1 Professionelle Pflege
Thieme Fachredaktion (1.1), Silja Schwencke (1.2, 1.4, 1.6), Walter Anton (1.3, 1.5), Tim Schure (1.7)
1.1 Kompetent pflegen
"Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht."
(Theodor Heuss)
Seit wann gibt es Pflege? Wahrscheinlich seit es Menschen gibt. Denn der Impuls, seine Mitmenschen zu versorgen, ihnen bei der Genesung zu helfen, gehört zum "Menschsein" dazu - seit tausenden von Jahren. Aber erst mit dem Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert hat sich die Pflege in Richtung des Berufs entwickelt, wie wir ihn heute kennen. Maßgeblich hierfür verantwortlich waren Pionierinnen der Pflege, wie Florence Nightingale ("The Lady with the Lamp") oder Agnes Karll.
In der Mindmap finden Sie die Kompetenzbereiche nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, die diesem Thema zugeordnet sind. Das folgende Kapitel vermittelt alle wichtigen Inhalte dazu.
1.2 Geschichte der Pflege
1.2.1 Erste Beschreibungen von Pflege
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ca. 500 v.Chr.: In Indien werden Pflegende erstmals als Berufsgruppe erwähnt, die neben Ärzten in Vorläufern von Krankenhäusern arbeiten.
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ca. 400 v.Chr.: In Europa verbreitet sich die griechische Medizin nach Hippokrates. Ärzte betrachten die Krankenpflege als Teil ihrer Aufgabe bzw. übertragen sie an ihre Schüler.
1.2.2 Pflege aus christlicher Nächstenliebe
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1. Jh.: Urchristen betrachten die Krankenpflege als selbstverständlichen Teil der christlichen Nächstenliebe.
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ab 5. Jh.: Nonnen und Mönche sind in Klöstern für Pflege und Heilkunde zuständig (Hildegard von Bingen). Die Behandlung und Pflege bestehen v.a. aus Beten und Buße tun.
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12. Jh.: Außerhalb der Klöster entstehen Hospitäler/Herbergen, die neben Kranken auch Findelkinder und Hilfsbedürftige aufnehmen. Sie werden von Geistlichen und erstmals bezahlten Krankenpflegern versorgt, sog. "Lohnkrankenwärter".
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17. Jh.: Katholische Pflegeorden entstehen nach dem Vorbild der Vinzentinerinnen. Statt in Klöstern leben die Vinzentinerinnen in sog. Mutterhäusern und werden vom Orden in die Hospitäler entsandt. Dieses System wird auch von den späteren evangelischen Diakonissen und Rotkreuzschwestern übernommen.
1.2.3 Entwicklung von Pflege als Beruf
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1782: Die erste Krankenwärterschule wird von Franz Anton May gegründet, die nach 3 Monaten mit einem Examen abschließt. Grundlage ist das Lehrbuch "Unterricht für Krankenwärter". In vielen Krankenhäusern arbeiten Pflegende immer noch ohne Ausbildung und werden schlecht bezahlt.
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1836: Die Kaiserswerther Diakonie wird von Friederike und Theodor Fliedner gegründet. Unverheiratete, bürgerliche Frauen verpflichten sich für 5 Jahre als Diakonissen. Sie erhalten Unterricht in Anatomie, Arzneimittellehre und pflegerischen Tätigkeiten.
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ab 1845: Florence Nightingale entschließt sich, ihr Leben der Pflege zu widmen. Bereits damals erkannte sie die Notwendigkeit einer pflegerischen Grundausbildung. Sie absolvierte ein 3-monatiges Praktikum in einem Krankenhaus in Salisbury und hospitierte in der Kaiserswerther Diakonie. Während des Krimkriegs pflegte sie im Auftrag der britischen Regierung verletzte britische Soldaten. In der Nacht lief sie stets mit einer Lampe in der Hand zu ihren Patienten, um diese zu versorgen. So wurde sie als "The Lady with the Lamp" bekannt ( ? Abb. 1.2). Während ihres Einsatzes im Kriegsgebiet erkrankte sie selbst schwer. Sie überlebte, erholte sich jedoch auch in den Folgejahren nicht vollständig.
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1859: Nightingale veröffentlicht mit den "Notes of Nursing" ein wegweisendes Buch zur Ausbildung und zum Selbstverständnis der Pflege. Sie gilt als die erste Pflegetheoretikerin.
