Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die literarische Autobiografie des genialischen Literaten
Dieses Buch handelt von: Verkanntentreffen, Katapulten, verpasster Friedhofsgärtnerei; vom Merve Verlag, Maas Verlag, Müll; vom Mann meines Alters, Zille-Zwiebeln, Lotto-Hoffnung, SO36; von Trümmergrau, Polen, Baudrillard, Virilio, Tangerine Dream; von Stammtischen, Gottesbeweisen, Post, Frieder Butzmann; frischen Hemden, Kohlenberta und Lichtgeschwindigkeit; von DJ Erwin, Foucault, Hartfaser und Klogriffen, von der Galerie Petersen und der Galerie Frei, vom Museum of Modern Art; von Daphne, Pferdeschwanz, Raumung, Sünde und Buße, von Gesamtluftwerk und Ehrengrab.
In acht abendfüllenden Sitzungen hat Thomas Kapielski darüber erzählt und seine schiere Lebendmasse als Autobiografie in Gesprächsform auf die zeitgeschichtliche Waage gewuchtet.
Irgendwo habe ich gelesen, daß Sie schon vormittags im Blauen Affen am Hermannplatz sitzen und Bier trinken.
Au ja! Da trägt man sein Mal auf der Stirn, sein Kreuz schleppt man mit sich rum. Dabei wohne ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Neukölln, und im schönen Blauen Affen stehen auch schon seit Jahrzehnten Geldautomaten drin. Sie haben eine Bankfiliale draus gemacht, und was jetzt da akut ist, weiß ich nicht. Im ehemaligen Hammer gegenüber verkauften sie Matratzen, als die Kneipe säkularisiert wurde. Es war schön im Affen, mit Bernd Kramer habe ich mich dort oft getroffen. War so eine großraumige Rentner- und Arbeiterkneipe, wie es sie oft in Berlin gab. Die sind weg. Und mein lieber Freund ist nun auch schon zehn Jahre tot. Mit den Nasenflöten sind wir da paar Mal aufgetreten, waren immer heroische Abende. Und nun ist er weg.
Hat sich verfestigt, diese Legende? Sowas hängt einem an?
Wird man nicht los, also hätschelt man das Gerücht und sagt: »Ja, ja, so ist das.«
Ja, dann frage ich Sie doch mal direkt: Trinken Sie beim Schreiben? Das erledigen Sie ja wohl vormittags?
Nee, beim Schreiben saufe ich nicht! Das kann ich nur stocknüchtern, also kühl, kalt und luzide. Auch banaler Büroquatsch, Steuer, eigentlich das meiste muß klar und kühl erledigt werden. Danach meinetwegen was Kühles anderer Art. Wobei Kunstbasteln wiederum leicht verstört meistens besser geht. Da braucht es einen übermütigen Schwung, eine gewisse Hemmungslosigkeit. So klappt das besser mit Meister Zhuangzis Messerpinsel. Andererseits gilt: Eine nüchterne Lösung, die besoffen nicht standhält, kann erfahrungsgemäß in den Mülleimer. Und umgekehrt, eine besoppene Bastelarbeit muß der Nüchternheit standhalten. Mein vorläufiges Fazit lautet: Nüchtern bin ich besser, besser zu mir und beim Schreiben; besoppen geht's uns besser, klappt das Werkeln besser, und die Welt verhält sich freundlicher zu mir. Als Weltschmerzensmann brauche ich diesen Trosttrunk. Für mich ist das so eine Art von eingeflößter Gnade, gratia infusa nennen das die Theologen. Also, ich deute dieses Sakrament natürlich sehr eigenwillig. Aber das haut schon hin, gnadenreiche Infusion, die braucht so ein trübsinniger Tropf wie ich.
Und wenn Sie abstinent leben?
Fühlt man sich blitzblank und träumt schön. Aber dann kommt schleichend Elend über mich in Form von trostloser Fadheit und öder Klarheit. Man wird doof und langweilig und merkt: Alkohol ist ein heilkräftiges Kontrastmittel. Bei Leerlauf versuche man es mit heilkräftigem Vollauf! Der liebe Gott hat uns Wein und Bier und andere Sachen zur Verfügung gestellt.
Da sind Sie sich sicher?
Das weiß ich, denn mein verstorbener Freund Plummy Gärtner war Theologe und Altsprachler, konnte perfekt Griechisch, Latein, Hebräisch, Mandäisch und halb Aramäisch. Das hat er nun alles mit ins Grab genommen.
Das ist immer erschütternd.
Ich könnte heulen, wenn ich daran denke, und frage mich: Was ist das wieder für eine völlig irrsinnige Welteinrichtung? Die Theodizee tut doch eher weh, auch wenn Gott es wieder gut eingerichtet hat, daß sich das reimt.
Manche Denkschulen halten Wein und Bier für Schöpfungen des Teufels.
