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Das besondere Verdienst von Marianna Schrader ist es[64], Hildegards Herkunft erstmals kritisch erforscht und jahrhundertealte Mutmaßungen über ihre Geburt und Familie berichtigt zu haben. Durch Schraders Erkenntnisse wird die Vielfalt der familiären und ökonomischen Beziehungen deutlich, die Hildegards sicheres Auftreten innerhalb einer streng ständisch-hierarchisch gegliederten Gesellschaft erklären. Sie ergänzen die minimalen biographischen Angaben, die von Hildegards Zeitgenossen, den Mönchen Gottfried und Dietrich gemacht wurden.[65]
Die Familien Hildeberts von Bermersheim und seiner Frau Mechthild gehörten dem hohen Adel an. Von Hildegards Geschwistern sind ihre Brüder Drutwin, Hugo und Rorich urkundlich belegt. Hugo war als Domkantor an der Mainzer Kathedrale einer der drei höchsten Würdenträger dort und fungierte als Erzieher des späteren Bischofs Radulf von Lüttich. Rorich war Priester und Kanonikus in Tholey an der Saar. Von den vier namentlich bekannten Schwestern Hildegards wurde Clementia Nonne in dem von Hildegard gegründeten Kloster auf dem Rupertsberg. Ihre Schwestern Irmengard, Odilia und Jutta werden in Schenkungsurkunden und Grundstücksübertragungen an das Kloster ebenfalls urkundlich genannt. Von diesen war eine offenbar die Mutter des späteren Erzbischofs Arnold I. von Trier (1169-1184) und von Wezelin, dessen Bruder, später Propst von St. Andreas in Köln. Sie werden als Hildegards Neffen bezeichnet. Arnold war der Sohn Wirichs von Walecourt, der aus Lothringen stammte. Auch dieser Zweig der Familie gehörte dem hohen Adel an. Ein Großneffe Hildegards namens Gilbert übernahm nach Arnold und Wezelin das Amt des «praepositus» an Sankt Andreas. Der Einfluss ihrer Familie trug entscheidend dazu bei, dass Hildegards Vorhaben so vielfältige Unterstützung erfuhren und erklärt auch ihren freimütigen Ton im persönlichen und brieflichen Verkehr mit Vorgesetzten.
Um 1147 war der Scivias bereits so weit fortgeschritten, dass die kirchliche Anerkennung des Buches von Wichtigkeit wurde. Inzwischen hatte sich auch ihre Sehergabe herumgesprochen, und das Kloster auf dem Disibodenberg erfreute sich eines von Abt Kuno gerngesehenen Ruhms. Der älteste Brief Hildegards stammt aus dem Jahr 1147 und ist an den berühmten Abt Bernhard von Clairvaux gerichtet. Bernhard, dem «ungekrönten Papst»[66] und Vertrauten Papst Eugens III., berichtet sie von ihren Visionen und bittet um Rat, ob sie diese offen sagen oder Schweigen bewahren soll[67]. Das Datum des Briefes könnte mit der Synode vom 30. November 1147 bis Februar 1148 in Trier zusammenhängen, auf der Papst Eugen III. zugegen war. Erzbischof Heinrich von Mainz, von Abt Kuno darum gebeten, legte dem Papst Hildegards noch nicht beendeten Scivias vor, worauf Papst Eugen den Kardinälen und Bischöfen daraus vorlas. Beglückt schrieb Hildegard: Hierauf wurden meine Schriften Papst Eugen gebracht, als er in Trier war. Mit Freuden ließ er sie vor einer großen Versammlung vorlesen und las sie auch für sich selbst. Und in starkem Vertrauen auf die Gnade Gottes sandte er mir seinen Segen mit einem Schreiben, worin er mir gebot, das, was ich in der Schau sah und hörte, genau niederzuschreiben.[68] Eine zum Disibodenberg abgesandte Kommission brachte befriedigende Auskunft über Hildegards Person und Sehergabe. Auch Bernhard von Clairvaux befand sich unter den Prälaten in Trier und nahm nun öffentlich Stellung für sie. «Er ergriff das Wort», berichtet die Vita, «und ermahnte unter dem Beifall aller den Papst, er möge nicht dulden, daß ein solch hellstrahlendes Licht von Schweigen überdeckt würde; er solle vielmehr eine solche Begnadung, die der Herr in seiner Zeit offenbaren wolle, durch seine Autorität bestätigen.»[69] Dies geschah. Papst Eugen erteilte Hildegard im Namen Christi die Erlaubnis, ihre Visionen öffentlich mitzuteilen und aufzuschreiben. Abt Kuno erhielt vom Papst ein Glückwunschschreiben.[70]
Diese päpstliche Zustimmung kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, weil sie den göttlichen Ursprung von Hildegards Sehergabe beglaubigte, sie von der Schweigepflicht entband[71], jeden Verdacht ihrer geistigen oder moralischen Unzulänglichkeit entkräftete und ihr erlaubte, im Namen Gottes ungehindert die Missstände innerhalb der Kirche anzuprangern. Von diesem Recht machte sie häufig Gebrauch. Die päpstliche Beglaubigung brachte auch Ruhm und Ehre für das Kloster und zog damit begüterte Töchter aus guter Familie an. In der Vita heißt es, Hildegard verbreitete «den lieblichen Geruch eines so heiligen Rufes um sich, daß er weit und breit umherduftete. Nicht wenige Töchter edler Eltern strömten um sie her zusammen, um in einem Ordensvereine nach Regeln sich zu verbinden. Die eine abgeschlossene Wohnstätte faßte Alle nur mit Noth.»[72] Über eine Erweiterung der Räumlichkeiten wurde beraten.
