Schweitzer Fachinformationen
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Mister Sandman's Café, Southwark
Natürlich komme ich zu spät zu meiner Nachmittagsschicht. Jerome, aka Mister Sandman, runzelt nur die Stirn, als ich mit einem »Sorry« nach hinten stürme. Offensichtlich reicht ihm ein Blick, um zu erkennen, dass ich den Beginn meiner Schicht nicht verpasst habe, weil mein Nagellack zu lange zum Trocknen gebraucht hat.
Im viel zu kleinen Pausenraum, der wegen fehlender Fenster eher den Charme einer Abstellkammer hat, werfe ich meine Tasche in den Spind. Hastig ziehe ich das karamellfarbene Arbeits-T-Shirt über, auf dessen Rückseite das Rezept für unsere berühmten Chocolate Death Brownies abgedruckt ist. Für den Fall, dass jemand danach fragt. Und das passiert oft, sehr oft.
Ich binde die mokkabraune Schürze an der Taille zu, schnalle die stylishe Bauchtasche mit dem Wechselgeld um meine Hüfte und hake das Kartenlesegerät ein wie ein Waffenholster.
Ein prüfender Blick in den Spiegel verrät: Ich fühle mich nicht nur wie frisch ausgekotzt, ich sehe auch so aus. Völlig im Einklang mit mir selbst, könnte man sagen. Der Pony klebt an meiner verschwitzten Stirn, die roten Flecken, die mein Gesicht bis zum Hals überziehen, wirken wie eine Kampfansage an die unzähligen Sommersprossen. Meine Unterarme und Ellenbogen brennen wie Hölle, aber bluten zum Glück nicht.
Als ich nach vorne ins Café gehe, nickt Jerome mir zu. Mister Sandman ist echt in Ordnung, vor allem, weil er keine blöden Fragen stellt. Auch als ich in einer Tour Bestellungen vergesse, Tische verwechsle und Tee verschütte, ernte ich nichts als besorgte Seitenblicke. Wie lange diese Schonfrist noch anhält, kann ich nicht abschätzen. Jedes Fünkchen Konzentration geht dafür drauf, mich nicht selbst zu ohrfeigen.
Das heute war mein erster Ladendiebstahl ever, und ich hab's total vermasselt. Normalerweise halte ich MICH mit Secondhandklamotten über Wasser, Sachen aus dem Outlet oder von eBay. Ist zwar trotzdem unverschämt teuer, aber besser als das No-Name-Zeug in meinem Kleiderschrank.
Ab und zu bestelle ich auch etwas bei Shops wie Zalando, trage es ein paarmal und schicke es wieder zurück. Zu oft kann ich das allerdings nicht bringen, die vielen Lieferungen würden Mum auffallen. Und dann muss man auch noch das Preisschild verstecken und das neue Teil vor jedem ach so kleinen Fleck bewahren. Sonst ist man ein paar Hundert Pfund leichter - Blitzdiät für die Geldbörse.
Zum Glück stand ich den Pretty Pennies nicht live gegenüber, als sie mich mit meinem Geburtstag konfrontiert haben. Sie hätten mir bestimmt angesehen, dass der Witz mit den Leichen im Keller keiner war. Im Gegenteil, ich hab ein ganzes Haus voller Lügenleichen. Trotzdem! Hätte ich wenigstens eine Woche Vorlauf gehabt. Aber so hatte ich nur ein paar Stunden, um ein angemessenes Geschenk für MICH aufzutreiben. Und das, obwohl ich ziemlich knapp bei Kasse bin. Wie immer halt.
Das Netflix-Abo, das Mum mir heute Morgen geschenkt hat, hätte keinen vom Hocker gerissen. Und ein gebrauchtes Teil aus der vorletzten Kollektion hätte vor allem Evie misstrauisch gemacht. Auch die Sonnenbrille in meiner Tasche reicht allein natürlich nicht aus. Sie dient lediglich als vorzeigbares Accessoire, als handfester Beweis zur Untermauerung einer Story. Ein Stück Wahrheit, damit die Lüge besser schmeckt. Da hatte ich bei den Pretty Pennies bisher leichtes Spiel. Sie sind einfach zu hungrig. Vor allem Evie hat geradezu danach gegiert, endlich eine neue beste Freundin zu finden. Und die hat sie bekommen! Also . fast. Sie hat keine Ahnung, warum ich wirklich mit ihr und den Jungs befreundet bin. Und so soll es bleiben - zumindest vorerst.
Jerome winkt mir zu, als er wie jeden Samstagabend nach hinten ins Büro verschwindet. Zum Glück muss ich nur bedienen, für Abrechnungen und Dienstpläne hätte ich jetzt absolut keinen Nerv.
Ich schaue auf die Uhr. Gleich sechs, gleich Feierabend, was allerdings auch bedeutet, dass Bacon bald hier aufkreuzt. Kotz! Der wird meine Laune ganz bestimmt nicht heben.
Das Glöckchen über der Eingangstür klingelt. Ich hebe den Blick, erwarte Bacon zu sehen, aber es ist Priya.
»Hi, Jacky!« Priya zieht ihre buschigen Augenbrauen nach oben. »Wem bist du denn vors Auto gelaufen?«
Meine Kollegin ist ein paar Jahre älter als ich, hat Rundungen, mit denen sie Kim Kardashian Konkurrenz machen könnte, und übernimmt meist die Abendschichten, um »den Kopf vom Uni-Gestank zu entlüften«. Und sie nennt mich Jacky. Nicht Lynn. Nicht Jacklynn. Nicht Bloody Jacky. Nur Jacky. Und das ist okay.
