Schweitzer Fachinformationen
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15 Jahre früher
»Mr. Bennett!« Aufdringlich schallte die Frauenstimme durch die trockene, heiße Luft. Harry Bennett ließ das Brandeisen zischend in den Wassereimer fallen und sah seufzend auf.
Eine resolut wirkende ältere Dame in eleganter Bluse und Halbrock kam eilig mit missmutiger Miene auf den Rinderauslauf zu. Mühsam tippelte sie in hochhackigen Schuhen über den unebenen Boden. Jeder ihrer Schritte wirbelte eine kleine Staubwolke auf, die der leichte Wind über den Hof davontrug.
»Mrs. Samson, die Schulleiterin, das kann ja lustig werden«, kommentierte John und löste den Strick vom Hals des Kalbes. Stürmisch rannte das Tier zurück zu seiner Mutter und verschwand in der Rinderherde, die dicht gedrängt im hinteren Bereich der Einzäunung stand und unablässig muhte.
»Halt dich zurück«, ermahnte Harry seinen ältesten Sohn, dessen rabenschwarzes Haar unter dem Lederhut hervorsah. Diese aufdringliche Frau hatte Harry gerade noch gefehlt. Nicht zuletzt ihretwegen hatte er den Anrufbeantworter ausgesteckt. Ihm war klar, was nun kommen würde, die Frage war nur, welcher seiner Söhne dieses Mal etwas ausgefressen hatte. Prüfend sah er zum sechzehnjährigen Jim hinüber, der an der Scheunenwand lehnte und abwehrend die Hände hob. Schon jetzt hatte Jim ein breiteres Kreuz als seine beiden älteren Brüder, und Harry überlegte für einen Moment, ob es ihm wohl noch gelingen würde, ihn übers Knie zu legen. Er musste schmunzeln. Noch niemals hatte er Hand an seine Söhne gelegt, auch wenn sie seine Geduld so manches Mal auf die Probe gestellt hatten. Sein Blick wanderte weiter zu Samuel, seinem Zweitgeborenen, an dessen Mundwinkeln sich ebenfalls ein Grinsen abzeichnete. Harry kniff die Augen zusammen, woraufhin sein Sohn sich daranmachte, das nächste Kalb einzufangen.
»Mr. Bennett«, keuchend kam die Schulleiterin vor dem Zaun zum Stehen.
»Mrs. Samson.« Harry nickte ihr zu und nahm den Hut ab. Langsam trat er auf sie zu und rieb sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Dann zog er die Lederhandschuhe aus und sah sie abwartend an.
»Da Sie nicht auf meine Anrufe reagieren, musste ich mir die Zeit nehmen und zu Ihnen rausfahren.« Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf, und Harry konnte Schweißperlen in ihrem Haaransatz erkennen. Mit ihrer ordentlichen Kleidung und den penibel hochgesteckten Haaren passte sie nicht auf die abgelegene Farm. Warum war sie nicht in ihrem klimatisierten Büro geblieben und ließ ihn und seine Jungs in Ruhe?
»Wer war es diesmal?«, fragte er gelassen.
»Die Zwillinge«, platzte es aus ihr heraus. Suchend sah sie sich um. »Wo sind die beiden?«
»Wie Sie sehen, bin ich beschäftigt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wo sich Quentin und River rumtreiben.«
Sie ließ ein entrüstetes Schnaufen hören.
»Was haben sie denn angestellt?« Harry kratzte sich am Kopf. Bis zum Abend mussten die restlichen Jungtiere markiert werden, für dieses Gespräch hatte er wirklich keine Zeit.
»Die Klassenkaninchen .«
Stöhnend lehnte Harry sich gegen den Zaun. »Leben die Viecher noch?«
»Ja, das tun sie. Das ist aber auch das einzig Gute an der Sache.« Sie kramte in der Handtasche und zog etwas heraus. »Kommt Ihnen das hier bekannt vor?«
Harry griff nach dem Haarschneidegerät, mit dem er seinen Söhnen die Haare stutzte. »Sie haben doch nicht etwa .?«
». die Kaninchen rasiert«, vollendete Mrs. Samson den Satz pikiert.
Hinter Harry erklang grölendes Gelächter. Er warf seinen Söhnen einen strafenden Blick zu. Augenblicklich verstummten sie, grinsten dennoch weiter amüsiert.
»Ich nehme an, das wächst nach. Also alles halb so wild«, stellte Harry nüchtern fest und warf das Gerät neben das offene Scheunentor.
»Alles halb so wild?« Mrs. Samsons Stimme klang spitz.
»Mrs. Samson, ich werde mir die beiden vornehmen. Das kommt nicht wieder vor«, sagte Harry geduldig.
»Das glauben Sie doch selbst nicht. Wir haben vier Bennetts in der Schule, und ihre Akten platzen allesamt aus den Nähten. Der da«, sie zeigte auf Jim, »hat letztes Jahr den Arndt-Jungen verprügelt. John und Samuel sind zum Glück inzwischen nicht mehr unser Problem.« Missmutig sah sie auf die beiden Ältesten, die mittlerweile die Schule abgeschlossen hatten und auf der Farm arbeiteten.
»Soweit ich informiert bin, hatte der Arndt-Junge angefangen. Was kann ich dafür, dass Jim besser zielen kann?«, knurrte Harry und rieb sich erneut über die Stirn. »Was ist mit Ethan?«, erkundigte er sich nach seinem dreizehnjährigen Sohn.
»Er ist Klassenbester«, gab die Schulleiterin mit säuerlicher Miene zu.
Harry verkniff sich einen Kommentar.
