Schweitzer Fachinformationen
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Ein Mann im Todestrakt
Cowart parkte den Mietwagen auf der Zufahrtsstraße zum Staatsgefängnis und musterte den klobigen, dunklen Gebäudekomplex, in dem die Mehrheit der Hochsicherheitsgefangenen von Florida einsaß. Streng genommen gab es zwei Gefängnisse, durch ein kleines Flüsschen getrennt, die Jugendstrafanstalt hüben und das Gefängnis Raiford drüben. In der Ferne sah er Rinder auf den grünen Weiden und kleine Staubwolken, die in den Himmel stiegen, wo Sträflinge in Arbeitskolonnen auf den Feldern arbeiteten. An den Ecken des Gefängnisgeländes ragten Wachttürme auf, und Cowart glaubte in den Händen der Posten Waffen im Sonnenlicht aufblitzen zu sehen. Er wusste nicht, in welchem Gebäude sich der Todestrakt mit der Hinrichtungskammer befand, nur, dass er als ein gesonderter Trakt vom Hauptgebäude abzweigte. Er blickte auf die beiden parallel verlaufenden, vier Meter hohen Zäune mit Stacheldrahtspiralen darüber, die in der Morgensonne glitzerten. Cowart stieg aus und blieb unschlüssig neben dem Wagen stehen. Einige Pinien ragten mit ihren kerzengeraden Stämmen direkt an der Straße auf, als deuteten sie vorwurfsvoll in den kristallblauen Himmel. Eine kühle Brise raschelte in den Bäumen und strich Cowart in der zunehmenden Luftfeuchtigkeit angenehm über die Stirn.
Es hatte ihn keine großen Überredungskünste gekostet, sich von Will Martin und den anderen Kollegen der Chefredaktion freistellen zu lassen, nachdem er ihnen die Gründe für seine geplanten Nachforschungen zur Verurteilung Robert Earl Fergusons dargelegt hatte. Das skeptische Schnauben von Martin hatte er geflissentlich ignoriert.
»Hast du Pitts und Lee vergessen?«, hatte Cowart gekontert.
Freddie Pitts und Wilbert Lee waren des Mordes an einem Tankwart in Nordflorida für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden. Beide Männer hatten das Verbrechen gestanden, obwohl sie unschuldig gewesen waren. Erst dank jahrelanger Berichterstattung durch einen der berühmtesten Reporter der Zeitung waren die beiden freigekommen. Ihm hatte es den Pulitzer-Preis eingebracht. In der Nachrichtenredaktion war dies grundsätzlich die erste Geschichte, die ein neuer Mitarbeiter zu hören bekam.
»Das kannst du nicht vergleichen.«
»Inwiefern?«
»Das war 1963. Hätte ebenso gut 1863 sein können. Seitdem hat sich einiges geändert.«
»Ach ja? Und was ist mit diesem Kerl in Texas, den dieser Dokumentarfilmemacher aus dem Todestrakt bekommen hat?«
»Das war was anderes.«
Martin hatte gelacht. »Gute Frage. Geh schon. Mit meinem Segen. Finde die Antworten auf deine Fragen. Und vergiss nicht: Wenn du damit fertig bist, noch mal Reporter zu spielen, kannst du jederzeit wieder in den Elfenbeinturm heimkehren.« Damit scheuchte er Cowart hinaus.
Die Lokalredaktion war unterrichtet und hatte ihre Hilfe zugesagt, falls er sie brauchte. Einen Anflug von Eifersucht darüber, dass die Sache ihm in den Schoß gefallen war, konnte er kaum überhören. Ihm wurde bewusst, welche Vorteile er gegenüber den Leuten vom Lokalteil besaß: Er konnte allein arbeiten, die Redaktion dagegen hätte ein Team auf die Geschichte angesetzt. Wie viele andere Blätter und Fernsehsender verfügte das Journal über ein eigenes Team für investigative Aufgaben - Spotlight- oder I-Team genannt. Sie hätten sich mit dem Feingefühl eines Überfallkommandos auf die Geschichte gestürzt. Und im Unterschied zu den gewöhnlichen Reportern hatte er keinen Abgabetermin, keinen stellvertretenden Chefredakteur, der ihm im Nacken saß und ihn jeden Tag fragte, wo der Artikel blieb. Er konnte herausfinden, was er wollte, seine Ergebnisse aufbereiten, wie er wollte, und sie niederschreiben, wie er wollte. Oder die Segel streichen, falls er feststellte, dass an der Sache nichts dran war.
Mit diesem Gedanken wappnete er sich nun gegen die Enttäuschung für den Fall, dass er mit leeren Händen aus dem Gefängnis käme, doch als er wieder in den Wagen stieg und weiterfuhr, beschleunigte sich mit jedem Meter sein Puls. An der Zufahrt wies eine Reihe von Warnschildern den Besucher darauf hin, dass er mit Betreten der Anstalt stillschweigend einer Durchsuchung nach mitgeführten Schusswaffen und Drogen zustimme und dass ein entsprechender Verstoß mit einer Haftstrafe geahndet werde. Er gelangte durch ein Tor, an dem ein Wachmann in grauer Uniform seine Ausweispapiere mit einer Liste abglich, um ihn nach einer Weile mürrisch durchzuwinken. Vom Parkplatz gelangte er in das Verwaltungsgebäude.
Dort herrschte bei einer Sekretärin, die seinen Antrag auf Besuchserlaubnis nicht mehr finden konnte, zunächst einmal Ratlosigkeit. Er wartete geduldig an ihrem Schreibtisch, während sie in ihren Papieren kramte und sich unermüdlich entschuldigte, bis sie endlich fündig wurde. Danach wartete er in einem angrenzenden Büro, bis ein Wachmann ihn zu dem Raum geleitete, in dem er Robert Earl Ferguson treffen sollte.
