Schweitzer Fachinformationen
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Ein Schwabe in Ostfriesland
Das Handy hatte sich tatsächlich in der Küche befunden.
Der Anruf kam aber nicht von ihren beiden Alten, sondern von der Dienststelle in Wittmund, wie sie nun auf dem Display erkennen konnte. Die Zentrale war schon besetzt, denn auch hier richteten sich die Kollegen neu ein, morgen würde es dann richtig losgehen. "Was wollen die denn schon von mir?", fragte sich Tomke ärgerlich. Schließlich hatte sie sich, bevor es morgen losging, einen freien Tag genommen.
"Tomke hier, was gibts?", meldete sie sich in gewohnter Art.
Am anderen Ende der Leitung herrschte kurzes Schweigen, dann räusperte sich jemand und begann vorsichtig: "Also ., i ., Frau Polizeirätin, sind Sie das?"
"Ja, klar. Sorry, es ist einfach eine alte Gewohnheit, mich so kurz und schmerzlos zu melden. Aber, ach was. Ich denke, daran werdet ihr euch gewöhnen. Ich werde mich sicher nicht verbiegen. Also, was gibt's?"
Dann vernahm sie ein Kauderwelsch von Dialekt und Hochdeutsch, das sie nicht wirklich zuordnen konnte.
"Hier isch der Eisele Herbert, aus der Zentrale, vom Revier, Frau Rätin." Die Stimme des Mannes kam kurzatmig und aufgeregt.
"I soll Se informiera, dass es eine Leich geba dat. Ach, herrjele, henn Se mi überhaupt verschdanda? I ben noch neu hier, versetzt aus Tuttlinga im Schwäbischa. Aber i bemüh mi inzwischa scho, a ordentliches Hochdeutsch zu schwätza, zu sprechen moin i natürlich. Ach herrjele, des wird schwer. Hochdeutsch kennet mir Schwoba oifach ned."
Tomke nahm das Handy vom Ohr und betrachtete es verwundert. Was war das denn?
"Sie., Herr ., wie ist Ihr Name?"
"Der isch un war Eisele. Eisele, Frau Rätin, Eisele, Herbert. Henn Sie mi ned verschda ."
"Ja, ja, es hat eine Leiche gegeben. Das habe ich verstanden. Wann und wo? Wurden die Kollegen von der Spusi und KTU schon informiert?"
"Na hier, Frau Rätin, hier em Revier!", antwortete der Mann, und seine Stimme zitterte vor Aufregung.
"Wo? Im Revier? Mein Gott, wo dort?", hakte Tomke nach.
"Em Kellr, im Keller moin i!"
Tomke konnte es nicht glauben. Sie überlegte kurz, wer vor Ort sein könnte, der ihr das Ganze in verständlichem Hochdeutsch erklären konnte, ließ es dann aber bleiben.
Nun versuchte er, wieder Hochdeutsch zu sprechen, was aber nicht wirklich gelang: "Und die Kollege henn gsaid, dass die Tote ."
Das aber hörte Tomke schon nicht mehr. Sie hatte das Gespräch beendet und tippte Hajos Nummer an. Während sie darauf wartete, dass er sich meldete, fiel ihr ein, dass sie einen Neuzugang aus Schwaben im Revier hatten. Ein Kollege, der mit seiner Frau in den Norden gezogen war. Nun überlegte sie, dass man den Schwaben in der Zentrale nicht belassen könne, sondern ihm unbedingt einen anderen Platz zuteilen müsse. Die Ostfriesen würden ihn sicher nicht verstehen und an eine Erscheinung vom anderen Stern denken. Sie erinnerte sich an den Mann, hatte auch ein Bild vor Augen, aber gesprochen hatte sie bisher noch nicht mit ihm. Auf ihrer To-do-Liste waren dieser und noch weitere Punkte offen. Tomke nahm sich vor, das schnellstens nachzuholen.
Herbert Eisele dachte, als er das Gespräch beendet hatte, darüber nach, wie alles gekommen war. Er in Ostfriesland - nie im Leben hätte er sich das vorstellen können und nun .
Herbert Eisele war mit Hildegard, seiner Frau, vor sechs Wochen aus Schwaben nach Ostfriesland gezogen. Eine Entscheidung, die nicht wirklich von ihm ausgegangen war und die er bereute, ja, seiner Frau auch vorwarf. Sie hatte darauf bestanden, dass er sich in den Norden versetzen ließ. Sie war die treibende Kraft gewesen.
"Was hält uns noch zu Hause?", hatte sie ihn bedrängt. "Ich muss dorthin! Ich möchte in seiner Nähe sein."
"Ich aber nicht. Ich nicht, Hildegard. Das tue ich mir nicht an. Was soll diese Quälerei? Außerdem will ich mein altes Leben nicht aufgeben. Mein Revier, unser Haus. Ich will hier nicht weg."
"Du, du, du, immer du! Und unser Leben? Was haben wir denn noch vom Leben? Was?" Das war immer ihr Streitthema.
"Wir haben uns, genügt dir das nicht?", hatte er immer wieder gefragt. Nein, ihr war das nicht genug. Bis er nebenbei geäußert hatte, dass in einer Kleinstadt in Ostfriesland eine Stelle ausgeschrieben war. Im Grunde die Stelle, die er auch in Tuttlingen innehatte. Hildegard hatte keine Ruhe gegeben und er sich tatsächlich beworben. Und dann war alles ganz schnell gegangen. "Wäre ich nur still gewesen", schimpfte der Mann sich immer wieder. Auch heute noch. Er raufte sich die Haare. "Wie konnte ich nur, jetzt ist alles noch schlimmer. Wäre ich doch nur still gewesen."
