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Das jahrhundertealte römische Reich endete im Westen Europas ohne Drama und Glockengeläut. Der letzte Kaiser, Romulus Augustulus, verließ im Jahr 476 die historische Bühne durch einen Hinterausgang. Eine Militärrevolte entließ ihn ins Exil nach Neapel. Nördlich der Alpen fiel sein Fehlen kaum auf. Etwa fünf Jahre nach dem Abgang des Kaisers trat der Franke Chlodwig in das Licht der Geschichte, als ihn Erzbischof Remigius von Reims als neuen Verwalter der Provinz Belgica Secunda begrüßte. Für den Erzbischof lebte die römische Ordnung weiter. Er empfahl dem neuen mächtigen Mann, sich mit guten Ratgebern zu umgeben und dem Rat der Priester (Bischöfe) zu folgen. So könne die Provinz besser bestehen bleiben.12
Das Ende des Kaisertums im Westen war noch nicht das Ende des römischen Reichs. Die oströmischen Kaiser in Konstantinopel erlebten im 6. Jahrhundert noch einmal eine Zeit der Stärke. Aber ihr Arm reichte nicht bis nach Gallien. Über ein halbes Jahrtausend war seit der Eroberung Galliens durch Julius Cäsar vergangen. Die römische Herrschaft, ihre Ordnung und die romanische Kultur hatten an den Orten, an denen die Legionen ihre Lager gebaut hatten, tiefe Spuren hinterlassen. Von der Straße von Gibraltar bis an den Rhein, an einigen Stellen darüber hinaus, in den Gebieten südlich der Donau, aber auch in Britannien hatten die Römer lange geherrscht. Sie hatten Kastelle und Heerlager errichtet, den Städtebau gefördert und Straßen für ihre Legionen angelegt. Wir haben keine genauen Zahlen, aber zur Zeit Chlodwigs lebten etwa 11 Millionen Menschen in diesen romanisierten Regionen. Dazu kamen noch etwa 2 Millionen Menschen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, wo die Römer nicht Fuß gefasst hatten. Die römische Herrschaft hatte sich auf die Städte konzentriert, und solange die Steuereinnahmen aus den Provinzen den Erwartungen entsprachen, konnten die Untertanen nach ihren regionalen Gewohnheiten leben. Zu Beginn des 3. Jahrhunderts hatte Kaiser Caracalla alle Untertanen seines Reichs zu römischen Bürgern erhoben, um sie besteuern zu können, aber die Regionalisierung des römischen Weltreichs ließ sich nicht aufhalten. Die Provinzen und Standorte lebten immer mehr ihr eigenes Leben. Der römische Arm reichte kaum noch über die Alpen, und um das Jahr 400 wurden die letzten römischen Magistrate aus Britannien abgezogen. Die Kräfte wurden an den Grenzen im Süden gebraucht.
Es ist schwer zu sagen, in welchem Maß die römischen Bürger in Gallien am Ende der römischen Herrschaft christianisiert waren. Gallien, wo die Franken sich anschickten, die Römer in der Herrschaft abzulösen, nachdem sie über lange Zeit als römische Hilfstruppen den römischen Lebensstil angenommen hatten, spielte bei der Christianisierung Westeuropas eine wichtige Rolle. Denn bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts war die Verbreitung des Christentums eng mit den Königen verbunden, und im Frankenreich herrschte in dieser Hinsicht eine besondere Kontinuität: Chlodwig und seine Nachkommen, die Dynastie der Merowinger und die darauffolgende Familie der Karolinger, brachten nicht in jeder Generation starke Könige hervor. Aber beide Familien behielten den Königstitel jeweils für etwa 250 Jahre und stellten in dieser Zeit immer wieder regierungsfähige Kandidaten. In dieser Kontinuität entstand während einem halben Jahrtausend eine Tradition, die unter den Merowingern das Christentum förderte und unter den Karolingern die besondere Form des Königtums von Gottes Gnaden schuf, die die europäische Christenheit dieser Phase zutiefst prägte.
Dabei lässt uns der Blick auf zwei Akteure, die in dieser Zeit der schwindenden römischen Ordnung im Namen desselben Gottes und desselben Glaubens ihre Aufgabe versahen, die immense Spannung ermessen. Der Blick offenbart, dass die Christianisierung nach dem Ende des weströmischen Reichs nicht gleichmäßig voranging, sondern dass mit der römischen Kultur auch eine wichtige Voraussetzung für die Kenntnis der christlichen Lehre verblasste. Beide Akteure entstammen einem Milieu, das reich an Büchern war und das eine lange römische Geschichte erlebt hatte. Da war einmal, bald nach dem Abgang des letzten Kaisers, Caesarius von Arles (┼ 542), ein typischer Bischof im romanisierten Gallien. Die römische Ordnung wankte bereits, aber sie zeigte sich noch reaktionsfähig. Caesarius setzte als ihr Vertreter Standards. Das geschah zu Beginn jener großen Transformation, die schließlich das Kraftzentrum Europas in den Norden jenseits der Alpen verschob und die so auch die christliche Lebenspraxis in vielen Fällen neu ausrichtete. Das werden wir sehen, wenn wir den Blick von Caesarius zu Beda Venerabilis (┼ 735) im nordenglischen Kloster Jarrow wenden, der an der Peripherie der alten römischen Welt auf dem Höhepunkt dieser Transformation zwei Jahrhunderte später seine Stimme erhob. Der Kontrast ist enorm und lässt uns ermessen, wie groß die Unterschiede zwischen diesen Akteuren und diesen Standorten auf der Grundlage einer doch gemeinsamen römischen Tradition sein konnten.
