Schweitzer Fachinformationen
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Katharina del Rosso-Ekbuna, die vor drei, vier oder fünf Eheschließungen einmal Katja Trautmann geheißen hatte, war der natürliche Mittelpunkt auf Hof Jamme gewesen, der Inbegriff einer ungekünstelten Künstlerin, mit Sinn für Perfektion, aber ohne jede Eitelkeit. Katja hatte es nicht nötig zu sagen: Ich bin Künstlerin. Nimbus war ihr persönlich komplett egal. Für sie waren Signaturen, welche auch immer, nichts als Handelsware. Katja stand darüber oder daneben oder überhaupt anders in der Welt. Namen bedeuteten ihr nichts; außer Spaß. Das prädestinierte sie zu einer begnadeten Fälscherin. Es war Benno gewesen, der das zuerst erkannte. Benno, der eigentlich nur für zwei Wochen und dann doch für nahezu zwei Jahre auf Hof Jamme eingezogen war, wo Katja und Jochen töpferten und von der Hand in den Mund (wie Katjas Eltern sagten) beziehungsweise von Luft und Liebe (wie sie selbst sagten) lebten. Benno war genau wie die beiden in chronischer Geldnot, zog über die Märkte und sondierte dabei den Markt. »Alles eine Frage von Singular und Plural«, sagte er. Der Markt sei ungleich finanzkräftiger als die Märkte. Dort krame man nicht das letzte Kleingeld aus dem Portemonnaie, dort ziehe man die Kreditkarte aus der Börse. Apropos Börse und ziehen: Der Kunstmarkt ziehe gerade so was von an. »Ihr bei eurem Talent .«, sagte er - und sah Katja an.
Es war aber Jochen, der zunächst lieferte, und zwar spitzbodige Gefäße, die dem Waldneolithikum untergeschoben werden sollten. Jochen verbrannte sich, als er, fasziniert von der Urgeschichte, das Tonbrennen ohne Ofen ausprobieren wollte, großflächig rechte Hand und Unterarm und vertiefte sich während eines mehrmonatigen Klinikaufenthaltes in die Literatur zur Herstellung japanischer Raku-Schalen, die im Niedrigtemperatur-Sektor gebrannt wurden, was ihm grundsätzlich eine angenehme Vorstellung war, wenngleich die Temperatur dort natürlich auch noch bei mindestens achthundert Grad lag. Haruki lieferte ihm historische Studien und Fachartikel ans Krankenbett, zum Teil in selbst angefertigten Übersetzungen. Parallel jedoch experimentierte Katja bereits mit der rakutypischen Krakelüre, die an einer bestimmten Stelle scheinbar wie von selbst die Gestalt eines K annahm: Katja oder Kichizaemon, je nach Kenntnislage. Dazu sagte Jochen nichts. Nach seiner Rückkehr fügte er sich in die Rolle des Adjutanten, denn auch er sah ein: Die Hand brauchte noch Schonung. An die hundert Übungsschalen wurden verfertigt und in den nicht gerade reich bestückten Haushalt integriert. Des Abends wurden sie nicht bestimmungsgemäß mit Matcha, sondern mit Rioja gefüllt. Der wiederum wurde persönlich von Inès aus Logroño angeliefert, wo sie im zweiten Jahr Winzerin lernte und heftig vermisst wurde von ihrem Verlobten Manuel, der, als sie auf sich warten ließ, weil sie eine heftige Affäre mit Jochen begonnen hatte und sich nicht losreißen konnte, eines Tages auf Hof Jamme auftauchte und sich nur durch Harukis besonnenes Handeln davon abbringen ließ, sich mit Jochen duellieren zu wollen.
Derweil perfektionierte Katja das Raku-Krakelee, allmählich realisierend, dass, anders als die haarfeinen Risse in der Lasur, die mühsam in Zaum gehaltene Eifersucht auf Raku einerseits und Inès andererseits ihrer Liebe mehr als haarfeine Risse in der Außenhaut zugefügt hatte, eher schon einen schwer zu kittenden Sprung.
