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"Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn Thomas Manns. Also war er dreifach geschlagen."38 So beginnt der berühmte Essay von `Literaturpapst´ Marcel Reich-Ranicki über den Schriftsteller Klaus Mann. Der Romancier Thomas Mann, für viele `der Goethe des Zwanzigsten Jahrhunderts´, ließ nach dem Tod seines ältesten Sohnes 1949 verlautbaren, dass er ihn, den erfolgreich zweisprachig fleißig Publizierenden, "zu den Begabtesten seiner Generation"39 rechnete. Das ist nun über sechzig Jahre her. Eine erstaunliche Rezeption setzte in den fünfziger und sechziger Jahren ein, gefolgt von einer Renaissance seiner Werke in den achtziger und neunziger Jahren. 2015 jedoch scheint Klaus Mann in Vergessenheit geraten zu sein. Die Wiederkehr seines sechzigsten Todestages vor ein paar Jahren ist angesichts der Größe des Werkes40 und der Würdigung anderer berühmter Antifaschisten oder von Mitgliedern der Familie Mann41 verhältnismäßig unbeachtet geblieben 42 - trotz einer im Literaturbetrieb gebetsmühlenartig postulierten Konjunktur dieser aus Schriftstellerinnen und Dichtern bestehenden Familie 43 sowie einer unverkennbaren Renaissance Mann´scher Verfilmungen im Kino44.
Wer also war eigentlich der älteste Sohn des berühmten Literaturnobelpreisträgers und "personifizierten Leistungsethos"45 und seiner Frau, das enfant terrible46 und dreifach geschlagene Kind seiner Zeit? Was macht sein Werk aus? Was sind die Umstände seiner Entstehung? Und: Was hat der Dichter und Schriftsteller Klaus Mann - der mit vielen bedeutenden Literaten des 20. Jahrhunderts korrespondierte und aus der deutschen Literaturgeschichte nicht wegzudenken ist - uns heute noch zu sagen?
Beginnen wir mit dem Schluss47, mit dem Tod: Klaus Mann, da sind sich die Gelehrten einig, setzte - vermutlich unfreiwillig - mit einer Überdosis Schlaftabletten am 21. Mai 1949 im südfranzösischen Cannes seinem Leben selbst ein Ende.48
Sein Vater Thomas Mann erfuhr vom Tod seines Sohnes auf telegrafischem Wege. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in Begleitung seiner Frau Katia und seiner 43jährigen Tochter Erika - zum zweiten Mal nach dem Krieg war er aus dem amerikanischen Exil nach Europa gereist, diesmal um den Goethepreis entgegenzunehmen - auf einer Vortragsreise in Stockholm. Sofort interpretierte er den Tod Klaus Manns als Suizid: "Bei der Ankunft im Hotel schwerster Chock. Telegramm, daß Klaus in der Klinik von Cannes in verzweifeltem Zustand liege. Bald darauf Telephonat von seiner u. Erikas Freundin dort: Mitteilung seines Todes. Langes Beisammensein in bitterem Leid. Mein Mitleid innerlich mit dem Mutterherzen und mit E[rika]. Er hätte es ihnen nicht antun dürfen. Die Handlung offenbar von ihm selbst unerwartet geschehen, mit Schlafkapseln, die er aus einer New Yorker Drogerie bezog. Sein Aufenthalt in Paris verhängnisvoll (Morphium). Viel über ihn und den von langer Hand unwiderstehlich wirkenden Todeszwang. Das Kränkende, Unschöne, Grausame, Rücksichts- und Verantwortungslose. Beratung auch über unsere Reisezukunft, ob alles abzubrechen und direkte Heimkehr geboten. In völliger Erschöpfung gegen 2 zu Bette."49 Mutter, Vater und Schwester entschlossen sich dazu, ihre Reise nicht zu unterbrechen, um an der Beerdigung des ältesten Sohnes bzw. des ältesten Bruders teilzunehmen. Mutter und Schwester fuhren nicht nach Cannes, sondern begleiteten Thomas Mann weiter auf seiner Vortragsreise durch Skandinavien.50 Auf diese Weise kam es, dass von der Familie einzig und allein der Jüngste der Mann-Geschwister, Michael Mann, der eher zufällig in der Nähe war, es gerade rechtzeitig zur Beerdigung auf dem Cimetiére du Grand Jas, dem Friedhof von Cannes, schaffte und seinem verstorbenen Bruder am offenen Grab ein Largo51 auf seiner Viola spielte - ein großer emotionaler Kraftakt und ein letzter Liebesdienst an dem verstorbenen älteren Bruder.52
So war also eine der zentralen Gestalten der antifaschistischen Publizistik gestorben: In 25 Jahren hatte Klaus Mann, dem das Schreiben anscheinend mühelos gelungen war, durchschnittlich jedes Jahr ein Buch53 und alle zwei Wochen einen Artikel veröffentlicht. Er hatte zahlreiche Vorträge gehalten, zwei Zeitschriften herausgegeben, eine weit reichende Korrespondenz und jahrzehntelang akribisch Tagebuch geführt. Daneben war er viel und weit gereist. Mit den Jahren war aus einem juvenilen versnobten Dandy und "Bürgerschreck"54 einer der ernsthaftesten und kompromisslosesten Gegner der nationalsozialistischen Barbarei in Deutschland geworden.55
Wie kam es dazu?
