"Zwei, drei Tage Bettruhe, dann ist es überstanden", sagte Dr. Holl mit einem aufmunternden Lächeln zu seiner Patientin.
Obwohl er eigentlich keine Kranken zu Hause betreute, machte er bei Elisabeth von Eckernfeld eine Ausnahme. Zu ihrer Villa war es nur ein Katzensprung. Darum sah der Chefarzt der Berling-Klinik in seinen Besuchen lediglich so etwas wie Nachbarschaftshilfe.
Außerdem hatte er ihren Mann bis zu dessen Tod behandelt. Nur ihren Sohn, der wie er Mediziner war, aber im Dienste der Forschung arbeitete, bekam er selten zu Gesicht.
Elisabeth gelang es kaum noch, die Augen offen zu halten. Die grippeähnliche Infektion mit Fieber und Husten hatte sie stark mitgenommen.
"Und Sie achten wie immer auf die regelmäßige Medikamenteneinnahme", wandte sich Dr. Holl jetzt an die junge Frau, die auf der anderen Seite des Bettes stand. "Aber ich weiß ja, dass auf Sie Verlass ist."
Durch die Hochsteckfrisur wirkte die blonde Frau kühl und ernst, doch dieser Eindruck täuschte. Stefan Holl kannte sie seit der Zeit, als sie in seiner Klinik angestellt gewesen war. Jetzt arbeitete sie hier in diesem Privathaushalt. Und offensichtlich war während der letzten Monate ein inniges Band zwischen ihr und der Hausherrin entstanden.
"Danke, dass Sie vorbeigekommen sind, obwohl Sie doch sicher schon Feierabend haben."
"Für Frau von Eckernfeld bin ich immer da", verabschiedete er sich. "Machen Sie sich keine Sorgen. Sie wird bald wieder auf den Beinen sein."
Kaum hatte Leona die Tür hinter ihm geschlossen, als sich ihr Handy meldete. Benedikt von Eckernfeld rief an.
Sie berichtete ihm, was Dr. Holl gesagt hatte.
"Ihrer Mutter geht es schon wieder recht gut. Sie schläft jetzt."
"Gott sei Dank." Elisabeths Sohn klang erleichtert. "In zwanzig Minuten bin ich da. Gehen Sie nur schon nach Hause."
"Wie Sie meinen", erwiderte Leona. "Einen schönen Abend noch. Ach ja, Ihre Mutter hat die Medikamente für heute schon genommen."
"Danke, Leona. Bis morgen."
Die junge Frau lächelte vor sich hin und holte ihre Tasche aus dem Nebenzimmer. Wie sonst auch verließ sie das Haus aber erst, als sie seinen Wagen hörte und Benedikt mit seiner Fernbedienung das Rolltor der Garage öffnete.
Während sie durch den Eingang nach draußen verschwand, betrat er das Haus über den Garagenzugang. Dann begann seine Aufgabe, sich um seine Mutter zu kümmern.
***
Zu Hause wurde Leona schon ungeduldig erwartet und sofort in die Arme geschlossen.
"Grüß dich, Schatz. Du bist aber wieder spät heute! Musst du wirklich jeden Tag Überstunden machen?"
Leona schlang die Arme um Dennis' Nacken.
"Ich habe dir doch gesagt, dass Frau von Eckernfeld krank ist. Da braucht sie eben besonders viel Fürsorge und Pflege. Meine Gesellschaft ist ihr viel wert. Außerdem bekomme ich alles bezahlt."
Dennis Gelbach drückte seine Freundin an sich.
"Schon gut", sagte er in geheimnisvollem Tonfall. "Ich habe etwas vorbereitet. Darum war ich so ungeduldig. Aber jetzt bist du da, und alles ist gut."
"Wo ist Nina?"
"Bei ihrer Freundin. Sie schläft auch dort. Es ist alles in Ordnung." Er seufzte zufrieden. "Darum haben wir den Abend und die Nacht ganz für uns allein."
Leona hatte also allen Grund, sich zu freuen. Denn Dennis' Tochter befand sich mit ihren vierzehn Jahren in einem problematischen Alter. Häufig wurde gestritten, denn Nina fand alles uncool und rebellierte bei jeder Gelegenheit.
Auch guten Argumenten war der Teenager zurzeit nicht zugänglich. Sie hielt sich schon für erwachsen und pochte auf ihre angeblichen Rechte. Unter anderem darauf, abends erst spät nach Hause zu kommen. Aber das duldete ihr Vater nicht.
Heute also ein Abend ohne die üblichen Auseinandersetzungen. Leona beschloss, ihn in vollen Zügen zu genießen.
Dennis hatte den Tisch gedeckt, einen Kerzenleuchter in die Mitte gestellt und über ihren Teller eine rote Rose gelegt. Auf einer großen Platte befanden sich allerlei Köstlichkeiten, die er am Nachmittag besorgt hatte. Jetzt erst merkte sie, wie hungrig sie war.
Dennis weidete sich an ihrem überraschten Gesicht.
"Erst dachte ich, wir gehen aus, aber dann fand ich es zu Hause doch gemütlicher."
"Was ist denn los?" Sie lächelte verwundert.
