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Der Mond als Problemlöser
Als Maßeinheit zwischen den Mondphasen spielt der "Monat" heute für den Menschen keine wesentliche Rolle mehr, außer er verbindet damit etwas Schmerzhaftes, wie der Islam-Gläubige. Den "Fastenmonat" einzuhalten, das stellt viele Muslime in unserer Gesellschaft vor eine große Herausforderung, denn unsere Berufswelt toleriert keine Leistungsminderung.
Phoebe, eine Mitbewohnerin, hat einen Muslim geheiratet und wird während der Zeit des Fastens, die gerade mit großer Hitze verbunden ist, blass und blässer. Nichts trinken zu dürfen und doch volle Leistung bringen zu müssen, das bringt sie bis an die Grenzen der Belastbarkeit.
Umgekehrt verursacht auch Phoebe Schmerz, wenn sie die Toleranz ihrer Mitbewohner ausreizt: Ihr Wecker klingelt zwischen drei und vier Uhr nachts, dann steht sie auf, duscht und betet. Während sich andere nach der Handelsschule um einen Bürojob bewerben, hat sie sich fürs Beten entschieden. Beten, sagt sie, wäre ihr Lebensinhalt. Beten sei für sie die sinnvollste Beschäftigung. Deshalb auch die Partnerwahl.
"Stört es dich nicht, dass du seine Zweitfrau bist?", frage ich ungeniert.
"Das war ich zuvor auch bei einem Christen!"
In der ersten Nacht des Ramadans hörten wir aus ihrem Handy den Ruf des Muezzins. Seither beschäftigen wir uns intensiv mit ihr. Ich habe die Mitbewohner und Mitbewohnerinnen dazu aufgefordert, ihr während des Fastenmonats täglich eine Geschichte über den Mond zu erzählen. Dieser sei schließlich ein islamisches Symbol und trotzdem zugleich ein wertfreies Sujet und sollte sie ablenken.
Christophe machte den Anfang. Er erzählte von einem Ereignis, das sich als Märchen anbahnte, welches sich später in Luft auflöste. Eines Tages habe er auf dem Dachboden das Fotoalbum von der Hochzeitsreise seiner Großeltern entdeckt, die sie in den 1950er-Jahren in die Wachau geführt hatte. Als er darin blätterte, gelangte er nach Spitz an der Donau, wo eine Wiener Filmgesellschaft gerade das Nestroy-Stück Der böse Geist Lumpacivagabundus drehte, unter der Regie von Franz Antel. Drei Vagabunden, die alles Geld verjuxt haben, kaufen unter Mithilfe der Glücksfee Fortuna gemeinsam das richtige Los und sprengen den Jackpot. Fortuna möchte auf diesem Weg dem Feenkönig beweisen, dass der Mensch nicht schlecht ist, sondern lediglich von den miserablen Lebensumständen determiniert. Paul Hörbiger spielte den Schuster Knieriem, Gunther Philipp den Schneider Zwirn und Joachim Fuchsberger den Tischler Leim. Auf den Fotos war zu sehen, wie sich die drei in Fetzen gekleidet durch die Straßen von Spitz bewegen, und Augenblicke später war das frisch getraute Brautpaar mit den Schauspielern auf einem Bild vereint. Im Hintergrund war ein Haus mit der Aufschrift "Mariandl" zu erkennen, was Christophe zum Summen einer bekannten Melodie veranlasste. Als er diese heile Welt später nacherleben wollte, nicht nur, um seinen verstorbenen Großeltern näher zu sein, sondern auch, um sich selbst Erholung zu verschaffen, hielt er in der Wachau nach dem einzigen Bezugspunkt Ausschau. Er freute sich, dass sich dieses Haus "Mariandl" nach wie vor als Hotel wiederfinden ließ. Dem nicht genug. Die Rezeption, der Korridor, die Zimmer, der Speisesaal, alles war alt belassen. Und darüber hinaus klebten überall Fotos aus Filmen dieser Zeit, zu Postern aufgeblasen. In einem Schrein hinter der Portierloge waren sogar noch die alten Schirmmützen gestapelt, die Hans Moser und Paul Hörbiger im Film Hallo Dienstmann getragen hatten.
Über seinem Bett hing dann aufgebläht der lächelnde Gunther Philipp und Christophe plante, am nächsten Tag das Filmmuseum zu besuchen, als er einschlief. Da er jedoch bei Vollmond nur schlecht schlafen konnte, wälzte er sich wie immer hin und her und hatte seine Großeltern und ihre Filmwelt im Kopf, sodass er erst im Morgengrauen in Tiefschlaf verfiel. Als er aufwachte, hatte er eine Vision. Er erinnerte sich daran, dass ihm Gunther Philipp im Traum die Metallhülle einer Filmrolle gezeigt hatte, auf der deutlich eine sechsstellige Zahl zu lesen gewesen war. Sechs Ziffern marschierten im Gleichschritt an seinem inneren Auge vorbei, gleich darauf hatte sich die Filmrolle in den Vollmond verwandelt und leer, aber warm und freundlich ins Zimmer herein geleuchtet. Christophe nahm einen Hotelprospekt vom Nachtkästchen, kritzelte besagte Nummer darauf und machte sich auf den Weg zur nächsten Lotto-Annahmestelle, wo er einen einzelnen Schein ausfüllte. "Bis heute kann ich nicht begreifen, aus welchem Grund ich die zwei letzten Zahlen gegen zwei andere ausgetauscht habe, aber das ist mir wirklich passiert!", jammerte Christophe. "Sonst hätte ich einen Sechser gehabt und 700 000 Euro in der Tasche!"12
Phoebe lächelte: "Ja, du hättest in der Tat besser auf Gott vertraut!" Ihr Lächeln zeigte, dass die Chancen stiegen, eine schlaflose Nacht zu verhindern.