Nein, das kommt von Gott. Plummy hat sich da auf Thomas von Aquin berufen, obwohl er Evangele war und alles Katholische geschnitten und geächtet hat; er hat oft aus der Summa theologica zitiert, wo steht, daß einer, der sich mit Absicht des Weins enthält, dadurch die Natur betrübt und so nicht frei von Schuld zu sprechen ist. Und zu viel Fasten und asketische Selbstquälerei sei auch Sünde, weil es nämlich die Geschlechts- und die gesunde Zürnkraft schwächt, welche beide göttliche Einrichtungen sind. Der Aquinate Thomas hatte einen guten Draht direkt nach oben, und Plummy auch, also halte ich mich dran und saufe gern und gottgemäß, meist aber Bier. Das ist bei mir so eine Jammertalsperre; sie kann natürlich leicht überlaufen. Jedenfalls ohne taktisch gesetzte Räusche würde ich dieses Leben nicht ertragen, denn das Sein verstimmt leider das Bewußtsein und erschwert das Dasein ohnehin.
Nehmen Sie dafür ein ungesundes Leben in Kauf?
Nein, aber das sind Opfer, die dargebracht werden müssen. Nur Sorge um die Gesundheit, überzogene Hygiene, das ist tödlich, das macht ja auch krank, also erst mal geistig mit Angst, Waschzwang oder sowas. Keimfrei gehaltene Kinder kränkeln bekanntlich stark und werden empfindlich wie Seifenblasen. Man muß auch mal Dreck fressen.
Alle Welt erstrebt ein langes, schmerzfreies Leben .
Ganz schmerzfrei und ohne gewisse Strapazen, ohne Anstrengungen geht gar nichts; ich bezweifle das unbelastete Leben. Mängel und Krankheiten gehören dazu. Und fest steht: Ich will keine neunzig werden, achtzig höchstens, das würde reichen. Meinen Eltern hat das auch genügt und am Ende hat's ihnen sogar gereicht; beide sind pünktlich mit achtzig davon, und das gilt ja als Richtwert für die Nachkommen, wie alt sie werden.
Sie sind jetzt siebzig.
Und was mehr. Die Vorstellungen vom Alter sind poetisch; man wird schwächlich, es fängt an zu pieken, Treppenaufstiege und so. Und dann sieht man doch nie so aus, wie die jugendlich gebliebenen Radwanderer und Vorturner in der Apothekenzeitung, die verdächtig von Reklame gegen Krampfadern, Arthrose und Rückenschmerzen umgeben sind und immer happy Steckdosenfahrräder fahren.
Nur knapp zehn Jahre noch reichen?
Ich fürchte den Tod nicht, weiß Gott, warum? Ich weiß es, ich stand schon auf der Kippe, ich war schon weg. Schmerzgrames Sterben, das kann man befürchten, und daß man von vierundachtzig bis vierundneunzig im Hospiz liegt, aber da läßt sich was machen. In einer Kneipe dahinten ist auf solche Weise kürzlich einer umstandslos mit vierundsechzig weggekippt, den mochte ich sehr, ein wüster, anarchischer Mensch. Der hat mehr erlebt und gelebt als die drei dort übriggebliebenen achtzigjährigen Trottel in ihren drei Leben zusammen. Aber sie sind stolz, davongekommen zu sein, und jammern doch dauernd rum, wehleidig und ausgedient. Sie bemessen den Wert ihres Lebens an seiner Dauer, und das ist krank. Und bloß kein Bier zuviel! Zucker!? Furchtbar. Aber sie wollen es so, es sei ihnen vergönnt.
Haben Sie denn nicht noch einiges zu erledigen? Noch paar Bücher? Enkelkinder betüddeln?
Ach, die sind alle raus! Und ich bin erschöpft, habe ja früher auch viel auf Bühnen gestanden, das strapaziöse Leben des reisenden Krachmusikanten. Und es kann sich kaum einer vorstellen, was ein Roman, ein Buch meiner Bauart für ein geistiger, aber auch nervlicher, sogar körperlicher Kraftakt ist. Und auch Ausstellungsprojekte schlauchen. Also, ich habe mein Grummet im Schober, und was ich vorhatte, ist so gut wie getan. Und dann langweile ich mich jetzt schon viel zu oft.
Was tun Sie gegen Langeweile?
Ich schaffe mich ab bei ganz dumpfen Tätigkeiten, die einen gleichsam außen wie innen ordnen und sortieren und sehr wohlig in nichts auflösen, durch hingebungsvolles Aufräumen und Putzen zum Beispiel, und das muß sowieso gemacht werden.
Da wäre doch ein Garten schön .
Haben wir nicht. Ich bin mal vor Zeiten, als ich noch Saft hatte, etwas naiv beim Gartenbauamt vorstellig geworden, ob sie nicht einen Halbtagsjob für mich haben. So vier, fünf Stunden Friedhofsgärtnerei simpelster Art vor oder nach den Schreibarbeiten, das täte mir gut, habe ich erklärt, und meine Hilfe wird hingebungsvoll sein, habe ich versprochen. Aber die haben mich ganz entgeistert angeguckt und wollten mich nicht. Mir fehlte wohl der Deppenschein oder sowas. Diese Arbeitsteilung scheint bei uns nicht legitim zu sein. Einen Friedhof und womöglich meine Grablege zu harken hätte mich erquickt.
Eine Ihrer Thesen aus dem Sozialmanierismus lautet: »Das meiste wird von Leuten bewirkt, denen es nicht sonderlich gut geht. Man begreift sowieso nichts durch Anstrengung, aber einiges durch Langeweile.«
Ich leide bisweilen unter Zeitdehnungen, aber diese dumpfen Phasen zeitigen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.