Bogardus Express (2016)
Ein neuer Chief Mate aus Rostock
Elektriker und Projektor
Jebel Ali - ein Übel im Persischen Golf
Das letzte Mal Laem Chabang
Das Gespenst des Catering
Singapores Hafen schließt
Geändertes Fahrtgebiet
Das Catering kommt
Chief Mate privat
Spinnt die Hauptmaschine?
Keine vierundzwanzig Stunden zuvor hatten wir noch eine Pizza Caprese und einen Geflügelsalat verspeist - das war in Rom gewesen, gestern Abend. Auf der Weltreise von Rostock nach Cagliari, Sardinien. Dazu braucht man mit zwiefachem Umsteigen locker zwölf Stunden. Hut ab und Respekt! Wovon als reine Flugzeit nur dreieinhalb Stunden anzurechnen sind. Den Rest vertrödelte man auf der Straße und in den Häfen. Davon allein rund vier Stunden in Rom wo wir auf den Alitalia-Anschluss-Flieger nach Sardinien warten mussten.
Na gut, es war bereits Abend geworden und da war das kleine Abendmahl schon erlaubt, denn im Flugzeug gab's nichts Handfestes zu beißen, sah man von einem wortwörtlichen Käsebrot ab, das zwischen Frankfurt und Rom kredenzt wurde. Jetzt dieses Pizza-Mahl in Rom, natürlich zu den überteuerten Flughafenpreisen. Man musste sich doch mal fragen dürfen, ob hier irgendeiner auf die bescheuerte Idee gekommen war, anzunehmen, dass fliegende Menschen entweder schweinereich oder mindestens in der Lage waren, Geld selbst zu drucken. Wenigstens aber doch einen goldscheißenden Esel zu Haus in Pflege zu haben. Nein, das muss man schon sagen dürfen, es wurde übertrieben und die Not derer schamlos ausgenutzt, die als fliegende Menschen in die Örtlichkeiten eines Flughafens getrieben wurden. Viele flogen ja gar nicht aus Jux an der Laune, sondern nur, weil sie es mussten. So wie wir, die sich nämlich, eingezwängt in der Economy-Class-Dose, zu ihrem Arbeitsplatz aufmachten.
Der Chief Mate, der zweite Ingenieur und ich, wie wir ohne einander zu suchen, bereits von Hamburg bis Frankfurt in einer Maschine saßen, um uns dort erst am nächsten Tor zu treffen, wo man sich freundlich wiedererkannte. Fehlen tat bislang nur der Chief Ingenieur, der aus dem fernen Gdansk kam und in Rom in Erscheinung treten würde. Erst mit ihm waren wir komplett. Wir schlugen die Zeit tot, auch indem wir uns einen simplen Bistro-Imbiss gönnten. Für etwas weniger als dreißig Euronen gab's ein Wasser, einen Salat und eine Panini-Pizza. Und warteten auf den italienischen Flieger, der im Auftrage der Lufthansa die lokale Weiterbeförderung sicherstellte. Es stieß der Chief Ingenieur zu uns. Mit gehetztem Blick kontaktete er die grüngekleideten Alitalia-Bediensteten und - verschwand schnell wieder in die Richtung, aus der er gerade gekommen war. Was war da denn los?
Mittlerweile bestiegen wir auf dem Vorfeld den Airbus 321. Im letzten Vorfeldbus sahen wir dann auch unsere Nummer Vier stehen. Fünfundvierzig Minuten später landeten wir gegen dreiundzwanzig Uhr bei den Sardiniern und warteten voller böser Ahnungen und Anspannung auf unser Gepäck. Schließlich standen wir nahezu allein am Band, das noch immer beunruhigend schweigend stillestand. Kein Rad drehte sich. Die meisten Mitflieger waren naturgemäß Lokalpatrioten, sie wohnten hier und flogen zum Wochenende nach Hause. Nur einem verschwindend kleinen Kreis Auserwählter war es vergönnt, hier zu arbeiten oder Urlaub zu machen; die hatten natürlich mehr Gepäck und warteten mit uns. Die anderen verließen mit ihrem Kabinengepäck zügig die Empfangshalle. Nur wir paar Hansels standen wie doof vor dem Band, es ruhte noch in sich.
Dann endlich begann es dumpf hinter den Wänden zu rumpeln, aus dem undefinierten Getöse wurde ein Knallen und Schlagen. Und verstummte wieder. Das Gepäckband begann sich mit einem schleifenden Geräusch langsam zu bewegen - spärlich aber stetig kullerten nun die ersten Gepäckstücke, aus dem mit Gummilamellen verdeckten Loch in der Wand. Da! Gepäck wurde wiedererkannt. Dieses war da, aber . und dort kam doch .? Genau! Meines war gut zu erkennen, hatte ich es doch nicht ohne Grund mit auffälligen Reflektorstreifen versehen. Und das zweite Stück? Ja, erleichtert sah ich auch das zweite Stück aufs Band kippen. Wenigstens das! Wie einfach war der gemeine Dienstreisende doch zu beglücken. Das Gepäck war vollständig angekommen! Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen, erzeugte aber immer wieder auch eine tiefe Beruhigung beim Besitzer. Ganz anders beim Chief Ingenieur.