Tomke hörte ungeduldig auf den Klingelton.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Hajo sich meldete. Es knackte in der Leitung, und noch bevor er etwas sagen konnte, fragte sie:
"Was ist los bei euch? Ihr habt eine Leiche im Keller?"
"Mein Gott, Tomke, was bin ich froh, deine Stimme zu hören. Ja, das Revier hat eine Leiche im Keller, sozusagen. Aber im Ernst, wir haben deine Sekretärin tot im Keller gefunden. Ich bin noch fix und fertig. Im ersten Moment dachten wir, dachte ich, dass .." Seine Stimme brach.
"Wie bitte? Die Manja van der .?"
"Ja, Manja van der Sluis", wurde sie nun unterbrochen. "Und sie ist nicht gestürzt!"
Bevor Tomke antworten konnte, fuhr er fort:
"Und noch etwas, Tomke, sie sieht aus wie ."
"Was ist passiert?", unterbrach sie ihren Mann.
"Das wissen wir natürlich noch nicht, nur, dass es wohl kein Unfall war. Unser Leichenfledderer ist zufällig im Haus und meinte: So liegt nur jemand am unteren Ende einer Treppe, der von oben einen schweren Stoß bekommen hat. Aber noch mal, Tomke, sie sieht aus wie .."
"Ich komme!", unterbrach sie ihn erneut. Hajo stöhnte und meinte resigniert:
"Ich ergebe mich, Frau Rätin!"
Tomkes "Blödmann" hörte Hajo nicht mehr, sie hatte das Gespräch schon beendet.
Der Schock saß tief. Manja tot? Sie konnte es nicht fassen.
Hajo, Carsten und Miri waren seit zwei Wochen dabei, ihr Büro einzurichten, Schreibtische zu stellen und Computer anzuschließen. Etliche Akten, die noch in Papierform im Archiv lagen, versuchten sie, gemeinsam mit Tomkes neuer Sekretärin digital zu erfassen. Und nun war die tot. Auch Tomke hatte sich tagelang vorbereitend daran beteiligt und Manja sofort als kompetente Mitarbeiterin kennen und schätzen gelernt. Heute hatte sie sich selbst einen Tag Auszeit genehmigt, bevor es eben morgen im neuen Job losgehen sollte. Aber das konnte sie nun vergessen, sie musste ins Präsidium. Jetzt.
Sie war so froh darüber gewesen, diese Manja als ihre persönliche Sekretärin zu haben. Zwischen den beiden war sofort eine Vertrautheit eingetreten, die Tomke als glückliche Fügung betrachtet hatte, denn ihr war klar, dass sie an ihrer Seite jemanden brauchte, dem sie voll vertrauen konnte und dem sie die eine oder andere administrative Arbeit übertragen konnte. Büroarbeit war einfach nicht ihr Ding. Sie und Manja hatten in den wenigen Tagen der Zusammenarbeit viel getan, aber auch viel gelacht. Manja hatte so etwas Erfrischendes.
Vor einiger Zeit geschieden, und nach einer unruhigen Zeit, die nun hoffentlich hinter ihr lag, wollte sie in Ostfriesland neu durchstarten, wie sie allen erzählte. Gestern, am Abend, als sie sich in den Feierabend verabschiedete, hatte Manja gemeint, dass sie nun zum Frisör ginge.
"Ich habe meine langen Zotteln satt. Ich glaube, ich lass sie mir abschneiden. Neues Leben, neue Frisur. Kurz und blond ist doch viel frischer. Deine Frisur gefällt mir und ist auch um einiges pflegeleichter. Du wirst schon sehen, morgen sitzt eine ganz andere Manja im Büro nebenan."
Und nun das. Nichts mit durchstarten. Keine neue Manja im Büro nebenan - Manja van der Sluis war tot.
Noch immer völlig entsetzt und "So eine verdammte Scheiße!" fluchend, ließ sie sich auf den Fahrersitz ihres Wagens fallen. Sie startete, versuchte zu kuppeln und den Gang einzulegen, was allerdings in einem Krachen und Rumpeln endete. Der Dienstwagen, den man ihr zugeteilt hatte, war ein Automatikfahrzeug. Kuppeln und schalten also unnötig. Das hatte sie völlig vergessen.
Murrend schob sie den Hebel auf R und fuhr rückwärts vom Hof.
"Auch so ein Ding, an das ich mich gewöhnen muss!"
Das Ding hatte natürlich auch Vorteile. So betätigte sie einen Knopf am Lenkrad und tippte Omas und Tant' Fienchens Telefonnummer in Carolinensiel an, denn die hatten sich heute komischerweise noch nicht gemeldet. Nicht, dass sie es vermisste, aber komisch war das schon. Ihr Handy benötigte sie dafür nicht, der Knopf am Lenkrad wählte für sie. Aber weder die eine noch die andere ihrer alten Damen meldete sich. So versuchte es Tomke auf Omas Handy. Nach langem Läuten hatte sie tatsächlich Glück, hörte die verschlafene Stimme ihrer Großmutter.
"Oma, was ist los? Schläfst du? Mittagsstunde ist doch schon längst rum."
"Jau!", kam es zurück.
"Bist du krank?"
"Nee!"
"Aber warum .? Gib mir mal Fienchen."
"Die schläft auch, und jetzt lass .!"
"Was ist mit euch?"
Da aber hatte Oma das Gespräch schon mit einem Grunzen beendet.
Tomke überlegte, ob sie kurz bei ihren Verwandten vorbeifahren sollte, entschied sich dann aber,...
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