Schweitzer Fachinformationen
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"Ich entschied nicht, wo ich beginne. Aber ich entscheide, wohin ich gehe"
Du wirst hineingeführt in ein Leben, das von außen funktioniert, aber innerlich Fragen aufwirft. Vielleicht erkennst du dich darin wieder? In Rollen, die du übernommen hast, bevor du sie bewusst wählen konntest.
Ich bin in eine Welt hineingeboren worden, die schon entschieden hatte, was richtig ist. Bevor ich wusste, wie man "Ich" schreibt, war ich längst, als Mitglied einer Gastarbeiter -Familie aus der Türkei, Teil eines Systems. Es war selbstverständlich, wie Luft oder Licht.
Mein Vater arbeitete in einer Gießerei in Zorge/Niedersachsen - ein stiller, fleißiger Mann mit starken Händen. Meine Mutter war auf ihre Weise da. Sie war eine Frau mit Durchsetzungskraft. Unsere Wohnung roch nach Arbeit, nach Essen und nach Pflichterfüllung. Wir lebten in der obersten Etage eines Mehrfamilienhauses. Ich teilte mir auf circa 55 m2Wohnfläche ein Zimmer mit meinen Geschwistern.
Was fehlte, wurde selten benannt. Denn Gefühle hatten wenig Platz. Nähe war kein Thema. Aber Disziplin, die war immer da. Und das war auch das Erste, was ich wirklich gelernt habe. Dass ich leisten muss, um gesehen zu werden. Dass ich still sein muss, um kompatibel zu sein. Ich musste funktionieren.
Ich spreche nicht von Anschuldigungen. Meine Eltern haben getan, was sie kannten und konnten. Sie kamen aus einem System, das sie selbst nicht gewählt hatten und gaben es weiter. Nicht aus Bosheit, sondern aus Überzeugung und begrenzten Ressourcen. Ich verstehe das heute besser.
Und trotzdem: Ich musste mich davon lösen, um bei mir selbst anzukommen. Denn ich bestimme mein Schicksal selbst in einem Leben, das durch ihren Mut sich erst voller Möglichkeiten füllte.
Es geht nicht darum, mich zu beklagen oder Schuldige zu finden. Es geht darum, zu erkennen, wie tief wir geprägt sind. Und was es braucht, um sich davon zu lösen und zu wachsen, ohne sich selbst zu verlieren.
Denn das ist vielleicht der erste echte Schritt in die Selbstführung. Zu begreifen, dass vieles von dem, was wir für unsere Persönlichkeit halten, nichts anderes ist als ein "Echo" aus alten Erfahrungen. Und, dass wir die Bestimmung umschreiben können.
"Ich wusste früh, dass Arbeit kein Ziel ist. Sondern ein Versprechen, das man täglich erneuert"
Heute ist ein Moment der Neujustierung, nachdem ich vieles gesehen, aufgebaut, neu gedacht und ich zu spüren begann, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um ihn mit der Welt zu teilen. Nicht aus Nostalgie, sondern weil ich überzeugt bin, dass sich Erfahrung erst dann entfaltet, wenn sie ausgesprochen wird.
Ich weiß wenig über meine familiären Vorfahren. Selbst über meinen Vater kenne ich nur Bruchstücke. Vielleicht ist genau das der Grund, warum ich dieses Buch schreibe. Als Spurensicherung, als Vermächtnis, als ein Ort, an dem die Kinder meiner Kinder einmal nachlesen können, woher wir stammen und was uns prägte.
Ich schreibe dieses Buch nicht nur für mich, sondern auch für die, die nach mir kommen. Für Menschen, die vielleicht irgendwann fragen "Woher stammen wir? Warum heißen wir so? Was hat uns geprägt?" Es ist eine stille Form von Verantwortung, dieser Spur einen Anfang zu geben. Vielleicht ist dieses Buch nicht perfekt, aber auch kein "Schlussstein" als Ende, sondern unser stabilisierender Grundstein für einen neuen Anfang in Bezug auf Herkunft und Zukunft.
Unsere Herkunft prägt nicht nur unsere Sprache und unsere Werte. sie prägt auch unser Verhältnis zur Arbeit und zu Menschen. In meiner Kindheit war Arbeit keine Frage. Sie war Pflicht, Stolz, Überleben und ein Symbol der Anpassung an die Gesellschaft.
Wer nicht arbeitete, war nichts. Wer zu viel fragte, störte. Arbeit war der Zugang zur Zugehörigkeit. Ein Beweis, dass man funktionierte, passte und nicht auffiel. Dass man sich einfügte in das westliche Leitbild der Bundesrepublik Deutschland.
Bei uns wurde nicht gefragt, was man gerne macht. Sondern was funktioniert und was Sicherheit bringt oder was gebraucht wird. Leidenschaft, Berufung, Selbstverwirklichung waren Begriffe, die ich später im Studium hörte, aber nicht in unserer Küche. Es ging um die Erfüllung der Erwartungen und den Kampf gegen Mangel.
