Schweitzer Fachinformationen
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Eine mutige und persönliche Islamkritik, die wachrüttelt und einen wichtigen Beitrag zur Integrationsdebatte leistet.
Lamya Kaddor gehört zu einer neuen Generation von deutschen Muslimen. Sie kritisiert das Erscheinungsbild des Islam in Deutschland ebenso wie die Wagenburgmentalität der Nicht-Muslime. Der Islam ist Teil der deutschen Gesellschaft. Nur wollen das viele nicht wahr haben - selbsternannte Islamkritiker nicht und am wenigsten viele Muslime selbst. Die schweigende Mehrheit lässt es zu, dass bärtige Fundamentalisten, Zwangsheirat und Ehrenmorde das Bild vom Islam bestimmen.
Lamya Kaddor gibt den liberalen, aufgeklärten Muslimen in Deutschland endlich eine Stimme, vor allem den Frauen, die selbstbestimmt leben wollen, ohne ihre Religion preiszugeben. Sie erzählt von ihrem ganz persönlichen Weg zum Islam als Gläubige und als Islamwissenschaftlerin.
2GRÜNDE UND ABGRÜNDE DER MIGRATION
Religion oder Tradition?
Was wissen muslimische Jugendliche in Deutschland über den Islam - und was glauben sie zu wissen? Da sich viele von ihnen nicht in erster Linie als Deutsche, Türken oder Araber verstehen, sondern als Muslime, könnte man annehmen, dass sie ein bestimmtes Verständnis vom Islam haben. In meiner zehnten Klasse der Glückauf-Hauptschule in Dinslaken habe ich im Islamkunde-Unterricht die fünfzehn- bis siebzehnjährigen Schüler einmal aufschreiben lassen, was den Islam für sie ausmacht.
Mustafa ist ein mittelmäßiger Schüler. Er spielt regelmäßig Fußball, kleidet sich sehr modern, ist extrem selbstbewusst und bezeichnet sich selbst als gläubig. Nach eigenen Angaben ordnet er sich der DITIB-Moscheegemeinde zu. Seine Antwort: «Man darf kein Schweinefleisch essen.»
Dennis, ebenfalls ein mittelmäßiger Schüler, verfolgt besonders aufmerksam den Islamkunde-Unterricht. Er ist ein sehr schüchterner junger Mann, der mit sechzehn Jahren zum Islam konvertierte. Er ist davon überzeugt, dass der Islam die richtige Religion für ihn ist. Nach eigenen Angaben besucht er regelmäßig die einzige arabische Moschee im Stadtteil. Er schreibt: «Das Wichtigste am Islam ist, dass man an die fünf Säulen glaubt und nur an einen Gott, nämlich Allah! Und der Koran ist wichtig.»
Melek bringt bei Klassenarbeiten meistens eine drei oder vier nach Hause. Am Unterricht allgemein zeigt sie nur geringes Interesse, was man jedoch im Hinblick auf den Islam nicht sagen kann. Sie bezeichnet sich als sehr gläubig, und das möchte sie mit ihrem Kopftuch auch zum Ausdruck bringen. In ihrem Auftreten ist sie zurückhaltend und beinahe krankhaft schüchtern. Nach eigenen Angaben ordnet sie sich der Süleymanci-Moscheegemeinde zu, die vom Dachverband Islamischer Kulturzentren organisiert wird. Sie antwortet: «Dass man an den Koran, an Gott und an die Propheten glaubt. Die letzte Religion ist der Islam.»
Belin ist eine sehr gute Schülerin, aber ebenfalls ein wenig schüchtern. Sie spielt in ihrer Freizeit Keyboard, trägt schicke, moderne Klamotten und bezeichnet sich als gläubig. Sie besucht keine Moscheegemeinde. Ihre Antwort: «Die Freiheit, die uns unser Glauben schenkt. Die Gleichheit zwischen Mann und Frau. Die Reinheit der Seele. Zu wissen, dass jeder gleich ist und das gleiche Recht hat. Die Geschichte zu kennen, die den Islam begleitet, um ihn besser zu verstehen und um zu wissen, was unser Glaube erlaubt und verbietet.»
