Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein riskanter Sprung.
Keiner, bei dem du dir das Knie aufschürfst oder einen Zahn ausschlägst, wenn du dich verschätzt. Keiner, der mit gebrochenen Knochen, einer blutigen Nase oder sogar einer leichten Gehirnerschütterung endet, weil du - wie blöd kann man eigentlich sein? - kopfüber eine Bruchlandung hinlegst. Nein, dies war ein Sprung der Kategorie »Endloser-Sturz-ins-Leere-mitten-durch-ein-Blitzgewitter-hindurch-in-dem-du-wie-ein-Hähnchen-gegrillt-wirst«. Ein Sturz direkt in den Mahlstrom. Kein Boden, der deinen Fall, deinen Stolz oder deine Knochen abbremst, wenn du die Landung nicht schaffst. Da unten gibt es nichts, was dich retten könnte. Wenn du von der Inselkante abrutschst, wirst du für alle Zeiten in einem zornig tosenden Sturm gefangen sein. Oder zumindest so lange, bis dich einer der violetten Blitze zerfetzt. Natürlich halten sich die meisten vernünftigen Menschen so weit wie möglich von der Kante fern.
Aber die meisten vernünftigen Menschen kommen auch nicht auf die Idee, Himmelspiraten zu bestehlen.
»Da ist er!«
Remy warf erschrocken einen Blick über die Schulter. Drei Piraten staksten den schlammigen, mit Planken ausgelegten Weg zwischen den Hütten entlang, ihre gezückten Schwerter blitzten im matten Licht. Einer von ihnen entdeckte Remy und deutete mit seiner krummen, rostigen Klinge auf ihn.
»Du kleine diebische Ratte!«, brüllte er. »Du denkst wohl, du kannst mich einfach beklauen? Ich hänge dich an den Zehen auf und lasse dich als Futter für die Sturmmöwen von der Kante baumeln!«
»Äh, nein danke, das klingt ziemlich ungemütlich!« Verzweifelt sah Remy sich nach einem Fluchtweg um. Auf beiden Seiten der schlammigen Straße standen wackelige Häuser aus Holz und rostigem Blech dicht an dicht. Die windschiefen Gebäude stützten sich gegenseitig, damit sie nicht umfielen, und manche waren sogar übereinandergebaut worden. Direkt hinter Remy hörte der Pfad abrupt auf. Früher, noch vor Remys Geburt, hatte es am Ende des Wegs einen Zaun gegeben, der die Übermütigen, Betrunkenen oder einfach nur Dummen davon abhalten sollte, über die Kante ins Leere zu stolpern. Aber mit der Zeit und weil niemand sich darum gekümmert hatte, waren von dem einstigen Schutzzaun nur noch ein paar verrottende Pfosten im Gestrüpp übriggeblieben. Es gab also keine Barriere zwischen Remy, dem weiten Himmel und dem Mahlstrom unter ihm.
Wie um Remy zu verspotten, driftete ausgerechnet in diesem Moment ein Felsbrocken vorbei. Es war einer von vielen tausend kleinen Abbruchstücken, die die Insel umkreisten wie Planeten die Sonne. Einst feste Bestandteile der Insel, hatten sie sich im Laufe der Zeit und durch den Einfluss der Naturgewalten von ihr gelöst. Ihre Magie hatten sie jedoch nicht verloren, weshalb sie auch weiterhin frei in der Luft schwebten und nicht in den Mahlstrom hinabstürzten. Die meisten von ihnen waren winzig, etwa so groß wie ein Kopf oder sogar noch kleiner. Ein paar waren allerdings so groß, dass man sie mit schweren Ketten an der Insel verankert und sogar Häuser oder Geschäfte darauf errichtet hatte, damit jede verfügbare Fläche genutzt werden konnte. Und dann gab es noch Gesteinsbrocken wie den, der gerade an Remy vorbeiglitt und auf dem sich nichts weiter als ein absterbender Baum befand. Ein Inselbruchstück, gerade groß genug, dass eine einzelne Person darauf Platz hatte. Zumal wenn es sich dabei um einen mageren, zerzausten Straßenjungen handelte.
Und vorausgesetzt, dieser Junge schaffte den Sprung.
»Jetzt sitzt du in der Falle, kleine Ratte!« Die Piraten stapften durch den Schlamm auf ihn zu und ihre gezückten Klingen blitzten im Licht der Laternen und Fackeln. Der Pirat, der zuerst gesprochen hatte, ein schlaksiger Mann mit strähnigen strohgelben Haaren und drei funkelnden Goldzähnen, grinste Remy höhnisch an. »Hör zu, ich mache es dir leicht. Wirf mir den Beutel rüber, dann werde ich dich nur erstechen! Es wird schnell vorbei sein. Ich kann dich natürlich auch an den Füßen über dem Mahlstrom baumeln lassen, damit dir die Sturmmöwen die Augen auspicken!«
»Meinst du etwa den hier?« Remy hielt einen kleinen Lederbeutel hoch. In das Leder war mit Tinte ein kleines Kaninchen tätowiert - viel zu niedlich für einen ruppigen Piraten. »Der gehört dir?«
Die Augen des Piraten wurden groß und seine Miene verfinsterte sich. »Ja, er gehört mir! Gib ihn her, dann bin ich gnädig und schlitze dich mit einem einzigen Hieb auf!« Er hob sein Entermesser und lächelte boshaft. »Es wird ganz schnell gehen, Ehrenwort.«
Remy warf den Beutel in die Luft, fing ihn wieder auf und grinste den Piraten frech an.
