Schweitzer Fachinformationen
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Camaret-sur-Mer, 18. Juni
»Casse-toi du bout du monde« prangte in zuckerrosa Schönschrift auf der Fensterscheibe des »DEJALU«, der einzigen deutsch-englischen Buchhandlung der Bretagne, die ich vor gut einem Jahr eröffnet hatte.
»Verpiss dich doch selbst«, murmelte ich und reckte einen Stinkefinger.
Unser Hund Merguez, eine verspielte Trottoirmischung, bellte wie verrückt, obwohl die Straße menschenleer war. Und doch musste kürzlich jemand hier gewesen sein, die Farbe war noch feucht. Die Schmierereien am Schaufenster waren so selten geworden, dass ich gehofft hatte, mein Widersacher hätte aufgegeben.
Ich hinterließ eine Nachricht bei Commissaire Gabriel Mahon von der Police nationale, beruhigte den Hund und öffnete das verrostete Gartentürchen. Es war Montagmorgen, meine Laune ließ ich mir nicht verderben.
Dem Winter in Zürich war ein harter Frühling in der Bretagne gefolgt. Stürmisches Wetter, kaum Touristinnen, verstaubte Bücher, Ebbe in der Kasse, aber seit einigen Tagen war der Sommer da, windig, warm und weit.
Ich deponierte die Tüte mit den Croissants, dem Chèvre frais und den bunten Kirschtomaten auf dem rostigen Messingtisch und ging an der Hausmauer entlang in den hinteren Garten, wo ich die Badesachen auf die Leine hängte. Wegen der hohen Wellen war das Schwimmen eine Herausforderung gewesen. Es war mir, als ob ich die Berührung des Wassers immer noch spürte, den Druck im Nacken, wenn die Welle sich über mir brach, die Leichtigkeit meines Sprungs, das Landen auf Sand, das Eintauchen in die eisige Helle. Es war Sport und Meditation gleichzeitig, der perfekte Ersatz fürs Surfen, das ich mir nicht zutraute, trotz der Überredungsversuche meiner Freundin, der Surflehrerin Ayala. »Nein, sorry, vielleicht nächstes Jahr. Zu viele Dellen, zu wenig beweglich.«
Mit den Fingern streifte ich über den Lavendel. Der Duft vermischte sich mit dem der Orangenblüten, gleich würde ich das »DEJALU« aufschließen.
Nachdem ich die Schaufensterschmiererei entfernt hatte, hängte ich ein Plakat über die Stelle.
»Les Bergamottes de Camaret & ARMELLE«.
Es war Reklame für das große Konzert an der Hafenmole, das am Samstag zu Mittsommer die Saison eröffnen würde. Auf dem Foto sah man die fünf singenden Nonnen, Les Bergamottes de Camaret, und dazu Armelle, den französischen Superstar. Ein echter Clou. Ihre Mischung aus bretonischer Folklore und modernem Chanson gefiel durch alle Generationen, ein großer Publikumsaufmarsch war dem Dorf gewiss, die wenigen Hotels waren genauso ausgebucht wie der Zeltplatz, die Gästezimmer und die Airbnbs.
In meiner frisch bemalten Küche vermischte sich der Farbgeruch mit dem Duft nach frischem Kaffee.
»Chante la vie, chante, comme si tu devais mourir demain!«
Den Ohrwurm hatte ich seit letztem Sommer nicht mehr gehört, heute passte er perfekt.
Ich füllte den Hundenapf mit Wasser aus der Gallone. Es war immer eine vorrätig, denn ab und zu gab es Probleme mit der Wasserversorgung. Meine »Villa Wunderblau« hing am selben Kreislauf wie das fertig renovierte Rathaus ein paar Querstraßen weiter. Ein Dorfgerücht besagte, dass die Fehlplanung mit der Abwesenheit des Bürgermeisters zusammenhing. Er war im Urlaub, in einer Auszeit, krank oder tot, je nachdem, mit wem man sprach.
Der Milchschäumer surrte. Ein Geschenk von Kai, meinem Sohn. Er war vor einer Woche angekommen, um der Küche den letzten Schliff zu verpassen.
Ich goss die Milch in die taubenblaue Tasse, den Kaffee mischte ich darunter, malte ein Herz in den Schaum.
»Coucou, Tereza.«
Sylvie Meerwein, im gleichen T-Shirt wie ich. »DEJALU« leuchtete in blauer Schrift quer über die Brust. »Alles fit im Schritt?«
Ich lachte. Sylvie war eine Perle, genau wie ich in Camaret-sur-Mer gestrandet. Jeden Morgen radelte sie von ihrem Wohnwagen auf dem Campingplatz zu mir.
Merguez fraß sie fast auf vor Begeisterung, dabei hatte er sie vorgestern zum letzten Mal gesehen. Sylvie wischte sich das Gesicht ab.
»Du stinkst, mein Lieber. - So ein Käffchen wäre wunderbar.«
»Steht in der Küche für dich bereit.«
Ich wunderte mich nicht, dass postwendend ein Schrei ertönte.
»Unglaublich. Ihr seid fertig?«
»Wir haben das ganze Wochenende geschuftet. Hast du die Durchreiche zum Laden gesehen? Nun sind wir auch ein Bistro.«
»Ausgesprochen toll.«
Sylvie klatschte mich ab, dass ihr Kaffee überschwappte. Den kleinen Finger schob sie in meinen und machte eine Bewegung vor, eine zurück. Und eine Drehung. Das bretonische Tänzchen geriet zu einem wilden Geschüttel, als meine Playlist auf Queen wechselte.
