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Bereits für den neoliberalen Ökonomen Milton Friedman stand die klassische liberale Philosophie für eine freie Wirtschaft, eine freie Gesellschaft und auch für die Menschenrechte. Insofern sollte es niemanden überraschen, dass im Jahre 1990 der damalige US-Präsident George H. Bush in Reden eine neue Weltordnung »der Freiheit und Menschenrechte in jedem Lande der Erde« ausrief. Diese Proklamation trug dazu bei, dass in den jüngeren Erzählungen von den Menschenrechten diese einer selbstakklamierten evolutionären Fortschrittsgeschichte der westlichen liberalen Demokratien zugerechnet wurden. Aus Sicht vieler linker und progressiver Kräfte, besonders im Globalen Süden, war damit das Konzept der Menschenrechte nachhaltig diskreditiert. Zumal sie in den 1990er und 2000er Jahren von einigen westlichen Regierungen und von neokonservativen Ideologen zur Rechtfertigung militärischer Interventionen und für Regimewechsel instrumentalisiert wurden.
Es wurde vom »Ende der Geschichte« gesprochen, ausgehend vom Ende des Kalten Krieges und Francis Fukuyamas gleichnamigem Buch. Damit war nicht wirklich gemeint, dass die Geschichte zu Ende ginge. Es war der Ausruf der Triumphator*innen des Kalten Krieges: »There is no alternative« (TINA) - zunächst die Aufforderung zur Deregulierung und Privatisierung und nun, nach 1989, auch zur Anpassung des politischen Systems. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurden die totalitären Systeme für erledigt und der Weg für die liberale Demokratie für frei erklärt. Einmal mehr also sollte die Geschichte von den Siegern geschrieben werden, mit dem Willen, den weiteren Fortgang für möglichst lange Zeit zu bestimmen. Eine gute Weile hat dies in den 1990er und 2000er Jahren zweifelsohne funktioniert.
Heute sieht selbst Fukuyama die Demokratie durch autoritäre Regimes und populistische Regierungen wie die von Trump in den USA sowie durch Ungleichheit bedroht. Wenige teilen noch seinen damaligen Glauben, wonach der Endzweck des Fortschritts der Geschichte, ein Zustand vollkommener Freiheit und Vernunft, fast erfüllt sei.
Im Gegenteil: Zygmunt Bauman beschreibt in Retrotopia, einem seiner letzten Bücher, unsere heutige Zeit als eine Phase der Nostalgie, bestimmt von dem Versprechen, jene imaginierte ideale Heimat wiederzuerrichten, die im Zentrum einflussreicher Ideologien steht und die uns in nationalistischen Revivals überall auf der Welt begegnet. Da viele Menschen sich keine neue und bessere Welt vorstellen können als die, in der wir heute leben, speisen sich heutige Visionen nicht mehr aus der Zukunft, so Bauman, sondern »aus der verlorenen/geraubten/verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit«.
Bauman greift auf die geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins zurück. Ausgehend von einem Gemälde Paul Klees, das der Philosoph 1921 gekauft hatte, beschrieb dieser sein Bild vom Engel der Geschichte:
Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.[2]
Nach Benjamin führt »die Vergangenheit . einen zeitlichen Index mit sich, durch den sie auf die Erlösung verwiesen wird. Es besteht eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem. Uns ist wie jedem Geschlecht, das vor uns war, eine schwache messianische Kraft mitgegeben, an welche die Vergangenheit Anspruch hat.« Dabei ist nicht blinder Fortschrittsglaube gefragt, wie ihn die sozialdemokratische und die kommunistische Bewegung zu Zeiten Benjamins teilten, sondern die Inszenierung eines politischen Prozesses.
Bauman konstatiert, dass nunmehr der Engel der Geschichte entsetzt in die Zukunft blicke und unaufhörlich Richtung Vergangenheit treibe. Wir lebten »in einer Epoche der Brüche und Diskrepanzen, einer Epoche, in der alles - oder fast alles - möglich ist, während man nichts - oder so gut wie nichts - in der Gewissheit, es zu durchschauen, selbstbewusst angehen kann«. Um der vorherrschenden Angst vor der Zukunft zu begegnen, müssten wir den Engel der Geschichte dazu bringen, sich ein weiteres Mal umzudrehen.