Taylan ist extrem selbstbewusst. Er spielt Fußball im Verein, und auch in der Schule hält er gut mit. Bei ihm bilden Glaube und Modernität ebenfalls eine Einheit. Er ordnet sich einer alevitischen Gemeinde in Duisburg zu. Er schreibt: «Der Koran ist wichtig, weil darin alles steht, was man darf und was man nicht darf. Der Islam ist eine Chance, ins Paradies zu kommen.»
Kemal ist ein ruhiger, mittelmäßiger bis schlechter Schüler. Er bezeichnet sich als gläubig und ordnet sich der DITIB-Moscheegemeinde zu. Seine Antwort: «Das Wichtigste ist, dass wenn man Muslim ist und die Regeln im Koran beachtet, kommt man ins Paradies. Deswegen ist der Islam die Chance, ins Paradies zu kommen.»
Esma ist eine sehr gute Schülerin. Sie interessiert sich für Mode und gilt als sehr hilfsbereit und aufgeschlossen. Auch sie beschreibt sich als gläubig. Nach eigenen Angaben gehört sie zur DITIB-Moscheegemeinde, betont aber, dass sie nicht regelmäßig hingeht. Sie schreibt: «Für mich ist das Wichtigste am Islam der Koran. Weil, wenn der Koran nicht wäre, dann würden wir über den Islam bzw. über Muhammad (Prophet) nichts erfahren.»
Die Antworten der anderen Schülerinnen und Schüler sind ähnlich. Überrascht war ich über die Antworten nicht, denn ich hatte damit gerechnet, dass viele junge Muslime den Islam vor allem an seinen Geboten festmachen würden. Die Antworten sind nicht verkehrt, vor allem die von Belin und Esma zeugen auch von etwas weitergehenden Überlegungen. Obwohl mich die Antworten nicht mehr überraschen, empfinde ich die Vorstellungen der Schüler vom Islam als beklagenswert. Die Jugendlichen haben überhaupt keinen Sinn dafür, was den eigentlichen Kern des Islams ausmacht. Das erste, womit sie argumentieren könnten oder sollten, wäre doch, dass es keinen einheitlichen Islam gibt. Auch scheinen sie sich nicht vorstellen zu können, dass es im Islam jenseits seines Regelwerks auch noch etwas anderes gibt: Ethik, Spiritualität, Glaubensfreude.
Die Vorstellungen vieler Muslime vom Islam sind von ihrer Herkunftskultur und von Traditionen geprägt, die durch das Elternhaus und durch die eine oder andere Gemeinde transportiert werden. Doch wie können sie sich gegen diese Einflüsse wehren? In der Regel haben junge Menschen keine Chance, herauszufiltern, was an ihrem Glauben Religion und was Tradition ist. Nur ein «neutraler» deutschsprachiger Islamunterricht an öffentlichen Schulen kann ihnen die Möglichkeit geben, zwischen Traditionen der Herkunftskultur und kulturübergreifender Religion zu unterscheiden. Mit meinen Schülern konnte ich über die Ergebnisse der schriftlichen Abfrage sprechen. Wir haben miteinander erarbeiten können, dass Traditionen zwar sehr wichtig sind, aber einem stetigen Wandel unterliegen. Jede neue technische Errungenschaft, jede neue wissenschaftliche Erkenntnis trägt dazu bei. Die Religion, der Glaube ist indes nur bedingt wandelbar. Unter Muslimen muss man sich über die Auslegung von Schriften unterhalten, aber man kann nicht darüber streiten, ob Gott ein einziger ist oder ob im Koran tatsächlich seine Worte niedergeschrieben sind. Meine Schüler verstanden bald, dass sich Traditionen leichter verändern lassen als Glaubensgrundsätze. Und sie merkten, dass eine Verquickung von beidem es enorm erschwert, gegen (überholte) Traditionen anzugehen. Solange es diese Möglichkeit des Islamunterrichts als Anlaufstelle aber nicht für alle jungen Leute gibt, wird die Verwechslung von Tradition mit Religion noch lange bestehen bleiben - ebenso wie die daraus resultierenden sozialen Probleme.
