Schweitzer Fachinformationen
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Francis Xavier Petrel traf weinend im rückwärtigen Teil eines Krankenwagens im Western State Hospital ein. Es regnete stark, die Dunkelheit brach schnell herein, und seine Arme und Beine steckten in Fußfesseln und einer Zwangsjacke. Er war einundzwanzig Jahre alt und hatte so große Angst wie in seinem ganzen kurzen und bis dahin ereignislosen Leben noch nicht.
Die beiden Männer, die ihn zur Klinik gefahren hatten, hielten während der Fahrt die meiste Zeit den Mund, außer wenn sie sich über das für diese Jahreszeit unpassende Wetter beklagten oder bissige Bemerkungen über die anderen Autofahrer auf der Straße machten, von denen keiner ihrem eigenen überragenden Standard entsprach. Der Krankenwagen war bei mäßigem Tempo die Fahrbahn entlanggerumpelt und hatte sowohl Lichthupen als auch dicht auffahrende Autos geflissentlich ignoriert. Es lag etwas von stumpfer Routine in der Art, wie die beiden sich benahmen, als wäre die Fahrt zur Klinik nichts weiter als eine Station an einem deprimierend normalen, entschieden langweiligen Tag. Einer der Männer schlürfte gelegentlich aus einer Dose Mineralwasser und machte dabei ein schmatzendes Geräusch. Der andere pfiff Fetzen aus beliebten Songs. Der Erste trug Koteletten. Der Zweite eine buschige Löwenmähne.
Für die beiden Pfleger mochte es eine belanglose Fahrt wie jede andere sein, doch für den jungen Mann, der mit völlig verspanntem Rücken und kurzen, stoßweisen Atemzügen hinten lag, war es das genaue Gegenteil. Jeder Laut, jede Empfindung schien ihm etwas zu signalisieren, jedes Mal beängstigender und bedrohlicher als zuvor. Der Rhythmus der Scheibenwischer war wie eine tiefe, unheilvolle Dschungeltrommel. Das leise Quietschen der Reifen auf glatter Fahrbahn glich einem verzweifelten Sirenengesang. Selbst das Geräusch seines eigenen schweren Atems schien von irgendwoher widerzuhallen, als sei er in ein Grab eingesperrt. Die Fesseln schnitten ihm ins Fleisch, er öffnete den Mund und wollte um Hilfe rufen, konnte aber keinen richtigen Laut herausbringen. Es kam nichts weiter als ein gurgelnder Ausbruch der Hilflosigkeit. Ein einziger Gedanke drang noch durch die Kakophonie - sollte er diesen Tag überleben, würde er wahrscheinlich keinen schlimmeren erleben.
Als der Krankenwagen mit einem Schütteln vor dem Klinikportal zum Stehen kam, hörte er eine seiner Stimmen in heller Aufregung schreien: Wenn du nicht aufpasst, bringen sie dich hier um.
Die Krankenwagenfahrer schienen von dieser drohenden Gefahr nichts zu merken. Sie öffneten die Hecktüren mit lautem Getöse und zogen Francis unsanft auf einer Rollbahre heraus. Er spürte, wie ihm kalter Regen ins Gesicht peitschte und sich mit dem Angstschweiß auf seiner Stirn vermischte, während die beiden Pfleger ihn durch eine breite Flügeltür in eine Welt aus unbarmherzig grellen Lichtern rollten. Sie schoben ihn einen Flur entlang, wo die Räder der Bahre auf dem Linoleum knirschten, und das Erste, was er im Vorbeigleiten sehen konnte, war die pockennarbig perforierte Decke. Ihm war vage bewusst, dass sich noch andere Menschen im Korridor befanden, doch vor lauter Angst wagte er nicht, sie anzusehen. Stattdessen fixierte er die Schalldämmung über ihm und zählte die Lichtquellen ab, unter denen er entlanggerollt wurde. Bei vier blieben die Männer stehen.
Ihm war irgendwie bewusst, dass andere Leute vor seine Bahre getreten waren. Direkt hinter seinem Kopf hörte er jemanden sagen, »Okay, Jungs, wir übernehmen ihn.«
Dann erschien plötzlich ein wuchtiges, rundes, schwarzes Gesicht mit einem breiten, die schiefen Zähne fletschenden Grinsen über ihm. Das Gesicht befand sich über der weißen Jacke eines Pflegers, die auf den ersten Blick ein paar Nummern zu klein für den Körper, der darin steckte, war.
»Also, Mr. Francis Xavier Petrel, Sie machen uns jetzt doch keinen Ärger, oder?« Der Mann hatte einen leicht singenden Tonfall, so dass die Worte halb bedrohlich, halb belustigt herauskamen. Francis wusste nicht, was er antworten sollte.
Urplötzlich schwebte am anderen Ende der Bahre ein zweiter schwarzer Kopf in sein Gesichtsfeld, der sich ebenfalls über ihn neigte, und dieser andere Mann sagte: »Ich glaube, der Junge hier macht uns keine Scherereien. Kein bisschen. Stimmt's, Mr. Petrel?« Auch er sprach mit einem leichten Südstaatenakzent.
Eine Stimme brüllte ihm ins Ohr: Sag nein!
Er versuchte, den Kopf zu schütteln, hatte jedoch Probleme damit, den Hals zu bewegen. »Ich mach keinen Ärger«, würgte er heraus.
Die Worte klangen so roh, wie der ganze Tag gewesen war, doch er war froh, dass er überhaupt sprechen konnte. Das beruhigte ihn ein wenig. Den ganzen Tag schon hatte er Angst gehabt, er könnte irgendwie die Fähigkeit verlieren, sich mitzuteilen.
