Schweitzer Fachinformationen
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Stuttgart, Feuerbacher Heide, Villa Engel
Seit er gegangen ist, kommt mir das Haus noch viel größer vor. Am frühen Morgen wache ich auf und lausche. Überall höre ich es ächzen, knacken und krachen. Aus den harmlosen Geräuschen werden knarrende Türen, die jemand heimlich aufzudrücken versucht, schleichende Schritte auf dem Parkett, Schubladen, die auf der Suche nach Wertsachen mit leisem Quietschen aufgezogen werden. Ich fürchte mich, in meinem eigenen Haus, dabei lebe ich seit vierundvierzig Jahren hier an der Feuerbacher Heide. Weil ich vor lauter Unruhe nicht mehr einschlafen kann, schimpfe ich mit mir selber und hoffe, dass ich davon wieder müde werde. Die Liste meiner Selbstanklagen ist lang.
Stell dich nicht so an!
Du führst dich auf wie ein kleines Kind!
In alten Häusern knackt es nun mal, selbst in einer Villa am Killesberg!
Weißt du eigentlich, wie viele Leute dich beneiden?
Denk an all die armen Flüchtlinge!
Leider führt die Selbstbeschimpfung selten dazu, dass ich wieder einschlafe. Meistens bin ich richtig erleichtert, wenn ich höre, dass die Haustüre geht und Amila anfängt, unten in der Küche herumzuwerkeln. Dann weiß ich, es ist halb acht und ich habe die Nacht überstanden. Ich rufe sie dann auf dem Hausapparat in der Küche an, lasse mir eine Tasse Earl Grey ohne Milch bringen und wir plaudern ein wenig. Ihr strahlendes Lächeln und ihre freundlichen Worte nach der einsamen Nacht sind wie eine Erlösung. Wann habe ich Amila jemals schlecht gelaunt erlebt? Nach dem Tee stehe ich auf, schlüpfe in meinen Badeanzug und drehe ein paar Runden im Pool, um wach zu werden (niemand kann mich im Pool sehen, nicht einmal Amila, trotzdem würde ich niemals nackt schwimmen). Manchmal falle ich nachts aber auch wieder in einen bleiernen Schlaf und wache erst gegen neun Uhr auf. Einmal habe ich deshalb den Bridge-Treff und einmal die Mitfahrgelegenheit zum Golfplatz auf dem Schaichhof verpasst.
Vielleicht sollte ich doch verkaufen. Ich könnte das Haus sofort loswerden. Es gibt genug Leute mit sehr viel Geld in Stuttgart, und in der Halbhöhenlage werden kaum Objekte angeboten. Jetzt schon stehen manchmal Immobilienhaie auf der anderen Seite der Mauer und fangen mich ab, schließlich lesen sie die Todesanzeigen. Wahrscheinlich denken sie, die Alte macht's eh nicht mehr lang hier, die zieht bald um ins Augustinum am Killesberg, ins betreute Wohnen für Reiche. Früher wären die gar nicht an mich herangekommen, es hätte praktisch keine Berührungspunkte gegeben, weil ich da fast immer im Mercedes auf dem Beifahrersitz saß und das Tor automatisch aufging. Aber jetzt muss ich zu Fuß zum Bus laufen wie die normalen Leute, und da stellen sie sich mir in den Weg, junge Schnösel im Anzug, die wohl glauben, ich würde mich von ihrem aufgesetzten Lächeln beeindrucken lassen. Sie strecken den Arm aus, wie eine Schranke quer über den Gehweg, und am Ende der Schranke klemmt eine Visitenkarte zwischen spitzen Fingern.
»Sie müssen doch jetzt nichts übers Knie brechen«, beschwören sie mich. »Aber nehmen Sie wenigstens meine Karte!« Manchmal leihe ich mir Amilas Hund aus. Vor dem großen Tier haben sie Respekt und rücken mir dann nicht dermaßen auf die Pelle.
Alle großen Banken und Immobilienmakler aus Stuttgart haben schon Prospekte eingeworfen oder jemanden geschickt, der unangekündigt vor der Tür stand. Wenn diese Leute klingeln, fragt Amila sie über die Sprechanlage, ob sie einen Termin bei der Dame des Hauses haben, und wenn sie verneinen, sagt sie streng, »Dann muss ich Sie jetzt leider bitten zu gehen.« Für wenig Aufwand eine gesalzene Provision, das ist es, wovon sie träumen. Wenn sie mich auf der Straße abpassen, beschleunige ich meine Schritte und lasse mich auf keine Diskussion ein, ich murmle nur: »Kein Interesse.« Einmal aber war so ein junger Mann besonders unverschämt, ich kam kaum an ihm vorbei, schließlich bin ich nicht mehr die Schnellste. Er lief neben mir her, als sei ich eine Prominente und er ein aufdringlicher Reporter, und da riss mir die Hutschnur, und ich sagte zuckersüß: »Aber natürlich will ich verkaufen. Was soll ich denn mit so einem großen Haus, allein?« Da fiel dem Kerl die Kinnlade herunter. Er riss die Augen auf, und ich könnte schwören, dass ich darin die nackte Gier leuchten sah. Ich blieb stehen und sagte (ganz leise, als sei ich nicht mehr recht bei Verstand und würde mit mir selbst reden), »Ja, für zehn bis fünfzehn Millionen wäre ich bereit zu verkaufen.« Da verschwand die Gier ganz schnell, und er sah nur noch töricht aus.