»Frag nicht!«
Priya grinst. »Na gut.« Sie deutet nach hinten. »Ich zieh mich schnell um, und dann kannst du Feierabend machen.«
Sie verschwindet, und ich kassiere ein Pärchen ab, das sich gerade eine doppelte Portion Chocolate Death gegönnt hat. Als die beiden das Sandman's verlassen haben, ist es ungewöhnlich still. Es kommt selten vor, dass kein Gast da ist, also nutze ich die Gelegenheit, schnappe mir einen Putzlappen und wische alle Tische ab. Jeromes Ex-Frau war es, die eine komplette Inneneinrichtung in Weiß wollte - das behauptet er zumindest immer, wenn ich beim wöchentlichen Großputz leise vor mich hin fluche. Weiße Tische, Stühle, weiß lackierte Holzdielen, weiße Theke - selbst von außen ist das Sandman's weiß gestrichen. Trotzdem wirkt es nicht kühl, eher heimelig - was hauptsächlich an den großen weißen Kerzen liegt, die überall unter weißen Metallglocken stehen. Auch jetzt, wo die Sommerhitze teilweise den Asphalt draußen schmelzen lässt, brennen sie und werfen verspielte Muster an die Wände. Für diesen Look hat das Sandman's es sogar in einige bekannte Reiseführer geschafft. Sicher hat Jerome deshalb alles so gelassen, obwohl er den Namen seiner Ex nicht in den Mund nehmen kann, ohne im gleichen Atemzug Würgelaute von sich zu geben.
Als ich fertig bin, hole ich mein Handy hervor und öffne Insta. Sofort springt mir Evies neuester Post entgegen. Sie steht in ihrer auf Hochglanz polierten Küche und hat eine Schürze mit rosa Rüschen umgebunden. Die knallpinken Punkte auf dem Tuch in ihren Haaren sind perfekt abgestimmt auf ihren Lippenstift. Der fingerdicke Lidstrich rundet den Anblick des sexy Sechzigerjahre-Looks ab.
Evies Mum ist ein gefeiertes Supermodel und hat ihrer Tochter die ganze Palette an Einstellungskriterien für diesen Job weitervererbt: gertenschlank, kilometerlange Beine, Haut, die wie von Weichzeichner glatt gebügelt aussieht, große, leuchtend grüne Augen, ein Gesicht, das so symmetrisch ist, als hätte man es in der Mitte gespiegelt, gekrönt von einer brünetten Wallemähne. Ein wahrer Sechser im Genlotto.
Ich zoome den glänzenden Anhänger von Evies Halskette heran: eine goldene Pretty-Penny-Münze. Vince und Pat haben auch eine, allerdings sind ihre in Lederarmbänder eingelassen.
Auf der Arbeitsplatte vor Evie thront eine kunstvoll verzierte, dreistöckige Torte. Aber um die geht es eigentlich nicht. Lynn steht in handgeletterter Buttercreme obendrauf.
Das Bild hat jetzt schon über zweitausend Likes. Evie hat mich getaggt. Auf der Torte. Also MICH, mit meinem gefakten und auf privat eingestellten Inkognito-Account. Die über 180k von Evies Beauty Paradise können mich nicht sehen. Gut so. Bestimmt ist nicht nur ein Follower aus meinem alten College Teil ihrer Community.
Im Text unter dem Foto schwärmt Evie von ihrem neuen Lippenstift, den sie später - Zwinkersmiley - mit @Pat_o_Meter noch auf seine Kussechtheit testen wird. Thx @KissThisLips. Den Konditor der Torte hat sie nicht verlinkt, die ist natürlich #homemade.
Immer wenn ich auf Evies Insta bin, tut sie mir fast ein bisschen leid. Fast! Das reiche Mädchen, das sich online kaum vor Freundschaftsanfragen retten kann - jeder will ein Stück von Evie und ihrem Fame abhaben. Doch all die Leute haben keine Ahnung, wer die Evie hinter dem Filter ist. Wüssten ihre Follower, wie es Evies ehemaligen Besties, Amanda und Rachel, ergangen ist, würden sie es sich bestimmt zweimal überlegen, ob sie wirklich mit ihr befreundet sein wollen, wenn auch nur digital.
Als ich anfing, mich mit den Pretty Pennies zu treffen, warnte mich ein Mädchen aus der Stufe unter meiner vor Evie. Sie konnte nicht ahnen, dass ich sehr genau wusste, worauf ich mich einließ. Auf der Schultoilette fing sie mich ab und erzählte mir, was mit Evies letzten Freundinnen geschehen war. Ein Gerücht machte die Runde, dass Amanda etwas mit Evies damaligem Crush angefangen hat. Kurz darauf musste Amanda das Graham verlassen, man hatte Pep Pills in ihrem Spind gefunden - der Klassiker. Alle wussten, wie die Partydrogen dort reingekommen waren, nur wagte es niemand, mit dem Finger auf Evie zu zeigen. Niemand, bis auf Rachel. Nur einen Tag später nahm sie ihre Anschuldigung zurück und verließ freiwillig das Graham. Freiwillig . wer's glaubt! Seitdem fiel es Evie schwer, neue beste Freundinnen zu finden. Woran das wohl lag?
Ich weiß, das Mädchen auf der Schultoilette wollte nur nett sein - mich vor einer Freundin bewahren, die stets ein Messer hinter dem Rücken versteckt. Und wäre alles anders, wäre ich ihr sogar dankbar gewesen. Deshalb war es umso schrecklicher, sie Evie zum Fraß vorzuwerfen. Aber es war nötig - für MICH, um Evies Vertrauen zu gewinnen und das der Jungs gleich dazu. Also steckte ich Evie, dass das Mädchen mich vor ihr gewarnt hatte. Das war meine Eintrittskarte, die ich nicht einfach ausschlagen konnte. Trotzdem tat es mir leid, was...
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