Schweitzer Fachinformationen
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Mir fielen keine zehn Dinge ein, die ich vor meinem Tod noch unbedingt tun wollte. Ich hatte einmal einen Film gesehen, in dem die Heldin kurz vor ihrem Lebensende eine solche Liste zusammenschrieb.
Aber diese ganze Situation war mehr oder weniger erlogen.
Vielleicht ist »erlogen« nicht das richtige Wort, aber zumindest ist so eine Liste nicht realistisch, soll heißen, sie ist völlig ohne Belang.
Ob das mein Ernst ist?
Ja, ist es.
Woher ich das weiß?
Ich habe es ausprobiert. Und es ging ziemlich daneben.
Folgendes geschah:
Obwohl mich eine hartnäckige Erkältung plagte, ging ich jeden Tag meiner Arbeit als Postbote nach. Ich hatte Fieber und verspürte ein Stechen in meiner rechten Kopfhälfte. Mit rezeptfreien Medikamenten kam ich irgendwie über die Runden (denn ich hasste es, zum Arzt zu gehen), doch als nach zwei Wochen noch immer keine Besserung eintrat, ließ ich mir einen Termin geben. Das war vor sieben Tagen.
Es stellte sich heraus, dass ich nicht erkältet war.
Ich hatte einen Gehirntumor. Im Endstadium.
So die Diagnose. Der Arzt gab mir bestenfalls noch ein halbes Jahr, aber vielleicht bleibe mir nicht einmal mehr eine Woche. Er klärte mich über die verschiedenen Möglichkeiten auf: Bestrahlung, Chemotherapie, Aufnahme in einem Hospiz. Aber ich bekam überhaupt nichts mit.
In meiner Kindheit waren wir in den Sommerferien immer ins Schwimmbad gegangen, wo ich in das blaue, kühle Becken sprang. Es klatschte und spritzte, und ich ging unter.
»Du musst dich vorher abkühlen«, sagte meine Mutter. Aber ihre Stimme drang nur gedämpft durch das Wasser, ich hörte sie nicht gut.
So ähnlich erging es mir jetzt.
Endlich waren die langwierigen Untersuchungen beendet.
Der Arzt hatte kaum zu Ende gesprochen, als ich meine Tasche fallen ließ und mit weichen Knien aus dem Raum wankte. Er wollte mich aufhalten, aber ich rannte schreiend aus der Klinik, rempelte Leute an, fiel hin, stand wieder auf, rannte um mich schlagend weiter, rannte und rannte bis auf eine Brücke, wo ich zusammenbrach und mich schluchzend am Boden wälzte .
So hätte es sein können, so war es aber nicht.
In Extremsituationen reagiert der Mensch oft außergewöhnlich ruhig.
Als Erstes dachte ich an irgendeinen Blödsinn, nämlich, dass ich von der Massagepraxis in meinem Viertel noch einen Stempel brauchte, um Anspruch auf eine kostenlose Behandlung zu haben, und dass ich gerade große Vorräte an Toilettenpapier und Waschmittel gekauft hatte.
Aber der eigentliche Schock stand mir noch bevor.
Ich war erst dreißig Jahre alt. Immerhin älter als Jimi Hendrix und Basquiat bei ihrem Tod, dennoch hatte ich das Gefühl, dass mir noch einiges zu tun blieb. Aufgaben, die nur ich auf dieser Welt erfüllen konnte. Die musste es doch geben.
Allerdings fiel mir keine einzige ein.
Ich lief wie betäubt durch die Gegend, bis ich am Bahnhof zwei junge Männer sah, die Gitarre spielten und sangen.
Kurz ist das Leben auf dieser Welt
Deshalb tu ich, was mir gefällt
Tu bis zum letzten Tag
Nur das, was ich mag .
Idioten! Hatten die denn überhaupt keine Fantasie? Dann singt doch für den Rest eures Lebens vor dem Bahnhof, dachte ich grimmig.
Am Ende meiner Kräfte und im Zustand völliger Ratlosigkeit kam ich nach einer Ewigkeit zu Hause an. Schweren Schrittes schleppte ich mich die Treppe hinauf, und als ich die schäbige Tür öffnete und mein Blick in meine winzige Wohnung fiel, holte mich endlich die Verzweiflung ein. Mir wurde buchstäblich schwarz vor Augen, und ich verlor das Bewusstsein.
Nach mehreren Stunden kam ich in meinem Flur wieder zu mir.
Vor mir lag ein rundes, schwarz-weiß-grau meliertes Knäuel. Es miaute. Mein Blick schärfte sich. Ach, mein Kater.
Mein liebes Katerchen. Vier Jahre lebten wir schon zusammen.
Er schnupperte an mir und miaute noch einmal besorgt. Zumindest war ich noch nicht tot. Ich setzte mich auf. Ich hatte noch immer Fieber und Kopfschmerzen. Der Tod war eine Realität.
»Freut mich, dich kennenzulernen!«, tönte eine beschwingte Stimme aus dem Wohnzimmer.
Ich blickte auf und sah - mich.
Genauer gesagt, ich sah jemanden in meiner Gestalt, denn ich war ja hier im Flur.