»Danke, aber ich entscheide mich für Möglichkeit Nummer drei. Du willst den hier haben?« Er hob die Hand und ließ den Beutel hin und her baumeln, wie um den Piraten anzustacheln. »Dann komm und hol ihn dir!«
Nach diesen Worten drehte er sich blitzschnell um, sprang durch das Gestrüpp und rannte auf den Abgrund zu.
Die Inselkante war direkt vor ihm, und dahinter, verlockend nah, schwebte träge der Felsbrocken. Von unten kam eine Windböe gebraust, zerzauste seine Haare und zerrte an seiner Kleidung. Remy erreichte die Abbruchkante genau in dem Moment, als der Felsbrocken an ihm vorbeitrieb. Ohne zu zögern, sprang er ins Leere.
Nicht nach unten schauen, nicht nach unten schauen, nicht nach unten schauen.
Er hörte ein ohrenbetäubendes Krachen, lauter als jeder Donner, und plötzlich brach ein violetter Blitz durch die Wolken hindurch. Remy hatte das Gefühl, als wollte er nach ihm greifen und ihn in die Tiefe zerren. Er spürte, wie die Härchen auf seiner Haut sich aufstellten. Einen Moment lang schwebte er schwerelos im freien Himmel.
Dann schlug er auf dem Felsbrocken auf und warf sich instinktiv nach vorn, um sich am Baumstamm festzuklammern. Seine Arme schlossen sich wie von selbst um die raue Rinde. Ihm blieb fast die Luft weg, als er gegen den Stamm prallte und sich dabei Wange und Arme aufschürfte. Der Boden unter ihm schwankte, und die kleine Insel drehte sich um sich selbst, versank jedoch trotz des zusätzlichen Gewichts nicht im Mahlstrom, sondern schwebte weiter träge in der Luft.
Nach Atem ringend, hob Remy den Kopf und sah das Piratentrio an der Felskante stehen, von der er abgesprungen war. Keiner von ihnen wagte es, seinen waghalsigen Sprung nachzumachen. Einer war sogar in ziemlicher Entfernung vom Abgrund stehen geblieben und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Der Pirat mit den Goldzähnen sah Remy zornig an und schüttelte in hilfloser Wut sein Entermesser.
»Das werde ich mir merken, du Ratte! Wart's nur ab! Wenn ich dich erwische, wirst du dir wünschen, ich hätte dich kurz und schmerzlos erstochen!«
Seine Stimme wurde immer leiser und seine Drohungen und Flüche verklangen in der Ferne. Remy winkte den Piraten ein letztes Mal zu, während er davonschwebte. Die drei Männer wurden immer kleiner, bis sie schließlich gar nicht mehr zu sehen waren.
Glaubte man Brummbart - dem weißhaarigen, runzligen alten Mann, der Stammgast im Salzfass war, einer berüchtigten Piratenspelunke -, dann war die Welt vor zweitausend Jahren noch ganz gewesen. Es hatte weder schwebende Inseln gegeben noch Himmelsschiffe, die durch die Wolken segelten, und erst recht keinen Mahlstrom, der in der Tiefe brodelte. Stattdessen hatte es Dörfer und Städte, große Ortschaften und kleine Siedlungen gegeben, und die Menschen waren auf befestigten Straßen durchs Land gereist, von einem Königreich zum nächsten.
Dann kam das Große Beben und die Welt fiel auseinander. Niemand wusste, wie oder warum es geschehen war; manche sagten, es sei ein Naturereignis gewesen, andere vermuteten, dass allzu ehrgeizige Magier tief unter der Erde etwas entdeckt hatten, von dem sie besser die Finger gelassen hätten. Was auch immer der Grund gewesen war, die Folgen waren verheerend. Die ganze Welt war explodiert, in Stücke gerissen von einer Sturmflut magischer Energie. Königreiche waren zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Ganze Städte waren innerhalb von Sekunden eingestürzt. Alle hatten gedacht, das Ende der Welt sei gekommen.
»Aber wie ihr alle seht, die Welt ist noch da«, beendete Brummbart seine Geschichte stets mit einem verschmitzten Zwinkern. »Sie hat überlebt, weil wir Menschen zu dickköpfig sind, um einfach so zu sterben, selbst wenn alles um uns herum in die Luft fliegt. Wir haben Wege gefunden, zu überleben. Wir haben neue Städte auf den Überresten der alten Welt gebaut, auf den Inseln, die jetzt über dem Mahlstrom schweben. Die großen Sturmkristalle im Kern jeder Insel halten uns in der Luft. Aber fragt mich nicht, wie sie dorthin gekommen sind, denn dieses Geheimnis ist nach dem Großen Beben in Vergessenheit geraten. Seit dem Bau der Himmelsschiffe können wir von Insel zu Insel reisen und leben nicht mehr so abgeschieden. Und natürlich .« An dieser Stelle senkte Bart immer seine Stimme, sodass man sich zu ihm beugen musste, um die nachfolgenden Worte zu verstehen. »Und natürlich gibt es da noch . die Drachen. Die mächtigen geflügelten Echsen, die durch die Lüfte segeln und Feuer spucken. Feuer, so heiß, dass die Flammen sogar Stahl zum Schmelzen bringen. Wenn ihr mehr über diese Kreaturen hören wollt - nun ja, dann weise ich euch auf meinen leeren Becher hin,...
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