Schweitzer Fachinformationen
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Christian Walther, Manuel Trachsel, Peter Kaufmann
Mit den vorgelegten 25 Fallgeschichten wollen wir erreichen, dass sich die Leser ihr eigenes Bild davon machen können, was Sterbefasten real bedeutet. Einzelne Fälle, wie man sie aus Büchern und zunehmend auch aus den Medien erfahren kann, lassen sich nicht verallgemeinern. Ganz offenkundig ist die Wirklichkeit des Sterbefastens so vielfältig, dass einfache, pauschale Wertungen sich verbieten. Theoretische Diskussionen haben bisher zu keiner breiten Übereinstimmung geführt und aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen ist dies auch für die Zukunft kaum zu erwarten. Unser reichhaltiges Anschauungsmaterial kann konkret denjenigen nützen, die entscheiden wollen, ob Sterbefasten für sie selbst oder für jemanden aus dem Kreis ihrer nächsten Angehörigen und Freunde irgendwann in Frage kommen könnte.
Die Fallgeschichten weisen in der Summe auf etwas hin, das sich auch bisher schon vermuten ließ: Der Weg des Sterbefastens kommt wohl nur für Personen in Betracht, die über eine ausgeprägte Eigenständigkeit und Willenskraft verfügen. Auch wenn man den FVNF generell als ein Unterlassen bewertet, erfordert das Durchhalten, zumindest zeitweise einen inneren Kraftakt; von passivem Verhalten kann kaum die Rede sein. Wie man das Sterbefasten am Ende bewertet, hängt nicht nur von einem selbst ab, sondern auch von denen, die einen dabei umgeben und gegebenenfalls unterstützen.
Der Sterbeprozess beim FVNF, wie er aus dieser Fallkollektion erfahrbar wird, wurde von den Sterbenden und denjenigen, die ihnen dabei beistanden, als weitgehend positives Geschehen wahrgenommen. Ein Fall, in dem dies unseres Wissens anders war, durfte hier nicht publiziert werden; die Problematik war offenbar weitgehend in vorbestehenden psychischen Schwierigkeiten des Sterbewilligen begründet. Psychische Probleme, die durch die Mühen des Sterbefastens hervorgerufen werden können, entsprachen in unserer Fallkollektion in etwa dem, was auch ohne FVNF beim Sterben erwartet werden kann, zum Beispiel Ungeduld oder Niedergeschlagenheit, wenn sich der Sterbeprozess in die Länge zog.
Welche weiteren Schlüsse ziehen wir Autoren, die wir uns ja bereits länger mit dem Thema befasst haben und noch etliche weitere Beispiele von Sterbefasten kennen, aus den Fallgeschichten des vorliegenden Buches? Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse unserer internen Diskussionen zusammen.
Zunächst ist zu betonen, dass sich für viele Leser wohl einige Fragen stellen, die durch diese Berichte leider nicht befriedigend beantwortet werden können, weil hierzu vor allem klinische Forschung nötig wäre. Das gilt zum Beispiel für die Frage, nach wie vielen Tagen ein Sterbefasten noch abgebrochen werden kann, ohne dass es zu dauerhaften körperlichen Schäden kommt. In einer unserer Fallgeschichten (? Fall 8) wurde der FVNF bei einem ersten Versuch nach drei Tagen problemlos abgebrochen; die sterbewillige Person hatte allerdings ihr Trinken nur wenig eingeschränkt. Eine Frau, die sieben Tage konsequent auch auf das Trinken verzichtet hatte und sich dann zum Weiterleben entschloss, überstand dies ohne körperliche Schäden (zur Nieden & zur Nieden 2020). Man sollte diese Einzelerfahrung jedoch nicht als Regelfall betrachten, denn diese Frau war abgesehen von einer psychischen Erkrankung gesund, während andere Patienten dies in einem schlechten körperlichen Zustand möglicherweise nicht so gut vertragen hätten.
Vor vermeintlich naheliegenden Vermutungen hüten sollten wir uns auch bei der Frage, ob der FVNF bei kachektischen oder stark untergewichtigen beziehungsweise stark übergewichtigen Menschen eher kürzer beziehungsweise länger dauert. Hier sollten wir uns dessen bewusst sein, dass beim FVNF der Tod wahrscheinlich meistens durch Nierenversagen gefolgt von Herzstillstand eintritt (Chabot & Walther 2021). Nur in Fällen, wo das Trinken kaum reduziert, aber auf Essen über viele Wochen verzichtet wird, könnten auch andere Todesursachen in Betracht kommen. Derzeit besteht nur dazu Übereinstimmung, dass der FVNF im Allgemeinen deutlich länger dauert, wenn die Flüssigkeitsaufnahme nicht erheblich reduziert wird. Dies bestätigt auch unsere Fallkollektion.
