Schweitzer Fachinformationen
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Tokio in den Neunzigern, manisch flirrende Weltstadt, und Natsumi steckt fest: Ehe, Mutterschaft, Haushalt, ein sediertes Mittelschichtsleben in ruhiger Randlage. Sicher, sie hat sich ihren Humor bewahrt, den Eigensinn, die Häme, die Begeisterung für Hitchcock-Filme, für die Fotografie. Und »aus innigster Überzeugung« bekocht sie Mann und Söhne, wäscht die Wäsche, geht einkaufen, redet angeregt mit Nachbarinnen.Wenn sie nachts aber wachliegt und in die Dunkelheit starrt, hat sie neuerdings die Supermarktregale in der korrekten Abfolge vor Augen. Oder rezitiert fehlerfrei ihre seitenlangen To-do-Listen. Ist es nicht beunruhigend, wie sie von der Flut alltäglicher Kleinigkeiten mehr und mehr davongetragen wird? Wie in der Monotonie ihrer Tage zugleich alles und überhaupt gar nichts geschieht? Wie die Welt zusehends unschärfer wird?Das alles erscheint ihr plötzlich völlig klar - nur eben das nicht: Wo er sie eigentlich hinführt, dieser ständige leichte Schwindel.
Leichter Schwindel ist ein »hypnotisierendes Wunder« (New York Times) und der Urtext neuen weiblichen Schreibens in Japan. Die Kultautorin Mieko Kanai hat das Porträt einer Unsichtbaren geschrieben, einer mitreißend launischen Frau, die sich mit den schwankenden Druckverhältnissen eines äußerlich nicht sonderlich bewegten Lebens zu arrangieren versucht.
Für die Wohnung mit den großen Balkonen nach Süden und Osten und der geräumigen Wohnküche hatten sie sich nicht etwa deshalb entschieden, weil Natsumi eine passionierte Köchin, und schon gar nicht, weil sie besonders stolz auf ihre Kochkünste gewesen wäre, sondern wegen ihrer Ähnlichkeit mit den von ihr begehrlich bewunderten Interieurs in diversen Hochglanzzeitschriften, wegen der Kochinsel mit Theke, der letzte Schrei und bestimmt praktisch, und vor allem auch, weil die Wohnungstür nicht wie in ihrem bisherigen Living-Dining-Kitchen-Apartment mit zwei Schlafzimmern, kein Neubau, in die Küche führte und der Blick nach rechts direkt auf Spüle, Gasherd und Kühlschrank fiel, weshalb Natsumis Mutter, die noch nie in einer Siedlung oder in einem Apartmenthaus gewohnt hatte, standardmäßig bei jedem Besuch erklärte, es sähe aus wie bei armen Leuten, wenn Flur und Küche nicht getrennt seien, und noch erbärmlicher, wenn sie die Zeile nicht blitzsauber halte, da könne die Hypothek noch so günstig sein, für eine Hausfrau sei eine separate Küche einfacher, sagte sie mit einem kritischen Blick auf Spüle und Gasherd, welche sich naturgemäß nicht in dem angestrebten Idealzustand von Ordnung und Sauberkeit befanden, während die Tür zu ihrem neuen Apartment mit der Kochinsel nicht direkt in die Küche führte, sondern in einen schmalen Flur, den eine weißgerahmte Glastür vom Wohnzimmer trennte, so dass Besucher günstigerweise nicht sofort das Chaos der gesamten Küche vor Augen hatten, außerdem war die Größe des Apartments mit der Wohnküche von zwölf Tatami, dem angrenzenden Wirtschaftsraum von drei Tatami, dem japanischen Schlafzimmer von sechs und den beiden westlichen Zimmern von acht und sieben Tatami für ein Ehepaar mit zwei Kindern im Grundschul- und im Kindergartenalter recht luxuriös, und die Kinder fanden den kleinen