Die Quellen werfen nur wenig Licht auf das Leben der Christen in der Wirkungszeit des Caesarius von Arles, als der Franke Chlodwig die Kontrolle in der römischen Provinz Belgica Secunda übernahm. Eine Zeit, die für Historiker dunkel ist, war für die Zeitgenossen nicht unbedingt eine finstere Zeit. Es war eine Zeit, in der wenig geschrieben wurde, deutlich weniger als zur Zeit der Römer, wobei die wenigen Schreiber, die die Ereignisse mit gespitzter Feder auf Pergament oder Papyrus festhielten, dafür noch lange die Sprache der Römer verwendeten. Denn die Kultur der Römer lebte noch Jahrhunderte fort, und die Männer der Kirche betrachteten sich als ihre Erben. Aber ohne die Aufgaben in der Verwaltung des Reichs wurden ihre Dienste seltener gebraucht.
Caesarius, der bald nach 500 Bischof von Arles wurde und das Amt trotz vieler Rückschläge 40 Jahre lang innehatte, lebte noch ganz in der römischen Tradition. Sie hatte den Süden Galliens tief geprägt, der im 5. Jahrhundert katholisch geworden war. Caesarius stammte ursprünglich aus Burgund und war einer Berufung zum Klosterleben gefolgt. Er trat in die Abtei Lérins ein, die auf einer kleinen Insel vor Cannes lag. Der junge Mann unterwarf sich einer so strengen Askese, dass seine Gesundheit Schaden nahm und ihn sein Abt nach Arles schickte, um sich zu kurieren. Als er dem dortigen Bischof vorgestellt wurde, erkannte der in Caesarius einen Landsmann und sah ihn schon bald für weitere Aufgaben vor. Schließlich verpflichtete der Bischof sein Umfeld, Caesarius nach seinem Tod zu seinem Nachfolger zu wählen, und bemühte sich um die Zustimmung des Westgotenkönigs Alarich II., in dessen Herrschaftsgebiet Arles damals lag. So wurde Caesarius Bischof von Arles, als die römische Herrschaft einer neuen Ordnung wich, die zunächst durch rivalisierende Stämme und ihre Könige gekennzeichnet war. Heute würden wir von einer Welt der Warlords sprechen. Es war eine unruhige Welt des Übergangs. Caesarius ruhte nicht. Sein Biograph hob sein leidenschaftliches Drängen auf die Verkündung des göttlichen Wortes in seinen Predigten und in der Liturgie seiner Basilika hervor.13
Caesarius brachte die Liturgie seines Klosters mit nach Arles. Er führte die tägliche Lesung und den Gesang der klösterlichen Stundengebete ein. Caesarius war der Überzeugung, so könne sich kein Laie, der die Kirche aufsuche, diesem Dienst der Anbetung entziehen. Er drängte Klerus und Laien, geeignete Hymnen und Psalmen zu singen.
Allerdings waren dies lateinische oder griechische Texte. Die Gläubigen, die Caesarius in Arles erreichte, entstammten dem gebildeten städtischen Milieu. Es waren wahrscheinlich vornehme Römer von ähnlicher Herkunft wie er selbst. Der Einsatz einzelner charismatischer Bischöfe konnte die urbane Kultur dieser traditionell römischen Städte noch einmal zu einem eindrucksvollen Leben bewegen. Aber die Ordnung, die diese pflichtbewusste Haltung, die der eigenen Stadtgemeinde zugewandt war, ursprünglich trug, löste sich allmählich auf. Und in den Kämpfen um ihr Erbe geriet auch der Bischof von Arles in Bedrängnis. Wiederholt verlor er für einige Zeit sein Amt, erlebte, wie seine Stadt in den Kämpfen zwischen Westgoten auf der einen und Franken und Burgundern auf der anderen Seite belagert wurde. Dabei äußerte sich die Bedrängnis nicht nur militärisch, sondern die Parteien trennte neben dem politischen Anspruch auf die Herrschaft auch ihr christliches Glaubensverständnis: Die Burgunder und die Franken waren "katholisch" im Sinne des Glaubensbekenntnisses, das das Konzil von Nizäa (325) formuliert hatte, die Westgoten dagegen waren sogenannte "Arianer". Der Arianismus bezweifelte die in Nizäa definierte Gleichrangigkeit des göttlichen Sohnes. Für die Arianer war Jesus kein Gott. Arianische Auffassungen waren in der Phase des Niedergangs der römischen Ordnung weit verbreitet. Fast alle germanischen Stämme, die im Lauf des 5....
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