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Und ich will mich ausschütten vor Lachen - mein Bruder fährt für den fetten Herrn Lametta ins Eismeer, die Fettlücke schließen, was gibt es Schöneres? Kann er doch ganz alleine stopfen, der fette Pfropfen. Schsch, ruhig jetzt, ich habe Hunger, etwas brüllt in mir.
*
Die Fleete unterscheiden sich. Obwohl es hier keine Fenster gibt, obwohl wir wie in Verdunkelung fahren, höre ich die Geräusche der anderen Schiffe, höre, wenn die Wellen gegen die Brückenpfeiler schlagen, rieche den Fluss und höre entfernt die Handkarren, die mitten in der Nacht durch die Gassen klappern. Am liebsten habe ich es, wenn wir fahren. Wenn die Finken uns vorwärtsstaken. Wenn wir das Boot wechseln, als müssten wir auch im Wasser noch unsere Spuren verwischen.
Der Motor, den Arthur in seine Barkasse hat einbauen lassen, muss etwas Besonderes sein. Neulich hörte ich Eugen sagen, mit dem Tank fahren wir bis Panama.
Und dann redet Arthur, und ich will, dass seine Stimme noch genauso klingt wie damals, als die Männer mit den Bügelfalten, ihren Parfums und dem dezenten Wippen des Knies noch neu waren, als ich gern mit den anderen Mädchen zusammenrückte und wir alles und nichts wussten über diese Welt, die jeden Abend neu eröffnet wurde, die Stimme von Arthur, und unsere Körper nackt in einem töricht schönen Licht.
Eugen, der Finke, der so vom Motor schwärmt, kennt alle Zuflüsse der Elbe, die Fleete und Liegeplätze, und wenn ich ihn frage, wo wir sind, braucht er nicht rauszuschauen, er kann es hören. Wir wechseln die Boote wie Schuhe.
Die Finken raunen. Der Wicht, der vor Arthur herumtanzte wie Rumpelstilzchen, war damals schon im Richter-Sturm, Blutsonntag, alte Schule, war da schon ganz vorn in der Bewegung. Hart verpackt, war damals schon auf der Straße. Sie haben ihn wiedererkannt, die Kampfbinde an seiner Uniform, aber Arthur lacht tonlos.
Ich zahl nicht, nicht in meinem Revier. Ich will euch schützen, ich verkrieche mich nicht. Um uns ist das goldene Stroh und die Wolle der Schottiballen. Der Kahn schaukelt.
Und etwas in mir will ihm glauben.
Ich bin früh wach, die Schute liegt weit draußen in Hammerbrook, wo die Ziegelhäuser der Arbeiter bis kurz vor die Fabriken gebaut sind. Frauen mit strähnigen Haaren drücken Fenster auf, die von innen beschlagen sind. Auf einer Industrieetage die schwarzen Köpfe der Nähmaschinen, Frauen, die sich über Tische mit Pappschachteln beugen. Über allem der Qualm der Schlote. Es ist ruhig. Die Schute hat längs an ein paar anderen festgemacht.
Geh nich zu weit vor, sagt Henri, er hat die Tür von einer Spelunke im Blick, aus der ein paar Gestalten taumeln, alte Schiffer, die in der plötzlichen Sonne ihre Käppis ins Gesicht ziehen. Sie taumeln. Einer hält sich am Brückengeländer fest, sucht Balance, vielleicht muss er spucken. Er schaut in unsere Richtung, hält eine Hand gegen das Licht.
Henri rührt sich nicht. Er bleibt stehen wie versteinert.
Nur weil der einen drin hat, heißtes nich, dasser unser Freund is, sagt er leise.
Besser, du bleibst da sitzen.
Die Kaimane sind unruhig.
Du brukst ne twitte Nummer, wenn mol wat mit denen is.
Henri schiebt die großen Sperrholzbretter zur Seite. Es kümmert ihn heute nicht, dass die Farbe absplittert.
Müssen in n Keller, sagt er, kann man noch mal verwenden. Er sieht mich nicht an.
Die Kaimane liegen in ihrer dreckigen Brühe, er lockt sie mit ein paar Ratten in die Kisten. Wenn sie im Eis sind, kommt der Junge und macht die Becken sauber.
Was soll denn sein?, sage ich.
Und sehe zu, wie Eddy langsam in die Kiste kriecht. Henri lässt die Ratte vom Eisenstab und schließt die Kistenwand.
Was soll denn sein?, sage ich noch mal.
Aber Henri antwortet nicht. Dann dreht er sich zu mir.
Nur falls ich mal nich da bin. Falls ich sie dir nicht holen kann. Du passt auf, dass sie lange genug im Eis waren?
Ich nicke, ich stelle keine Fragen. Es ist leichter, über die Kaimane zu sprechen als über die Bühnenmalerin, die jetzt fort ist, weil ihre Kulissen zu fremd waren, zu wenig deutsch und Rübenlatein, dieses Strahlen, bei uns wachsen keine Palmen.