Das Band stand wieder sehr still. Kein Rumpeln, kein Klappern. Sein Gepäck hatte es nicht geschafft. Solidarisch warteten wir weitere zehn Minuten, doch das Ding sprang nicht wieder an. Das war's dann wohl. Ihm blieb nur sein Kabinengepäck, bestehend aus einem kleinen Trolley. Reichte das für zweieinhalb Monate Dienst auf See, fern jeglicher Möglichkeit, schnell mal was nachkaufen zu können? Natürlich nicht. Eine Aufsicht eilte vorbei, die angehalten wurde und uns an den entsprechenden Schalter verwies. Derweil wir schon zum Ausgang strebten, den uns erwartenden Agenten zu informieren. Treu wartete er vor dem Ausgang und grinste sich einen, als er von dem Zwischenfall hörte. Das war halt Rom, so seine achselzuckende Aussage. Käme oft vor. Meist aber fand es sich wieder an und würde nachgeschickt werden. Wir warteten eine weitere halbe Stunde, ehe sich der Verlierer uns missmutig anschloss. Musste ja alles auch seine Ordnung haben und Formalitäten dauerten hier genauso lange wie bei uns. Immerhin ging's nicht gerade um Peanuts, sondern um richtige Werte. Wie erwartet huschten wir wieder ins Hotel "Italia", dem berühmt-berüchtigten 'Etablissement'. Sicherheitshalber rief ich aber vorher die Agentur an, sie an mein Versprechen zu erinnern, dass ich Sperenzchen machen würde, sollte ich wieder so demütigend wie beim letzten Mal untergebracht werden. Da war's wohl eine umgebaute Abstellkammer gewesen. Nee, meinte der Mensch am Telefon mutig, jetzt sei keine Saison, dieses Mal würden wir bessere Zimmer bekommen. Und so war's tatsächlich. Nicht wirklich sterneverdächtig, aber für Nordafrika schon recht bescheiden gut. Vor allen Dingen aber moderner und auch geräumiger. Die Minibar war allerdings auch sowas von abwegig und unzumutbar, dafür das Bad schön groß und die Dusche sogar freihändig zu besteigen und von innen tatsächlich auch zu verschließen! Das kannten sie also doch! Für die nächsten sechs Stunden war gemütliches Rekeln und tiefer Schlaf angesagt, da die Fenster sich weit öffnen ließen und es saisonbedingt durchaus leise war. Beim letzten Mal nach 'hinten raus' hatte mich wohl bis in die sehr frühen Stunden Kombüsen- und Geschirrgeklapper begleitet, weil die Aircon nicht funktionierte, war das Öffnen der Fenster zur Belüftung ein Muss gewesen. Diesmal war eine Aircon nicht nötig, lockere 14° C draußen waren auch angenehm in der Bude.
Pünktlich wurden wir um halb neun aufgepickt und zum Boot gebracht. Da lag der Zossen! Auch noch verkehrt herum. Nicht stevenrecht, da mussten wir vor dem Auslaufen das Schiff erst drehen, bevor wir losdüsen konnten. Naja, immerhin schwamm das Boot, es sah nicht wirklich voll abgeladen aus. Die nächsten elf Wochen unsere Schutzhütte, Arbeitsplatz und Heimat. Die Übergabe erwartungsgemäß schnell und ohne Komplikationen, sah man mal davon ab, dass mein Kollege einen Umstand erwähnte, der mich doch etwas wurmte.
Es ging um Dollars, die er genau achtzig zu wenig gezählt hatte - nach meiner Übergabe im November des vergangenen Jahres. Nicht die Welt, machte ja niemand mit Absicht, aber unangenehm schon. Was war gewesen? In einem Stapel Hunderter hatte sich ein Zwanziger untergemischt, der als Hunderter gezählt worden war. So fehlte also an der Menge genau dieser Fehlbetrag. Wann und wobei das passiert sein konnte, konnte im Nachhinein niemand mehr mit Bestimmtheit sagen, es könnte theoretisch sogar im Stapel von der Bank schon ein falscher Schein dazwischen gelegen haben, oder eben bei mir, oder auch bei ihm selbst, wie er zugab. Alles war möglich. Ich wusste nur zu genau: absichtlich hatte ich so ein Ei keinesfalls hinterlassen! Wir hatten ja nicht mal eben eine kleine vierstellige Zahl Dollars im Safe, sondern eine fünfstellige im mittleren Bereich. Unser Batzen Green Bucks wog knapp ein Kilo. Das fiel nicht sofort auf, wenn sich ein Schein verbogen in einem Stapel zwischengemogelt hatte. Auf dem kurzen Amtsweg klärten wir das natürlich schnell und unbürokratisch: Ich ergänzte den Fehlbetrag aus meiner Tasche.
Mein Kollege hatte sich nicht wirklich weit aus dem Fenster gelehnt, um es sehr behutsam zu umschreiben. Viele Sachen, die uns erst Tage später im normalen Alltag auffielen, waren nicht erledigt, einige nicht mal in der Übergabe erwähnt, andere zwar verbal übergeben, aber mit keinem Deut in einen veränderten Zustand gebracht worden. So harrte unser üblicherweise wieder einmal etwas Chaos. Dafür war allerdings die Übergabe selbst nur eine Stundenaktion. Wenn da mehr hinter gewesen wäre, dann wäre es auch gut gewesen. So aber wunderte nicht nur ich mich. Meinen Kollegen ging es im großen Ganzen ziemlich ähnlich.
Das Gepäck des Chiefs war immer noch abtrünnig. Zu allem Unglück hatte er im vermissten Gepäck seine ganze Elektronik, aus welchem Grund auch immer, gut verteilt. Das machte ich schon lange nicht mehr. Immer am Mann, egal, wie tief die Schulter gezogen wurde. Und auch egal, ob's extra ein Schweinegeld kostete, denn die acht Kilo erlaubten Gewichts konnte ich ohnehin nie einhalten. Wenn's doof kam, musste man halt etwas umpacken oder noch einen Rucksack kaufen, immer besser dann so, als das wichtige Utensilien mit dem Gepäck zu verlieren....