In Deutschland sind Menschen mit geringer Bildung in der Regel auch in Fragen der Religion unterdurchschnittlich gebildet. Dem schulischen Religionsunterricht fällt dann in erster Linie die Aufgabe zu, solides Wissen zu vermitteln. Die Elternhäuser oder Koranschulen leisten dies in der Regel nicht, ja sie verstärken meist noch die Gleichsetzung von traditioneller Kultur und Religion. Da Schüler mit Migrationshintergrund bei der Bildung ohnehin benachteiligt sind, wie diverse Studien von PISA bis IGLU belegen, wird es gerade diesen Schülern, die unter Muslimen die überwiegende Mehrheit ausmachen, umso schwerer fallen, in Sachen Religion besonders gebildet zu sein und differenziert zu denken.
Muslime diskutieren, ob die Entwicklung eines «deutschen Islams» erstrebenswert sei und ob man überhaupt davon reden dürfe. Die meisten wehren sich gegen eine solche Nationalisierung ihres Glaubens. Sie argumentieren, man müsse den Islam als immer und überall gleiche und gleich gelebte Religion verstehen. Die Befürworter eines «deutschen Islams» oder eines «Euro-Islams» meinen dagegen, dass der Islam je nach Kultur, Tradition und Geschichte eines Landes und je nach den Lebensumständen der dort lebenden Muslime modifiziert werden muss.
Beide Sichtweisen sind falsch. Der Islam besteht einerseits immer aus der gleichen religiösen Lehre und zeichnet sich gerade durch einen Nationen, Ethnien und Sprachen übergreifenden Glauben aus. Andererseits kann und muss der Glaube für das Leben in den verschiedenen Regionen der Welt interpretiert werden. Ein einfaches und prominentes Beispiel ist der Anfang und das Ende eines Fastentages im Monat Ramadan. Vom ersten Morgenlicht bis zum Sonnenuntergang, heißt es nach klassischer Lehre, enthält sich der Muslim der Nahrung und anderer Sinnesfreuden. Was aber, wenn es im Extremfall kein Morgenlicht und keinen Sonnenuntergang gibt, etwa nördlich des Polarkreises? Dazu findet sich weder im Koran noch in den Hadithen eine Aussage. Es kann also höchstens darum gehen, von einem «zeitgemäßen Islam» zu sprechen, der zwar über nationale Grenzen hinausgeht, aber zugleich flexibel genug ist, um regionale Eigenheiten zu integrieren. Gäbe es wirklich einen «deutschen Islam», dürfte ich schon in Amerika damit nichts mehr anfangen können, weil es dort ja einen «amerikanischen Islam» geben müsste und umgekehrt. Vielleicht ist das bis zu einem bestimmten Punkt sogar zutreffend. Zu Ende gedacht aber würde die muslimische Gemeinschaft auf diese Weise erneut gespalten, nämlich entlang nationaler Grenzen. Das Zusammenleben würde weiter erschwert werden. Mit einem «zeitgemäßen» Verständnis vom Islam hingegen kann ich überall auf der Welt leben - es sei denn, ich befinde mich in einem totalitären Gottesstaat oder ähnlichem.
Tatsächlich leben die Muslime hier in Deutschland einen anderen Islam als beispielsweise in Algerien, Kuwait oder Indonesien. Denn erstens leben Muslime im demokratischen Deutschland nicht in einem muslimischen Staat, zweitens bilden sie in Deutschland eine Minderheit und drittens verändert sich das Religionsverständnis und mithin die Religion durch Migration. So gibt es beispielsweise in Deutschland keinen regelmäßigen Muezzinruf, der die Gläubigen daran erinnert, dass die Zeit des Gebets angebrochen ist. Es gibt niemanden, der während des Ramadans vor Anbruch der ersten Morgendämmerung mit Trommeln durch die Straßen fährt und die Gläubigen weckt, damit sie eine...
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