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Barcelona, 1892: Der Bau eines neuen Krankenhauses, des Hospital de Sant Pau, begeistert die Stadtbewohner. Maria, die Tochter einer Amme, träumt davon, Krankenschwester zu werden. Ein Wunsch, mit dem ihre reiche Freundin Aurora sich nicht begnügt. Die Tochter eines angesehenen Arztes schreibt sich als erste Frau zum Medizinstudium ein - gegen den erbitterten Widerstand ihres eigenen Vaters. Und auch der junge Bildhauer Lluís, der in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, hat große Pläne. Doch er birgt ein dunkles Geheimnis, das die drei auf schicksalhafte Weise verbindet ...
In den Straßen Barcelonas war die Dezemberkälte bereits seit einigen Tagen zu spüren, doch im Haus von Doktor Rovira war es mollig warm. Seine Ehefrau, stets ein wenig sensibel und verfroren, bestand darauf, alle Zimmer gut einzuheizen. Darius Rovira beklagte sich oft darüber, verärgert und verstimmt befahl er dann dem Dienstmädchen, die Fenster ein wenig zu öffnen und frische Luft hereinzulassen. Diesen Dezember jedoch schwieg der Arzt und riss sich zusammen, denn die Familie hatte etwas zu feiern: die Geburt seiner Tochter.
Darius war wie immer früh aufgestanden und hatte in seiner Privatpraxis die Krankenakten überprüft. Jetzt beendete er gerade das Mittagessen im Esszimmer, zusammen mit seiner Frau Eulàlia. Seit gerade einmal zwei Tagen war sie wieder dazu übergegangen, gemeinsam mit ihrem Ehemann am Tisch zu essen, zuvor war sie, wie angeraten, einige Tage im Bett geblieben. Darius schwieg, da er sich mittags nicht gern unterhielt, außerdem las er Zeitung. Ab und zu legte er sie zur Seite und nippte am dampfenden Kaffee, den ihm das Hausmädchen immer nach dem Dessert brachte, wenn er am Nachmittag Dienst im Krankenhaus hatte. Darius Rovira nutzte den Augenblick, um seiner Frau einen kurzen Blick zuzuwerfen, sie lächelte. »Geht es dir gut?«, fragte er eher als Arzt denn als Ehemann. Dann nahm er die Zeitung wieder zur Hand und führte seine Lektüre fort.
Eulàlia betrachtete die weißen Servietten, das angerichtete Mahl, die Obstschale, die noch auf dem Tisch stand. Sie wurde ungeduldig, wollte zu ihrer neugeborenen Tochter zurück, die noch bei der Amme war, und diese rosafarbenen Wangen betrachten - wie hübsch sie war! Stattdessen aber nahm sie die Tasse mit dem Kräutertee in die Hand und trank in kleinen Schlucken daraus. Sie betrachtete den Teil des Kopfes ihres Mannes, der über der Zeitung hervorlugte, und ab und zu schaute sie zum großen Fenster des Erkers, der einen Ausblick auf die Kreuzung zwischen der Rambla de Catalunya und der Carrer de València gewährte. Sie zählte schon die Tage, bis sie wieder draußen spazieren gehen durfte.
Als die Uhr im Esszimmer halb drei schlug, faltete Rovira die Zeitung zusammen und legte sie auf den Esstisch. Er stand auf, strich sich die Falten aus dem Anzug und richtete seinen Hemdkragen. Er ging zu Eulàlia, beugte sich leicht zu ihr herab und gab ihr einen fast nicht wahrnehmbaren Kuss auf die Stirn. Eulàlia schloss die Augen und seufzte. Ungeduldig sagte Darius zu ihr: »Sag Antonio Bescheid, er soll die Kutsche fertigmachen.«
Während Eulàlia die Glocke läutete, um dem Kutscher die Anweisungen zu geben, ging Rovira in sein neues Schlafzimmer, das direkt neben dem noch bis vor Kurzem gemeinsam genutzten Schlafzimmer lag, welches er jedoch nach der Geburt seiner Tochter geräumt hatte. Er öffnete den Kleiderschrank, um sich im Ganzkörperspiegel zu betrachten. Ein letzter Blick auf sein Äußeres, bevor er zur Arbeit aufbrach, ins Hospital de la Santa Creu, wo er seit einigen Jahren ordentlicher Arzt war, zuständig für einen der Krankensäle für bessergestellte Patienten. Für solche, die ihren Krankenhausaufenthalt bezahlen konnten und dementsprechend auch besser behandelt wurden. Denn die meisten Betten im Krankenhaus waren von Armen, Obdachlosen, Prostituierten und Elenden jeder Art belegt, allesamt mit einer traurigen und unglückseligen Geschichte im Gepäck. Männer, Frauen, Kinder, die zumindest während ihres Krankenhausaufenthalts eine warme Mahlzeit am Tag zu sich nehmen konnten. Manchmal bedurfte es kaum mehr, als sie vom angesammelten Schmutz sowie von Läusen und Krätze zu befreien, um sie dann in deutlich besserem Zustand zu entlassen. Sie kehrten zurück in die schlecht belüfteten Fabriken, in ihre dreckigen Behausungen, in ihr Leben, das eigentlich kein Leben, sondern nur ein Überleben war. Es dauerte nicht lange, und sie waren wieder im Krankenhaus.
