Schweitzer Fachinformationen
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Das Tor öffnet sich nicht, es versinkt im Boden, der Naked-Farbton verschwindet, die Lippen im Spiegel werden begraben, ihr Sarg versinkt in der Erde, und er will die Wagentür öffnen, nach Luft schnappen, die Sonnenblende herabkippen und Emmes Bild herausholen, doch er tut nichts davon.
Ein roter Porsche 911 mit offenem Verdeck verlässt das Grundstück, fährt an ihm vorbei, und Peter Kant winkt mit offener Hand, als wäre das Ganze nur ein Scherz, als wüsste er bereits, was hier passieren wird. Vielleicht ist er aber auch nur ahnungslos, voll der Gewissheit, dass er es wert ist, geliebt zu werden, dass die Liebe einem Mann wie ihm nicht weggenommen werden kann. Aber Peter Kant weiß es besser und macht noch einmal eine Verwandlung durch, um all den Fremden am Flughafen begegnen zu können, und er fängt mit mir an, der neuen, unfreiwilligen Bekanntschaft, dem Berater.
Das Tor hebt sich wieder aus der Erde in die Höhe.
Emme steigt aus ihrem Grab.
Um zwei Uhr schmerzt sein Magen vor Hunger und die Wasserflasche, die er immer auf dem Rücksitz liegen hat, ist leer. Im Wageninneren ist es unerträglich heiß. Nach einer Stunde hatte er den Motor ausgestellt, fürchtete, jemand könnte das Auto bemerken und die Polizei rufen.
Er steigt aus. Geht hoch zu einem der unbebauten Grundstücke und pisst im Schatten eines Pinienbaumes. Wartet man nur lange genug, taucht immer etwas auf. Bleibt man dran, kommt die Wahrheit zu einem. Das kann Jahre dauern, Jahrzehnte, aber zum Schluss kommt man weiter. Es gibt nur wenige ungelöste Geheimnisse.
Es ist kurz nach drei Uhr, als ein schwarzer Lexus sich dem Haus nähert und das Tor wieder in der Erde verschwindet. Die Scheiben sind getönt, trotzdem kann Tim zwei Gestalten auf den Vordersitzen erkennen, ob Mann oder Frau, ist unmöglich zu sagen, er hebt den Fotoapparat und schießt ein paar schnelle Bilder.
Das Auto fährt aufs Grundstück und das Tor kommt wieder zum Vorschein, ihre Lippen sind im Schminkspiegel zu erkennen, der Pinsel, der über sie fährt, und sie lächelt, sieht ihn im Spiegel an, begegnet seinem Blick.
»Bist du jetzt glücklich?«, fragt er.
»Das ist nur ein bisschen Lippenstift«, antwortet sie.
Der Magen krampft zusammen. Am besten wartet er noch ein wenig, bevor er über die mit Glasscherben gekrönte Mauer klettert, sollen sie da drinnen erst einmal zur Ruhe kommen, mit dem anfangen, was immer sie auch tun wollen.
Verpfeifen. Er weiß, wie die Unterwelt mit denen umgeht, die das tun. Im Stockholmer Vorort Rinkeby sah er einmal einen Achtzehnjährigen mit einer Kugel in der Stirn und herausgeschnittener Zunge. Zwei achtjährige Mädchen, auf der Suche nach weggeworfenem Spielzeug, hatten ihn in einem Müllraum gefunden.
Schnüffeln, spionieren. Obwohl er die Klimaanlage wieder angestellt hat, ist ihm heiß, er fühlt sich klebrig wie nach einer Massage in einem billigen Salon. Er betrachtet die Palmen in dem Garten um Peter Kants Haus, die grünen Blätter in der Krone haben braune Ränder.
Tim greift den Fotoapparat vom Rücksitz, steigt aus dem Wagen, holt eine Isomatte aus dem Kofferraum und geht zum Haus. Die Sonne scheint nicht mehr ganz so stark, aber die Hitze ist trotzdem mit Händen zu greifen.
Direkt vor dem Tor bleibt er stehen, schaut sich in beide Richtungen um. Dann packt er die Oberkante der Mauer, wobei er sorgfältig die Scherben umgeht, die er sehen kann. Er zieht sich hoch. Das Grundstück fällt hinter der Mauer steil ab, seitlich von der Marmortreppe und der Garageneinfahrt, weiter unten sind ein Gebüsch und ein großer Kaktus mit zentimeterlagen Stacheln zu sehen. Auf der Mauerkrone liegen die Scherben dicht an dicht. Er lässt sich wieder zurück auf die Straße fallen, wirft die Isomatte über den Rand und zieht sich noch einmal hoch, kriecht vorsichtig über die Mauer, spürt das Glas unter der Matte, und dann ist er drüben, es gelingt ihm, aufrecht zu bleiben, als der Körper auf den Abhang sinkt und die Füße den Boden erreichen. Er zieht die Isomatte zu sich und geht aufs Haus zu, an der Mauer entlang, eine Treppe hinunter, die von Pflastersteinen und Rabatten mit kurz geschnittenen weißen Rosen umgeben ist.
Der schwarze Pool.
Kants Abgrund.