Aber das tat dem Leben und Treiben auf Hof Jamme vorerst wenig Abbruch, wo nach dem Schlepptauprinzip erst Jochen Katja zu sich geholt hatte, mit Katja Mia gekommen war, wo Benno, der Jochen nur hatte besuchen wollen, nicht nur geblieben, sondern Haruki angelockt hatte, in dessen Fahrwasser wiederum Leif gekommen war, der Virtuose am Farbkopierer, dem kurz darauf seine Freundin Bea folgte, die gerade einen Catering-Service aufbaute und auf Hof Jamme ihre Spezialität entdeckte: aus nichts was machen. Chronische Geldnot, profunde Experimentierfreude, existenzielle Heiterkeit hatten wie von selbst ein einerseits hochprofessionelles und andererseits erschreckend unbedarftes Pop-up-Fälscherkollektiv aus der Wiege gehoben. Und das feuerfeste Rot der Raku-Schalen, konkurrierend mit dem aus jungen Trauben gekelterten Rot des Rioja, gab jetzt der ganzen Szene einen Anstrich satter Wärme und einer geradezu höllischen Lebensfreude.
Dann, als eines Tages Haruki eine frisch abgekühlte Raku-Schale in der Hand drehte und seine Finger den kunstvoll imitierten Unebenheiten huldigten, als er sie gegen das Licht hielt, wieder auf den Tisch stellte und den Tisch umkreiste, in einer Art von euphorischer Konzentration, und dabei in ein hochzufriedenes Nicken geriet, kam das Bedürfnis auf, endlich das ganz große Ding zu drehen. Wie von selbst geriet dabei Wenzel Guga ins Visier: Sammler und Verkäufer asiatischer Kunst - und außerdem Mias übergriffiger Vater. Ihm etwas anzuhängen schien folgerichtig in jeder Hinsicht. Denn richtig Kohle würde dabei auch noch rausspringen. Wenn es aufflog, wäre er dran, nicht sie - dachten sie.
Bea wurde auserkoren, die Schale anzubieten. Aus dem Nachlass ihrer Großtante aus Köln, sollte sie sagen. Die sei baptistische Missionarin in Yokohama gewesen. Niemand hatte nach ihrem Tod - »sag Hinscheiden«, meinte Haruki, »sag Heimgang«, meinte Jochen - mit den Schalen, die bei ihr im Küchenschrank gestanden hatten, etwas anfangen können, da habe sie die kurzerhand eingepackt und mit zu sich genommen. Sie habe die Tante halt gern gemocht. Aber im Grunde wisse sie nicht, wohin damit. Museum oder Container. So hatte Bea ihren Auftritt einstudiert und es dann unter Wenzel Gugas unbewegter Miene heruntergebetet.
Mias Vater hatte sich alles angehört, sehr unverbindlich genickt und gesagt: »Erstaunlich, Yokohama ist ja gar nicht so baptistisch orientiert, eher presbyterianisch, und auch kein Zentrum der Töpferkunst.« Bea, durch Haruki auf diese Frage vorbereitet, ja, darauf hoffend, sagte: Ah ja, sie wisse nur, dass ihre Großtante sich in jüngeren Jahren in Kyoto aufgehalten habe, aber wahrscheinlich sei das eh nur billiges Imitat, über viel Geld habe sie nie verfügt, wenn auch über Kontakte in die höchsten Kreise, denkt man gar nicht, oder? Als Missionarin ... aber doch, Kunstverstand habe sie schon gehabt, familiär vorbelastet durch einen Keramikdesigner, väterlicherseits. Andererseits, wer würde etwas Antikes neben ausgespülte Senfgläser ins Regal stellen? Eigentlich brauche sie das Zeug gar nicht erst auszupacken ...