Nach ein paar Minuten betrat ein älterer Mann mit angegrautem, militärisch kurz geschorenem Haar und soldatischer Körperhaltung den Raum. Er hatte eine große, knorrige Hand, die er Cowart kraftvoll entgegenstreckte. »Sergeant Rogers. Ich bin heute der diensthabende Officer im Trakt.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Es gibt ein paar Formalitäten, Mr. Cowart, ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.«
»Was heißt das?«
»Ich muss Sie abtasten, Ihre Aktentasche durchsuchen und Ihr Aufnahmegerät unter die Lupe nehmen. Außerdem muss ich Sie bitten, mir eine Erklärung für den Fall einer Geiselnahme zu unterschreiben .«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Nur eine Bescheinigung Ihrerseits, dass Sie das Staatsgefängnis auf eigenen Wunsch betreten haben und dass Sie für den Fall, dass Sie während Ihres Aufenthalts als Geisel genommen werden, den Bundesstaat Florida nicht verklagen und auch keine außergewöhnlichen Schritte von staatlicher Seite zu Ihrer Befreiung erwarten.«
»Außergewöhnliche Schritte?«
Der Mann lachte und strich sich mit der Hand durch den Bürstenkopf. »Im Klartext: Sie verlangen nicht, dass wir unseren Arsch riskieren, um Ihren zu retten.«
Cowart lächelte süßsäuerlich. »Klingt, als hätte ich dabei die schlechteren Karten.«
Sergeant Rogers grinste. »Das sehen Sie richtig. Natürlich ist Gefängnis für jeden ein schlechtes Blatt, außer für diejenigen von uns, die abends nach Hause können.«
Cowart nahm das Formular entgegen und setzte einen spöttisch übertriebenen Schnörkel darunter. »Ich kann nicht gerade behaupten, dass Sie mir besonderes Vertrauen einflößen.«
»Nein, nein, Sie haben nichts zu befürchten, nicht wenn Sie Robert Earl besuchen. Er ist ein Gentleman, und er ist nicht verrückt.« Während er das sagte, durchsuchte der Sergeant systematisch Cowarts Aktentasche. Danach öffnete er das Aufnahmegerät und klappte das Batteriefach auf, um sich davon zu überzeugen, dass darin nur Batterien steckten. »Sie kommen schließlich nicht auf einen Plausch mit Willie Arthur oder Specs Wilson - diese beiden Biker aus Fort Lauderdale, denen ein kleiner Spaß mit dieser Anhalterin außer Kontrolle geraten ist - oder Jose Salazar - Sie wissen schon, der Kerl, der zwei Undercover-Cops bei einem Drogendeal umgebracht hat. Wissen Sie, wozu er sie gezwungen hat? Was sie sich gegenseitig antun mussten, bevor er sie getötet hat? Finden Sie's raus. Das öffnet Ihnen die Augen dafür, wie böse Menschen sein können, wenn sie's darauf abgesehen haben. Oder ein paar von den anderen reizenden Herren, die wir hier drinnen haben. Die übelsten kommen größtenteils aus dem Süden, aus Ihrer Heimatstadt. Was treiben Sie da unten eigentlich alle, dass manche sich derart abschlachten müssen?«
»Sergeant, ich wünschte, ich könnte Ihnen die Frage beantworten .«
Sie mussten beide grinsen. Sergeant Rogers stellte Cowarts Aktentasche ab und forderte ihn mit einer stummen Geste auf, die Hände zu heben. »Schon hilfreich, sich hier drinnen ein bisschen Sinn für Humor zu bewahren«, sagte der Sergeant, während seine Hände Cowarts Körper abtasteten.
»Also«, sagte Rogers schließlich, »und jetzt zu den Regeln. Sie sind mit ihm alleine. Ich bin nur zur Sicherheit da. Draußen vor der Tür. Falls Sie Hilfe brauchen, rufen Sie. Aber dazu wird es nicht kommen, weil wir es mit einem der wenigen Männer im Trakt zu tun haben, die nicht irre oder übergeschnappt sind. Was sag ich, Sie bekommen sogar die Präsidentensuite .«
»Die was?«
»Die Präsidentensuite, so nennen wir den Besucherraum für unsere Gäste mit den besten Manieren. Hat zwar auch nicht mehr als einen Tisch und Stühle, also im Prinzip nichts Besonderes, aber wir haben andere Räume mit höheren Sicherheitsvorkehrungen. Außerdem wird Robert Earl keine Fesseln tragen, nicht einmal Fußketten. Ich meine, Sie können ihm eine Zigarette anbieten .«
»Ich rauche nicht.«
»Gut. Kluge Entscheidung. Sie dürfen Papiere von ihm entgegennehmen, falls er Ihnen welche übergibt. Sollten Sie allerdings ihm irgendetwas aushändigen wollen, geht das nur über mich.«
»Was zum Beispiel?«
»Na ja, vielleicht eine Feile und eine Säge. Und eine Straßenkarte.«
Cowart sah ihn verblüfft an.
»He, war nur ein Witz«, sagte der Sergeant. »Hier drinnen machen wir so was selten. Also: Witze über Flucht. Nicht lustig. Dabei gibt es natürlich die verschiedensten Möglichkeiten, aus dem Gefängnis rauszukommen. Sogar aus dem Todestrakt. Viele der Insassen meinen, mit einem Reporter zu reden, gehöre dazu.«
»Als Fluchthilfe, meinen Sie?«
»Als Hilfe, rauszukommen. Die...
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