Schweitzer Fachinformationen
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Vor dem Eingang des Zürcher Schauspielhauses stand eine riesige Menschenschlange. Werner Meier verschmähte den ordentlichen Veloparkplatz und stellte sein Rad zu den anderen, die sich um einen Laternenpfahl drängten, bevor er die Strasse bei Rot überquerte. Solche kleinen Vergehen, die er sich an seinem Arbeitsort Uster niemals erlaubt hätte, bereiteten ihm normalerweise grosses Vergnügen, nun jedoch vermochten sie seine Laune kaum zu heben. Seine Freundin Zita hatte nämlich keinen Babysitter mehr gefunden. Sogar Lilo Lienert, Waldbachs Kräuterhexe und die Schnyder-Meier'sche Ersatzoma, hatte abgesagt.
Nachdem Meier und Zita den Frust über das geplatzte Date mit einem gemeinsamen Whisky aus der rot-weissen Herz-Tasse hinuntergespült hatten, einigten sie sich darauf, dass Zita alleine losziehen würde, denn sie hatte die Tickets für die Lesung organisiert, weil sie den Autor Dan Weisz so toll fand. Meier hingegen war es ziemlich egal, was sie unternahmen - Hauptsache, es gab hinterher ein Bier und eine Bratwurst beim «Sternen-Grill». Diesen Verlust hatte Meier locker weggesteckt, bei der Aussicht auf einen gemütlichen Sofa-Abend. Ihre beiden Söhne, ohne Mittagsschlaf und müde gekämpft von der Spielplatzrallye, würden bald ins Bett gehen, und dann würde er sich die Fernsehübertragung der Oper «Norma» anschauen. Was für ein unerwartetes Feierabend-Glück! Doch der kleine Theo hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er sich schlichtweg weigerte, seine Mama gehen zu lassen. Mit eisernen Fäustlein hatte er sich an Zitas blauen Regenmantel geklammert und mit der ganzen Kraft seiner neunmonatigen Lungen geschrien, als ob sein Papa ein Kalbschlächter wäre.
«Dann musst du gehen, Commissario», hatte Zita schliesslich gesagt und die Lederstiefel wieder ausgezogen. «Unter einer Bedingung: Ich will ein Selfie von dir und Dan Weisz. Ohne musst du gar nicht heimkommen.»
Im Foyer war die Stimmung erwartungsvoll. Meier erspähte eine Dame mit Gehhilfe, die ihren Begleiter auf einen lebensgrossen Foto-Karton von Dan Weisz aufmerksam machte. «Er schreibt wie ein Gott und sieht himmlisch aus. Da werden meine Knie schwach.»
Eilig ging Meier weiter, diese Details würde er sich ersparen. An einem Fernsehteam vorbei, das die Stadtpräsidentin interviewte, liess er sich in Richtung Treppe treiben. Er erkannte den nervigen Radiomoderator, dessen Namen er sich nie merken konnte, ins Gespräch vertieft mit der ehemaligen Wetterfee ScarLett Hammer, die als Moderatorin angekündigt war; beide drückten eine Schachtel an sich. Erst jetzt bemerkte Meier, dass der jungen Verkäuferin gerade die letzten Exemplare aus den Händen gerissen wurden.
«Was ist denn da drin?», fragte er.
«Nichts. Das ist für die Bücher, aber die werden erst nach der Lesung verteilt. Alles noch streng geheim.»
Lächerlich, das Brimborium um einen Thriller-Schreiberling. Aber Meier verkniff sich den Kommentar. «Können Sie mir sagen, ob der Autor diese Schuhschachteln da auch signieren wird?»
Die Frau zuckte die Achseln. «Das wüssten alle gern. Wenn ich Sie wäre, würde ich reingehen.»
Tatsächlich, das Foyer war plötzlich ganz leer. Meier war froh, dass er am Rand sass. Etwas weiter vorne zwängte sich der bekannte Anwalt Robert Lange durch die Reihe. Nicht zu fassen, wer da heute alles hier ist . Und alles nur wegen eines Buchs?
Als das Licht im Zuschauerraum ausging, warf Meier einen Blick nach oben. Schon als Kind hatten ihn die Scheinwerfer fasziniert und die Leute, die sie hin- und herschoben. Etwas Geheimnisvolles hing in der Luft - bis der Vorhang sich hob und Dan Weisz unter Applaus die Bühne betrat, das dunkelblonde Haar zur Seite gekämmt, in Turnschuhen, Jeans und einem hellblauen Hemd. Sein einziges Zugeständnis an eine gewisse Seriosität war die Lesebrille mit Rand. Weisz nahm die Vorschusslorbeeren lächelnd entgegen und trat zu dem kleinen Tisch in der Bühnenmitte. Und dann begann er aus seinem ersten Thriller «The Berlin Kladov Connection» zu lesen.
Meier verstand nur die Hälfte, sein Englisch war beschämend schlecht für den Partner einer anglistischen Psychologie-Doktorandin. Aber es spielte keine Rolle. Weisz las, man konnte es nicht anders sagen, phantastisch. Meier wähnte sich in den Strassen Berlins, sah Backsteinmauern vor sich und Kopfsteinpflaster und liess sich einlullen von Sätzen, so klar formuliert wie Pfarrer Kellers Sonntagspredigt. Bis ein Knall ertönte. Meiers Verstand hatte den Pistolenschuss bereits registriert, während seine Augen noch erstaunt nach vorne blickten. Weisz war zusammengebrochen. Über den Tisch breitete sich eine Blutlache aus. Die Schauspielerin im Abendkleid, die für die deutsche Übersetzung zuständig war, stand im Scheinwerferlicht, so erstarrt wie das Publikum.
