Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
14
Louise Müller sei in den Unfall im Opernhaus verwickelt, aber nicht auffindbar, so lautete Meiers knappe Nachricht. Zita hatte gerade Lily ins Bett gebracht, früher als sonst, weil sie so erschöpft war, die Jungs durften das Fußballspiel anschauen. Bevor sie nachfragen konnte, rief er bereits an. Er müsse Lou Müllers Tochter befragen, aber sie hätten Schwierigkeiten, am Sonntagabend eine betreuende Psychologin zu finden, weil gleichzeitig mehrere Einsätze liefen. »Kannst du einspringen, liebste Mutter unserer Kinder?«
Zita war nicht nur promovierte Anglistin, sondern auch Psychologin. Eigentlich hätte Meier jemanden der freien Mitarbeitenden der Polizei anfragen müssen. Aber in der Eile würde ihnen dies hoffentlich niemand übel nehmen. Da es um Charlotte Müller ging, Lous Tochter, die auch im Zauberchor mitsang, war es keine Frage für Zita.
Einen Augenblick lang vermisste sie Jessie, ihre Pflegetochter, schmerzhaft. Ihre Mutter war gestorben, der Vater nicht existent. Das Leben hatte bei Jessie mit vielen Baustellen aufgewartet. Fast drei Jahre hatte sie bei ihnen gelebt.
»Zita, bist du noch da? Es eilt wirklich.«
Meier hatte mitgedacht und für die Kinderbetreuung eine Nachbarin organisiert, die in dem Moment an der Tür klingelte und von Sergeant Pepper, ihrem Hund, begrüßt wurde. Im Sonnenbergquartier, der ehemaligen Arbeitersiedlung in der Nähe des Römerhofs, wo ihr Häuschen stand, gab es zum Glück viel Solidarität. Zita schwang sich auf ihr Bike.
Unterwegs hörte sie über Kopfhörer Meiers spärliche Informationen ab. Offenbar war es Charlottes Vater, der aus der Loge gefallen und dabei gestorben war. Niemand im Opernhaus wusste, wo Lou Müller war. Zita stoppte auf Höhe des Botanischen Gartens und rief ihr Adressbuch auf. Was ihr bislang nie aufgefallen war: Die Informationen verschickte Lou über eine Mailadresse des Opernhauses, Zita hatte keine private Telefonnummer von ihr. Es gab bloß diesen Elternchat, an dem die Chorleiterin aber nicht teilnahm. Der Mann mit den glitzernden Augen fiel Zita ein, dem sie die Chatnummer weitergegeben hatte. Ein mulmiges Gefühl erfasste sie. Sie würde versuchen, ihn ausfindig zu machen.
Meier wartete bereits auf der Straße vor dem Altbau.
»Hast du diesen Fall jetzt offiziell übernommen?«, fragte Zita. »Du weißt, dass ich am Donnerstag nach London muss.«
»Das ist doch jetzt nicht wichtig.«
Doch, fand Zita, aber sie brach keinen Streit vom Zaun. Es war ein Notfall. Meier briefte sie schnell, sie solle Charlotte schonend den Tod des Vaters mitteilen und dabei möglichst viel in Erfahrung bringen. Er würde wahrscheinlich nicht die ganze Zeit bei der Befragung dabei sein, da er zur Pressekonferenz müsse. Im Anschluss solle Zita einen Bericht erstellen.
