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Bevor der Frage nachgegangen werden kann, inwieweit sich Mehrsprachigkeit und Identität gegenseitig beeinflussen, muss geklärt werden, wie Sprache bzw. wie mehrere Sprachen in den mentalen Strukturen eines Gehirns abgelegt werden und welche Unterschiede in Sprachen sich hierbei eventuell herausstellen. Wenn Sprache nicht nur Kommunikationsmittel ist, sondern auch Werte und soziale Strukturen vermittelt, liegt der Verdacht nahe, dass dementsprechend auch eine unterschiedliche mentale Lexikalisierung existiert.
Viele Untersuchungen haben versucht darzulegen, wie Sprachen im menschlichen Gehirn gespeichert werden. Dabei wirft gerade Mehrsprachigkeit eine Reihe von Fragen auf, welche die verschiedenen Theorien immer wieder problematisch erscheinen lassen. Solange von einem monolingualen Gehirn ausgegangen wird, erscheint die Sache noch relativ einfach, wobei die Betonung auf 'relativ' liegt: ein Konzept - z. B. das Bild eines Tisches - ist (mindestens) einer Lautfolge und - soweit es sich nicht um einen Analphabeten handelt - (mindestens) einer Verschriftlichung zugeordnet. Allerdings ist selbst bei einem konkreten Gegenstand wie einem Tisch das Konzept sowohl konkret als auch abstrakt. 15 Konkret insoweit, als dass ein Proband nach Aufforderung einen Tisch zu zeichnen, einen solchen darstellen kann. Dabei ist das Bild, dass jeder vor Augen hat, vermutlich leicht verschieden: ein großer rechteckiger, brauner Tisch mit langen Beinen, ein schwarzer runder Tisch, ein Schreibtisch etc. Dieses konkret erscheinende Konzept ist abstrakt bzw. offen genug, bislang unbekannte Gegenstände, welche einen Tisch darstellen, als solchen wahrzunehmen und das Konzept dementsprechend anzupassen. So zeigt Abbildung 1 drei verschiedene Kissen, von denen sicherlich das ein oder andere nicht sofort als solches erkannt wird - sobald man aber erfährt, um was es sich handelt, erscheint es plötzlich eindeutig. Je mehr heterogene Erfahrungen eine Person mit einer Kategorie, zu der ein bestimmtes Konzept gehört, gesammelt hat, desto stärker bildet sich eine auf abstraktem Wissen beruhende mentale Repräsentation dieser Kategorie im Gedächtnis aus und es kommt zu Überlappungen in den Vorstellungsmustern von typischen oder weniger typischen Bildern eines Konzepts. Von dieser Repräsentation ausgehend, fällt die Beurteilung anderer zu dieser Kategorie gehörender Konzepte einfacher (vgl. Becker 2000:26; Elsen 2003:89). Wichtig ist das Ausmaß bereits vorhandener Erfahrungen.
Konzepte wiederum stehen nicht für sich alleine, sondern zeichnen sich auch durch semantische Verbindungen zu sie 'flankierenden' Konzepten aus, wie Abbildung 2 am Beispiel des abstrakten Begriffs 'Planet' verdeutlicht. Während die schwarzen und blauen Pfeile direkte Assoziationen zwischen dem Ausgangsbegriff und weiteren Wörtern darstellen, handelt es sich bei den roten Linien um dominoeffektartige weitere Assoziationen.
Abbildung 1: verschiedene Varianten von Kissen (Quellen von links: Beanproducts.com, WHK, andreaharner.com)
Zur Erklärung wie im Einzelnen solche Begriffsverknüpfungen vonstattengehen, sind verschiedene theoretische Konzeptionen entwickelt worden, die sich zumeist von ihrer Grundkonzeption her auf die Existenz zweier mentaler Strukturen stützen. Zum einen ein konzeptbasiertes System und zum anderen eines auf der Ebene lexikalischer Einträge. Ersteres beinhaltet Weltwissen in Form nonverbaler Einträge, während das mentale Lexikon (oder kurz Lexikon) Wortrepräsentationen inklusive syntaktischer, phonologischer und - je nach Modell - semantischer Informationen enthält. Allerdings kommt es häufig, was die Begrifflichkeiten nicht gerade vereinfacht, zu einer alternierenden Verwendung von konzeptbasiertem System und semantischem Lexikon (vgl. La Heij 2005:290; Dorn 1998:2)16. Die Informationen liegen dabei in einem parallel organisierten, sich selbst strukturierenden Netzwerk vor (Takashi 2006), welches aus miteinander verbundenen Einheiten besteht. Bezüglich der in einem solchen Netzwerk auftretenden Assoziationen, welche oftmals wiederum als Grundlage einer Konzeptionserstellung dienen, bezieht sich die vorliegende Untersuchung auf die von Matthias Dorn in seiner Dissertation (1998) verifizierte Spreading Activation Theory, was aber nicht bedeuten soll, dass Modelle wie das Expectation Modell17 damit widerlegt seien. Auch hierfür finden sich verifizierende Beweise, so dass bislang kein endgültiges, alle Ansätze umfassendes Konzept entwickelt werden konnte. Dazu ist die Materie einfach zu komplex.