Gleich kam mir der »Doppelgänger« in den Sinn. Ich hatte einmal in einem Buch etwas darüber gelesen. Bei einem Doppelgänger handele es sich um ein Alter Ego, das mitunter den bevorstehenden Tod des eigentlichen Egos ankündige. War ich dabei, den Verstand zu verlieren? Oder holte mich der Tod gar schon? Wieder drohten mir die Sinne zu schwinden, aber irgendwie schaffte ich es, mich aufrecht zu halten und mich der Erscheinung zu stellen.
»Äh - darf ich fragen, wer Sie sind?«
»Was glaubst du denn, wer ich bin?«
»Nun ja . Vielleicht der Totengott?«
»Der Totengott? Dieser erbärmliche Wicht?«
»Wicht?«
»Ich bin der Teufel!«
»Der Teufel?«
»Ja, der Leibhaftige!«
Dieser Teufel leistete sich einen ziemlich dreisten Auftritt.
Haben Sie schon mal einen Teufel gesehen?
Ich schon.
Er ist nicht behaart, hat keine Hörner und auch keinen Schwanz. Nicht einmal eine Mistgabel hat er.
Der Kerl sah genauso aus wie ich. Er war mein exakter Doppelgänger!
Die Situation war nicht leicht zu verkraften, aber ich beschloss, sie mit Fassung zu tragen und diesem frechen Teufel mit größtmöglicher Gelassenheit zu begegnen.
Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass er zwar mein Gesicht und meine Statur hatte, jedoch völlig anders gekleidet war. Ich trage prinzipiell nur Schwarz und Weiß. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Strickjacke. Ich bin ein ziemlich langweiliger Typ. Meine Mutter hatte früher manchmal geschimpft, ich würde mir ständig die gleichen Sachen kaufen. Unbewusst griff ich immer zu denselben Farben.
Im Gegensatz zu mir bevorzugte der Teufel grelle Kleidung. Er trug bunte Shorts und ein knallgelbes Hawaiihemd mit Palmen und amerikanischen Straßenkreuzern darauf. Seine Sonnenbrille hatte er sich auf die Stirn geschoben. Er sah sehr sommerlich aus, obwohl es draußen noch recht kalt war.
»Und? Was machst du jetzt?«
Der unverschämte Ton des Teufels reizte mich.
»Wie meinst du das?«
»Du hast nicht mehr lange. Zu leben, meine ich.«
»Ach so, das.«
»Also, was hast du vor?«
»Zuerst überlege ich mir zehn Dinge, die ich vor meinem Tod noch unbedingt tun will.«
»Den Mist hast du doch aus diesem Film? Das Beste kommt zum Schluss - oder wie der heißt.«
»Ja, stimmt.«
»Maximal peinlich! Ist das dein Ernst?«
»Und wenn schon.«
»Das tun doch alle. >Bevor ich sterbe, mache ich jetzt all das, was ich machen will!< Die Löffelliste . Jeder muss diesen Weg einmal gehen . wenn auch kein zweites Mal!«
Der Teufel schüttete sich aus über seinen eigenen Witz.
»Darüber kann ich nicht lachen .«
»Oh, Verzeihung, natürlich nicht. Aber einen Versuch ist es wert. Los, machen wir die Liste!«
Ich nahm ein Blatt Papier und fing an zu schreiben.
Schließlich hatte man mir gesagt, ich würde schon bald sterben. Ich war traurig und kam mir irgendwie betrogen vor. Da ich immer wieder in Verwirrung geriet, dauerte es ewig, bis ich die Liste fertig hatte.
Außerdem musste ich das Blatt vor den neugierigen Blicken des Teufels abschirmen, und mein Kater tapste immer wieder darüber (wie alle Katzen der Welt hat er eine große Schwäche für schönes Papier). Dennoch gelang es mir, zehn Dinge aufzuschreiben, die ich vor meinem Tod noch tun wollte.
1.Fallschirmspringen.
2. Den Everest besteigen.
3.In einem Ferrari über eine deutsche Autobahn rasen.
4.Ein Festmahl mit allen Köstlichkeiten genießen.
5.Einen Gundam-Roboter steuern.
6.Eine große Liebe erleben wie in Love Story.
7.Ein Rendezvous mit der Anime-Heldin Nausicaä.
8.Mit einem Kaffee in der Hand um die Ecke biegen, mit einem schönen Mädchen zusammenstoßen und mich verlieben.
9.Mich im strömenden Regen unterstellen und dem Mädchen aus der Klasse über mir begegnen, in das ich heimlich verliebt gewesen war.
10.Die Liebe finden.
»Was soll denn dieser ganze Quatsch?«
»Na ja, ich .«
»Du bist doch kein Teenager mehr! Man schämt sich ja direkt für dich. Also wirklich!«
»Äh . tut mir leid.«
»Punkt Nummer sechs gefällt mir wirklich gut.«
»Echt?«
»Ach, Unsinn!«
Es war mehr als peinlich. Ein erbärmliches Ergebnis. Selbst mein geliebter Kater schien enttäuscht und wandte sich ab.
Als ich niedergeschlagen in mich zusammensackte, klopfte mir der Teufel auf die Schulter.
»Los geht's«, sagte er. »Zuerst einmal erledigen wir die Nummer eins auf der Liste: Fallschirmspringen. Du hebst dein Gespartes ab, und dann auf zum Flughafen!!!«
Ungefähr zwei Stunden später hatte ich ein Flugzeug bestiegen und befand mich in 3000 Meter Höhe.
»Und hops!«, rief der Teufel übermütig und versetzte mir einen...
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