Pool im Hof, der sich allerdings eher zum Plantschen als zum Schwimmen eignete, absolut cool und wie bei reichen Leuten, und auch wenn völlig klar war, dass sie zwar im Moment begeistert davon waren, das Plantschbecken aber bald satthaben und darüber spotten würden, ebenso wie sie, sobald sie ins Mittelschulalter kämen, nicht mehr mit ihrem Etagenbett im Sieben-Tatami-Zimmer zufrieden wären und »eigene Zimmer« wollten, so dass ihr Mann, dem das Acht-Tatami-Zimmer im westlichen Stil als Arbeitszimmer diente, darauf verzichten, das hatten sie schon besprochen, und stattdessen den Wirtschaftsraum benutzen würde, in dem Waschmaschine, Trockner und Wäschekorb sowie an der gegenüberliegenden Wand ein weißes wie maßgefertigtes Schrankelement aus dünnem polyesterharzbeschichtetem Sperrholz standen, das sie sich von einem Versandhaus hatten schicken lassen, auch wenn sie in dem Fall nicht wüsste, wohin mit Waschmaschine, Trockner und Schrank, Putz- und Waschmitteln, Kerzen, Lebensmittelvorräten und dem ganzen sonstigen Krempel, außerdem wohin mit den fünf Stahl- und Sperrholzregalen im Arbeitszimmer, dem Schreibtisch, dem Computer und der Videokamera, die ihr Mann für Aufnahmen von der Familie gekauft hatte, ein Vorhaben, das er, vielleicht weil er keine Lust mehr zum Filmen hatte oder von vorneherein keine visuelle Begabung besaß, wieder aufgegeben hatte, jedenfalls waren nicht einmal zehn Stunden zusammengekommen, wobei bei einem größeren Teil der Sequenzen die Köpfe der Aufgenommenen abgeschnitten waren, dazu kam ein Expander aus seiner Studienzeit und ein Sportgerät namens Super Gym DX (Made in Taiwan), das er sich nach dem Umzug, ohne sich mit ihr abzusprechen, zugelegt hatte und das zwar nicht teuer gewesen, aber 30 Kilogramm schwer, 115 Zentimeter breit, 161 Zentimeter tief und 148 Zentimeter hoch war, das jedoch dank des 12-stufig verstellbaren Hydraulikzylinders bei täglicher Anwendung »nie wieder Bewegungsmangel, echte Ergebnisse, Straffung der Figur und Verbesserung körperlicher Fitness« versprach, zu erzielen durch ein »vollwertiges Trainingsprogramm wie im Fitnessstudio, nur bequem und jederzeit in den eigenen vier Wänden«, und während Natsumi überlegte, was sie mit dem Ding anstellen sollte, hätte sie es am liebsten gleich am nächsten Morgen zum Sperrmüll gebracht, obwohl es noch mindestens fünf oder sechs Jahre dauern würde, bis sie sich ernsthaft Gedanken darüber machen musste, woraufhin sie beschloss, sich nicht weiter mit dem Thema zu beschäftigen, ebenso wenig wie mit den Problemen, die entstehen konnten, wenn sich bei der scheinbar einfachen Berechnung des Grundrisses und der Maße der Möbel doch irgendwo ein Fehler eingeschlichen hatte (z.??B. wenn sie meinte, endlich alles richtig eingezeichnet zu haben, aber außer Acht gelassen hatte, dass die Türen nach innen aufgingen und nicht nach außen).
Ihr Mann lag mit dem Kopf auf einem Stapel Kissen auf dem Sofa, und als sie sagte, sie würden über alles nachdenken, wenn es so weit war, antwortete er, ohne den Fernseher aus den Augen zu lassen, genau, wir warten, bis die Zeit reif ist, was sie, obwohl sie der gleichen Ansicht war, irgendwie ärgerte, auch wenn sie sich die ihr auf der Zunge liegende Bemerkung »das sagst du immer« verkniff.
