Schweitzer Fachinformationen
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Neun Monate zuvor, an einem Samstagnachmittag im März
»Ronald, warum unternimmst du nichts dagegen? Du bist doch der Geschäftsführer?«, ruft meine Frau verärgert vom Sofa im Wohnzimmer aus. Ich hole mir gerade in der Küche einen Espresso. Sie hat unsere Werbespots noch nie ausstehen können, aber dieses Mal klingt sie noch gereizter als sonst. »Das geht nun echt zu weit! Dieser Spot ist wirklich extrem sexistisch!«
Ich habe Yvonne kennengelernt, als ich in Hannover Logistik studierte. Wir wohnten im selben Studentenwohnheim. Als ich sie das erste Mal sah, war ich sofort verrückt nach ihr. Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick. Naja, von meiner Seite aus. Nicht aber bei Yvonne. Sie hatte eine nahezu undurchdringliche Mauer gegen alle Avancen testosterongesteuerter Studenten um sich errichtet. Doch ich war fest entschlossen und habe echt lange durchgehalten - von Blumen bis zu Briefen und von Schokolade bis hin zu Rosenblättern. Am Ende ließ sie sich überzeugen und ging mit mir aus. Noch im selben Monat haben wir unsere Studentenzimmer gekündigt und eine kleine Wohnung gemietet. Nach dem Studium haben wir geheiratet.
In dem Werbespot spielt unser Firmeninhaber und Großaktionär, Henk Sneller, die Hauptrolle. Er ist wie ein Cowboy gekleidet: nackter Oberkörper, braune Stiefel, Jeans und auf dem Kopf ein großer grauer Cowboyhut. Sein langes graues Haar schaut als Pferdeschwanz darunter hervor. In dem Reklamespot protzt er mit seinem braungebrannten, behaarten Brustkorb. Henk ist schon weit in den Sechzigern, aber ich muss zugeben, dass er mit seiner schlanken, muskulösen Statur um einiges jünger aussieht. Links und rechts hat er jeweils den Arm um die Hüfte eines gut aussehenden Fotomodels gelegt. Die beiden tragen Arbeitskleidung unseres Unternehmens, jedoch eher die wenig verhüllende, ultrakurze und hautenge Variante. Sie schmachten mit einer sexy Pose in die Kamera und beide haben eine Hand auf Henks nackter Brust liegen.
Mit einem breiten Grinsen und einem kräftigen Augenzwinkern sagt Henk: »Howdy! Da bin ich wieder, der Küchen-Cowboy. Sie wollen eine neue Küche, haben aber nicht viel Zeit? Dann gehen Sie schnell auf die Website von Kitchen Quick. Wir sind auf schnelle und sehr zufriedenstellende Lieferung spezialisiert. Also - Lust auf einen Quickie? Dann schnell zu kitchenquick.nl. Für schön, gut und schnell!!« Der Spot endet mit einem breiten Lächeln und ebensolchem Augenzwinkern von Henk, während ihm beide Models gleichzeitig einen Kuss auf die Wangen drücken.
Die Werbung ist natürlich absichtlich irritierend und völlig übertrieben. Genau dadurch fällt sie auf. Natürlich habe ich Henk schon vorgeschlagen, deutlich professionellere Werbespots zu machen, doch davon wollte er nichts wissen. »Sie wirken sich doch positiv auf die Verkaufszahlen aus, oder?«, war seine Reaktion. Und da hat er Recht. Je mehr über unsere Werbung gesprochen wird, desto mehr verkaufen wir. Und wenn die sozialen Medien explodieren, dann regnet es bei uns Aufträge.
Inzwischen sind schon wieder vier Jahre vergangen, seit Henk mich bat, für ihn bei Kitchen Quick zu arbeiten. Ich war reif für eine Veränderung, nachdem ich rund acht Jahre bei einer großen Supermarktkette in verschiedenen Managementfunktionen tätig war. Dort herrschte ein permanenter Druck, immer wieder auf der Karriereleiter einen Schritt höher zu klettern, hoch oder raus. Davon hatte ich irgendwann einfach genug. Ich nahm mir einen Karrierecoach, der mir den Rat gab, mich auch einmal bei kleinen und mittelständischen Unternehmen umzuschauen. Er brachte mich direkt mit einem seiner Kunden in Kontakt: Kitchen Quick - ein durch und durch bodenständiges Unternehmen, allerdings mit einem Firmengründer und Großaktionär amerikanischer Herkunft.
Ich beschloss, mich als Geschäftsführer zu bewerben, und wurde eingestellt. Ganz sicher ein Wagnis für Henk, denn ich war noch nicht einmal dreißig und hatte keinerlei Erfahrung mit Küchen. Doch Henk ist jemand, der nach Potenzialen Ausschau hält, und die sah er offenbar in mir.