»Das . das Haus ist sicher eine Menge wert«, stotterte er. »Ich fürchte bloß, zehn Millionen ist ein bisschen viel, selbst wenn in den letzten Jahren in Stuttgart die Immobilienpreise für Luxusobjekte in der Halbhöhenlage explodiert sind. Anderthalb Millionen könnten wir sicherlich erzielen, vielleicht sogar zwei. Machen wir doch einen Termin, dann sehen wir es uns in aller Ruhe an und sprechen darüber. Sie sollten nichts überstürzen.«
»Junger Mann, für zwei Millionen Euro verkaufe ich nicht einmal meine Doppelgarage oder den Pool«, erwiderte ich vernichtend. Innerlich war ich ganz aufgeregt, dass ich es fertigbrachte, so etwas zu sagen. Ich habe den frechen Kerl dann auch nie mehr gesehen.
Ich weiß auch nicht, weshalb ich mich plötzlich so einsam fühle im Haus. Schließlich war ich früher auch viel allein, vor allem abends. Günther saß oft bis spät in die Nacht in der Firma und arbeitete, oder er traf sich irgendwo in der Stadt hinter verschlossenen Türen oder in den Nebenzimmern von teuren Restaurants mit irgendwelchen wichtigen Leuten, die gut fürs Geschäft waren - andere Bauunternehmer, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Richter, Lokalpolitiker, Leute von der IHK, von Bosch, Daimler und Porsche, aus der Stadtverwaltung, von den Banken oder von der Presse. Günther liebte diese Treffen. Er bezeichnete sie als Bedarfsermittlung. Jemand hatte einen Bedarf und fand heraus, wer aus der Runde diesen Bedarf decken konnte, und weil man einander kannte, kam man dabei oft auch ohne Verträge aus. Das lief mehr so auf dem kleinen Dienstweg, wie Günther es zu nennen pflegte. Nichts Illegales, wie er betonte. Manchmal war der Bedarf auch einfach eine vertrauliche Information. Ich bekam von diesen Treffen nicht viel mit und hielt mich sowieso nicht für klug genug, um zu begreifen, um was es genau ging. Ein paar Jahre lang war Stuttgart 21 das beherrschende Thema, da wurden bei den Treffen die Pfründe verteilt, das verstand sogar ich. Günther hielt sich normalerweise mir gegenüber sehr bedeckt, aber in diesem Falle kannte seine Begeisterung keine Grenzen. Er bekam den Zuschlag, Luxuswohnungen auf dem S21-Gelände zu bauen, das war der Lohn für das viele Netzwerken, wie er sagte. Es schienen lukrative Projekte zu sein, aber sie waren auch extrem zeitaufwendig, und Günthers Arbeitszeiten wurden immer länger.
Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Geschäfte außen vor blieben, wenn wir als Paar eingeladen waren oder selbst eine Einladung gaben und die Damen mit anwesend waren. Man sprach stattdessen über Golfplätze und Restaurants oder Urlaub, nur manchmal zogen sich die Herren nach dem Essen gemeinsam zurück oder setzten sich im Sommer auf unsere Terrasse und rauchten Günthers teure Zigarren, während wir Frauen drinnen blieben und über die Kinder oder die Schule oder den Tennisclub oder das Ehrenamt redeten. Es gab auch ein paar jüngere Frauen in diesen Kreisen, die traten oft ehrgeiziger auf als die Männer, sie wirbelten herum, verteilten fleißig ihre Visitenkarten und versuchten hartnäckig, Strippen zu ziehen, nicht nur beruflich, sondern überall, auch im Elternbeirat der Schule.
Ich gehörte einer anderen Generation an; aus den Geschäften und dem Tennisclub hielt ich mich heraus, nur in der Schule engagierte ich mich, als die Kinder im schulpflichtigen Alter waren. Ich stand nicht so gerne im Rampenlicht. Dass Günther so viel weg war, war für mich normal. Nur manchmal, als die Kinder aus dem Haus waren, fragte ich ihn ganz vorsichtig, ob er nicht abends ein wenig öfter zu Hause sein könnte. Ein Abend die Woche, das hätte mir schon gereicht, nur Günther und ich, ein gemütliches Essen, von mir gekocht und nicht von Amila. Zwiebelrostbraten und handgeschabte Spätzle, das aß er doch so gern, auch wenn er Rheinländer war, dazu einen schönen grünen Salat vom Markt und ein Glas Rotwein, und Zeit füreinander. Einfach so wie früher, bevor Günther wichtig und erfolgreich geworden war. Normalerweise war er eine Seele von Mensch, aber in diesen Momenten reagierte er dann immer ziemlich gereizt. Was glaubst du eigentlich, wo unser Geld herkommt? Glaubst du, ich wäre selber nicht auch gerne mehr daheim? Ohne diese Termine und die vielen Stunden in der Firma geht es nun mal nicht. Und du willst doch unseren Lebensstandard halten? Ich protestierte nie, aber es tat mir weh, dass Günther offensichtlich vergessen hatte, dass sein ganzes Startkapital von mir stammte. Nicht nur das Geld und die Villa, auch die vielen Kontakte, die ihm die Türen öffneten. Günther war ein armer Schlucker, als er nach Stuttgart kam, während ich aus einer alteingesessenen Stuttgarter Familie stammte und immer schon vermögend gewesen war, mein ganzes Leben lang. Meine Eltern waren mit Theodor Heuss befreundet, sie waren quasi Nachbarn an der Feuerbacher Heide.
Wichtiger als der Lebensstandard wäre es mir gewesen, mehr Zeit miteinander zu verbringen, vor allem, als Günther älter wurde und es erste Anzeichen dafür gab, dass er gesundheitlich angeschlagen war. Ich liebte ihn...
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