Abbildung 2: Konzeptverknüpfung im mentalen Lexikon (Quelle: Joyce 2006)
Die Spreading Activation Theory (zum Folgenden Dorn 1998:21-23, 38) bei Wortassoziationen ist aus Modellen semantischer Netzwerke erarbeitet worden. In solchen Netzwerken liegt die entscheidende Rolle in der Übertragung von Aktivität18, wobei mit zunehmender - im übertragenen Sinne - Entfernung (Netzwerkdistanz) die Aktivität sich verringert und proportional zur Menge der weiteraktivierten Konzepte abnimmt. Die Höhe der "akkumulierten Aktivität" beeinflusst dabei die Geschwindigkeit, mit der beispielsweise bei Wortassoziationsexperimenten Antworten gegeben werden. Das Modell berücksichtigt dabei sowohl unbewusste als auch bewusst gesteuerte mentale Prozesse, wobei der Akt der Aktivierung ("Aktivation") innerhalb des Gedächtnisses automatisch und ohne jegliche Steuerungsmöglichkeiten verläuft. Aktiv beeinflusst werden kann dabei - um beim Beispiel der Wortassoziationen zu bleiben - der Anfangsweg, d.h. ob eine Suche im lexikalischen oder semantischen Bereich gestartet werden soll. Wird nun ein Knoten im semantischen Netzwerks aktiviert und eine Information abgerufen, kommt es zugleich zu einer Aktivierung aller hiermit in irgendeiner Weise verbundenen Knoten, auf deren 'Inhalte' somit schneller zugegriffen werden kann, was wiederum dazu führt, dass es zu einer Ausbreitung der Aktivierung entlang bestehender Verbindungen kommt (vgl. Becker 2000:228; La Heij 2005:290-291). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei bewusster Aktivierung eines lexikalischen Eintrags ('das ist ein Tisch') alle assoziativen Einträge mit aktiviert werden (Stuhl, Tuch, Bein, Möbel etc.). Dass die Verbindungsstärke und damit Aktivierungsgeschwindigkeit zwischen zwei ähnlichen Konzepten und der dazu gehörenden Kategorie unterschiedlich sein kann, zeigt ein einfaches Beispiel: Auch wenn sowohl eine Olive als auch eine Orange eine Frucht ist, benötigt es doch einen längeren Zeitraum den Satz 'eine Olive ist eine Frucht' zu verifizieren, als wenn gesagt wird, dass eine Orange eine Frucht sei (vgl. La Heij 2005:290-292). Obwohl beide Obstsorten mit dem Konzept 'Frucht' verbunden sind, werden sie unterschiedlich gewichtet, was sicherlich damit zusammenhängt, dass die Bahnung unterschiedlich stark ausgeprägt ist, denn schließlich wird wohl 'Orange' im Kontext 'Frucht' häufiger vorkommen als 'Olive'. Noch länger dürfte die Verifikation der Aussage dauern, 'eine Erdnuss sei eine Bohne', da sie im Deutschen fälschlicherweise unter Nuss subsumiert wird. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen ein Konzept vorhanden ist, aber sich hierzu kein Eintrag im mentalen Lexikon finden lässt. Ein Konzept wie 'knurrender Magen, flaues Gefühl in der Bauchgegend, leicht einsetzender Speichelfluss' ist dem Eintrag 'hungrig' zugehörig. Sind diese Symptome nicht mehr gegeben, trifft der Eintrag 'satt' zu. Genauso gibt es auch das Konzept 'nicht-durstig-sein' und lässt sich mit Hilfe anderer Einträge (z.B. 'Verneinung', 'durstig', 'existieren') umschreiben, aber es fehlt hierfür ein eindeutiger lexikalischer Eintrag.19 Ähnlich ist es mit dem Phänomen, bekannte Gerüche treffend mit Worten zu charakterisieren, ohne auf Umschreibungen zurückzugreifen (vgl. Dorn 1998:2). Dabei sind allerdings solche fehlenden Einträge nicht sprachenübergreifend, sondern beziehen sich auf ein Sprachsystem. Beispielsweise haben die Kpelle in Liberia ein umfangreiches Vokabular, mit dem sie verschiedene Mengen Reis benennen können, so dass sie nicht nur für einzelne Reismengen lexikalische Einträge haben, sondern auch mithilfe dieser bei Experimenten, in denen die Gegenprobe mit US-Amerikanern vollzogen wurde, viel genauer das Gewicht dargebotener Reismengen schätzen konnten (Trommsdorf 2003:53). Im japanisch-deutschen Vergleich gibt es einen Wörterbucheintrag 'Wasser' bzw. 'mizu'. Während 'Wasser' unabhängig vom Aggregatszustand verwendet wird, bezeichnet 'mizu' lediglich kaltes Wasser. Das entsprechende Äquivalent zu heißem Wasser ist 'oyu', was dazu führt, dass bei der Verwendung des Begriffs 'mizu' in Verbindung mit Tätigkeiten, die heißes Wasser erfordern, Netzwerkverknüpfungen gefordert werden, die so bisher nicht...
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