Die saubere, neue Einbauküche aus Emaille und hellem Holz beim Frittieren von Tempura zu beschmutzen, wäre ihr wie Verschwendung vorgekommen. Also erklärte sie ihrem Mann, dass sie, wenn sie zu Hause Tempura zubereiten würde, selbst im besten Fall nicht mit einem Spezialitätenrestaurant konkurrieren könnte. Ich bin nur eine gewöhnliche Hausfrau, sagte sie, und in keinem Feinschmeckerhaushalt aufgewachsen, meine Mutter interessiert sich nicht einmal besonders fürs Kochen, sie war nie eine Tempura-Expertin, und selbst wenn ich es einigermaßen hinbekäme, würden deine Freunde und Kollegen uns für knickrig halten, außerdem wäre es doch peinlich, wenn du vor ihnen wie ein Weichling mit der Tempura deiner Frau angeben würdest.
Ja, jetzt wo du es sagst, stimmte ihr Mann ihr sichtlich beeindruckt zu, es sind immer die Schwächlinge, die mit den Kochkünsten ihrer Frauen prahlen, Typen, die in ihrer Jugend nur Haut und Knochen waren, aber in mittlerem Alter immer mehr zunehmen, bis sie am Ende aussehen wie fette alte Wasserschweine und ihr sowieso schon kleiner Penis im Nacktzustand absolut winzig wirkt, und wenn man darüber nachdenkt, ist diese Prahlerei mit den Kochkünsten der eigenen Frau ein untrügliches Zeichen dafür, dass einer die orale Phase nicht überwunden und aus seiner Ehe eine Mutter-Sohn-Beziehung gemacht hat, typisch für japanische Männer, oder? Er nickte von sich überzeugt, während die Kinder sich unverdrossen über die Schnitzel und die Tempura hermachten, die Natsumi fertig aus dem Supermarkt geholt und in der Mikrowelle erhitzt hatte, aber sie wussten natürlich, dass solche Gerichte etwas anderes waren als die, die sie selbst kochte, denn auch Kinder hatten einen feinen Geschmackssinn und waren imstande, gutes von schlechtem Essen zu unterscheiden, und solange sie das beurteilen konnten, durfte sie ruhig ein paar Abstriche machen, auch wenn sie in einer Ernährungszeitschrift gelesen hatte, frittiertes Essen erhöhe den Fettkonsum und aus einer Vorliebe für fettes Essen könne eine Sucht werden, ähnlich wie es bei Zigaretten, Alkohol oder Drogen der Fall war, denn sobald man sich einmal daran gewöhnt habe, würden fettarme Speisen als ungenügend empfunden, aber natürlich wiesen ihr Mann und die Kinder sie nicht auf den Widerspruch hin, wenn sie einerseits verkündete, Frittiertes sei zu fettig und daher ungesund, und trotzdem gelegentlich Schweineschnitzel, Kroketten, Tempura oder Brathähnchen aus dem Supermarkt oder vom Metzger auf den Tisch kamen.
Theoretisch brauchte man mit dem Bus von Shibuya dreißig Minuten bis zu ihrer Wohnung, aber natürlich dauerte es je nach Verkehr länger, also nahmen sie die Odakyu-Linie von Shinjuku nach Chitose Funabashi, stiegen am Bahnhof Chitose Funabashi in einen Bus und fuhren bis zur Haltestelle an der Universität für Agrarwissenschaften, von wo es nur noch vier oder fünf Minuten zu Fuß zu ihrer Wohnung waren, die mit dem nahe gelegenen Campus und dem Reitpark in einer für Kinder sehr geeigneten Gegend lag, dazu war sie preislich sehr günstig, und sie hatten einmal woanders wohnen wollen, auch wenn es noch Tokio war und sie die Wohnung vielleicht eines Tages verkaufen und ein Haus in Mejiro bauen würden, wo Natsumis Eltern wohnten, aber der Vorbesitzer hatte die Wohnung vermutlich wegen finanzieller Schwierigkeiten in aller Eile auf den Markt gebracht, und obwohl sie...
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