Um die Zeit der Synode zu Trier und ihrer Anerkennung durch Papst Eugen hatte Hildegard eine Vision, in der sie aufgefordert wurde, mit ihren Nonnen das Mönchskloster Disibodenberg zu verlassen und ein Kloster auf dem Rupertsberg gegenüber von Bingen zu gründen. Hildegards Wunsch nach vollständiger Unabhängigkeit vom Kloster Disibodenberg stieß auf heftigen Widerstand bei Abt Kuno und den Mönchen und verursachte ausgedehnte Konflikte. In einem autobiographischen Einschub der Vita schreibt Hildegard: Als aber mein Abt und die Brüder sowie das Volk jener Gegend von diesem Ortswechsel und seiner Bedeutung erfuhren - daß wir von fruchtbaren Feldern und Weinbergen und einer lieblichen Gegend weg in ein wasserloses Gebiet ziehen wollten -, wunderten sie sich sehr. Damit dies nicht zustandekomme, verschworen sie sich, uns Widerstand entgegenzusetzen. Von mir behaupteten sie, ich habe mich durch ein Trugbild täuschen lassen.[73] Nicht nur, dass dem Kloster die Früchte der neugewonnenen Anerkennung Hildegards entgehen sollten; für den Disibodenberg waren beträchtliche finanzielle Verluste zu erwarten. Auch mehrere ihrer Nonnen weigerten sich, die komfortablen, wenngleich engen Verhältnisse der Klause mit den Entbehrungen eines ungesicherten Lebens ohne Unterstützung zu vertauschen, wo sie als Wohnstätte nichts als die Ruine einer karolingischen Kapelle erwartete. Viele waren skeptisch, weil das betreffende Grundstück Graf Bernhard von Hildesheim gehörte, dessen Einverständnis zur Ansiedlung der Nonnen unbedingt nötig war.
Über Hildegards Reaktion auf diese Widerstände berichtet die Vita: «Die Füße versagten vollständig ihren Dienst, und sie konnte überhaupt nicht von ihrem Bett, in dem sie wie ein Felsblock lag, bewegt werden [.]. An dieser Art Krankheit litt sie nicht nur damals, sondern immer wenn sie aus weiblicher Furcht zögerte oder zweifelte, den Auftrag des göttlichen Willens auszuführen.»[74]
Eine Lösung des Problems schien unmöglich, bis die Mutter der Nonne Richardis von Stade, die Hildegard bei der Niederschrift des Scivias half, entscheidend eingriff: Da ging eine uns bekannte vornehme Markgräfin zum Erzbischof von Mainz und teilte ihm und anderen klugen Männern dies alles mit, schreibt Hildegard. Sie sagten, jeder Ort werde einzig und allein durch gute Werke geheiligt [.]. Also sind wir mit der Erlaubnis des Erzbischofs mit dem großen Gefolge unserer Verwandten und anderer Leute in Ehrfurcht vor Gott an diese unsere Stätte gekommen.[75] Dieser kurze Einschub Hildegards in die Vita lässt den ungeheuren Einfluss erkennen, den ihre Familie und ihre Beziehungen hatten. Die Markgräfin, eine geborene von Spanheim-Lavanttal, war eine Verwandte Juttas von Spanheim, für die die Klause am Disibodenberg ursprünglich erbaut worden war. Hartwig, ein Sohn der Markgräfin, war ab 1143 Dompropst in Bremen und ab 1148 Erzbischof dieser Diözese. Führkötter gibt in ihrer Ausgabe des Briefwechsels detaillierte Angaben und erläutert: «Als Abt Kuno vom Disibodenberg sich ihrer [Hildegards] geplanten Neugründung auf dem Rupertsberg widersetzte, begab sich die Markgräfin zu Erzbischof Heinrich von Mainz und veranlasste ihn, den Widerstand des Abtes zu brechen und ihn für die Neugründung zu gewinnen.»[76] Abt Kuno sah ein, dass er den Willen Gottes falsch ausgelegt hatte, und gab seine Zustimmung zur Übersiedlung. Die Vita berichtet, dass «durch eine Gesandtschaft treuer Leute» ein Übereinkommen bezüglich des dortigen Grundbesitzes getroffen wurde. Hildegard erhielt «für sich und ihre Schwestern die Erlaubnis, dort zu wohnen»[77]. Obwohl einige Vorbereitungen zur Aufnahme der Nonnen getroffen worden waren, war die Wirklichkeit auf dem Rupertsberg ernüchternd. Sie schreibt: Ich nahm nun mit zwanzig adligen Nonnen, die von reichen Eltern stammten, an dieser Stätte meinen Aufenthalt. Dort fanden wir keinerlei Wohnung noch Bewohner, mit Ausnahme eines alten Mannes, seiner Frau und seinen Kindern. So große Widerwärtigkeit, Trübsal und Arbeitslast überfielen mich, wie wenn eine Sturmwolke die Sonne verdeckt [.] es fehlte uns, soweit man es uns nicht mit Gottes Gnade durch Almosen schenkte, am Lebensnotwendigen. Wie die Kinder Israels dem Moses das Herz schwermachten, so schüttelten nämlich auch jetzt die Menschen über mich den Kopf und sprachen: «Was nützt es, daß adlige und reiche Nonnen von...
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