In der Stille ertönte eine kindliche Stimme: «Ist das echt?»
Eine Schrecksekunde, dann setzten Reaktionen ein, vereinzelte Schreie. Ein Mann mit Lederkoffer eilte nach vorn. War das der Bühnenarzt? Meier registrierte die Moderatorin ScarLett Hammer, die aus der Seitenkulisse stürzte, das wachsende Murmeln im Zuschauerraum, die gezückten Handys. Da wurde es dunkel. Was war los? Ein Anschlag?
Aus den Lautsprechern erklang Weisz' Stimme. «Dear public, I am honoured, that you are so deeply involved into my story. But it is, after all, merely a story. Mental delusion. I apologize for any inconvenience. Enjoy my book!»
Die Schweinwerfer flammten auf, und Weisz stand wieder da, als ob nichts gewesen wäre. ScarLett Hammer und der Arzt waren verschwunden, die Schauspielerin wischte lächelnd die Kunstfarbe weg. Meier war platt. Weisz' Name hatte sich auf ewig in sein Gedächtnis gebrannt, und den Begriff «Mental Delusion» verstand Meier nun, ohne bei Zita nachfragen zu müssen. Sie waren alle einer Sinnestäuschung auf den Leim gekrochen, und so charmant Weisz sich dafür beim Publikum entschuldigt hatte, so brutal war sie gewesen.
Ein Junge, vermutlich derselbe wie eben, schrie: «Ich hab's gewusst. Das Blut hatte ich auch für meine Halloween-Party.»
Die Glocke gongte zur Pause, und im Saal brodelte es, Dan Weisz hatte auch den letzten Skeptiker in seinen Bann gezogen.
***
Matt knallte den Typen ab, das Maschinengewehr im Anschlag. Peng, peng.
«Achtung!», rief Kazu.
«Chill mal, was machst du da?», donnerte es aus dem Headset. Teamkollege Thunderboy, der irgendwo in der Welt auf einer ähnlichen Couch sass wie Matt und Kazu im Luftschutzkeller in Egg, war sauer.
«Fresse, Mann!»
Durch die Dunkelheit stürmte Matts Figur weiter, alles voll im Griff.
«Dicker, wir killen dich», tönte es in sein anderes Ohr.
Aber Matt war das egal, er preschte voran, ahnte die Schüsse, bevor sie ausgelöst wurden. Zwei, drei Sprünge, eine Salve nach rechts, die Feinde taumelten in Zehnerreihen. Volle Punktzahl. Geil! Er klatschte sich mit Kazu ab.
Dieser grinste. «Echt smooth. Ich brauch 'ne Pause.»
Matt winkte ab. Sicher würde er keine Pause machen, voll geflasht, wie er war.
«Matt, wir essen», erklang die Stimme seiner Mam von oben.
Nervig. Schon wollte Matt sich die Kopfhörer wieder über die Ohren ziehen, als Kazu intervenierte. «Ich hab Hunger, Mann!»
Essen? Was für eine idiotische Idee, wenn Matt gerade einen Lauf hatte.
«Es riecht chillig.»
«Dann geh doch.»
«Matt, ich sag's nicht noch mal!», schrie es von oben.
Kazu boxte ihn in die Schulter. «Komm, sonst flippt sie aus.»
«Wieso bist du hier, wegen meiner Alten oder wegen mir?», explodierte Matt.
«Easy, Mann, spinnst du?»
Matt zuckte zusammen. Wusste selbst nicht, warum er so aggressiv war. «Sorry.»
«Dann bleib ich halt», murmelte Kazu.
Matt mied den Blick seines Freundes und startete das nächste Game.
«Schau dir das an», sagte Kazu nach einer Weile und hielt Matt sein Handy unter die Nase. «Cooles Video.»
Ein Typ in Jeans und Hemd sass auf einer grossen Bühne. Ein Knall ertönte. Der Mann brach zusammen. Blut glitzerte.
«Haben die den umgemäht?», fragte Matt.
Der YouTube-Film zeigte das geschockte Gesicht einer Oma; Nicky Pedrazzini, den hibbeligen Moderator; im Off hörte man Schreie, entsetzte Ausrufe. Dann kam der Typ in Jeans aus der Kulisse. «. Mental delusion. Enjoy my book.»
«Krass», flüsterte Matt. «Der Freak hat's echt drauf. Wer ist das?»
«So ein jüdischer Thriller-Dude. Macht Theaterzeugs, mit Echtblut und so was.»
«Voll geil.» Matt war immer faszinierter. «Das wär was für uns.»
«Wieso?»
«Die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule, Blödmann.»
«Du redest von nichts anderem, Bro. Aber ich weiss nicht, wie wir das brauchen könnten.»
Aufgeregt hopste Matt herum, für einen Moment seine Coolness vergessend. «Was ist Fake und was echt? Wer sagt, wann ein Fake fake ist? Und ist ein echter Fake echt?»
Kazu war verwirrt. «Klingt voll hobbyphilosophisch.»
«So was finden die geil.»
«Sorry, das Thema ist . die meinen Schiller und Fuck ju Göhte vier.»
Matt sprang auf, das Game hatte er total vergessen. «Wir machen es so wie der Theater-Dude.»
«Matthias, wenn du jetzt nicht kommst .», schrie Matts Mutter, «. nehm ich dir dein Handy weg. Bis Weihnachten!»
Kazu ging nach oben, während Matt mit einem Filzstift die ganze Kellerwand vollschrieb. Die Kunsthochschule war sein Traum. Damit man reinkam, musste...
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