»Pardon, ist offen? Gibt's hier wirklich deutsche Bücher? In Quimper haben sie uns das erzählt.«
Zufrieden, rundum zufrieden, um nicht zu sagen glücklich, überließ ich Sylvie die beiden Kundinnen, rückte einen der Blechbuchstaben über der atlantikblauen Eingangstür zurecht und eilte die Treppe hoch ins frisch renovierte Bad, wo das Wasser der Dusche wunderbar warm aus dem Duschkopf pritschelte. Die Sonnenkollektoren funktionierten, die Waben auf dem Dach sorgten sogar für Aufsehen und fanden Nachahmer. Denn Les Femmes de Camaret, Camarets Frauencombo, rührten die Werbetrommel für Nachhaltigkeit. Eine verkehrsfreie Mole hatten sie fast hingekriegt. Der Verkehr rollte nur noch in einer Richtung an der Häuserzeile vorbei, die Restaurants hatten ihre Tische und Stühle bis ans Ufer vorgerückt, und von der Place de Gaulle aus zog sich eine nagelneue Promenade bis zum Hafengebäude.
Als der Wind das Fenster zuknallte, drückte ich vor Schreck zu viel Zahnpasta raus. Den weißen Fleck beseitigte ich mit Klopapier, schmiss es in die Schüssel und betätigte die Spülung. Da hörte ich ein Geräusch. Es war eine Art Gurgeln, ganz tief aus dem innersten Innern der »Villa Wunderblau« heraus.
Ich starrte auf die WC-Schüssel und auf das, was sich im hohen Bogen auf den hellen Plattenboden ergoss.
»Merde alors.«
***
Einen noch viel schlimmeren Fluch stieß Isidore Breonnec aus. »Das ist eine verdammte Scheiße, Tereza, es muss die fosse septique sein. Sie ist voll.«
Isidore ist Bretone, ein alteingesessener Camarétois, mein Tüftler in der Not, mein Handwerker fürs Grobe, der immer dann mit seinem Moped angetuckert kommt, wenn ich ihn brauche. Ein veritabler Fels in meiner Brandung. Ohne ihn wäre die »Villa Wunderblau« nicht das, was sie ist. Der graue Bart, das hellblaue Hemd, das rote Halstuch und sein verwaschenes Käppi, das er nun zerknautschte, sind seine Arbeitsuniform.
»Sylvie, Kai, macht ihr Kaffee? Ich muss mit Tereza besprechen, was zu tun ist.«
Sylvie und Kai zogen ab, eifrig diskutierend, warum die »Villa Wunderblau« über ihren eigenen Abwassertank verfügte, der nun vollgelaufen war und die stinkende Überschwemmung im Bad verursacht hatte.
Isidore fluchte, weil er das Schuhband nicht aufbekam. Linkisch, aber süß. Die Frauen mochten ihn, nicht zur Begeisterung seiner gegenwärtigen Freundin.
Ivy und Isidore waren erst seit wenigen Wochen ein Paar. Dass er mich mit »Saludo« und einem Küsschen grüßte, war ihr nicht geheuer. Dabei musste sie keine Angst haben, ich war nicht so weit. Mein Ex saß mir in den Knochen, obwohl die Scheidung über zehn Jahre her war.
»Was machen wir jetzt?« Überfordert und verzweifelt starrte ich Isidore an.
Er murmelte etwas, zog Plastikhandschuhe an, holte Eimer, Wischmopp und jede Menge Lappen und half mir beim Aufputzen. Es war eine widerliche Sache.
»Besser geht's nicht«, sagte er schließlich. »Du brauchst professionelle Hilfe.«
»Wird das teuer?«
»Zur Not erhöhst du den Kredit.«
Der doppelte Espresso, den Sylvie uns in der Küche bereitstellte, half mir kaum über meinen Schock hinweg. Und es wurde noch schlimmer, der Abpumpdienst war ausgebucht, wie sich herausstellte.
»Sie kommen morgen Nachmittag«, sagte Isidore, nachdem er eine halbe Stunde lang herumtelefoniert hatte. »Bis am Donnerstag ist alles wieder in Ordnung.«
Sylvie, Kai und ich standen auf der Straße und schauten zu, wie er den Werkzeugkoffer im Anhänger des Mopeds verstaute. »Jetzt muss ich los. Wir bauen die große Bühne auf. Gleich kommt das Fernsehen.«
Auf Sylvies Nachfrage erzählte er, dass ein TV-Team aus Paris angereist sei. »Eine Reportage soll es geben.«
»Alles wegen der Bergamotten und Armelle?«, fragte sie.
»Es geht auch um Bernard Sonnett. Er ist einer der ältesten Bürger der Halbinsel, eine bretonische Berühmtheit, weil er jahrelang den >Gefährten der Bretagne< vorstand. Sogar ein Buch ist über ihn erschienen.«
Davon hatte ich noch nie gehört. »Was ist das für ein Verein?«
»Sie setzen sich für die Belange der Bretagne ein, wirtschaftlich, politisch und kulturell. Bernard wird zum Granit-Ritter gekürt. Eine große Ehre.«
»Das klingt nach Asterix und Obelix.« Kai grinste.
»Auf die sind wir auch stolz. Aber noch mehr auf Bernard. Er feiert bald den Fünfundneunzigsten. Ehemaliger Admiral, er hat noch den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sein Sohn ist Musikproduzent. Er hat Armelle eingeladen.« Isidore reckte beide Arme. »Wir werden berühmt. Und dann rollen die Euros, auch im >DEJALU<. Saludo, mes chers, bis morgen.«
Er winkte uns zu, schwang sich auf das Moped und verschwand in Richtung Dorf.
»Eine Fernsehreportage?«, sagte ich zu Sylvie. »Ob...
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