Er sieht tatsächlich aus, als hätte er keinen Grund. Um die Wasserfläche herum stehen Liegestühle aus gebürstetem Stahl, mit violetten Kissen.
Ein dunkles Zimmer mit schwarzen Sofas hinter hohen Glastüren, mit Blick aufs Meer, das hier immer allgegenwärtig ist, und den Himmel, doch sie treffen sich nicht, der Horizont ist eine deutliche weiße Linie, die Erde und Atmosphäre offenbar strikt trennen will.
Wieder Kunst an den Wänden. Eine Serie von vier Warhol-Marilyns in unterschiedlichen Grüntönen. Links eine Außentreppe, die zum ersten Stock hochführt, wo er und Peter Kant vor Kurzem saßen.
Tim zögert. Soll er die Treppe hoch zum Wohnzimmer nehmen? Oder seine Schritte am Pool vorbeilenken? Eine Tür steht zum Garten hin offen, und er nimmt an, dass sie ins Schlafzimmer des Paares führt, vielleicht geschieht ja dort etwas, mit Natascha und wen immer sie da bei sich hat - wenn sie es tatsächlich war, die gekommen ist. Aber sie und ihre Gesellschaft können sich genauso gut eine Treppe höher befinden, in der Küche, einen Salat zubereiten, ein Stück Lachs braten.
Er weiß nichts über Peter Kant. Über Natascha, über deren Leben. Er muss auf der Hut sein, aber das ist er ja immer.
Peter Kant.
Seine unterdrückte Verzweiflung.
Die Wesensveränderungen, das Winken.
Dieses Haus, gefüllt mit Kunst für Millionen Euro, sein Auto, seine ganze Erscheinung. Das, was er selbst sicher als dezenten Kleidungsstil ansieht, was aber so typisch Andratx-deutsch ist, die offensichtlich teuren Modemarken.
Tim geht schnell am Pool entlang. Es hat gar keinen Sinn, sich hier verstecken zu wollen, es ist unmöglich, sich von der einen Seite der Pools zur anderen zu bewegen, ohne von jemandem gesehen zu werden, der plötzlich in dem Raum mit den schwarzen Sofas auftauchen könnte.
Er nähert sich der offenen Tür.
Hört Geräusche.
Er wird sie verpfeifen müssen.
Er muss das tun, das kann er jetzt schon hören. Vorsichtig schleicht er zur Tür, schaut hinein, und er kann sie sehen, zwei Menschen, die sich lieben, der Rücken einer Frau nur ein paar Meter entfernt, Natascha Kant, das muss sie sein, die einen jungen, muskulösen Mann reitet. Beide stöhnen, aber über dem ganzen Akt liegt etwas Zurückhaltendes, Abwartendes, und Tim hebt die Kamera, fotografiert die beiden auf dem weißen Laken, in dem weißen Zimmer, auf dem weißen Bett, über das Peter Kant vier weiße Monochromgemälde hat aufhängen lassen.
Ist das Natascha?
Sie bewegt sich jetzt schneller, wird lauter, und dann rutscht sie von dem Mann herunter, dreht sich um, und Tim fürchtet schon, dass sie ihn sieht, aber er ist unbewusst bereits zurückgewichen und steht in einem toten Winkel hinter einer der Verdunklungsgardinen. Er kann sie sehen, aber sie ihn nicht.
Sie ist schöner als auf dem Foto. Das blonde Haar hat einen klaren Ton, das Gesicht ist noch schärfer, und gleichzeitig weicher. Es gibt nicht eine einzige Dissonanz in ihren Zügen. Der Mann setzt sich auf. Er hat so ein Gesicht, wie Frauen es mögen, ein Ryan-Gosling-Typ, das Kinn, der Mund und die Augenbrauen bilden drei waagerechte Linien, die Nase dagegen eine kräftige Vertikale. Sein rötliches Haar ist nach hinten gekämmt, kurz geschnitten über den Ohren. Natascha stellt sich auf alle viere, und er dringt von hinten in sie ein. Beginnt zu stoßen, zunächst langsam und weich, dann schneller, härter.
Er schließt die Augen, scheint sich wegzuträumen, vielleicht ist er aber im Gegenteil auch extrem präsent, wie es Tim nie gelingt, wenn er mit jemandem schläft - was ihm eigentlich nur mit Rebecka gelungen ist, und er hat auch nicht mehr die Hoffnung, dass es mit jemand anderem jemals so sein wird.
Die beiden legen sich anschließend auf die Seite, und Nataschas Gesichtszüge sind deutlich erkennbar.
Tim fotografiert, zögert noch, und jetzt sieht er Emme in ihr, wie die Nase ein wenig nach oben zeigt und ihm das Gefühl gibt, vor einer frei schwebenden Seele zu stehen, einem Menschen, der etwas aus seinem Leben machen will. Einem Menschen, der nicht wartet, sondern handelt, der eine Chance erkennt, wenn sie sich ihm bietet. Aber Natascha liebt passiv, lässt den Akt eher geschehen, als dass sie handelt, und er ist sich nicht ganz sicher, ob Emme noch Jungfrau ist oder nicht, er will nicht darüber nachdenken, nicht jetzt, niemals, soll der Teufel all...
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