»Zeigen Sie doch mal her«, hatte Wenzel Guga da gesagt und, als er die Schale zu Gesicht bekam, nachdem Bea sie aus dem Rucksack, doppelt in Zeitungspapier eingeschlagen, herausgeholt hatte, hörbar ausgeatmet. Genau wie Haruki hatte er die Schale gedreht, sehr vorsichtig mit dem Finger an ihre Außenwand geklopft und, als die weich klang, dumpf und hohl, genau, wie sie sollte, Bea in sein Arbeitszimmer gebeten.
Wie sie denn auf ihn gekommen sei, habe er sie dort gefragt. Sie kenne seine Tochter, habe sie geantwortet, so Bea, und verabredungsgemäß habe sie »weitläufig« hinzugefügt. »Weitläufig« war der Sicherheitsabstand, den sie zu Mias Schutz unbedingt hatten einbauen wollen, aber natürlich war dieses Wort entschieden zu großmaßstäbig für ein kommunitäres Wohnverhältnis, in dem man regelmäßig Rioja in gefälschten Raku-Schalen kreisen ließ.
Bea berichtete aufgeregt und kichernd, Haruki lächelte wohlwollend, Katja überlegte bereits laut, wie sie den Nachschub aus der angeblichen Großtanten-Sammlung herstellen könnte, aber Mia wurde schlecht, weil sie sehr genau voraussah, dass aus der Trickserei ein handfester Betrug und womöglich Schlimmeres werden würde: etwas sehr Schwerwiegendes, noch Unabsehbares. Am nächsten Tag fuhr sie nach der Arbeit in ihr Kindheits-Zuhause. Ihr Vater war gut gelaunt. Sie aßen zusammen zu Abend. Danach erzählte er ihr, wie sie es erwartet hatte, von Bea - »du kennst sie ja wohl ein bisschen?« - und der Seelen und Keramik sammelnden Großtante. Sensationell. Wertvoll sei gar kein Ausdruck. Unbezahlbar schon eher - »ich zeige sie dir«. Diese Mitteilsamkeit, dieses Ins-Vertrauen-Ziehen stürzten Mia in Verzweiflung. Mit so seltsam vorsichtigen Händen hob ihr Vater die Schale aus einer Kiste mit Holzwolle. Vertraut und schön war die Schale auf Katjas Werkstatttisch gewesen, fremd und gefährdend stand sie jetzt auf dem Esszimmertisch. Mia rang sich ein paar Worte stammelnder Bewunderung ab. Als ihr Vater sich anschickte, die Schale in sein Arbeitszimmer zurückzutragen, folgte sie ihm, ohne zu wissen, warum. Bis auf die Schwelle. Kurz bevor ihr Vater die Tür zuzog, sagte sie es: »Nicht, dass es eine Fälschung ist.«
Sie sah seine Augen kalt werden, seine Wangenmuskeln zucken. Es war zu spät. In jeder Hinsicht zu spät.
Wenzel Guga fiel tief.
Es gab Zeitungsmeldungen, die von Doppelleben und zweitem Gesicht schrieben. Denn er wurde auffällig. Was er sich bislang nur in seinen vier Wänden erlaubt hatte, erlaubte er sich nun auch dort, wo er befragt wurde und wo er seine Zelle teilen musste. Verbalattacken, die selbst im Gefängnis für ein gewisses Aufsehen sorgten. Hof Jamme geriet ins Visier der Ermittler, aber Hof Jamme war bereits ein verlassener Ort. Besenrein. Eine logistische Meisterleistung, die ihresgleichen suchte und neben dem Ärger der Zuspätkommenden auch eine gewisse Bewunderung auslöste.
Als wäre die wachgehaltene Möglichkeit einer unmittelbaren Aufkündigung eine, vielleicht sogar die entscheidende Ermöglichungsbedingung für ihr freiheitlich-kollektives Glück gewesen, hatte man sich auf Jamme ohne Verzweiflung, ohne Lamento, ohne...
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