»Das entschuldigt nicht das Verhalten der anderen, und Ethan lässt sich viel zu oft in ihre Streiche mit hineinziehen. Seit ich diese Schule leite, bereiten mir Ihre Jungs Kopfzerbrechen. John und Samuel haben immerhin irgendwie den Abschluss geschafft, jetzt bleiben uns noch Jim, Ethan und die Zwillinge.« In ihrem Gesicht zeichneten sich Sorgenfalten ab.
Harry stieß einen Seufzer aus und fuhr sich über den Nacken. So ungelegen ihm ihr Besuch kam, er verstand dennoch, was sie dazu bewegt hatte. Er kannte seine Söhne besser als sonst jemand, sie lebten und arbeiteten hier Seite an Seite. Und ihm war klar, welchen Eindruck ihr Verhalten auf Außenstehende machen musste.
»Mr. Bennett«, begann die ältere Dame erneut.
»Nennen Sie mich Harry«, brummte er versöhnlich.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. »Harry, ich weiß um Ihre«, sie zögerte, »um Ihre spezielle Situation.«
»Davon gehe ich aus.«
»Den Jungen fehlt ein weiblicher Einfluss. Ich bin sicher, Sie geben Ihr Bestes.« Mit gerunzelter Stirn sah sie in den Auslauf, wo John und Samuel gerade dabei waren, in Arbeitshosen und mit nacktem Oberkörper ein weiteres Kalb niederzuringen, während Jim das Brandeisen erhitzte.
Bei dem Anblick machte sich Stolz in Harrys Brust breit. Mit ihren zwanzig, neunzehn und sechzehn Jahren packten sie bei allem mit an. Ihr Arbeitseifer hatte die Farm in schwierigen Zeiten am Laufen gehalten, in denen kein Geld für Aushilfen da gewesen war. Und trotzdem wusste Harry, an was es ihnen mangelte. »Ich kann mir keine Frau aus dem Ärmel schütteln«, sagte er leise.
»Wäre ein Kindermädchen vielleicht eine Möglichkeit? Die Zwillinge sind erst in der dritten Klasse, wenigstens diesen beiden könnte das noch helfen.«
»Das haben wir schon hinter uns.« Mühsam verdrängte Harry den Gedanken an Fiona. In den drei Jahren, die sie bei ihnen gelebt hatte, waren die Kinder förmlich aufgeblüht. Doch dann war sie gegangen. »In diesem Haus wird es keine Frau mehr geben«, erklärte er bestimmt.
Mrs. Samson zuckte mit den Schultern. »Sie wissen jetzt Bescheid, ich möchte Sie nicht weiter von der Arbeit abhalten.«
»Ich versuche, mit Quentin und River zu reden. Es tut mir leid, dass sie Ihnen solche Probleme bereiten«, bemühte er sich, das Gespräch zu einem guten Ende zu bringen. Er wischte seine Hand an der Hose ab und hielt sie ihr hin.
Zögernd griff sie danach. »Bevor ich es vergesse.« Noch einmal kramte sie in der Tasche und zog einen Umschlag heraus. »Das hier ist die Einverständniserklärung, damit Ethan die Klasse überspringen kann.«
Irritiert nahm Harry den Umschlag entgegen. »Er soll überspringen?«
»Hat er Ihnen das nicht gesagt?«
Mit gerunzelter Stirn sah er zum Haus hinüber. »Wir reden nicht viel miteinander, meistens liest er, oder er lernt und vergräbt sich in seinem Zimmer.« Im Gegensatz zur Schulleiterin war es bei ihm Ethan, um den er sich sorgte. Er fand einfach keinen Zugang zu dem Jungen. Wann immer er ihn um Hilfe bei der Farmarbeit bat, konnte er über Ethans Unbeholfenheit nur den Kopf schütteln. Die anderen fünf Söhne trieben ihn mit ihren Späßen und Streichen zwar häufig zur Weißglut, allerdings war er selbst in ihrem Alter ähnlich gewesen. Er war sich sicher, dass aus ihnen etwas werden würde. Sie waren die Zukunft der Farm. Doch Ethan hatte andere Stärken, und oft genug verspürte Harry Hilflosigkeit, wenn es um die Beziehung zu seinem Viertältesten ging. Und nun hatte Ethan ihm nicht einmal davon erzählt, dass er eine Klasse überspringen sollte. Seufzend faltete er den Umschlag zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. »Ich werde mir die Zwillinge vorknöpfen. Aber ich kann nicht versprechen, dass es was bringt.«
»In Ordnung.« Mit einem verständnisvollen Lächeln verabschiedete sich Mrs. Samson.
Geduldig wartete Harry ab, bis das Auto vom Hof fuhr. Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen lauten Pfiff erklingen. Dann sah er hinauf zu der kleinen Luke unter dem Scheunendach. »Kommt runter, ich weiß, dass ihr dort oben steckt«, grollte er mit lauter Stimme.
Schuldbewusst traten Quentin und River aus der Scheune und schlüpften durch die Latten des Zauns. Harry deutete auf das Haarschneidegerät. »Ihr habt wirklich die Kaninchen rasiert?«
»War verdammt schwierig, sie haben so gezappelt«, erklärte Quentin stolz.
»Du sollst nicht fluchen«, wies sein Vater ihn zurecht. »Warum hat das keiner mitbekommen?«
River sah zu Boden. »Wir haben uns in der Pause ins Klassenzimmer geschlichen.«
Stöhnend kniete Harry sich vor seine Söhne. »Ihr wisst, dass ihr mich manchmal wahnsinnig macht?«
Beide zogen eine Schnute.
»Ihr mistet zur Strafe den Pferdestall aus. Und versucht in Zukunft zumindest,...
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