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Fast zur gleichen Zeit in Ostfriesland ...
Zwei alte Ostfriesinnen auf der Suche nach einem düsteren Geheimnis
"Ich muss an die frische Luft, Schwester, mir ist schlecht. Mein Gott, die ollen Nüsse in Gesines Geburtstagskuchen waren sicher ranzig", flüsterte Jettchen Evers, schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
"Warte, warte, ich komme mit, Schwester. Vielleicht finden wir unterwegs eine Flasche mit Schluck, den haben wir nötig."
Der Besuch hier auf dem Hyggehof war notwendige, aber auch ungeliebte Tradition für Jettchen Evers und ihre Schwester Fienchen. Über vier Ecken mit Gesine verwandt, war es eine lästige Pflicht der beiden Schwestern aus Carolinensiel, sie zu ihrem Geburtstag zu besuchen.
Aber nicht nur das. Seit Jahren versuchten die beiden Frauen so, hinter ein jahrzehntelang zurückliegendes Geheimnis zu kommen. Etwas, das sich vor vielen Jahren hier auf dem Hyggehof in Schlicksiel abgespielt haben musste. Die Geburtstagsrunde fand wie immer in der Stube des großen Anwesens statt. In die kleine Kate, in der Gesine mit zwei weiteren Alten lebte, passten nur wenige Besucher.
Die Frauen, die in der großen, aber dunklen Stube zu Gesines zweiundneunzigstem Geburtstag an einer Teetafel zusammensaßen, bemerkten nicht, dass die beiden den Raum verließen. Alle waren in lautstarke Gespräche vertieft. Laut, weil fast ausnahmslos alle im Raum über neunzig Jahre alt und allesamt fast taub waren. Eine aber bemerkte es doch, dass Jettchen und Fienchen durch die Tür schlüpften. Gesine!
"Was schnüffeln die zwei schon wieder herum?", flüsterte sie und erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl.
Vor der Stubentür schimpfte Jettchen: "Mein Gott, ist mir schlecht. Die Nüsse in der Eierlikörtorte waren sicher genauso alt wie die olle Gesine."
"Und den Eierlikör konnte man auch suchen. Am liebsten würde ich von hier verschwinden. Sollen wir Hermann anrufen, dass er uns abholt?", setzte Fienchen nach.
Jettchen schaute sich um. Die Frage ihrer Schwester beantwortete sie nicht.
Die beiden durchquerten den kleinen Flur und traten ins Freie. Jettchen atmete tief durch, dann schubste sie ihre Schwester mit dem Ellenbogen an.
"Schau mal, da sitzt Meta, die schaut, als wäre sie nicht in dieser Welt. Komm, das ist eine gute Gelegenheit, vielleicht bekommen wir etwas aus der tüdeligen Meta heraus."
"Oh ja, ich habe schon lange den Verdacht, dass mit ihrem Kopf etwas nicht stimmt. Ist schließlich auch schon über neunzig."
Sie gingen ein paar Stufen hinunter auf die Frau zu, die gedankenverloren in einem Korbstuhl vor dem Haus saß.
"Meta", sprach Jettchen sie an, "was machst du denn hier so alleine? Ist dir auch schlecht von dem ollen Kuchen?"
Meta reagierte nicht. Jetzt versuchte es Fienchen, die für ihr geringes Maß an Feinfühligkeit bekannt war, auf ihre eigene derbe Art: "Meta, was ist los? Geht's mit dir bergab? Ja, ja, das mit der Demenz ist ein Kreuz!"
Dafür bekam sie von ihrer Schwester einen weiteren Stoß in die Rippen. Jettchen zog einen zweiten Korbsessel herbei und ließ sich neben Meta nieder. Die reagierte plötzlich, so, als sei sie aus einem tiefen Schlaf erwacht.
"Jettchen! Du bist doch Jettchen? Was machst du denn hier?"
"Aber Meta, wir feiern heute alle den Geburtstag deiner Cousine, hast du das denn vergessen? Eure Stube ist voller Geburtstagsgäste."
Meta überlegte einen Moment und wollte dann wissen: "Geburtstag? Hedda? Oder Gesine?"
"Gesine! Gesine hat heute Geburtstag, Meta."
"Ach, stimmt. Und ich habe den Tee gekocht, ich weiß es wieder. Es ist schlimm mit mir, immer vergesse ich etwas. Immer mehr. Nur ."
Plötzlich brach die alte Frau ab.
"Nur .", flüsterte sie dann, "nur die schlimmen Sachen, die kann ich nicht vergessen und möchte es doch so gern."
Jettchen und Fienchen schauten sich an. War jetzt wohl die Gelegenheit, hinter das dunkle Geheimnis der drei alten Frauen vom Hyggehof, die mehr oder weniger heimlich die "drei toten Tanten" genannt wurden, zu kommen? Ein Geheimnis, um das alle wussten oder von dem sie zumindest ahnten.
Wir müssen es geschickt anfangen, überlegte Jettchen blitzschnell.
"Ach", begann sie vorsichtig. "Wird wohl nicht so schlimm sein, oder, Meta?"
"Oh doch, oh doch, aber ich muss still sein, darf nicht drüber reden. Gesine wird sonst böse mit mir."
"Ja, das stimmt! Aber mit uns schon, mit uns darfst du reden, wir gehören doch zur Familie, sind eine große Familie und die muss zusammenhalten, stimmt's, Meta?"
"Aber nur über tausend Ecken, zum Glück!", kam es leise aus dem Hintergrund von Fienchen, die sich dann aber zurücknahm. Jettchen konnte besser mit Menschen, das wusste sie.
