Schweitzer Fachinformationen
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»Psycho Killer, qu'est-ce que c'est?
Fa, fa, fa, fa, fa, far better
Run, run, run, run, run away
Psycho Killer, qu'est-ce que c'est?«
In den Kopfhörerstöpseln, die er sich in die Ohren geklemmt hat, hämmert die Musik.
Talking Heads.
Psycho Killer.
In seinem Kopf ist es höllisch laut, und ihm ist höllisch heiß. Den Refrain des Songs singt er aus vollem Hals mit, während er sich mit einem Tuch den Schweiß abwischt.
Er sitzt an einer Werkbank in einer fensterlosen Halle mit kahlen Betonwänden. Sie hat die Ausmaße einer Tennishalle, ist aber bis auf die Werkbank, einige Schränke und Regale und einen matt lackierten braunen Pick-up leer. An der Wand über der Werkbank hängen Werkzeuge, wohlsortiert und geordnet nach Funktion und Größe. In Regalen und auf Rollschränken stehen PCs und Bildschirme unterschiedlicher Bauart und Größe, verbunden durch Kabelbündel. In Kartons befinden sich Elektronikteile: Festplatten, Keyboards, Tastaturen, Soundkarten, Router, Drucker.
In einer aufgeklappten Metallkiste stecken Handfeuerwaffen in maßgeschneiderten Schaumstoffvertiefungen. Ein zweiter, längerer Metallkoffer enthält die Einzelteile eines Scharfschützengewehrs samt Zielfernrohr und aufschraubbarem Mündungsfeuerdämpfer, es ist ein mehrschüssiges Repetiergewehr, im Militärjargon G 22 genannt.
Der Minutenzeiger der billigen Küchenuhr im Sichtfeld des Mannes rückt mit einem Klicken auf die Zwölf vor, der Stundenzeiger steht auf der Drei.
Der Mann wirft einen kurzen Blick auf das Ziffernblatt und vertieft sich dann wieder im Licht einer hellen Zahnarztlampe ganz in seine Arbeit.
Er ist noch keine vierzig Jahre alt, seine Haare sind militärisch kurz geschnitten, er hat Aknenarben auf Stirn und Wangen, und seine durchtrainierten Unter- und Oberarme sind übersät mit farbigen Tattoos, die von einem Meister seines Fachs gestochen worden sind. Die Motive, die nahtlos ineinander übergehen, entstammen dem fantastischen Universum von William Blake. Drachen, Engel, rätselhafte und unheimliche Mischwesen in Menschen- und Tiergestalt, eine explodierende Sonne.
Es ist Hochsommer, die Luft ist stickig, und der kleine Tischventilator, der im Regal auf Kopfhöhe steht, ist abgeschaltet, weil schon der kleinste Luftzug das filigrane Werk des Mannes beeinflussen und vor allem die exakt ausgewogenen Pulvermengen für das, was er herstellt, durcheinanderbringen könnte. Es gibt keine Kühlung, bis er seine Arbeit beendet hat.
Deshalb perlt ihm der Schweiß an Stirn und Schläfen herunter. Das Amphetamin und das andere pharmazeutische Zeug, das er eingeworfen hat, verstärken die Schweißbildung, aber gnadenlose Hitze ist er gewohnt. Er war in Afghanistan und in Mali.
Alle paar Minuten wischt er sich mit einem fleckigen Tuch ab, ist ganz darauf konzentriert, keine Fehler bei seiner haarigen Präzisionstüftelei zu machen. Wenn ihm ein Schweißtropfen ins Auge gelangen würde, der brennt und ihn unfreiwillig zum Zwinkern zwingt, wäre er möglicherweise einen Moment lang nicht sorgfältig genug.
Und das kann er sich nicht leisten.
Bei den Patronen vom Kaliber .300 Winchester Magnum, die er für seine Zwecke mit der Wiederladepresse unter der starken Vergrößerungslupe selbst fertigt, darf er keinen Blindgänger produzieren, das würde seine ganze Mission infrage stellen.
Seine Hände stecken in ungepuderten Chirurgenhandschuhen, damit auch nicht der Bruchteil eines Fingerabdrucks auf die glatte Oberfläche der Patronenhülsen gelangt.
Neben den bereits fertigen Patronen ist alles akkurat aufgereiht, was er für die Herstellung braucht: eine Pulverwaage, ein Satz Matrizen, leere Hülsen, Anzündhütchen, Treibladungspulver.
Der Mann hat schon das Zündhütchen platziert, die Hülse wird mit der exakt abgewogenen Menge an Pulver befüllt, das Geschoss wird gesetzt, und der Hülsenmund wird eingezogen.
»Yeah, yeah
We are vain and we are blind
I hate people when they're not polite
Er entnimmt der Wiederladepresse die letzte fertige Patrone und unterzieht sie einer genauen Überprüfung unter der Vergrößerungslupe. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden.
Erleichtert lehnt er sich zurück, pult sich die Ohrstöpsel heraus und drückt die fünf eigens für seine Zwecke produzierten Patronen in ein leeres Magazin. Es ist das vierte - drei weitere Magazine mit der speziellen Munition sind daneben bereits aufgereiht. Anschließend säubert er die Werkbank, indem er mit einem Handbesen sorgfältig jeden Metallspan und jedes Pulverkorn in einen Abfalleimer kehrt.