»In Ordnung, Mr. Petrel. Wir können jetzt von der Rollbahre runter. Dann setzen wir uns ganz hübsch und artig in einen Rollstuhl. Aber die Fesseln an Ihren Händen und Füßen wollen wir mal noch schön dranlassen. Die kommen erst weg, wenn Sie beim Doktor gewesen sind. Vielleicht kriegen Sie von dem 'ne Kleinigkeit, wo Sie sich mit beruhigen können. Was so richtig zum Abkühlen. So, und jetzt mal hübsch sachte. Setzen Sie sich auf und schwingen Sie die Beine nach vorn.«
Tu, was man dir sagt!
Er tat, was man ihm sagte.
Von der Bewegung wurde ihm schwindelig, und er schien einen Moment lang zu schwanken. Er merkte, wie ihn eine riesige Hand an der Schulter packte, um ihm Halt zu geben. Er drehte sich um und sah, dass der erste Pfleger ein Hüne war, gut über eins fünfundneunzig groß und wahrscheinlich um die anderthalb Zentner schwer. Seine Arme waren die reinsten Muskelpakete und seine Beine wie Fässer. Sein Partner, der andere Schwarze, war ein drahtig dünner Mann, der neben dem Koloss zwergenhaft wirkte. Er schmückte sich mit einem Ziegenbärtchen und einer buschigen Afro-Frisur, der es jedoch nicht recht gelingen wollte, ihm mehr Statur zu verleihen. Zusammen bugsierten die beiden Männer ihn in einen wartenden Rollstuhl.
»Okay«, sagte der Kleine. »Jetzt bringen wir Sie zum Doktor rein. Und nur keine Sorge nich'. Kann sein, dass im Moment alles komplett daneben und lausig schlimm aussieht, aber das wird schon wieder, Sie werden sehen. Da können Sie Gift drauf nehmen.«
Er glaubte ihm nicht. Kein Wort.
Die beiden Pfleger fuhren ihn weiter in ein kleines Wartezimmer. Dort saß eine Sekretärin hinter einem Schreibtisch aus grauem Stahl, die, als die Prozession zur Tür hereinkam, von ihrer Arbeit aufsah. Sie war eine imposante, propere Frau jenseits der mittleren Jahre in einem engen blauen Kostüm, das Haar ein wenig zu stark toupiert, den Lidstrich einen Hauch zu dick aufgetragen, auch das Lipgloss leicht übertrieben, so dass ihr Erscheinungsbild auf Francis Petrel in sich widersprüchlich wirkte, halb Bibliothekarin, halb Prostituierte. »Da haben wir wohl Mr. Petrel«, sagte sie zu den beiden Pflegern, auch wenn es für Francis offensichtlich war, dass sie keine Antwort erwartete, weil sie es bereits wusste. »Sie können gleich mit ihm zum Doktor durch, er erwartet ihn schon.«
Er wurde durch eine weitere Tür in ein Sprechzimmer geschoben, das etwas freundlicher war, mit zwei Fenstern zum Innenhof an der rückwärtigen Wand. Er sah, wie draußen eine große Eiche in Wind und Regen schwankte. Und dahinter erkannte er andere Häuser, allesamt Backsteinbauten mit schiefergrauen Dächern, die mit dem düsteren Himmel darüber verschmolzen. Vor den Fenstern stand ein Holzschreibtisch von beeindruckendem Format. In einer Zimmerecke befand sich ein Bücherregal, daneben ein paar dicke Polstersessel und davor ein dunkelroter Orientteppich auf dem Einheitsgrau des Teppichbodens, zusammen also eine Sitzecke zu Francis' Rechten. An der Wand hing neben Präsident Carters Porträt ein Foto des Gouverneurs. Francis nahm dies alles so schnell wie möglich in sich auf, so dass sein Kopf in alle Richtungen zuckte. Doch sein Blick ruhte bald auf einem kleinen Mann, der sich, als Francis hereingebracht wurde, von seinem Schreibtisch erhob. »Hallo, Mr. Petrel. Ich bin Dr. Gulptilil«, sagte er knapp mit einer fast kindlich hohen Stimme.
Der Arzt war übergewichtig und rund, besonders an Bauch und Schultern - knollig wie ein Kindergeburtstagsballon, der in Form geknetet war. Er war entweder Inder oder Pakistani. Er trug eine eng geknotete, leuchtend rote Seidenkrawatte und ein strahlend weißes Hemd, während sein schlecht sitzender Anzug an den Manschetten leicht abgewetzt war. Er gehörte wohl zu der Sorte Mann, die morgens beim Anziehen auf halbem Weg das Interesse verlor. Er trug eine dicke schwarze Hornbrille, und sein Haar war mit Frisiercreme glatt nach hinten gekämmt, wo es sich über dem Kragen kräuselte. Francis konnte nicht recht sagen, ob er jung war oder alt. Er stellte fest, dass der Doktor gerne jedes Wort mit einer winkenden Geste unterstrich, so dass er während seiner Ansprache an einen Dirigenten erinnerte, der mit dem Taktstock sein Orchester führte.
»Hallo«, sagte Francis verhalten.
Pass auf, was du sagst!, brüllte eine seiner Stimmen.
»Wissen Sie, weshalb Sie hier sind?«, fragte der Arzt. Er schien aufrichtig neugierig.
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Francis.
Dr. Gulptilil sah auf seine Akte und betrachtete prüfend ein Papier.
»Wie's aussieht, haben Sie einigen Leuten Angst gemacht«, sagte er gedehnt. »Und diese Leute scheinen der Auffassung zu sein, dass Sie Hilfe brauchen.« Er hatte einen leichten britischen Akzent, nur noch einen Anflug von Anglizismus, der sich wohl über die Jahre in den Staaten abgeschliffen hatte. Es war warm im Zimmer, und einer...
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