Dieses Kapitel blickt auf meine ersten Jahre im Spannungsfeld zwischen Herkunft und Leistung. Zwischen Überlebensstrategie und Aufstiegshoffnung. Zwischen Erwartungen von außen und einem ersten inneren Drang nach mehr, nach etwas Größerem.
Arbeit war für mich nie nur Existenzsicherung. Sie war Identität, Legitimation, manchmal auch Flucht, und oft die einzige Sprache, in der man mich verstand, um mich zugehörig zu fühlen.
"Er hat nie gefragt, ob es reicht - er hat einfach weitergemacht"
Mein Vater sprach wenig und wenn er sprach, dann selten über sich selbst. Was ich über ihn weiß, habe ich nicht aus Gesprächen, sondern es aus seiner Körpersprache gelesen und durch Bilder aus der Vergangenheit verstanden.
Ich erkannte meinen Vater am frischen Geruch nach der Dusche, sobald er die nach Metall duftende Jacke auszog. Aus der Art, wie er die Haustür schloss, wenn er nachts von der Spätschicht kam. Ein migrantischer Arbeiter unter Vielen mit wenig Raum für Individualität. Es gab keinen Platz für Träume.
Aber es gab einen sicheren Arbeitsplatz an der Maschine und am Gabelstapler und die Vorstellung, dass Arbeit den Wert eines Menschen bestimmt. Er war ein Mann der Routinen und der Verlässlichkeit - aber auch der Stille. Der Islam gab ihm Sicherheit, daher verpasste er die Gebetszeiten selten.
Seine Zuwendung zeigte er, indem er funktionierte und aushielt. Ich glaube, mein Bild von Männlichkeit wurde in diesen schweigsamen Morgen, in denen er ging, und den stillen Abenden, in denen er zurückkam, geformt.
Als fünftes und jüngstes Kind suchte ich Anschluss und Beachtung. Auf dem Fußballplatz fand ich Härte, aber keinen Trost. Mein Alltag blieb zu Hause unsichtbar. Und doch war mein Vater der erste Maßstab für Stärke, Pflichterfüllung und für Stolz. Er war der erste Unternehmer, den ich je gesehen habe - nur dass er nicht an sich selbst, sondern an unsere Familie investiert hat.
Als Abschiedsgruß hätte ich ihm sagen wollen, wie oft ich mir mehr Nähe, mehr Zuwendung, einfach ein ehrliches Interesse an meinem Leben und meiner Familie, wünschte. Auch das blieb unausgesprochen, weil ich nie gelernt hatte, Zärtlichkeit in Worte zu fassen.
"Ich lernte, dass man erst funktionieren muss und dann vielleicht gefragt wird, wie es einem geht"
Wer etwas leistet, fällt nicht auf. Wer gebraucht wird, wird nicht vergessen. Und so wurde Leistung für mich mehr als ein Mittel zum Zweck.
Sie wurde mein inneres Sicherheitsnetz. In einer Familie, in der Gefühle selten ausgesprochen wurden, war Funktion meine Währung. Ich wusste nicht, wie man um Hilfe bittet, aber ich wusste, wie man Erwartungen erfüllt. In der Schule, im Haushalt und später im Beruf.
Nicht, weil es leicht war, sondern weil ich keine andere Möglichkeit kannte. Leistung gab mir Kontrolle in einer Welt, die ich nicht beeinflussen konnte. Wenn ich gut war, konnte ich wenigstens bestimmen, wie über mich gesprochen wurde.
Ich war nie der Beste, jedoch war ich der, der immer da war. Der, der mehr leistet, der, der schneller, zuverlässiger und härter arbeitet als nötig. Und lange dachte ich, dass das Stärke ist. Ehrgeiz ist gut. Es war aber auch Angst. Die Angst, übersehen zu werden. Die Angst, dass, wenn ich aufhöre zu leisten, nichts mehr von mir bleibt. Ich glaubte lange "Erst wenn ich etwas gebe, darf ich etwas sein."
Diese Form von Leistung hat mich weit gebracht. Aber sie hat auch Spuren hinterlassen. In meinem Körper, in meinen Beziehungen, in meiner Wahrnehmung auf mich selbst. Sie war notwendig. Aber nicht alles, was notwendig ist, ist auch gesund.
"Ich war lange jemand, der auf Gleisen fuhr, die andere gelegt hatten, bis ich verstand, dass ich auch Weichen stellen kann"
Was wir in den ersten Jahren unseres Lebens lernen, wird oft unser inneres Betriebssystem. Wir wissen nicht, dass es Regeln sind - wir glauben, es sei die Welt. Und wir dürfen unsere Werte nicht ändern.
Und je länger wir in diesen Mustern leben, desto mehr verwechseln wir sie mit Identität. Man spricht nicht über Schwäche. Man fragt nicht "Warum?". Man funktioniert.
Dieses Muster hat mich lange getragen und eingeengt. Es war wie ein T-Shirt, das einst passte, aber irgendwann zu eng wurde, ohne dass ich es merkte. Der entscheidende Wandel begann nicht mit einer großen...
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