Jetzt kann er auch endlich den Ventilator anschalten. Der Propeller hinter dem Schutzgitter kommt schnell auf Touren, der Ventilator dreht sich stoisch von links nach rechts und wieder zurück. Mit geschlossenen Augen hält der Mann sein Gesicht in den Luftstrom und genießt die kühlende Wirkung.
Doch noch kann er nicht zum gemütlichen Teil der Nacht übergehen. Zuerst müssen die benutzten Werkzeuge penibel aufgeräumt werden, jedes kommt an seinen angestammten Platz. Erst dann öffnet er die Tür eines kleinen Kühlschranks unter der Werkbank und holt eine Flasche Bier heraus. Er drückt das kalte Glas gegen seine Stirn, hebelt mit seinem Einwegfeuerzeug geschickt den Kronenkorken auf und lässt ein paar lange, erfrischende Schlucke die Kehle hinunterrinnen.
Mit der Flasche in der Hand setzt er sich wieder auf seinen Stuhl, rollt zum Monitor, steuert mit der Maus die Menüleiste an und klickt eine Videodatei an.
Auf dem großen Bildschirm erscheint eine amerikanische Dokumentation mit einer Analyse des Zapruder-Films, der am 22. November 1963 vom gleichnamigen Hobbyfilmer in Dallas, Texas, aufgenommen wurde. In 19,3 Sekunden zeigt er die verhängnisvolle Fahrt der Wagenkolonne des amerikanischen Präsidenten die Elm Street entlang über die Dealey Plaza und das anschließende Attentat auf John F. Kennedy, der neben seiner Gattin auf dem Rücksitz der offenen Stretchlimousine sitzt. Einzelbild für Einzelbild wird der genaue Ablauf gleichsam seziert und im Off kommentiert. Es sind genau 486 digital überarbeitete Frames, allerdings ohne Ton. Zapruders Bell & Howell Zoomatic war für die damalige Zeit hochmodern, aber eben nur eine Stummfilmkamera im 8-mm-Format. Man kann zwar die Auswirkungen der Schüsse auf die Wageninsassen sehen, sie aber nicht hören - obwohl man glaubt, es zu tun.
So tief haben sich die Bilder der albtraumhaften Ereignisse ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegraben.
Sie sind in ihrer Wucht und Wirkung nur mit den Aufnahmen der Flugzeuge von 9/11 zu vergleichen, die in die Zwillingstürme des World Trade Centers rasen.
Der Mann im T-Shirt muss den Film schon unzählige Male gesehen haben. Er zielt mit dem Finger, und immer dann, wenn ein Schuss fallen muss, sagt er: »Peng!« Er kann den Blick einfach nicht von den bonbonbunt wirkenden Kodachrome-Farben auf dem Bildschirm abwenden. Wie gebannt starrt er auf Kennedy, der in Frame 232 die Arme hochreißt, weil eine Kugel von hinten seinen Rücken durchschlägt und vorne am Hals austritt. Trotz des Einschlagimpulses wird sein Oberkörper nicht nach vorne geschleudert, was nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Fall sein müsste. John F. Kennedy kippt nur leicht nach links gegen seine Frau, weil er wegen einer alten Rückenverletzung ein Stützkorsett trägt, das ihn aufrecht hält.
Was fatale Auswirkungen hat - ausgerechnet das Hilfsmittel, das dem Präsidenten das Leben erleichtern soll, trägt mit dazu bei, dass er das Leben verliert.
In Frame 313, dem Bild, das lange Zeit auf Drängen des Urhebers und auf Anordnung von FBI und CIA nicht gezeigt werden durfte, wird der Kopf des 35. Präsidenten der USA getroffen und explodiert in einer roten Wolke aus Blut, Gewebe, Gehirnmasse und Knochen.
In Frame 360 krabbelt die First Lady Jacqueline Kennedy in ihrem himbeerfarbenen Chanel-Kostüm und dem gleichfarbigen Pillbox-Hut voller Panik und scheinbar schutzsuchend nach hinten auf den Kofferraum der schweren, offenen Limousine. Mittlerweile geht man davon aus, dass sie nicht zu fliehen versucht, sondern im Schockzustand Gehirnmasse ihres Gatten aufsammeln will. Im Folgenden wird sie von einem aufspringenden Leibwächter des Secret Service in den Wagen zurückgedrängt, bevor die Kolonne Fahrt aufnimmt und aus dem Blickwinkel der Kamera in einer Unterführung verschwindet.
Es gibt die Theorie, dass die von Lee Harvey Oswald abgefeuerten drei Schüsse nicht, wie lange Zeit angenommen, in 5,6 Sekunden, sondern in elf Sekunden abgegeben wurden. Die Annahme einer elfsekündigen Schussfolge lässt es noch wahrscheinlicher erscheinen, dass Oswald ein Einzeltäter war, was unzähligen Verschwörungstheoretikern aus wissenschaftlicher Sicht endgültig den Wind aus den Segeln nehmen würde.
Schließlich gab es jede Menge Experten, die es für unmöglich hielten, dass aus einem Repetiergewehr billigster Machart, einem italienischen Mannlicher-Carcano 91/38 aus dem Versandhandel für 12 Dollar 78 Cent, binnen 5,6 Sekunden drei Schüsse abgegeben werden konnten, von denen zwei auch noch trafen, und das über 73 Meter beziehungsweise 81 Meter Entfernung aus einem Fenster im sechsten Stockwerk eines Lagerhauses.
Aber nach heutigem...
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