Walter Benjamin argumentierte stets im Bewußtsein vergangener Kämpfe für Freiheit und Gleichheit und gedachte insbesondere der Besiegten. Er forderte von den zukünftigen Generationen ». zu vollenden, was uns vorenthalten worden ist« und »zu retten, was gescheitert ist«. Damit steht er für ein linkes Geschichtsbild, das sich in der Kontinuität vergangener und zukünftiger linker Kämpfe um Freiheit und Gleichheit sieht. Aus diesem Spannungsverhältnis lassen sich Bewusstsein und Energie für die Sache der Menschenrechte ziehen.
Der französische Philosoph Enzo Traverso schlägt eine linke, melancholische Geschichtsvision vor. Das 1989 besiegelte Ende des auch von Traverso kritisch betrachteten Realsozialismus habe die Dialektik zwischen Vergangenheit und Zukunft zerschlagen. Die vergangenen Ereignisse und Niederlagen könnten nun - insoweit entgegen der marxistischen Geschichtskonzeption - nicht mehr ins historische Bewusstsein eingeschrieben werden, damit sie in die Zukunft projiziert werden, als eine Art strategische Erinnerung an die vergangenen Kämpfe sowie eine auf die Zukunft orientierte Erinnerung.
Laut dem Historiker Reinhart Koselleck verleiht die Gegenwart der Vergangenheit Sinn. Letztere biete den Akteuren der Geschichte »ein Reservoir an Erinnerung und Erfahrungen, die es ihnen ermöglicht, ihre Erwartungen zu formulieren«. Koselleck wies darauf hin, dass zwar kurzfristig »die Geschichte von den Siegern gemacht wird, aber langfristig . die historischen Verdienste der Erkenntnisse von den Besiegten« kämen.
Mit Walter Benjamin geht es daher darum, »sich einer Erinnerung zu bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt«. Wir lebten in einer Zeit, die eine dialektische Verbindung zwischen einer unabgeschlossenen Vergangenheit und einer utopischen Zukunft bildet, »worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt«.
Was Benjamin da beschreibt, mutet heute undenkbar an. Wie er leben wir in einer ungerechten Welt, erfahren derzeit gar dystopische Momente, wünschen uns zwar, dass sich das ändert, vertrauen aber zu selten auf unsere Fähigkeit, dies tatsächlich umzusetzen. Die nachfolgende Betrachtung der Französischen Revolution und der Haitianischen Revolution zeigt, dass geschichtliche Zäsuren möglich sind - und derartige erwünschte und notwendige Ereignisse sehr wohl geschehen und mit den bisherigen geschichtlichen Verläufen brechen.
Inspiriert von diesen Gedanken, möchte ich die historische Perspektive auf die Menschenrechte weiten und an zwei wirkmächtige Ereignisse erinnern: die Französische Revolution mit ihrer Menschenrechtsdeklaration vom August 1789, die für viele Menschen die Geburtsstunde der universellen Menschenrechte markiert, und die bis heute oft vergessene Haitianische Revolution.
Am 26. August 1789 verkündete die französische Nationalversammlung die Erklärung der Bürger- und Menschenrechte. Die Erklärung wirkt bis heute, doch die Rechte sind bis heute nicht eingelöst, und ebenfalls bis heute streiten sich nicht nur Historiker*innen, wie es eigentlich dazu gekommen ist. Die Menschenrechte stehen damit beispielhaft für die Kontingenz, die Offenheit von Geschichte und auch für die Hoffnung, gerade weil niemand dieses weltgeschichtlich so bedeutsame Ereignis vorhersagen konnte, auch wenn erste Anzeichen wie die philosophischen Werke der Aufklärung oder die Romane der Epoche zu erkennen waren.
In den 17 Artikeln der Erklärung heißt es unter anderem, dass »die Menschen . frei und gleich an Rechten geboren« (Art. 1) würden und der »Zweck jeder politischen Vereinigung . die Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte« sei. »Diese sind das Recht auf Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung« (Art. 2). Daneben wurden die Religions- und Meinungsfreiheit sowie justizielle Grundrechte deklariert.
Einmal deklariert hieß noch lange nicht realisiert - zumal nicht für all die Gruppen, die von den männlichen besitzenden Schöpfern der großen Menschenrechtsdeklarationen in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1776, und der Französischen Revolution, 1789, nicht bedacht worden waren. Wie die US-amerikanische Historikerin Lynn Hunt in ihrem Buch Inventing Human...
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