Schweitzer Fachinformationen
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Kassandra wanderte von einem Zimmer ins nächste. Ziellos, ruhelos. Mittlerweile hatte sie - erneut mit der Hilfe von Herrn Berger - den Karton zurück an seinen Platz in der Abstellkammer gebracht, allerdings ohne die Fotoalben. Zwei lagen nun ganz hinten in der untersten Schublade ihres Wohnzimmerschranks. Ganz abgesehen davon, dass sie es grundsätzlich nicht fertigbrachte, Fotos zu vernichten, konnte man nie wissen. Sie war noch nicht bereit, ihre Idee aufzugeben, dass die Alben nützlich sein konnten.
Das mit den Bildern ihrer Mutter hatte sie nach der Aufräumaktion ihrem Vater gebracht und es gemeinsam mit ihm angesehen. Harald hatte bemerkt, dass sie nicht ganz bei der Sache war, und nachgehakt. Auf ihre Erklärung hin hatte er Heinz' Frage wiederholt: »Und? Willst du heiraten?«
»Natürlich will ich das! Ich war doch nur wütend und hab ein paar unüberlegte Sachen rausgehauen, die ich gerne sofort wieder zurückgenommen hätte. Paul hat mich nicht zu Wort kommen lassen.«
»Verständlicherweise. Ich schätze aber, dass er sich längst wieder abgeregt hat. Also, worauf wartest du? Geh zu ihm!«, riet Harald.
Das hatte sie getan. Aber Paul war nicht zu Hause gewesen. Auf dem Weg zurück zu ihrer Pension hatte sie versucht, ihn anzurufen, jedoch bloß die Mailbox erreicht. Sie hatte ihm keine Nachricht hinterlassen. Als sie es nach einer halben Stunde erneut probierte, war sie vor Schreck fast vom Sofa gesprungen. Pauls Telefon klingelte dicht neben ihr. Es musste ihm aus der Hosentasche und in die Sofaecke gerutscht sein.
Etwas beruhigt war sie in den Garten gegangen, um sich um ihre Pflanzen zu kümmern. Mit Sicherheit würde Paul vorbeikommen, zumindest um sein Telefon zu holen. Dann würde sie um Entschuldigung bitten. Aber Paul kam nicht. Auch nicht, nachdem sie sämtliche Blumen und Sträucher x-mal gegossen und Erdbeeren abgeerntet hatte, die höchstens zur Hälfte rot waren. Vermutlich würde sie auch noch die letzten gänzlich unreifen Beeren pflücken, wenn sie sich nicht am Riemen riss.
Na schön, dachte sie schließlich, dann eben doch andersrum. Sie nahm das Telefon und machte sich erneut auf den Weg zu Paul.
Als sie aufschloss, fand sie das Haus verlassen vor. Vielleicht hatte er keine Lust gehabt, weiter über Kassandras dumme Bemerkung nachzugrübeln, und war bei seinem alten Freund Bruno, um den Abend in netter Gesellschaft zu verbringen.
Sie legte Pauls Telefon auf seinen Schreibtisch und verließ das Haus. Auf dem kleinen Vorplatz zückte sie ihr Handy, um Brunos Nummer zu suchen. Dann hielt sie inne. Es kam bestimmt nicht gut, wenn Paul seine Ruhe wollte und sie ihm hinterhertelefonierte. Sie steckte das Handy weg und ging langsam zurück zur Strandstraße. Je weiter sie kam, desto mehr machte sich Unruhe in ihr breit. Ohne triftigen Grund hatte sie plötzlich Angst, dass es für Pauls Verschwinden eine andere, weniger harmlose Erklärung gab.
Am Seebrückenaufgang stieg sie die Treppe hinauf und lief bis zum Brückenkopf, wo Bruno in aller Seelenruhe angelte. Der Anblick des alten Mannes mit dem wettergegerbten Gesicht und der Mütze versetzte sie sonst stets in eine entspannte Stimmung. Heute jedoch verstärkte er ihre Sorge.
Bruno spürte offenbar, dass er beobachtet wurde, und drehte sich um.
»Kassandra!«, sagte er erfreut. »Abendspaziergang ohne den Bräutigam?«
Anscheinend stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass das die falsche Bemerkung war. Brunos Lächeln erstarb.
»Was ist los, Lütting?«
Kassandra hob die Hände in einer kapitulierenden Geste. »Ein blöder Streit, an dem ich Schuld habe, und nun ist Paul ausgeflogen.«
»Ach, der kriegt sich wieder ein«, meinte Bruno und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter.
»Ja. Hoffentlich.«
»Du wirkst nicht überzeugt. So schlimm?«
»Ziemlich.«
Eine Weile schwiegen sie in stiller Übereinkunft, dann wurde sie erneut von einer Unruhewelle erfasst. Sie schob sie zur Seite.
»Du hast recht. Paul braucht ein bisschen Abstand, und ich muss mich gedulden, bis ich mich morgen entschuldigen kann.«
»Das wird schon«, sagte Bruno zuversichtlich.
Kassandra nickte, verabschiedete sich und redete sich ein, dass Bruno recht hatte. Und dass außerdem gar kein Grund bestand, sich zu sorgen.
Das schaffte sie, bis sie fast am Abzweig zur Lindenstraße angekommen war. Das Grummeln meldete sich wieder. Fast gleichzeitig sah sie eine Gestalt auf sich zukommen, und ganz kurz durchflutete sie Erleichterung. Bis sie erkannte, dass es gar nicht Paul war, sondern Jan. Sie sagte »Hallo« und erwartete, dass Jan seinen Weg fortsetzte, doch zu ihrer Überraschung blieb er stehen.
»Suchst du Paul?«, erkundigte er sich.
