Unter der Lupe: Aufbau & Funktion der Schulter
Nichts ist so komplex und faszinierend wie unsere Schulter. Sie hat den größten anatomischen Bewegungsspielraum aller Gelenke, aber gleichzeitig die geringste knöcherne Stabilität. Dadurch ist sie besonders anfällig für Verletzungen. Um diese Schwäche auszugleichen, wird die Stabilität des Schultergelenks durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen und Sehnen gewährleistet. Schon kleinste Ungleichgewichte in diesem komplexen Gefüge können entzündliche Prozesse auslösen, die oft zu den typischen Schulterschmerzen führen. Damit Sie nun verstehen, wie es überhaupt zu einem Impingement-Syndrom kommt und wie Ihnen Übungen helfen können, Ihre Beschwerden zu lindern, ist es wichtig, den anatomischen Aufbau der Schulter zu kennen. Jeder weiß, wo die Schulter ist, aber wissen Sie auch, wo genau Ihr Schultergelenk sitzt und welche Teile Ihres Skeletts es verbindet?
Vielleicht kommt Ihnen dieser Abschnitt an der ein oder anderen Stelle etwas trocken vor. Sie werden jedoch schnell merken: Ihren eigenen Körper sowie die medizinische Theorie hinter diesem zu kennen, hilft Ihnen, selbstbestimmter und eigenverantwortlicher mit Ihren Beschwerden umzugehen. Sie können verstehen, wie bestimmte physiotherapeutische Übungen wirken, aber auch im Gespräch mit medizinischem Personal, welches leider oft komplexe medizinische Sprache benutzt, treten Sie selbstbewusster auf.
Aufbau des Schultergelenks
Das Schultergelenk, auch Articulatio humeri oder Articulatio glenohumeralis genannt, verbindet den Oberarmknochen mit dem Schulterblatt. Um genau zu sein, den oberen Teil des Oberarms, auch Oberarmkopf (Caput humeri) genannt, und den äußersten Teil des Schulterblatts, an dem die Gelenkpfanne (Cavitas glenoidalis) sitzt. Der Oberarmkopf besitzt unter der Gelenkfläche eine kleinere (Tuberculum minus) und eine größere Erhebung (Tuberculum majus). Die Gelenkpfanne ist eine rundliche Vertiefung am seitlichen Ende des Schulterblatts, die durch ihr Aussehen schon erahnen lässt, dass sie das Gegenstück zum kugelförmigen Oberarmkopf bildet.
Über der Gelenkpfanne befindet sich das Schulterdach (Acromion), ein spitzer Knochenvorsprung, der durch das Acromioclaviculargelenk, kurz AC-Gelenk, mit dem Schlüsselbein verbunden ist. Der Raum zwischen dem Oberarmkopf und dem Acromion nennt sich subacromialer Raum. Neben dem Acromion besitzt das Schulterblatt noch einen weiteren zackigen Vorsprung, der aufgrund seiner Form Rabenschnabelfortsatz (Processus coracoideus) genannt wird.
Probieren Sie doch einmal aus, ob Sie die knöchernen Strukturen des Schulterblatts selbst fühlen können. Insbesondere das Schulterblatt mit dem Acromion sowie das Schlüsselbein können Sie gut bei sich selbst ertasten. Legen Sie dafür eine Hand auf Ihre hintere Schulter und ertasten Sie durch leichten Druck zunächst das Schulterblatt. Sobald Sie dies gefunden haben, folgen Sie diesem härteren Widerstand nach außen in Richtung Ihres Oberarmes. Wenn Sie die Seite Ihres Oberarms erreicht haben und eine knöcherne Kante spüren können, halten Sie wahrscheinlich Ihr Acromion zwischen den Fingern. Wenn Sie nun mit Ihren Fingern weiter auf dem Acromion nach vorne wandern, landen Sie automatisch auf Ihrem Schlüsselbein.
Verursacht das Tasten bei Ihnen jedoch Schmerzen, sollten Sie lieber auf diese kleine Erkundungstour verzichten.
Latein Crash-Kurs I
Wie Sie wahrscheinlich schon bemerkt haben, haben die meisten anatomischen Strukturen unseres Körpers lateinische Bezeichnungen, deshalb folgt hier ein Überblick über die wichtigsten Begriffe bezüglich des Schultergelenks:
- Caput = Kopf
- Humerus = Oberarm
- Acromion = Schulterdach
- Scapula = Schulterblatt
- Clavicula = Schlüsselbein
- Articulatio = Gelenk
- Cavita = Gelenkpfanne
- Glenoid = Schultergelenk
- Labrum = Lippe
- Bursa = Schleimbeutel
- Ligamentum = Band
- Musculus = Muskel
- Tendo = Sehne
- Tuberculum = höckerartige Struktur
- Majus = groß
- Minus = klein
Natürlich reichen ein paar knöcherne Strukturen noch nicht aus, um ein funktionsfähiges Gelenk zu bilden. Ohne Kapsel, Bänder und Muskeln würden die Knochen einfach auseinander gleiten. Uns fehlen also noch solche Strukturen, die das Gelenk stabilisieren.
So befinden sich die beiden Gelenkflächen des Oberarms und des Schulterblatts in einer Gelenkkapsel. Diese besteht aus Bindegewebe und umgibt das Gelenk vollständig. In der Gelenkkapsel sorgt die dickflüssige Synovialflüssigkeit für Geschmeidigkeit und für die Versorgung des Gelenks mit Nährstoffen.
