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»Glauben Sie mir, Frau Voß, ich sage das nicht nur so: Ihre Fotos sind phantastisch, sie passen wunderbar in meine Galerie.« Nils Brenner unterstrich die Worte mit einer Handbewegung. »Besonders Ihren Blick vom Hohen Ufer auf die blau vereiste Ostsee. Den sehe ich genau dort.« Er neigte sich näher zu ihr und deutete auf eine sogar jetzt am späten Nachmittag noch lichtdurchflutete Wand. Dann richtete er sich plötzlich wieder auf, als sei ihm bewusst geworden, dass er ihr zu nahe gekommen war. Auf seinem Gesicht zeigte sich jedoch nur ein einnehmendes Lächeln. »Sie nicht auch?«
»Unbedingt.« Kassandra war um keinen Millimeter zurückgewichen. Wenn sein aufdringlicher Charme alles blieb, was er sich leistete, damit würde sie fertigwerden. Vor einigen Wochen hatte er sich mit ihr in Verbindung gesetzt und gefragt, ob sie an einer Ausstellung bei ihm interessiert sei, und um eine Auswahl ihrer Fotos per Mail gebeten. Sie hatte viel Mühe und viele Stunden darauf verwendet, einige der schönsten herauszufischen. Brenner gehörte nicht nur diese Galerie in Wieck auf dem Darß, wo er speziell einheimische Künstler ausstellte, er besaß eine weitere in Hamburg und eine in Berlin. Letzteres war ein Ziel, von dem Kassandra sich noch weit entfernt sah, aber es konnte nicht schaden, schon mal einen Fuß in der Tür zu haben. Heute hatte Brenner sie zu sich gebeten, um weitere Einzelheiten zu besprechen, und sie war gespannt gewesen, ihn persönlich zu treffen. Sie wusste schon einiges über ihn, unter anderem, dass ihm ein gewisser Ruf vorauseilte, aber sie hätte nicht erwartet, dass sie noch in das Beuteschema des Endvierzigers mit der hellbraunen Künstlermähne fiel. Eher schon die unglückliche Frau, die sie vorhin in Wustrow angesprochen hatte und die höchstens fünfundzwanzig gewesen war. Auf der Fahrt hierher war sie Kassandra nicht aus dem Kopf gegangen, es tat ihr noch immer leid, dass sie ihr nicht hatte helfen können. Außerdem war da noch etwas gewesen, etwas, das sie irritiert hatte, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was.
»Oder würde es Ihnen dort«, Brenner zeigte auf die gegenüberliegende Wand und brachte sie damit in die Gegenwart zurück, »besser gefallen?«
»Nein, Ihr erster Vorschlag war perfekt. Es wäre ganz großartig, wenn .« Ein dezentes Glöckchen über der Tür veranlasste sie, zum Eingang zu sehen. Ihr Herz machte einen Satz, während sie automatisch weitersprach. ». wenn wir mit meinen Fotos zusammenkämen.«
»Da hege ich überhaupt keinen Zweifel, Frau Voß«, sagte Brenner. Was er sonst noch sagte, ging im Strudel ihrer Gefühle unter.
Kays Blick hatte ihren nur kurz getroffen, bevor er sich abwandte, um ein großes, aus rostigen Metallstücken gefertigtes Zeesboot zu betrachten. Er sah aus wie immer und doch fremd nach der Zeit, in der sie einander nicht gesehen hatten. Ihre letzte Begegnung hatte unter den denkbar schlechtesten Umständen stattgefunden. Beinah schien es, als spüre Kassandra wieder die Träne, die sich damals ihre Wange hinuntergemogelt hatte - und die Berührung seines Daumens, mit dem er sie sanft weggewischt hatte. All dem war ein Streit um die Entführung von Greta Röwer vorausgegangen, bei der sie und ihr Freund Paul gemeinsam mit Kay ermittelt hatten. Pauls eigenmächtiges Handeln und die Konsequenzen daraus waren für Kay untragbar gewesen, sodass er jeglichen Kontakt zum Fischland abgebrochen hatte. Ein Dreivierteljahr lang hatte Kassandra sich bemüht, den Verlust ihrer Freundschaft, die ihr so viel bedeutete, zuerst zu akzeptieren, dann zu verdrängen und schließlich wieder zu akzeptieren. Sie hatte sogar geglaubt, dass ihr das einigermaßen gelungen war, doch der Aufruhr in ihrem Inneren belehrte sie gerade eines Besseren.
Nur mit viel Willenskraft gelang es ihr, zu Brenner zurückzuschauen, aber sie hörte ihm nach wie vor nicht zu.
»Das sehen Sie doch sicher ebenso?«, drang wie aus weiter Ferne seine Stimme zu ihr durch.
Kassandra nickte. »Unbedingt.«
»Sehr gut«, sagte Brenner. »Bitte entschuldigen Sie mich, ich möchte nur eben den Herrn fragen, ob ich behilflich sein kann. Meine Mitarbeiterin hat leider schon Feierabend. Gehen Sie nicht weg, wir reden gleich weiter.« Er zwinkerte ihr zu.
Sie konnte weder verstehen, was Kay sagte, noch seinen Gesichtsausdruck erkennen, weil er ihr nach wie vor den Rücken zukehrte. Während er redete, veränderte sich Brenners Lächeln von souverän zu leicht angespannt, was den Schluss nahelegte, dass Kay nicht zu seinem Vergnügen hier war, sondern in seiner Eigenschaft als Kriminalhauptkommissar. Schließlich nickte Brenner und kam wieder zu ihr herüber.
»Es tut mir leid, ich fürchte, wir müssen unser Gespräch doch verschieben. Wie wäre es morgen gegen elf?« Er klang gelassen wie immer, aber Kassandra vermochte nicht zu beurteilen, ob das echt oder gespielt war.