"Nimm doch schon mal Platz!" Dennis verschwand in der Küche und kam mit einer gekühlten Flasche Champagner zurück, die er vorsichtig öffnete. Leona konnte sich immer noch keinen Reim auf ein solches Festmahl machen. "So setz dich doch!", bat er, während er eingoss. Als auch das erledigt war, hob er sein Glas. "Auf uns!"
"Auf uns, Dennis", erwiderte Leona.
Sie stießen miteinander an. Schon beim ersten Schluck geriet Leona in Feierlaune. Als dann auch noch romantische Musik erklang, fehlte ihr nichts mehr zum Glück.
"Was darf ich dir auflegen? Eine Scheibe Wildlachs? Oder lieber Forellenmus?"
"Forellenmus", erwiderte sie, ohne lange zu überlegen.
Dennis erfüllte ihren Wunsch, reichte ihr den Brotkorb mit frischem Baguette und bediente sich dann selbst. Leona genoss es, so verwöhnt zu werden. Sie bedachte Dennis mit einem dankbaren Blick.
Doch erst, als sie nach der Serviette griff, gewahrte sie das flache schmale Kästchen, das darunterlag. Sein Anblick löste einen überraschten Laut bei ihr aus.
"Was ist denn das?"
"Na, was glaubst du wohl? Wie wäre es, wenn du einfach nachschaust?" In seinen Augen glühten kleine Sterne auf.
Leona griff nach der Schachtel und klappte sie auf. Auf schwarzem Samt lag ein goldener Ring mit einem funkelnden Smaragd.
"Oh, ist der schön!" Mit den Fingerspitzen fuhr sie über das Schmuckstück, wagte aber nicht, es herauszunehmen.
Er holte tief Luft. "Leona Brunner, kannst du dir vorstellen, die nächsten fünfzig Jahre mit mir zu verbringen? Oder anders ausgedrückt: Willst du meine Frau werden?" Mit dem Glas in der Hand schaute er sie erwartungsvoll an.
Leona aber fühlte sich wie von einer rauen Welle erfasst. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort heraus. Die Luft wurde ihr knapp.
***
Benedikt von Eckernfeld war eigentlich zu müde, um jetzt noch seine Freundin Clarissa zu unterhalten. Am liebsten hätte er irgendwas im Fernsehen angeschaut oder gelesen. Sie aber saß ihm gegenüber in einem der schweren Clubsessel und schaute ihn erwartungsvoll an.
"Wie war dein Tag heute?"
"Anstrengend, wie immer."
Benedikt arbeitete an der Universität in der medizinischen Forschung, im Augenblick im Team an der Entwicklung neuer Medikamente. Bis jetzt gab es jedoch mehr Rückschläge als Fortschritte, was ihn manchmal an den Rand der Verzweiflung brachte.
"Ich glaube, du hast dringend einen Urlaub nötig", stellte Clarissa fest.
"Ja, das wäre schön", meinte er seufzend.
"Warum setzen wir diese Idee denn nicht gleich in die Tat um? Ich lasse mich im Büro von meiner Assistentin vertreten und du ."
"Ausgeschlossen, zurzeit geht das nicht. Außerdem kann ich Mutter nicht allein lassen. Das weißt du doch."
Kaum wahrnehmbare Falten erschienen auf ihrer Stirn.
"Aber du musst doch mal ausspannen. Oder willst du auf einen Zusammenbruch hinarbeiten? Burn-out als Lebensziel?"
Lächelnd winkte er ab. "So weit ist es noch lange nicht", erwiderte er.
"Deine Mutter wird allmählich zu einem Problem", stellte Clarissa fest.
Benedikt zog die Hand, die nach dem Weinglas greifen wollte, wieder zurück.
"Wie meinst du denn das, um Himmels willen?"
"Es war überhaupt nicht böse gemeint", erklärte Clarissa etwas hastig. "Ich meine nur, dass es nicht gut ist, die alte Dame allein in dem großen Haus zu lassen."
"Mutter ist nicht allein", fiel der Mediziner seiner schönen Freundin ins Wort. "Tagsüber wird sie von Leona betreut. Außerdem haben wir eine große Hilfe in Frau Scholze, die sich geradezu vorbildlich um den Haushalt kümmert."
"Ich würde mir hier ganz verloren vorkommen in dem riesigen Haus."
"Und was soll, deiner Meinung nach, geschehen?" Natürlich wusste Benedikt, worauf Clarissa hinauswollte. Sie dachte immer praktisch.
"Du könntest das Haus verkaufen. Ich habe solvente Interessenten. Und für deine Mutter werden wir ein gutes Heim finden, wo sie alles hat, was sie braucht."
"Du scheinst die unbedeutende Tatsache zu vergessen, dass Mutter immer noch die alleinige Eigentümerin des Hauses ist."
"Gut, dass du diesen Punkt ansprichst." Clarissa nahm noch einen Schluck Rotwein. "Sie sollte dir bald das Haus übertragen, damit es später keine Probleme gibt."
"Wo sollten die denn liegen?" Benedikt betrachtete interessiert das funkelnde Rot in seinem Glas. "Ich bin...