebt die abstrakteren Aspekte hervor und unterscheidet (nach Baumann, 2015, S. 273 ff) bei der visuellen Wahrnehmung die drei Aspekte:
Wenn ich mich im Folgenden auch auf Darstellungen aus dem neurowissenschaftlichen Bereich beziehe, schließe ich mich, das möchte ich nochmal betonen, keiner radikal neurowissenschaftlichkonstruktivistischen Position (der zufolge wie bereits erwähnt z.B. ein die Verstehensprozesse steuerndes Ich "ein Märchen" sei); ich beziehe mich großteils auf Darstellungen von Verlaufsprozessen bei der Wahrnehmung durch den Neurowissenschaftler Kandel, der 2014 einen Text vorlegte, in dem er sich schwerpunktmäßig mit der Betrachtung von Bildern des Wiener Expressionismus befasste; seine Darstellung ist aber in weiten Teilen nicht begrenzt auf diese Objekte sondern allgemeiner eine der Weltwahrnehmung im auch im vorliegenden Text gemeinten Sinne.
Kandel (2019, 2014) beschreibt u.a., welche Rolle nach bis dahin vorliegendem Kenntnisstand sowohl bottomup- als auch top-down-Prozesse bei der Wahrnehmung spielen.
"Bottom-up Information wird durch universelle Prozesse geleitet, die zum Großteil von Geburt an aufgrund der biologischen Evolution vorhanden sind und uns erlauben, Schlüsselelemente von Bildern der physischen Welt zu extrahieren, zum Beispiel Konturen, Überschneidungen von Linien und Verknüpfungen."
"Top-down Information bezieht sich auf kognitive Einflüsse und mentale Funktionen höherer Ordnung..." (Kandel, 2019, S. 102, Hervorhebungen im Original).
Ich schlage vor, die Erfassung des Inputs mithilfe eines aktuell vom Gehirn produzierten internen Modells (s. dazu z.B. Eagleman, 2017) als ersten Schritt eines Hypothesengenerierungs- und -prüfungsprozesses (Kandel, 2014) zu verstehen. Die Generierung interner Modelle oder Konstruktionen ist damit gleichbedeutend mit (Zwischen-) Ergebnissen eines Prozesses der Generierung und Überprüfung von Hypothesen (darüber, um was für eine Situation es sich handelt, welche Bedeutung sie hat). Hypothesen können sich natürlich auch als unbrauchbar erweisen, und dann gerät man in einen weiteren, vertieften Prozess der Hypothesengenerierung und -prüfung. Man kann erstens von einem bottom-up-Prozess sprechen, dessen Grundlage die ungeheure Vielzahl an physikalischen Reizen ist, die in der Netzhaut in nervöse Impulse umgesetzt werden, die dann beim weiteren Verlauf "aufwärts" im Gehirn weiterverarbeitet werden. Da die Hypothesengenerierung aber zweitens von den höheren und stammesgeschichtlich neueren Ebenen des Gehirns ausgeht und die Hypothesen schließlich wieder auf die basalen Sinnesreize bezogen werden, spricht man sinnvollerweise ferner von einem top-down-Prozess; sobald wir, durch das Reizmaterial angeregt, aus unserem inneren Fundus eine Probe-Projektion durchführen, sind wir bereits bei einem solchen. Wir tasten unablässig die Umgebung ab und erforschen sie. Dabei spielt das Generieren von Annahmen, die bestätigt oder verworfen werden, eine wichtige Rolle. Es entsteht eine Dynamik, bei der Prozesse hin- und herlaufen zwischen
und Verbindung zu verschiedenen anderen Hirnbereichen aufnehmen.
Der Wahrnehmungsprozess bis hin zur bewussten Wahrnehmung und Identifizierung eines Objekts mit seiner Bedeutung verläuft wahrscheinlich, so sagt uns die moderne Hirnforschung, die durch den Einsatz bildgebender Verfahren viele Einblicke in die Arbeit des Gehirns bei der Betrachtung von Bildern geliefert hat (vgl. Kandel, 2014), in drei Stufen.38
(Prozessstufe 1) Zu Beginn des Prozesses (in der Netzhaut beginnend) werden die Position eines Objekts im Raum und seine Farbe bestimmt.
(Prozessstufe 2) Dann - dieser Prozess beginnt in der primären Sehrinde - wird anhand der Bestimmung der Konturen eines Objekts und seiner Oberfläche im Vergleich zu der der Umgebung die Figur vom Hintergrund unterschieden.
Diese für die Objekterkennung zentrale Aufgabe wird von unserem Gehirn quasi pausenlos geleistet. Wenn das Reizmaterial aber uneindeutig ist, wie z.B. bei der erwähnten Müller-Lyer'schen Figur (s. Kap. I.2., Abb. 1) oder etwa bei vielen Bildern des Malers und Illusionisten Escher (z.B. Schattschneider & Walker, 1987), ergibt sich hier nur ein unentschlossenes Hin und Her, weil das Reizmaterial auf dieser zweiten Stufe nach erfolgter Figur-Hintergrund-Formation X konkurrierende Hinweise gibt,...
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