»Kein Problem«, sagte sie, »gerne.«
»Wunderbar.« Brenner brachte sie zur Tür.
Die Galerie befand sich neben der Darßer Arche, dem Nationalparkzentrum, mitten in Wieck. Auf diesem Platz liefen einige Straßen zusammen, es gab ein Café, ein Restaurant und Bänke, auf denen man sich niederlassen und das Treiben beobachten konnte. Kassandra ging ein paar Schritte auf die Bänke zu, stockte, ging weiter. Überlegte, was sie tun sollte. Das Zusammentreffen ignorieren und nach Hause fahren? Auf Kay warten? Mit ihm reden? Würde er das wollen? Wieder ging sie ein paar Schritte, noch langsamer als eben. Sie drehte sich um. Von hier hatte sie die Galerie gut im Blick. Gegen einen Baum gelehnt ließ sie die Tür nicht aus den Augen, fragte sich jedoch, was sie tun würde, wenn Kay auf die Straße trat.
Knapp zehn Minuten später bildete Kassandra sich ein, das dezente Glöckchen sogar aus der Entfernung klingeln zu hören. Kay holte sein Handy aus der Jackentasche und telefonierte im Gehen. Nur noch wenige Meter trennten sie. Sie suchte seinen Blick. Er fing ihn nicht auf. Es war unmöglich, sie zu übersehen - aber er übersah sie und ging an ihr vorüber. Auf der anderen Straßenseite piepten die Türen seines Wagens, er entledigte sich seines Jacketts, während er weitertelefonierte, warf es auf die Rückbank, stieg ein und fuhr kurz darauf los.
Kassandra lehnte noch immer an ihrem Baum und sah Kays Lexus hinterher. Das war deutlich gewesen. Es dauerte, bis wieder Leben in sie kam und sie langsam zu ihrem Wagen ging, der nahe der Stelle parkte, an der Kays Auto gestanden hatte. Nach drei Anläufen hatte sie den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt. Sie drehte ihn nicht, erst musste sie sich beruhigen, sonst würde sie einen Unfall bauen.
Als ihr Telefon einen Ton von sich gab, schrak sie zusammen. Sie wühlte danach in ihrer Handtasche, als hinge ihr Leben davon ab. Alles, was Ablenkung versprach, war gut. Als sie es endlich hatte, wischte sie über den Sperrbildschirm und sah, dass jemand ihr eine Nachricht geschickt hatte - über einen Messengerdienst, der sicherer war als viele andere. Kay hatte ihr eine Nachricht geschickt. Sie öffnete sie und las: La Taverna del Mare, Prerow.
Kurz nach sechs betrat sie das italienische Restaurant in der Bergstraße, das früher einmal das heimelige »Klönsnack« gewesen war. Suchend schaute sie über die Tische. Kay saß am Fenster, ein Glas und eine Flasche Wasser vor sich, vertieft in die Speisekarte. Im etwas schummrigen Licht passte er mit seinen dunklen, von Silberstreifen durchzogenen Haaren und dem scharf geschnittenen Gesicht ausgezeichnet in die mediterrane Umgebung.
Ein Kellner fragte, ob sie einen Platz suche, in diesem Moment hob Kay den Kopf. Er nickte ihr zu, und als hätte sie nur auf diese Bestätigung gewartet, setzte sie sich in Bewegung. Sie nahm ihm gegenüber Platz, einen Augenblick lang sahen sie einander wortlos an, ohne dass sie ahnen konnte, was er dachte. Wie so häufig in der Vergangenheit. Schließlich schob Kay ihr die Karte hin.
»Hier ist alles gut, besonders die Pasta.«
Kassandra verspürte nicht den geringsten Hunger, schlug jedoch die Karte auf - etwas Unverfängliches, ganz Normales zu tun, half vielleicht. So weit zum Plan. Der nicht funktionierte. Sie sah die Buchstaben, aber sie ergaben keinen Sinn. Sie legte die Karte zur Seite.
Gerade als sie den Anfang machen wollte, sagte Kay: »Du solltest dich nicht auf Nils Brenner einlassen. Egal, ob er deine Fotos kaufen, in Kommission nehmen oder sie ausstellen will. Lass die Finger von dem.«
Also saßen sie bloß wegen Brenner hier. Kassandra schluckte. »Was hat er getan?«, fragte sie, obwohl es so viel Wichtigeres zu klären gab als Nils Brenner.
»Er benutzt unter anderem seine Galerien als Geldwaschanlagen für Geschäfte, die .« Kay unterbrach sich. »Unwichtig. Hör einfach auf mich und lass die Finger von dem Mann.«
Kassandra legte den Kopf schief. »Ist das eine offizielle oder eine inoffizielle Ermittlung?«
Auf Kays Stirn bildete sich eine steile Falte, aber er kam nicht dazu, etwas zu erwidern, weil der Kellner am Tisch auftauchte und sie auf Italienisch ansprach. Kassandra konnte nur raten, dass er nach ihren Wünschen fragte, und sah ihn etwas hilflos an, während sein Blick lächelnd zwischen ihr und Kay hin- und herpendelte. Da antwortete Kay mit einem Schwall italienischer Worte, von denen das einzige, das sie identifizieren konnte, Signorina war.
Das Lächeln des Kellners wurde breiter. »Lassen Sie sich Zeit, Signorina, ein Mahl muss gut gewählt und anschließend zelebriert werden.« Er verbeugte sich leicht und verschwand wieder.
Irritiert schaute Kassandra ihm hinterher, um dann Kay ebenso irritiert zu mustern, dessen Miene nach wie vor reglos war. »Du sprichst Italienisch?...
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