Das zentrale Problem beim FVNF ist das mögliche Leiden unter Durst und trockenen Schleimhäuten, doch manchmal spielte es fast keine Rolle (z. B. ? Fall 11). Gelegentlich wollten die Sterbewilligen davon zunächst nichts wissen, um dann aber zu merken, dass auch sie auf gute Mundpflege angewiesen waren. Die Kompetenz dafür ist in der Palliative Care weithin vorhanden, aber bei manchen Patienten ließ sich das Problem Durst respektive trockener Mund dadurch nicht hinreichend reduzieren. Das führte dann öfters dazu (z. B. ? Fall 6, ? Fall 10), dass der Arzt gefragt wurde, ob die Situation mit Hilfe eines Medikaments nicht besser bewältigt werden könne. Wiederholt wurden Patienten, denen es besonders schwerfiel, konsequent auf das Trinken zu verzichten, Opioide angeboten (z. B. ? Fall 3, ? Fall 6). Das folgende Kapitel6 geht auf deren mögliche unangenehme Nebenwirkungen oder Folgen ein, die in unseren Fallbeispielen allerdings nicht berichtet wurden. Weder seitens der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW 2019), der Königlichen Niederländischen Medizinischen Gesellschaft (KNMG 2015) noch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (2019) werden Aussagen zur Frage gemacht, ob und falls ja, mit welchen Medikamenten es einem Sterbefastenden erleichtert werden könnte, die Belastungen durch Durstempfindungen besser durchstehen zu können.
Die Autoren des vorliegenden Buchs vertreten die Haltung, dass bei der Begleitung des FVNF alle für eine angemessene Symptomkontrolle medizinisch erforderlichen Maßnahmen eingesetzt werden sollten. Der Einsatz sollte sich dabei konsequent an den tatsächlichen Symptomen orientieren und nicht prophylaktisch erfolgen. Liegen besondere Schwierigkeiten mit dem konsequenten Verzicht auf Flüssigkeitsaufnahme vor, so können dem Patienten auch Medikamente verordnet werden, die ihm hier Erleichterung bringen. Dabei ist immer die Möglichkeit im Blick zu behalten, dass nachteilige Wirkungen den gewünschten Effekt überwiegen könnten.
An welche möglichen körperlichen Belastungen sollte man beim FVNF denken? Wenn in den Medien das Thema vorgestellt wird, erfährt man möglicherweise, dass es häufig zwar kaum Probleme beim Sterbefasten gebe, aber dennoch so manches passieren könne, was den Verlauf recht unangenehm machen würde: Übelkeit, Schmerzen oder Dekubitus durch längeres Liegen, Sturzgefahr und vieles andere. Gerne wird dem mit dem Hinweis begegnet, dass Fachpersonen der Palliative Care all dies gut in den Griff bekommen können (so z. B. die Palliativmedizinerin Claudia Lang vom Palliativteam SAPV Köln in einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks WDR 5 vom 3.?2.?2020). Bisher gibt es kaum verlässliche Studien zu solchen Fragen. Eine Erhebung in den Niederlanden zur Rolle von Hausärzten beim FVNF und ihren Erfahrungen zu den letzten drei Tagen des Sterbens ergab, dass neben Durst und trockenem Mund Schmerzen, Erschöpfung und kognitive Einschränkungen die häufigsten Beschwerden waren (Bolt et al. 2015). Diese und andere Beschwerden traten bei gut einem Drittel der Patienten auf; dennoch waren 90 Prozent der Sterbenden mit dem FVNF voll oder weitgehend zufrieden. Bolt et al. selbst sehen Einschränkungen in der Aussagefähigkeit ihrer Daten, weil alle Angaben nur retrospektiv erfolgten und zum Beispiel Fälle von jüngeren Menschen ohne erhebliche körperliche Beschwerden fehlen. Für klarere Informationen wären klinische, vor allem sogenannte prospektive Studien nötig.
In einem unserer Beispiele (? Fall 19) kam es zu einem schweren Dekubitus. Die Patientin weigerte sich allerdings, eine Dekubitus-Matratze zu nutzen, während in einem anderen Fall eine solche vorsorglich und erfolgreich eingesetzt wurde (? Fall 16). Über Magenschmerzen, Kopfschmerzen oder Pilzinfektionen im Mundbereich wurden in unseren Fällen nicht berichtet. Keine der sterbenden Personen geriet in einen Delir-artigen Zustand (siehe hierzu aber das folgende Kapitel). Anscheinend kann es in der ersten Zeit des FVNF vereinzelt zu einer schmerzhaften Störung der Blasenentleerung (Dysurie) kommen, die sich aber schmerzlindernd behandeln lässt (z. B. Wax et al. 2018), was in unseren Beispielen jedoch ebenfalls nicht auftrat. Somit könnten in unserer Fallkollektion derartige Komplikationen unterrepräsentiert sein.
Aus welchen Gründen kamen die hier porträtierten Menschen irgendwann zum Schluss, es sei für sie gut, nun zu sterben? Hätten Angehörige, Ärzte und professionell Pflegende nicht mit allen Mitteln versuchen sollen, sie dazu zu bewegen, doch noch einige Zeit weiterzuleben (siehe hierzu auch das folgende Kapitel)?
Zunächst zum Alter der Sterbewilligen, das bei derartigen Entscheidungen oft ein wichtiger Faktor ist: Die drei jüngsten Patienten waren 51, 54 und 64 Jahre alt (Fälle Nr. 13, 23 und 18);...
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