Klaus Mann hat zu seinem Leben selbst zweimal direkt Auskunft gegeben: in seiner Autobiografie `Kind dieser Zeit´56 und in `Der Wendepunkt´57, wo die Literatur- und Kunstszene der Weimarer Republik58 und das Leben der Intellektuellen im Exil während des Zweiten Weltkriegs beschrieben wird und die inzwischen als eine der schönsten Autobiografien eines ursprünglich deutschsprachigen Literaten gilt. Aber man erfährt auch viel über Klaus Mann durch seine anderen Werke. Denn Werk und Biografie werden von Mann eng miteinander verquickt, so dass der Eindruck entsteht, dass Klaus Mann "in seinen Romanen mehr von sich enthüllt (hat) als in seinen Autobiographien."59 Von daher ergibt sich heute ein relativ geschlossenes Bild von seinem Leben und von seinem Werk.
38 Marcel Reich-Ranicki, Thomas Mann und die Seinen, FfM 1990, 12. Auflage 2002, 192-221, bes. 202. Dieser Teil des Essays von 1976 erschien in der FAZ unter dem Titel `Schwermut und Schminke´.
39 Thomas Mann, Vorwort, in: Klaus Mann zum Gedächtnis, Hamburg 2003, 7-11, Zitat auf 10. Die Originalausgabe, eine Sammlung von Nachrufen, erschien im Querido-Verlag in Amsterdam im Jahr 1950. Ich zitiere nach der Neuausgabe von 2003. Bemerkenswerterweise gab Erika Mann damals das Gedenkbuch für ihren Bruder mit Beiträgen von 33 prominenten Zeitgenossen anlässlich seines Todes heraus, trat aber nicht als Herausgeberin in Erscheinung. Der Tod von Klaus Mann erschütterte damals die literarische Welt, die vom Krieg übrig gelassen worden war. Vgl. dazu auch das Interview von Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) mit Peter Voß (geb. 1941) auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=XyzalJybfk4 (aufgerufen am 13.3.2015).
40 1963 kamen die Werke Klaus Manns bei der Nymphenburger Verlagshandlung in München heraus und wurden von Martin Gregor-Dellin (1926-1988) herausgegeben; seit 1974 erschienen sie in der `edition spangenberg´ im Münchner Ellermann-Verlag. Deren Inhaber Eberhard Spangenberg verwaltet die Rechte an den Nachlässen von Klaus und Erika Mann. Klaus Manns Nachlass befindet sich in der Handschriftenabteilung der Münchner Staatsbibliothek, die zusammen mit der Monacensia-Abteilung in der Maria-Theresia-Str. 23, 81675 München, dem Hildebrandhaus, lokalisiert ist (Tel: 089-41947217). Klaus Manns Texte und Dokumente sind auch über die nationale Nachlass-Datenbank zugänglich: http://www.kalliope-portal.de/ (aufgerufen am 17.3.2015). Ein umfangreiches Werkverzeichnis veröffentlichter und unveröffentlichter Schriften Klaus Manns befindet sich in: F. Kroll (Hg.), KMS (Edition Klaus Blahak), 6 Bände, Wiesbaden 1976-2006, Bd. 1, 23-185). Zum Werkverzeichnis vgl. auch die Bibliografien von Michael Grunewald, Klaus Mann 1906-1949, München 1984, und Nicolai Riedel, Klaus Mann, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.), Klaus Mann (Text+Kritik 93/94), München 21996, 132-139.
41 Vgl. Uwe Naumann (Hg.), Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum, in Zusammenarbeit mit Astrid Roffmann, Reinbek 2005, 22006. Uwe Naumann geht davon aus, dass "die Familie Mann inzwischen der wohl meistbeschriebene und bestdokumentierte Clan der deutschen Kulturgeschichte" ist (U. Naumann [Hg.], Die Kinder der Manns, a. a. O., Einleitung, 13). Er "unternimmt den Versuch, alle sechs Kinder von Katia und Thomas Mann zu porträtieren. Eine solche kollektive Biographie der Mann-Kinder hat es bisher nicht gegeben" (ebda., 14). Das Familienalbum fängt an mit der Geburt Erika Manns und endet mit dem Tod Elisabeth Mann Borgeses; es umspannt die Zeit der Weimarer Republik, der Emigration und der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart.
42 Das hatte angesichts des einhundertsten Geburtstagsjubiläums oder der fünfzigsten Wiederkehr seines Todestages 1999 noch anders ausgesehen. Damals erschienen mehrere Publikationen zu Leben und Werk Klaus Manns.
43 Vgl. Inge Jens, Nachwort zu: Monika Mann, Vergangenes und Gegenwärtiges. Erinnerungen. Ergänzte Ausgabe (zuerst München 1956), Reinbek bei Hamburg 22002, 125-140, bes. 125. Auf dem Buchmarkt sind einige Bücher von Mitgliedern der Familie Mann erhältlich. Eine repräsentative Auswahl von Texten Julia,...
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