Zita war auf der Hut. Ein offizieller Bericht war eine andere Sache als ein Kind trösten. »Informationen, hast du gesagt. Was meinst du damit?«
»Wir müssen wissen, wo Louise Müller ist, ganz einfach.«
»Sie nennt sich Lou.«
Er wurde ruhig, also war er genervt. »Okay, Lou. Lou Müller ist auf jeden Fall verschwunden.«
»Seid ihr sicher?«
»Glaub mir, wir hätten sie aufgespürt.«
»Ist sie vielleicht auch verletzt? Liegt sie irgendwo?«
»Zita .«
»Ich höre da einen Unterton. Ist sie verdächtig?«
Dass Meier schwieg, sagte ihr alles. »Warum?«
»Seifert ist tot. In der Familie gibt es Konflikte. Nun ist sie weg und hat ihre Kinder zurückgelassen.«
»Und dann ist sie automatisch schuldig?«
Zita spürte eine uralte Wut in sich hochschießen. Schweigend stieg sie hinter Meier die Treppe hoch und betrat die Wohnung. Das Entrée war winzig, mit Schuhen und einer vollgehängten Garderobe. Es sah aus wie bei ihnen zu Hause, bis auf zwei Rollkoffer, die neben dem Eingang standen. Nachdem Zita Charlotte begrüßt hatte - sie kannten sich flüchtig von den Chorproben -, sprach sie sie auf die beiden Gepäckstücke an.
»Verreist ihr?«
»Die sind immer bereit.« Charlotte wirkte angespannt. »Falls was ist.«
Meier machte Zita ein Zeichen, er deutete auf sein Handy.
Zita verstand, dass er kurz verschwinden musste und Duchamps mitnahm. Das war ihr recht.
»Wollen wir in die Küche gehen? Vielleicht kannst du mir einen Tee machen. Oder eine Schokolade. Und gleich noch eine für dich dazu. Oder trinkst du schon Kaffee?«
Charlotte taute auf. Sie lud Zita ein, ihr zu folgen. Nachdem sie eine Weile über dies und das geplaudert hatten, las Zita Meiers Nachricht, die er ihr gerade von draußen geschickt hatte.
»Lou Müller hat sich offenbar schon mal mit Seifert gestritten. Einige Mitarbeitende des Opernhauses haben bei der Befragung sein Gesicht erkannt.«
Shit, shit, shit, sie hatte es befürchtet.
War dieses äußerst gemütliche Familiennest nur eine Fassade? Auf dem Fensterbrett standen mehrere Töpfe mit wucherndem Basilikum, von draußen kam Lindenduft herein, eine Turmuhr schlug sieben. Zita spürte Charlottes Blick.
»Wo ist meine Mama?«, fragte sie.
Wie Zita durch die nächste Viertelstunde kam, wusste sie hinterher nicht mehr. Es gelang ihr, Anselm Seiferts Tod als Unfall darzustellen und Lous Verschwinden als vorübergehend.
»Ich bin sicher, dass sie bald heimkommt.« Am liebsten hätte sie das Mädchen, das seine Schokolade nicht anrührte, in den Arm genommen.
»Sollen wir deinem Bruder Bescheid geben?«
Charlotte erklärte, dass er im Spital arbeite. »Es gibt eine Notfallnummer. Letztes Mal war er hinterher stocksauer, weil es nur um eine Mathe-Aufgabe ging.«
»Er hilft dir bei den Hausaufgaben?«
»Ja klar, wenn Mama arbeitet.«
»Und dein Papa? Bist du manchmal bei ihm, am Wochenende oder so?«
»Eigentlich nie. Seine Freundin mag Mama nicht, weißt du, Zita.«
Die Natürlichkeit, mit der Charlotte ihren Namen nannte, war berührend.
»Ich mag deine Mama sehr. Sie ist eine tolle Frau. Lily liebt sie und den Zauberchor.«
»Trotzdem ist sie nicht nach Hause gekommen.«
Das war der Punkt. Wieso ließ eine Mutter wie Lou Müller ihre Kinder allein? Für Zita gab es nur eine Antwort. Aus Not, um sie zu schützen.
»Komm, rufen wir Samuel einfach an.«
Sie folgte Charlotte ins Wohnzimmer, mit einem altmodischen Fernseher, einer Wand voller Bücher und DVDs, vielen Fotos und einem Klavier. Da lag ein Notizbuch mit allen Telefonnummern. Genau wie bei uns, dachte Zita.
