Schweitzer Fachinformationen
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In der Einleitung haben wir Manolo Oliva zitiert, einen Reitmeister, der seine Pferde mit Sitzhilfen reitet: ". Können Sie mir erklären, wie man ein Fahrrad fährt? Nein, können Sie nicht. Aber jeder meint, anderen erklären zu können, wie sie die Balance auf einem Pferd finden."
Man kann durchaus erklären, wie man Fahrrad fährt, aber man kann es nur jemandem erklären, der weiß, wie ein Fahrrad funktioniert. Um das Reiten mit Sitzhilfen daher bewusst zu erlernen, muss man als Allererstes verstehen, wie ein Pferd funktioniert. Wir brauchen also fundierte Kenntnisse von Anatomie und Biomechanik des Pferdekörpers.
Allerdings ist nicht jeder, der sowohl die Anatomie des Pferdes als auch die Biomechanik der Pferdebewegung perfekt versteht, automatisch auch ein guter Reiter. Das Verstehen in der Großhirnrinde ist meistens viel zu abstrakt, um dem Kleinhirn als Bewegungsmodell zugänglich zu sein.
Das Kleinhirn ist nicht gut in abstrakter Logik, aber es steht in ständigem Austausch mit dem Großhirn und kann so dessen Gedanken beobachten: Sobald das Großhirn eine Bewegung so gut versteht, dass es sie wie einen virtuellen Film oder ein bewegtes Hologramm in Gedanken darstellt, beobachtet und lernt auch das Kleinhirn diese Bewegung. Dieser Mechanismus ist die Grundlage des "Abschauens" von Bewegungstechniken, durch die Kinder voneinander das Fahren auf einem Fahrrad lernen, ohne irgendetwas von dessen Funktionsweise zu verstehen.
Das Ziel dieses Kapitels ist es daher, die Pferdebewegung für das Großhirn so "anschaulich" zu erklären, dass es diese als bewegte Animation darstellt und so dem Kleinhirn die Gelegenheit zum Beobachten gibt.
Der Körper eines Pferdes funktioniert als elastisches System, in dem eine Bewegung unter minimalem Energieverbrauch durch Federkräfte aufrechterhalten wird.
Das intuitive Verstehen einer Bewegung durch das Kleinhirn erfordert einfache Modelle, die jedoch biomechanisch korrekt sein müssen. Als spezialisierter Prozessor für die Vorausberechnung und Überprüfung von Bewegungshypothesen entlarvt das Kleinhirn sofort jedes Modell, das nicht der Physik entspricht.
In Zusammenarbeit von Robotik-Ingenieuren der Universität Michigan und Veterinärmedizinern der Universität Zürich wurde ein sehr einfaches, zweidimensionales Modell der Pferdebewegung entwickelt, das dennoch die Gangarten Schritt, Trab und Tölt korrekt abbildet und dabei sogar die korrekten Aufprallkräfte errechnet, die die Hufe von Warmblütern (Schritt, Trab) oder Islandpferden (Tölt) in den jeweiligen Gangarten erzeugen (Gan, Wiestner, Weishaupt, Waldern, & Remy, 2016). Das Modell geht von den Grundannahmen aus, dass die Körpermasse des Pferdes auf einen linearen Körper der Länge L verteilt ist, der von vier masselosen Federbeinen getragen wird. Die Federbeine können drei Zustände einnehmen: (1) Bodenkontakt, (2) Schwungphase und (3) vorgestreckt zur Landung in einem definierten Winkel. Zwei Varianten des Modells - mit und ohne Kopf - wurden entwickelt, wobei die Variante mit Kopf insbesondere im Schritt die tatsächlichen Aufprallkräfte von Pferdehufen besser simuliert (Abb. hier unten).
Das Modell entwickelt regelmäßige Gangarten als periodische Oszillationen, sobald es in der Fußfolge der jeweiligen Gangart gestartet wird. Ein solches Modell mag zu vereinfachend erscheinen. Seine gute Übereinstimmung mit der natürlichen Pferdebewegung ist jedoch ein erster Hinweis darauf, dass auch der Pferdekörper als elastisches System funktioniert, in dem durch periodische Schwingungen die Gangarten zur Fortbewegung erzeugt werden. Die regelmäßigen Gangarten des Pferdes, in der Reiter-Terminologie auch als "Takt" bezeichnet, kommen durch die Oszillationen des gesamten Pferdekörpers zustande. Ebenso wie das Modell nach dem Starten von selbst in der gewählten Gangart weiterläuft, kann das Pferd die Gangart ohne ständiges Nachsteuern aufrechterhalten, sofern es in diesem Zustand der "Losgelassenheit" nicht gestört wird. Dieses einfache Modell illustriert, dass die Pferdebewegung vom Reiter in erster Linie ohne Störung zugelassen werden muss. Ein Reiter muss sich daher in die Schwingungen des Pferdekörpers einfügen.