Am Anfang musste ich erst einmal lernen, mit ihm klarzukommen. Henk ist ein unkonventioneller Mann, der irgendwie alles auf die Reihe kriegt. »Geht nicht - gibt's nicht!« ist sein Motto. Er ist eigensinnig, gewitzt und klug, ein richtiger Unternehmer also, jemand, der überall Chancen wittert, Geld zu verdienen. Und das mit Erfolg. Bereits vor seinem Dreißigsten war er schon Multimillionär. Dies ist etwas, womit er sich gern brüstet. Ich denke, das hat mit seinen amerikanischen Wurzeln zu tun. Meist trägt er extravagante und auffällige Kleidung. Er besitzt beispielsweise eine große Kollektion glänzender Lackschuhe in den verrücktesten Farben: knallrosa, grellgrün, . Doch wenn ich ehrlich bin: Mit seinem gebräunten Gesicht und seinen langen grauen Haaren steht ihm das alles immer gut.
Henk wollte sich aus dem Tagesgeschäft ein Stück weit zurückziehen. Der »Laden«, wie er immer sagt, lief ja eigentlich beinahe von allein. Man traf Henk immer seltener in den Geschäftsräumen an. Er kümmerte sich nun hauptsächlich um allerlei neue Start-ups. Ich glaube, Kitchen Quick zu führen, war für ihn nicht mehr so spannend. »Ich will einen Geschäftsführer, der auf meine Rente aufpasst«, war seine Hauptmotivation, mich einzustellen.
Für diesen Job mussten wir von unserem Appartement im Zentrum von Hannover in eine Wohnung im Umland ziehen. Für Yvonne bedeutete das kein großes Problem, denn als Interim-HR-Managerin ist sie es gewohnt, im ganzen Land Aufträge zu haben. Und ich fand es einfach schön, künftig etwas ländlicher zu wohnen. Es ist eine schöne Umgebung für Kinder, falls wir einmal welche haben sollten.
Kinder oder keine - dieses Thema führt immer wieder zu Diskussionen zwischen Yvonne und mir. Sie hat sich immer gewünscht, zwei Kinder zu haben. Yvonne ist jetzt einunddreißig und damit ein paar Jahre jünger als ich, und nachdem ihre jüngere Schwester gerade ein Baby bekommen hat, meldet sich auch bei ihr die biologische Uhr. Ich möchte auch gerne eine Familie haben, bin mir aber darüber im Klaren, dass das eine Entscheidung ist, die man nicht rückgängig machen kann. Und wir haben noch eine Menge Pläne, zu denen Kinder nicht so recht passen: Reisen, Karriere machen und vielleicht sogar ein paar Jahre im Ausland leben. Yvonne redet in letzter Zeit immer häufiger darüber, schwanger zu werden. Gleichzeitig hat sie vor ein paar Wochen eine anspruchsvolle Ausbildung zur Organisationsberaterin begonnen. Sie merkt, dass sich die Anforderungen an die Arbeit als HR-Managerin gerade stark verändern. Immer häufiger besteht im Markt Nachfrage nach Freiberuflern mit Kenntnissen über neue Organisationsformen. Meiner Meinung nach ist diese berufliche Veränderung eine gute Idee, bevor wir konkret an das Gründen einer Familie denken. Ich hoffe sehr, dass sie zuerst ihre Ausbildung abschließt. So wie ich Yvonne kenne, wäre eine Kombination aus Arbeit und Ausbildung und Schwangerschaft zur gleichen Zeit zu viel für sie.
Doch zurück zu meinem Job als Geschäftsführer bei Kitchen Quick. Im Vergleich zu meinem bisherigen Gehalt müsste ich um dreißig Prozent zurückstecken, wenn ich diesen Job annehme. Deshalb fragte ich Henk, ob ich zur Kompensation Geschäftsanteile bekommen könnte. Er hätte prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, meinte er, nur nicht sofort. »Anteile muss man sich verdienen«, sagte er. Das konnte ich gut verstehen. Wir haben uns darauf geeinigt, später noch einmal darauf zurückzukommen.
Was ich an unserer Werbung am schwierigsten finde, ist nicht so sehr der Stil. Natürlich hat Yvonne Recht, dass sie ziemlich sexistisch ist, doch Werbung ist nun einmal dazu da, um aufzufallen und für Umsatz zu sorgen. Und in dieser Hinsicht funktionieren die Werbespots hervorragend. Was mich wirklich stört, ist die Botschaft darin. Der Küchen-Cowboy versichert nämlich, dass wir eine Küche wie einen »Quickie« liefern können, aber das stimmt ganz und gar nicht! Im Mittel liefern wir eine Küche innerhalb von ungefähr zwölf Wochen. Meist sind wir etwas schneller, aber es passiert auch, dass es länger dauert. Das ist nicht wirklich ein Problem, denn die Konkurrenz hat vergleichbare Lieferzeiten, aber zu hohe Erwartungen zu wecken, finde ich nicht klug. Dadurch enttäuschen wir am Ende nur unsere Kunden.
Bevor ich Geschäftsführer wurde, hat Henk bereits selbst vergeblich versucht, die Lieferzeiten zu verkürzen, und dies verbunden mit großem Frust sowohl bei ihm als auch bei den meisten Mitarbeitern. Denn abgesehen von kleinen Beschleunigungen hier und da im Prozess, blieb es doch im Großen und Ganzen bei den drei Monaten. Das nervte Henk maßlos, was mich nicht verwundert, denn er ist von Natur aus sehr ungeduldig. Wenn Henk sich etwas überlegt hat, dann erwartet er, dass...
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