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1860: Nightingale gründet in London die erste Schwesternschule Englands, die "Nightingale Training School of Nurses". Im Fokus der Ausbildung stand die Beachtung hygienischer Vorschriften. Die Auszubildenden wurden durch erfahrene Pflegende unterrichtet.
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1863: In der Schweiz wird das Rote Kreuz mit angeschlossener Pflegeschule gegründet.
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1869: Der Berliner Arzt Virchow fordert eine berufsmäßige Ausbildung der Krankenpflege.
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1883: In Deutschland wird die gesetzliche Sozialversicherung eingeführt. Die Zahl der Krankenhäuser verdoppelt sich. Neben den Schwestern des Roten Kreuzes und den Diakonissen arbeiten nun viele Frauen gegen Bezahlung in der Pflege (die sog. "wilden Schwestern"). Manche halten dies für minderwertig, weil es nicht dem Ideal der christlichen Nächstenliebe entspreche.
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1903: Die "wilde Schwester" Agnes Karll fordert eine 3-jährige Ausbildung für Pflegerinnen. Sie gründet die erste Berufsorganisation Deutschlands, woraus sich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) entwickelt.
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1904: Deutschland tritt dem International Council of Nurses (ICN) bei, der 1899 in den USA gegründet wurde. 1907 wird Agnes Karll Präsidentin des ICN ( ? Abb. 1.3).
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1906: Preußen führt Vorschriften über die staatliche Prüfung von Pflegepersonen ein. Die Pflege ist nun ein gesetzlich anerkannter und geregelter Beruf. Voraussetzung für die Berufszulassung sind die Ausbildung und eine Prüfung.
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1900 bis 1914: Pflegende arbeiten unter harten Bedingungen (12-36-Stunden-Schichten). Oft geben sie den Beruf erschöpft nach wenigen Jahren auf.
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Ab 1918: In der Weimarer Republik bessern sich die Bedingungen für Pflegende langsam. Der 8-Stunden-Tag wird eingeführt.
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1919/20: Die ersten Tarifverträge werden abgeschlossen.
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1923: Der 10-Stunden-Tag wird wieder erlaubt.
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1926: Das letzte Heiratsverbot für freie Schwestern fällt.
Florence Nightingale.
Abb. 1.2 Florence Nightingale in den 1850er-Jahren. Die Engländerin gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege. Ihr zu Ehren findet der Internationale Tag der Pflege jährlich an ihrem Geburtstag, dem 12. Mai, statt.
Agnes Karll.
Abb. 1.3 Agnes Karll, die wichtige Reformerin der Pflege in Deutschland, stammte aus einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide. Als Privatpflegerin arbeitete sie Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin und den USA und wurde später Präsidentin des International Council of Nurses.
(Quelle: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Berlin)
1.2.4 Pflege im Nationalsozialismus
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1933-1945: Berufsverbände werden vereinheitlicht und unter NS-Führung gestellt. In der neuen NS-Schwesternschaft (auch: "braune Schwestern") soll eine Pflegeelite herangezogen werden.
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1939: Circa 10% der Pflegenden gehören der NS-Schwesternschaft an. Jüdische Pflegende und Ärzte werden aus dem Beruf verdrängt. Sie dürfen nur noch Juden pflegen und behandeln.
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1940: Im "Euthanasie"-Programm werden geistig behinderte und psychisch kranke Patienten in "Heil- und Pflegeanstalten" in Gaskammern ermordet. Pflegende bereiten die Patienten für den Transport vor und "beruhigen" sie während der Fahrt mit Medikamenten. Heute bestehen an vielen ehemaligen Nerven- und Pflegeanstalten, die in die Ermordung von Kranken und Behinderten zwischen 1940 und 1945 einbezogen waren, Gedenkstätten und die Einrichtungen legen großen Wert auf Inklusionsangebote.
1.2.5 Pflege in der DDR und BRD
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Pflege in der DDR: Das Gesundheitssystem wird verstaatlicht und zentral gelenkt. Pflegende erhalten erst eine zwei-, dann dreijährige Ausbildung. Kennzeichnend sind der hohe Ausbildungsgrad und Stellenwert in der Gesellschaft. Durch die häufig in vielen Bereichen bestehende Mangelwirtschaft waren die Pflegenden oft gezwungen erfinderisch zu sein.
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Pflege in der BRD: Die Organisation der Pflege bleibt in viele Verbände und Schwesternschaften zersplittert. Es gibt Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Pflegeausbildung. Bei den Schwesternschaften steht Nächstenliebe vor umfangreichem Wissen. 1965 und 1985 treten neue Krankenpflegegesetze in Kraft, in denen auch die...