Ein "Federbein-Modell" der Pferdebewegung. Abbildungen aus: Gan et al. (2016), Passive Dynamics Explain Quadrupedal Walking, Trotting, and Tölting; Journal of Computational and Nonlinear Dynamics, Vol. 11 / 021008-1
Im Modell von Gan et al. bewegt sich der "Pferdrücken" wellenförmig, begleitet von einer phasenverschobenen Nickbewegung des Kopfes. Vergleicht man die Wellenbewegung von Schritt und Tölt in diesem Modell, so fällt die unterschiedliche Wellenlänge auf - im Schritt erscheint die Welle kürzer und "höher" als im Tölt, während sie im Trab überhaupt nicht vorhanden zu sein scheint. Letzteres widerspricht der Wahrnehmung eines jeden Reiters, denn im Trab bewegt sich der Pferderücken sehr ausgeprägt. Das Modell gibt diese Bewegung jedoch nicht wieder, da das "Modellpferd" zwar eine Körperlänge, aber keine Körperbreite hat.
Ein realitätsnäheres "Modellpferd" hätte daher seine Federbeine nicht direkt an der Körperlängsachse, sondern an zwei Querachsen, einer vorderen "Schulterachse" und einer hinteren "Beckenachse". Da sich bei den symmetrischen Gangarten Schritt, Trab und Tölt die Beine an einer Querachse nicht synchron, sondern gegenläufig bewegen, ergeben sich damit Rotations- und Biegekräfte auf die Körperlängsachse (Abb. rechts).
Angesichts dieser vielen gleichzeitig ablaufenden Bewegungskomponenten in den drei Raumachsen scheint es ziemlich hoffnungslos, eine bildhafte Vorstellung davon zu entwickeln, wie sich der Rücken unseres Modellpferdes bewegt. Die Masse des "Modellpferdes" wäre nun nicht mehr wie bei Gan et al. auf einen zweidimensionalen Körper, sondern auf einen dreidimensionalen Körper verteilt, also so etwas wie ein Brett. Glücklicherweise wurde vor etwa 70 Jahren das Skateboard erfunden, ein Brett, das sich durch Auf- und Abkippen in eine slalomförmige Fortbewegung versetzen lässt. Exakt diese Art von Bewegung führt das virtuelle Brett aus, mit dem die Körpermasse eines Vierbeiners die vier Beine belastet.
Die vertikale Bewegung beim Einfedern eines Beines rotiert die Becken- oder Schulterquerachse. Die Wirbelsäule in der horizontalen Körperlängsachse erfährt dabei Torsionskräfte.
Beim Vorführen eines Beines rotiert die Querachse in horizontaler Ebene. Es entstehen Kräfte, die das Modell um einen "Gierwinkel" vom Kurs abbringen würden.
Bei einem Pferdemodell mit biegsamem Körper erzeugen die horizontalen Komponenten der Schrittbewegung jedoch eine Biegung des Körpers, also eine Schlängelbewegung.
Die Auslenkungen der Körperachsen bei der Pferdebewegung (Illustrationen: shutterstock.com/decade3d - anatomy online)
Wenn Sie kein geübter Skateboardfahrer sind, sollten Sie sich zunächst einige Videos ansehen, in denen die Technik des "Pumpens" gezeigt wird (suchen Sie nach Videos unter der Beschreibung "how to pump a longboard"). Hier sehen Sie, wie der Skateboardfahrer das Skateboard in Kipp- und Slalombewegungen versetzt, sodass er sich darauf fortbewegen kann, ohne einen Fuß auf den Boden zu setzen. Das physikalische Prinzip dahinter beruht auf Gewichtsverlagerungen, die zu einem Abwärtskippen des Brettes führen und dadurch das Rad darunter einen Viertelkreis abwärts und damit vorwärtstreiben. Durch eine einzelne dieser Kippbewegungen würde das Brett nur seitwärts ausbrechen, aber durch die synchrone gegenläufige Kippbewegung der anderen Achse kommt eine Slalombewegung zustande, die bei geübten Fahrern eine schnelle Vorwärtsbewegung ermöglicht.
Ein Pferd läuft nicht auf Skateboardrollen, sondern auf Beinen. Die Beine versetzen die "Ecken" des "Körpermasse-Brettes" aber ebenfalls sowohl in vertikale (auf und ab) als auch in horizontale (Slalom)Bewegungen, völlig analog dem Skateboard. Ein Modellpferd, dessen Körpermasse wie ein Brett auf vier Federbeinen steht, würde nach dem Starten in Schritt, Trab oder Tölt kontinuierlich als elastisches System laufen. Die kinetische Energie der...
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