Schweitzer Fachinformationen
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Strafe muss sein!
Der schwarze Van mit den verdunkelten Fensterscheiben stoppte abrupt ab, verließ die Landstraße, bog auf eine lange, sandige Auffahrt, die rechts und links von windgebeugten Bäumen gesäumt war, und gab wieder Gas. Der aufwirbelnde Sand ließ das Fahrzeug sofort in einer dichten Staubwolke verschwinden. Die Scheiben verhinderten einen Blick in das Innere des Wagens, ebenso von drinnen nach draußen. Was sich hinter den dunklen Scheiben wohl verbarg?
Auch Veronika Semmelmayer, die kurz darauf in ihrem gelben Postauto aus entgegengesetzter Richtung kam, bog ab und nahm den Weg über die staubige Auffahrt. Allerdings mit gehörigem Abstand. "Idiot", schimpfte sie laut vor sich hin, "musst' so rasen und so a Sauerei veranstalten? Man sieht ja die Hand vor die Augen nit."
Im Rückspiegel erkannte sie, dass über die Landstraße ein weiteres Fahrzeug kam. Es fuhr langsam, als wollte es auch auf den schmalen Weg abbiegen. Na, hier ist ja heute was los, wunderte sich Vroni. Doch das Fahrzeug kam nicht hinter ihr her, sondern hielt gegenüber der Einfahrt. Irgendwann konnte Vroni nur noch einen roten Punkt und dann nichts mehr sehen, zu dicht war die Staubwolke.
Ungern, nur sehr ungern, brachte sie die Post zu dem großen Haus, das früher einmal ein Hotel gewesen sein musste. Dieses Haus ohne Fenster - so ganz stimmte das nicht, denn im Erdgeschoss, neben der breiten Eingangstür, gab es rechts und links jeweils ein kleines Fenster - zu dem sie ab und an Briefe oder auch ein paar Päckchen zu liefern hatte, war ihr unheimlich. Es verursachte Vroni ein ungutes Gefühl in der Magengegend, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, wenn sie einem der Bewohner gegenübertreten musste. Auch heute war das so. Sicher lag es an dem dusteren Zustand, der sie hier erwartete, denn die Fenster des Hauses, die zur Auffahrt und dem großen Parkplatz vor dem Haus zeigten, waren, bis auf zwei im Erdgeschoss, zugemauert. Wenn ihr Blick darauf fiel, wenn sie nur daran dachte, spielte ihre Fantasie verrückt, und Vroni malte sich die schlimmsten Verbrechen aus, die dort geschehen könnten. Gerne hätte sie hier einmal Mäuschen gespielt. Aber das war unmöglich. Ein hoher Zaun verhinderte auch nur einen kleinen Blick in den Garten des Hauses. Unheimlich. Vroni fröstelte. Ganz sicher lag es am Haus, aber auch an den Menschen dort, die ihr, schon bevor sie klingelte, entgegenkamen und die Päckchen und Pakete aus den Händen nahmen. So als hätte man sie erwartet oder aus der Ferne kommen sehen. Ob es hier Kameras gab? Vroni hatte noch keine entdeckt.
Drei unterschiedliche Personen waren Vroni bisher hier begegnet. Zwei Männer, einer davon etwas plump und unsicher, der andere stets in Anzug und Krawatte, ganz Geschäftsmann. Außerdem eine Frau. Sicher gehörte die zu diesem Anzugträger, denn zu dem etwas derben Typ passte sie nicht. Sonst hatte sie dort noch niemanden gesehen. Wohnten die alleine in diesem riesigen Haus? Dass es wohl doch einmal ein Hotel gewesen war, konnte sie an der verblassten Schrift an der Vorderfront des Hauses erkennen. "Zum alten Storchennest" war hier noch zu lesen.
Wortlos unterschrieb man dann auf dem Pad und deutete ihr stumm an zu gehen. Die Postfrau war heilfroh, wenn sie nur Briefe zu bringen hatte. Diese warf sie dann in den Postkasten am Anfang der Auffahrt, gleich bei der Straße. Heute allerdings musste sie zum Haus fahren, denn für die beiden Päckchen neben ihr auf dem Beifahrersitz benötigte sie die Unterschrift des Empfängers. Das wollte sie nun schnell erledigen, es war die letzte Lieferung für heute. Ihr Puls raste schon wieder in Erwartung dessen, was wohl kommen mochte, und der Kälte, die ihr dort entgegenschlug. Doch heute war etwas anders. Heute war noch ein weiteres Fahrzeug auf dem Weg zum Haus. Das hatte es noch nie gegeben. Wer das wohl war?
Vroni hatte sich vorsichtig den Weg durch die Staubwolke gebahnt, parkte wie immer vor der breiten Treppe zum Haus. Noch bevor sie den Motor abstellen konnte, wurde ihre Fahrertür aufgerissen. Ein Hüne mit aufgepumpten Muskeln und sehr kleinem, nicht zum Körper passendem Kopf - er musste aus dem Van gekommen sein - baute sich vor ihr auf und fuhr sie laut an: "Was du willst? Hä?" Vroni zuckte erschrocken zusammen, wich ein wenig zurück und stotterte: "Post, da ." Sie zeigte zu den Päckchen neben sich auf dem Sitz. Dann aber hatte sie sich auch schon gefangen und schimpfte ärgerlich: "Hast du sie noch alle, mich so anzubrüllen? I bring die Post, wie man an dem gelben Auto sieht, oder hast' Tomaten auf die Augen? So breit wie hoch, aber nix im Hirn. Dösbaddel!" Der Hüne verstand nicht, suchte nach Worten, meinte dann: "Gib!"