Am nächsten Abend war ich dran. Bei der Themenwahl stellte ich mich jedoch ziemlich ungeschickt an, denn ich beachtete nicht, dass Alkohol für Phoebe kein Thema war, schon gar nicht während des Ramadans. Am Ende der Geschichte forderte sie politisch korrekten Respekt einer Muslima gegenüber ein, und ich fand mich im Fettnäpfchen wieder. Die anderen waren sauer auf mich, weil es nun keine Garantie für Nachtruhe gab.
Was ich erzählt hatte? Meine Eltern hätten im Bergland von Sri Lanka genächtigt, in einer wunderschönen Hotelanlage, wo sich der Sigiriya-Felsen mitten aus dem Pool zu erheben schien, so nah sei er gewesen. Und bei Vollmond hätte er sogar die Wolkenmädchen leuchten sehen, deren Brüste wären geliftet gewesen, habe mein Vater behauptet. Kein Wunder also, dass er zu spät zum Dinner gekommen sei. Die anderen Rundreiseteilnehmer hätten die Getränke schon bestellt gehabt, als mein Vater Platz nahm.
Es war ihre erste von zwei Nächten vor Ort und der Kellner fragte gleich, ob er auch meinem Vater, so wie den anderen am Tisch, Rotwein servieren dürfe. Mein Vater war gerade im Gespräch, als der Kellner mit einer sündteuren Flasche Rotwein aus Südafrika zurückkehrte, sie unaufgefordert öffnete und meinem Vater daraus einschenkte. Die Flasche blieb danach auf dem Tisch stehen.
Eigentlich wäre mein Vater mit einem Achterl zufrieden gewesen. Mehr als ein Vierterl trank er ohnehin nie. Zuerst hatte er noch gedacht, meine Mutter und ein anderer Reiseteilnehmer würden mittrinken. Doch die bekamen nach ihm ihre Getränke in Gläsern. Schließlich tröstete sich mein Vater, dass die Flasche dann eben am nächsten Abend geleert würde, und er freute sich auf eine gesellige Rotweinrunde.
Am nächsten Abend formte sich jedoch der Vollmond aus und das bedeutet in Sri Lanka einen religiösen Festtag. Buddhas Geburt, Erleuchtung und Tod werden bei Vollmond in einem gefeiert. Was keiner von ihnen vorher gewusst hatte: An diesem Tag darf kein Alkohol ausgeschenkt werden. Die Kellner machten bei meinem Vater keine Ausnahme und verweigerten das Servieren der Flasche.
Da der Kleinbus über keinen Kühlschrank verfügte, blieb meinem Vater am Morgen des dritten Tages nichts anderes übrig, als die fast volle Flasche in der Kühlbox des Hotels zurückzulassen, in das er nie zurückkehren würde. Und so hatte er letztlich für ein Achterl Wein satte 60 Euro bezahlt. Der Kellner jedoch hatte erreicht, was er offensichtlich angestrebt hatte. Er kannte die Reservierungsnummer und konnte den sündteuren Wein in vollen Zügen genießen, sobald die Reisegesellschaft außer Sichtweite war.
Da sich nach dieser meiner Mondgeschichte Phoebes Krankenkassa-Brillenfassung verfinsterte, setzte ich sicherheitshalber noch eine Quizfrage nach: "Weißt du, woher das Croissant stammt?"
"Ha, ha, witzig, aus Frankreich natürlich!", ätzte sie.
Aber diesmal hatte ich die Hosen an: "Falsch geraten! Das Croissant stammt aus der Türkei! Die Franzosen haben es nur übernommen, genau genommen hat es die österreichische Frau Ludwigs XVI., Marie Antoinette, aus Wien importiert, wo es schon als 'Kipferl' Fuß gefasst hatte. Die französischen Höflinge nannten es 'türkischer Halbmond', auf Französisch 'Croissant de lune' und es konnte sich länger halten als der französische Adel!"
Mitbewohner Liu erbarmte sich nun meiner Bemühungen, uns Phoebe gewogen zu stimmen. Dabei waren ja nicht unsere missglückten Geschichten das eigentlich Unpassende, sondern ihre Ramadan-Gepflogenheiten.
Liu erzählte eine bloß halbe Geschichte des Dichters Wang Luobin: "Ein Jurtenmädchen, du kennst ein Jurtenmädchen, weißt du, was ich meine? Ich meine ein Mädchen, das in einer Jurte wohnt! Nach diesem Mädchen drehten sich alle Leute...
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