"Ja, diese schlimmen Sachen", bohrte Jettchen weiter. "Ist ja schon lange her, aber man kann sie einfach nicht vergessen. Mir geht es da wie dir, Meta."
"Du weißt?", wollte die nun mit weit aufgerissenen Augen wissen.
Jettchen nickte wissend. "Wie gesagt, wir sind eine Familie!" Sie blickte zu ihrer Schwester und deutete ihr an, still zu sein. Diesmal hielt sich tatsächlich Fienchen mit ihrem Kommentar zurück. Ihre Schwester machte das sehr geschickt.
Die überlegte, wie sie weiter vorgehen könnte, und begann: "Ja, ist wirklich lange her und war eine andere Zeit damals."
Meta seufzte. Dann flüsterte sie: "Musste weg, die Rote! Hätte nix Gutes gebracht mit ihr. Das Blut muss ostfriesisch bleiben, die Bande dürfen nicht zerrissen werden. Und ein Balg von anderswo, als Erbe auf dem Hof, das bringt Unglück. Ist gut, dass sie weg ist. Gesine hat da diese Wundertropfen . Danach kam alles ins Lot. Alles ins Lot. Obwohl ."
Jettchen, wie auch ihrer Schwester, war sofort klar, was gemeint war. Bande, ostfriesische Bande unter sich. Verwoben, verstrickt, so eng, dass keiner dazwischenpasste. Ihnen schauderte.
"Mein Gott, sie haben sie tatsächlich umgebracht!", entfuhr es der alten Ostfriesin. Sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund und schaute zu Fienchen hoch. Die schüttelte den Kopf und flüsterte ihrer Schwester ins Ohr: "Mach weiter. Und versuche, etwas über Bertie herauszubekommen. Vielleicht weiß sie von seinem . du weißt schon!"
"Gesines Tropfen helfen immer!", kam es nochmals von Meta, begleitet von einem unkontrollierten Lachen. Dann brach sie abrupt ab und hauchte: "Und jetzt gibt es gar keinen Erben, gar keinen. Auf keinem der Höfe. Ist das die Strafe?"
Jettchen überlegte kurz, wie sie weiterbohren könnte, und wollte gerade beginnen, als Gesine, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, in der Tür erschien.
"Meta!", fauchte sie, "kumm in un schnack kein dummes Zeug! Und ihr beide, was schleicht ihr hier herum? Kommt in die Stube oder wollt ihr schon nach Hause?"
"Gleich, Gesine, wollen nur einen Moment frische Luft schnappen."
Sie beobachteten, wie Gesine ihre Cousine am Arm grob ins Haus zog und dabei derbe beschimpfte. "Lass mich, ich muss aufs Klo!", hörten sie Meta noch kreischen.
Der Gedanke, Hermann, ihren Nachbarn, anzurufen der sie gebracht hatte und auch wieder abholen wollte, war vergessen.
Nach Hause fahren kam nun nicht mehr infrage. Als die beiden Schwestern kurz darauf ebenfalls ins Haus zurückkamen, hörten sie, wie sich zwei Frauen, bei der einen schien es sich um Meta zu handeln, im dunklen Flur unterhielten. Leise, aber doch so, dass sie jedes Wort verstanden. Fienchen war froh, sich vor einiger Zeit doch ein Hörgerät angeschafft zu haben, wenn sie auch das Geld noch immer reute. Nun war es aber für etwas gut. Das, was sie hörten, trieb den beiden Ostfriesinnen den Schreck in die Glieder und Hühnerpelle über den Körper.
Nun war ihnen klar, dass der Verdacht, den sie schon seit vielen Jahren hatten, stimmte. Eben noch von Meta bestätigt und gerade hier von - ja von wem? Wer war das gerade im dunklen Flur? Meta, klar! Aber mit wem? Jettchen zog ihre Schwester am Arm zurück vor die Tür und flüsterte entsetzt: "Hast du das gehört? Sie haben es tatsächlich getan!" und beschloss: "Wir müssen Tomke anrufen!", schlug sich dann aber gegen die Stirn. "Ach, die ist ja noch in Amerika. Aber gleich wenn sie zurück ist, muss sie sich darum kümmern." Ihre Schwester nickte zustimmend und fuhr fort: "Nur noch ein paar Tage, dann ist sie wieder da. Aber du hast recht. Wozu haben wir das Kind zur Polizei geschickt? Komm, Schwester, ich will sehen, ob wir noch etwas erfahren!"
Jettchen wunderte sich über ihre sonst so ängstliche und dröge Schwester, die eher eine Sache bejammerte, als sich ihr zu stellen. Diesmal war es wohl anders.
Die Stimmen im Flur waren verschwunden. Jettchen und Fienchen durchschritten ihn leise. "Warte einen Moment!" Jettchen blieb im dunklen Flur stehen, nahm ihr Hörgerät aus dem Ohr, pustete fest hinein und steckte es wieder ins Ohr.
Ihre Schwester schüttelte den Kopf.
"Na und? Ich will doch nichts verpassen! Die reden alle durcheinander da drinnen."
Wieder schüttelte Fienchen den Kopf.
"Glaube mir, Schwester", kam es heiser von Jettchen, "ich gebe nicht Ruhe, bevor die drei toten Tanten ihre Strafe bekommen haben."
"Ich auch, ich auch, das sind wir der Deern aus Bayern schuldig. Sie sind alle wieder in der Stube, lass uns auch hineingehen. Vielleicht erfahren wir noch etwas. Aber eines sage ich dir, Kuchen esse ich hier keinen mehr." Fienchen griff...
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