"Nix da, gib! Ich brauche eine Unterschrift von jemandem aus dem Haus, nicht von dir, du Depp!" Sie griff sich die Päckchen wie auch die bereitgelegten Briefe und schwang ihre Beine aus dem Wagen. Der Hüne allerdings versperrte ihr den Weg. "Gib!", forderte er sie nochmals auf. Vroni jedoch, die ihren ersten Schrecken überwunden hatte, fauchte ihn an: "Husch, geh ma, Burschi, es pressiert. Machst vielleicht endlich Platz, Sakradi?" Sie versuchte, sich an dem Mann vorbeizuschlängeln, doch der erwachte aus seiner kurzen Erstarrung, packte sie am Kragen ihrer Jacke und hob sie hoch.
"Gib!", forderte er erneut. Vroni, die Briefe und Päckchen fest an sich gepresst, zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, schrie aus Leibeskräften, fluchte in tiefstem Bayrisch, einer Sprache, die weder der Hüne noch der aus dem Haus herbeistürzende Mann verstanden.
"Pavel, he, Pavel. Lass' sie los!" Der tat wie ihm geheißen, und Vroni landete unsanft auf dem Boden. Noch immer schimpfend rappelte sie sich hoch, klopfte den Staub von der Kleidung und suchte Päckchen und Briefe zusammen. Der Mann aus dem Haus, es handelte sich um den Anzugträger, dem sie schon öfter dort begegnet war, meinte entschuldigend: "Sorry, Pavel beißt nicht, der will nur spielen. Das war Spaß. Er ist neu hier, er kennt Sie noch nicht." Noch immer fluchend hielt Vroni ihm das Unterschriftspad hin - noch immer verstand der Mann kein Wort -, er unterschrieb und nahm seine Post in Empfang. Vroni warf ihm ein paar unschöne Worte zu, dem Hünen einen bitterbösen Blick und stieg in ihr Auto. Sie wendete, setzte ein Stück zurück bis kurz vor die Füße der beiden Männer und fuhr mit durchdrehenden Rädern los. Es staubte fürchterlich.
"Strafe muss sein. Das habt's davon, Deppen, depperte!", fluchte sie und musste grinsen, als sie sah, dass die Männer in einer Staubwolke verschwunden waren. Lediglich die Figur auf dem Dach des Hauses war noch zu sehen, ein einbeiniger Vogel mit langem Schnabel. Um diesen Schnabel hatte sich ein Band gewunden und wehte im Wind. Was das wohl zu bedeuten hatte?
Auf dem Weg zur Hauptstraße blickte sie immer wieder zurück. Die Staubwolke lichtete sich ein wenig, und Vroni sah, dass der Hüne die seitliche Tür des Transporters öffnete und dort eine Frau ausstieg. Eine Frau, noch eine und . Nun war sie zu weit weg, um mehr erkennen zu können. Drei Frauen aus einem verdunkelten Van? Angekarrt von diesem Hünen. Was machten die dort?
"Und von wegen Spaß! Gspaßig ist was anderes. Seltsam, sehr seltsam!", schimpfte sie auf dem staubigen Weg vor sich hin.
Der rote Wagen stand noch immer gegenüber der Einfahrt, fuhr aber los, als Vroni näher kam. Die bog in die andere Richtung ab.
Das Haus ohne Fenster wurde ihr immer unheimlicher.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Vroni aufgefallen war, dass die Fenster des Hauses zugemauert waren. Aus der Ferne konnte man das nur schwer erkennen. Erst als im vergangenen Dezember noch immer üppig blühende Geranien von den Fensterbänken hingen, bemerkte sie, dass alles nur gemalt war. Fenster, angedeutete Rollläden, Fensterkreuze und die prächtigen Blumenkästen davor. Alles unecht, alles gemalt. Was das wohl zu bedeuten hatte? Was dort wohl vor sich ging?
Seit nunmehr zehn Monaten fuhr sie hier in der Gegend dreimal wöchentlich die Post aus, aber so etwas war ihr noch nicht passiert. Und warum, fragte sie sich erneut auf ihrem Weg zurück zur Poststation, hatte man die Fenster des Hauses zugemauert? Was hatten die Leute hier zu verbergen? Ob sie der Sache mal auf den Grund gehen sollte? Vroni fragte sich weiter, ob es auf der Rückseite des Hauses auch so aussah wie hier an der Vorderfront. Die hohen Zäune rechts und links des Hauses verhinderten einen Blick auf den hinteren Teil und in den Garten des riesigen Anwesens. Der Gedanke daran, einmal hinter diesen Zaun zu schauen, reizte sie sehr.
Seit einem Jahr lebte Veronika Semmelmayer aus dem bayrischen Tuntenhausen nun in Ostfriesland. Nie im Leben hätte sie sich vorstellen können, ihr geliebtes Bayern zu verlassen und bei den Saupreißn zu leben. Aber dann hatte sie, angereist, um ihre Freundin Franziska zu retten, Siebo kennengelernt. Den Mann mit den wasserblauen Augen. Vroni seufzte.
Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihr, dass sie sich sputen musste. Siebo erwartete sie sicher schon auf dem Hof. Die Ferienwohnungen waren zurzeit noch alle belegt, es gab viel zu tun. Außerdem stand der letzte Tag der Gerichtsverhandlung gegen Siebos Ex-Frau mit Urteilsverkündung an, und in ein paar Tagen wollten sie heiraten. Sie hatte darauf bestanden, die Verhandlung abzuwarten. Vroni war noch immer erschüttert darüber, wie gemein und brutal Siebos geschiedene Frau gehandelt hatte, und das alles nur aus reiner Gier. Nur im letzten Moment und durch Zufall hatte sie deren Mordversuche an Siebo und dessen Tochter verhindern können und wäre fast selbst zum Opfer geworden. Und jetzt...
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