Hinweis:
Synovialflüssigkeit versorgt den Knorpel in den Gelenken mit Nährstoffen, und dieser Prozess ist tatsächlich stark von Bewegung abhängig. Bei Bewegung des Gelenks wird der Knorpel abwechselnd komprimiert und entlastet. Diese Druckwechsel wirken wie eine Pumpe, denn sie drücken alte Flüssigkeit aus dem Knorpel heraus und ziehen frische, nährstoffreiche Synovialflüssigkeit hinein. Ohne Bewegung bleibt die Synovialflüssigkeit weitgehend statisch. Dadurch gelangen weniger Nährstoffe in den Knorpel, und Abfallprodukte können sich ansammeln, was langfristig die Gesundheit des Gelenks beeinträchtigen kann. Gerade im Fall Arthrose ist daher eine Schonung weniger wirkungsvoll als moderate tägliche Bewegung.
Neben der Gelenkskapsel sorgen verschiedene Bänder (Ligamenta) für weitere Stabilität. Bänder sind faserreiche Bindegewebsstränge. Sie sind bis zu einem gewissen Maß dehnbar, aber dennoch sehr robust, das Klebeband unseres Körpers sozusagen.
Ihre Namen verdanken die Bänder meist den Strukturen, die sie miteinander verbinden. So heißen die wichtigsten Bänder in der Schulter:
- Ligamentum coracoacromiale (Rabenschnabelfortsatz-Schulterdach-Band),
- Ligamentum coracohumerale (Rabenschnabelfortsatz-Oberarm-Band) und
- Ligamenta glenohumeralia (Schultergelenkbänder).
Im Gegensatz zu anderen Gelenken unseres Körpers wie dem Knie oder der Hüfte spielen die Bänder im Schultergelenk eine untergeordnete Rolle, wenn es um die Stabilität geht. Denn das Schultergelenk wird hauptsächlich von Muskeln und deren Ansätzen (Sehnen) stabilisiert. Vier Muskeln sind daran hauptsächlich beteiligt und ergeben zusammen die sogenannte Rotatorenmanschette. Die Sehnen der Muskeln der Rotatorenmanschette umgeben das Schultergelenk wie eine Kappe oder eben wie eine Manschette und sorgen dafür, dass der Oberarmkopf auch bei Bewegung immer mittig in der Gelenkpfanne liegen bleibt.
Funktion des Schultergelenks
Ohne Schultergelenke wäre der Alltag hart. Im Supermarkt in das höchste Fach greifen, Fahrrad fahren, Dinge hochheben, essen und trinken. Vielleicht mussten Sie aufgrund Ihrer Beschwerden in letzter Zeit auch schon schmerzhaft feststellen, an welchen Bewegungen das Schultergelenk beteiligt ist. Denn das Schultergelenk ermöglicht es uns, über 1000 unterschiedliche Positionen einzunehmen. Das Schultergelenk ermöglicht uns eine Vielzahl an Bewegungen: das Heben der Arme zur Seite (Abduktion) oder das Zusammenführen hinter dem Rücken, wie beim Schürzengriff (Adduktion), ebenso wie das Heben der Arme nach vorne (Anteversion) oder nach hinten (Retroversion). Auch Drehbewegungen des Oberarms um die eigene Achse (Innen- und Außenrotation) sowie Kombinationen all dieser Bewegungen sind möglich, da das Schultergelenk fast mühelos alle drei Raumachsen abdeckt.
Das Schultergelenk ist ein Kugelgelenk. Die Gelenkpfanne umfasst die Gelenkfläche des Gelenkkopfes, dem Oberarmkopf, nur zu 30 Prozent, das sorgt für mehr Bewegungsfreiheit und macht das Schultergelenk zu dem beweglichsten Gelenk unseres Körpers. Dies sorgt aber auch für eine höhere Luxationsgefahr, also ein Rausrutschen des Gelenkskopfs aus der Gelenkpfanne. Um dies zu verhindern, sorgen die Sehnen der Muskeln der Rotatorenmanschette - der Untergrätenmuskel (Infraspinatus), der Obergrätenmuskel (Supraspinatus), der kleine Rundmuskel (Teres minor) und der Unterschulterblattmuskel (Subscapularis) - dafür, dass der Oberarmkopf stabil in der Gelenkpfanne bleibt. Diese Muskeln dienen aber nicht nur der Stabilität, sondern sind auch für die Bewegung des Schultergelenks verantwortlich. Je nach Lage und Verlauf der Muskeln sind die verschiedenen Muskeln jeweils für bestimmte Bewegungen zuständig.
Die Muskeln Musculus supraspinatus, Musculus infraspinatus und Musculus teres minor sitzen auf der Rückseite des Schulterblatts. Der Musculus supraspinatus sorgt für das Anheben der Arme (Abduktion) und insbesondere für den Start dieser Bewegung. Musculus infraspinatus und Musculus teres minor veranlassen hauptsächlich die Außenrotation.
Der Musculus subscapularis befindet sich als einziger Muskel der Rotatorenmanschette auf der Vorderseite des Schulterblattes und ermöglicht eine Innenrotation im Schultergelenk.
Zwei andere wichtige Muskeln, die zwar nicht Teil der Rotatorenmanschette sind, aber dennoch für wichtige Bewegungen verantwortlich sind, sind der Musculus deltoideus (Deltamuskel) für die Abduktion und der Musculus latissimus dorsi (breiter Rückenmuskel) für die Innenrotation. Der Musculus deltoideus ist der Muskel, der der Schulter oberflächlich aufliegt. Wenn Sie eine Hand auf Ihre Schulter legen, können Sie eventuell fühlen, wie sich der Musculus deltoideus anspannt, sobald Sie Ihren Arm anheben. Der Musculus latissimus dorsi zieht mit seinen Fasern über Ihren gesamten Rücken und ist weniger gut tastbar.
Neben den Muskeln sorgen auch die Gelenklippen und die Schleimbeutel wortwörtlich für eine...