Komm, sagt Henri.
Also folge ich ihm in den staubigen Fundus.
Was ist mit dem?
Er zeigt auf den Ring, der oben an der Decke hängt. Wir sehen beide hinauf.
Henri, sage ich, das ist so lange her. Meinst du?
Ich meine gar nichts.
Wir sehen den Ring an. Dann steigt Henri auf den Tritt und nimmt ihn von der Wand.
Das isser doch?, sagt er schließlich. Ich nicke.
Ich bin wieder siebzehn, und die Nacht ist groß und leicht. Eddy und Fred sind kaum länger als ein Arm, gerade frisch angekommen. Ich weiß nicht mehr, wer sie brachte. Einer, der neben Arthur saß in jener Nacht, Manschettenknöpfe in der Form von Ananas. Mit den Kaimanen hatte er seine Schulden getilgt, wir sahen ihn nie wieder.
Der wirds wohl tun?, fragt Henri.
Und ich nicke, obwohl ich weiß, dass er zu groß ist und zu dünn, er hat Kanten, schneidet ins Fleisch, das war damals egal, wir hatten Hunger, es war das erste Engagement bei Arthur. Und was waren ein paar blaue Flecken gegen all das Licht auf der Bühne, die Musik, die so verrückt und leicht war? Die Gesichter im Publikum, die so anders waren als in den Straßen, wo sie stempeln gingen, nichts zu beißen, nirgends, aber dann saßen sie in den Reihen und starrten ins Licht, als könnten sie hier für Momente alles vergessen. Es war so einfach. So leicht. Die Stürze und elenden Versuche waren vergessen, das schwarze Nass der Bühnenbretter spiegelte nur das Licht.
Henri steht vor mir.
Wat is nu, willstes damit versuchen? Viel mehr bleibt ja nich.
Dieser Ring. Henri sieht mich an, als erinnerte er sich plötzlich. Als sähe er neben mir jemand stehen, eine jüngere Version von mir, noch etwas rundlicher, froh, und plötzlich lächelt er.
Wird schon gehen, sage ich, und er nimmt etwas alten Stoff und reißt ihn in Streifen, und ich versuche die harten Kanten zu bandagieren, als wäre auch meine Haut dünner geworden. Vorne auf der Bühne höre ich die Füße der Mädchen synchron aufstampfen, sie zählen. Zwei, drei.
Komm, Arthur ist jetzt da.
Henri nimmt den Ring und schlägt rasch einen alten Umhang darum, ein Stoff, der golden schimmert, damit es nicht ganz so schäbig aussieht.
Draußen schneit es. Ich habe im Ring gesessen, aber nur die Rita streckt die Füße, mich gibt es nicht. Henri sagt nicht, warum er sich sorgt, aber es liegt in der Luft.
Als ich ins Zimmer komme, sitzt Leni nackt auf dem kreisrunden Tisch, vielleicht kann sie keine Berührungen mehr haben, muss die Haut einmal ohne etwas sein, Stoff, Hände, fremder Atem. Ein paar blaue Flecken an ihrem Oberarm, sie sagt nicht, woher. Lässt sich wortlos eine Decke um die Schultern legen. Und dann erzähle ich ihr.
Wir haben etwas vor, sage ich, vielleicht kann mein Bruder was zusammenkratzen, bringt uns hier raus.
Leni, etwas fliegt über ihr Gesicht, sie raucht. Ich sehe, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellen.
Wir haben alle etwas vor, sagt sie. Nicht wahr?
Sie fragt nicht weiter.
Lass uns jetzt schlafen.
Dann löscht sie die kleine Petroleumlampe neben dem Bett, und es ist dunkel. Wenn ich zum Fenster sehe, ist da ein blaues Glimmen auf den Straßen, der Keiler liegt in seinem Kies, er schläft nicht, er wacht.
Noch sind wir hier, denke ich.
Dann spüre ich, wie sie mich am Arm rüttelt, an der Schulter.
Hedda, sagt sie, ich versteh nich, was du sagst, aber du redest die halbe Nacht.
Früh fühlt mein Kiefer sich taub an.
Es ist zu viel. Vielleicht hat er zu viel getrunken. Arthur, wie immer soll er die Ansage machen, der Höhepunkt der Nacht, eine Raserei, ein Pulsieren, Klänge der Großstadt, unaufhaltsam, zwei Sprungbrettakrobaten sind auf Tournee, ein Kraftmensch. Arthur, warum stehst du so da? Ich sehe zu Henri, wir können nichts tun. Das Mikrofon, Arthur, deine hellen Schläfen.
Glauben Sies nich. Egal was Sie lesen. Glauben Sies nich. Das sind Lügner. Die ganze Bande!
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