»Ja«, sagte sie und gab sich Mühe, ihr Lächeln nicht allzu gekünstelt aussehen zu lassen. »Er ist mir abhandengekommen.« Ohne große Hoffnung fuhr sie fort: »Du hast ihn nicht zufällig gesehen?«
»Doch. Ist allerdings schon eine ganze Weile her.«
Kassandras Herz machte einen Satz. »Wie lange? Wo?«
»Etwa vier Stunden. Beim Norderfeld.«
»Beim Norderfeld?«, wiederholte Kassandra unsinnigerweise und viel zu laut.
»Ja, er wollte zu der Schmidt, was für den Geburtstag seiner Mutter kaufen. Schätze nicht, dass er immer noch damit beschäftigt ist, was Hübsches auszusuchen. Aber vielleicht hat er sich ja zum Yoga überreden lassen.« Jan lachte.
Es gelang Kassandra nur halb, in das Lachen einzufallen. Vielmehr ahnte sie, dass ihre innere Unruhe doch berechtigt war. Dieser Sturkopf hatte kurzerhand allein die Initiative ergriffen. Gefahr zu vermeiden, diese Devise galt offenbar ausschließlich für sie.
Jans Ausdruck wurde ernster, als er Kassandras leicht gequälten Ausdruck sah. »Ist alles kein Drama, so geht es uns doch allen mal, und anschließend lacht man drüber.«
Kassandra hatte weder Zeit noch Lust, Jan zu fragen, was er damit meinte. Also nickte sie bloß, verabschiedete sich beinah unhöflich knapp und lief eilig Richtung Norderfeld. Dann verlangsamte sie ihren Schritt. Konnte sie allein auf dem Jordan-Hof überhaupt etwas ausrichten? Sie brauchte Hilfe. Bis Kay aus Stralsund hier war, konnte es zu spät sein. Wenn - ein Schauer lief über ihren Rücken - es nicht sowieso schon zu spät war. Wen könnte sie sonst bitten? Jonas. Nein, Marlene würde sie killen, wenn Jonas es so bald nach der Stinne schon wieder mit Kriminellen zu tun bekam. Harald. Ihr Vater würde zweifellos mitkommen und sein Bestes geben, aber solche Situationen waren für ihn nicht gerade Routine. Heinz. Es gefiel ihr nicht, dennoch war er als ehemaliger Polizist trotz seiner noch nicht ausgeheilten Verletzungen die logische Wahl. Außerdem besaß er eine Pistole, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Kassandra blieb stehen, das Norderfeld schon im Blick. Sie blinzelte. Soweit sie von hier erkennen konnte, lag der Hof dunkel da. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Mit zitternden Fingern fischte sie ihr Handy wieder hervor und rief Heinz an.
»Du bleibst, wo du bist, keine übereilte Aktion, klar?«, sagte er. »Ich bin gleich da.«
Er brauchte weniger als fünf Minuten, dann stand er mit einem Beutel in der Hand vor ihr.
»Hast du deine Pistole dabei?«, fragte sie.
Heinz nickte und klopfte auf seine Jackentasche. »Ich hoffe, wir brauchen sie nicht, aber unbewaffnet ist mir zu gewagt.«
Gemeinsam liefen sie auf den Gebäudekomplex zu, der auch von Nahem betrachtet wie ausgestorben wirkte, obwohl es noch nicht allzu spät war und Soraya und Gus Bauer sicher noch nicht im Bett lagen.
»Vielleicht machen wir uns ganz umsonst Gedanken«, sagte Heinz leise. »Kann doch sein, dass Paul schon vor ein paar Stunden niemanden angetroffen hat.«
Kassandra hätte das gern geglaubt. Dagegen sprach das ungute Gefühl in ihr, das sich verstärkte, als sie probehalber gegen die Eingangstür des Wohnhauses drückte und feststellte, dass sie nur angelehnt gewesen war.
Ohne ein Wort tauschte sie einen Blick mit Heinz. Er nickte, zog seine Waffe, stieß die Tür weiter auf und betrat das Haus als Erster.
In der großen Diele blieben beide stehen und lauschten erneut. Es knackte im Gebälk, ansonsten blieb alles still.
Sorayas Verkaufstresen und die breiten Drehregale, auf denen sie ihre Keramik ausstellte, lagen im Schatten. Kassandra hätte schwören können, dass niemand hier war. Auch Heinz schien sich etwas zu entspannen. Dennoch gingen sie von Raum zu Raum und leuchteten vorsichtig mit den Taschenlampen hinein, die Heinz in seinem Beutel mitgebracht hatte. Dabei fanden sie nichts Ungewöhnliches oder gar Alarmierendes.
Hatte Heinz recht? Gab es überhaupt keinen Grund, hier auf der Suche nach Paul herumzuschnüffeln? Andererseits war die offen stehende Haustür schon seltsam gewesen. Um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatte, ließ Kassandra den Lampenstrahl noch einmal auf dem Boden kreisen. Sie hatte den Finger schon am Aus-Schalter, als etwas ganz kurz das Licht reflektierte. Kassandra lenkte den Strahl zurück auf den Gegenstand.
»Was gefunden?«, fragte Heinz.
Sie machte drei Schritte, bückte sich und klaubte Pauls Schlüsselanhänger vom Boden auf - einen USB-Stick in Form eines silbernen Fisches.
»Paul ist hier gewesen«, sagte sie, erhob sich wieder und hielt Heinz ihre ausgestreckte Hand hin. »Selbst wenn er eine von Sorayas Keramikfiguren gekauft hätte - obwohl seine Mutter im Übrigen gerade erst letzten Monat Geburtstag hatte -, hätte er sein Portemonnaie zum Bezahlen gezückt und nicht sein Schlüsselbund. Auch falls er sich zuerst vergriffen hätte, wäre der Fisch nicht von...
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