Sie wählte die Nummer und sprach mit einer diensthabenden Pflegerin, bevor sie das Telefon an Charlotte weitergab.
»Samu, kannst du heimkommen, bitte? Es geht um Mama. Und nun will Zita mit dir sprechen.«
Sie brachte es hinter sich, Samuel Müller mitzuteilen, dass sie zu Hause auf ihn warteten, weil sein Stiefvater tot war. Er zeigte wenig Reaktion und wollte kommen, sobald es ging. Charlotte stand verloren im Raum und hörte zu. Die Tür öffnete sich, und Meier tappte leise herein.
Zita blickte zum Sofa, wo eine Katze träge blinzelte. »Wen haben wir denn da? Magst du sie vielleicht füttern?«
»Hab ich schon gemacht.«
Charlotte setzte sich trotzdem zu der Katze, die sich schnurrend streicheln ließ. Zitas Blick glitt über die Fotos an der Wand. Sie sah Lou Müller, mit schulterlangen Locken, einem herzlichen Lachen und bodenständiger Ausstrahlung, daneben Samuel mit Bart und breiten Schultern sowie Charlotte, die quirlig wirkte. Ein harmonisches Trio. Anselm Seifert war nirgends zu sehen.
»Wenn deine Mama nicht hier ist und dein Bruder mal nicht kann, gibt es noch jemanden anderen, der nach dir schaut? Deine Großmutter vielleicht?«
»Sie ist im Heim.«
»Im Altersheim?«
»So was Ähnliches. Sie spricht nicht.«
»Ist sie stumm?«, fragte Zita.
»Mama sagt, sie will einfach nicht mehr. Die anderen sagen, dass sie was am Hirn hat.«
Demenz. Zita blickte zu Meier. In ihrem letzten großen Fall waren sie mit zwei dementen Frauen konfrontiert gewesen, die eine in Zürich, die andere auf den Jungferninseln.
»Wie heißt das Heim?«
»Weiß ich nicht.« Sie schwindelt, dachte Zita, aber sie würde sie nicht drängen.
»Dann ist da noch Tante Mieke.«
Das klang sehr normal. »Hast du ihre Nummer?«
»Sie reist heute ab.«
»Sie lebt nicht hier?«
»Nein, im Hotel. Sie zeigt den Leuten am Opernhaus, wie man singt.«
»Meinst du Mieke Jansen?« Mieke Jansen war als Vocal Coach ziemlich bekannt.
Meier kam näher. »Wieso denn das? Können die Opernhäusler nicht schon singen?«
»Wie man es besser macht. Einer war mal ganz heiser, und Tante Mieke hat ihn geflickt.«
Ein originelles Kind, sagte Meiers Blick. »Und wo flickt sie die Leute?«
»Da, wo wir mit dem Kinderchor proben.«
»Du bist im Opernhaus-Kinderchor?«
Kapierte er das erst jetzt? »Lou ist auch die Leiterin des Zauberchors«, sagte Zita. »Das ist übrigens der Papa von Lily. Er kommt sie nie abholen, weil ihr Bruder dienstags immer Fußballtraining hat.«
Was sind wir für eine Klischeefamilie, die Tochter singt, der Sohn spielt Fußball.
Charlotte grinste ein wenig. »Lily ist niedlich. Und rhythmisch voll begabt.«
»Singst du gerne?«, fragte Meier, der sichtlich um Fassung rang.
»Mama findet, ich soll Opernsängerin werden. Tante Mieke auch.«
»Ist deine Mama möglicherweise mit Tante Mieke weggefahren?«
»Nein.«
Zita blickte Meier wütend an. Mein Gespräch, was mischst du dich ein?
Sonja Schmidt, Meiers Kollegin, kam nach kurzem Klopfen herein und wollte übernehmen. Meier benutzte die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.