Rovira war darauf bedacht, auf sein Äußeres zu achten und immer makellos zu erscheinen, auch wenn er sich jeden Nachmittag dem Schmutz der Leute widmete, die im Krankenhaus keuchend und eingeschüchtert auf Krankenschwestern und Ärzte wie ihn warteten. Denn schließlich war sein Aussehen seine Visitenkarte, in den besten, aber auch in den ärmsten Gesellschaftskreisen der Stadt. Ein paar Augenblicke gab er sich der Betrachtung seines Spiegelbildes hin: ein hochgewachsener Mann, kantige Gesichtszüge, welche ihn durchaus vornehm wirken ließen, der gut gestutzte Bart, der weder zu breite noch zu schmale Rücken, das zurückgekämmte glänzende schwarze Haar, welches ihm Eleganz und Attraktivität verlieh. Es war um keinen anderen Arzt so gut bestellt wie um Darius Rovira, das war in ganz Barcelona bekannt, und auch er selbst war sich dessen bewusst. Er richtete seinen Krawattenknoten, als würde er eine der reichsten Damen der Stadt empfangen, die ihn in seiner Privatpraxis aufsuchten, und trat auf den Flur hinaus. Er ging die wenigen Schritte zum Spiel- und Studierzimmer. Dort müsste sein Sohn Llorenç sein, der im Begriff war, seinen Nachmittagsunterricht mit dem Hauslehrer Ripoll zu beginnen. Im kommenden Jahr sollte er dann auf die Jesuitenschule in Sarrià gehen, so wie alle Söhne aus gutem Hause in Barcelona. Darius Rovira wollte gut darauf Acht geben, dass sein Sohn sich anstrengte und alles gab, um eines Tages ein genauso bekannter und angesehener Arzt wie er selbst zu werden.
Er öffnete die Tür ein Stückchen, gerade genug, um zu sehen, was dahinter geschah. Der kleine Llorenç nahm ein Buch mit Illustrationen aus den Händen des Lehrers entgegen. Sie fingen gerade mit dem Lesen an. Und auch wenn Darius gern geblieben wäre, um die Fortschritte seines Sohnes mitzuerleben, so musste er doch aufbrechen. Schließlich wollte er nicht zu spät kommen.
»Ich muss los«, sagte er statt eines Grußes. Den Hauslehrer hatte er bereits am Morgen gesehen, Llorenç allerdings noch nicht. Den Jungen schickten sie zum Essen in die Küche, auch sonst durfte er keinen Lärm machen, nicht einmal in seinem Zimmer, um seine neugeborene Schwester nicht zu wecken. Als Llorenç seinen Vater hörte, blickte er von den Illustrationen auf und sah ihn an, ohne sich vom Stuhl zu erheben. Erst als der Lehrer eine leichte Geste machte, stand Llorenç auf. Er ging auf seinen Vater zu und küsste ihm die Hand. Darius sah zunächst seinen Sohn und dann Ripoll an, dem er zunickte, bevor er ging.
Auf dem Weg in die Diele kam er an dem Zimmer vorbei, in dem die Amme mit der kleinen Aurora saß. Er dachte daran, innezuhalten, um sich noch einmal dieses bildhübsche Wesen anzuschauen, das er zu zeugen vermocht hatte. Doch dann änderte er seine Meinung; er hasste es, zu spät zu kommen. Eulàlia stand in der Tür, seinen Mantel in der einen und seinen Hut in der anderen Hand. Nur die Herren Ärzte und eine bestimmte Art Mann trugen in Barcelona solch einen Hut. Zuerst streifte er sich den Mantel über, dann nahm er den Hut entgegen und setzte ihn sich mit einer gekonnten Bewegung auf. Er knöpfte nur die beiden obersten Knöpfe seines Mantels zu, und nachdem er seinen Gehstock mit goldenem Knauf gegriffen hatte, verabschiedete er sich mit einer kurzen, flüchtigen Geste von seiner Frau. Dann ging er.
Nur ein paar Treppenstufen trennten die Wohnung der Roviras in der ersten Etage von der Straße. Dort wartete bereits Antonio. Er saß zum Aufbruch bereit auf dem Kutschbock, das Zaumzeug straff im Maul des schwarzen Tieres. Das Pferd, eine Rassestute, hatte Darius jüngst anschaffen lassen, ein weiteres unumstößliches Zeichen seines guten Geschmacks.
Die Kutsche setzte sich die Straße hinunter in Bewegung, und Darius Rovira beobachtete das Getümmel der Menschen um ihn herum. Inmitten der Rambla de Catalunya hatten die Bäuerinnen mit ihren dunklen Kopftüchern die Hälfte des Gehsteigs mit mannigfaltigen Exemplaren von Hähnen, Hennen und Küken bevölkert, alle hübsch aufgereiht. Die Tiere gluckten auf Stroh, die ersten Kunden des Nachmittags suchten aufmerksam und kritisch nach dem einen Exemplar, das ein leckeres Weihnachtsmahl abgeben würde. »In ein paar Tagen ist der ganze Spuk vorbei«, sagte Rovira gereizt zu sich selbst. Die Weihnachtszeit langweilte ihn zutiefst. Das ganze Haus füllte sich dann immer mit Eulàlias Familie, Tanten und Nichten, fast nur Frauen, die sein Reich mit ihrem belanglosen Weibergeschwätz einnahmen. Der einzige für den Herrn des Hauses angenehme Abend war der des 26. Dezembers, des Stephanstages, denn dann kam Doktor Robert zu Besuch. Darius' Vorbild, dem er so gut wie alles zu verdanken hatte, erschien an diesem Tag immer zusammen mit seinen Töchtern, um seinen Pflichten als Eulàlias Patenonkel nachzukommen - im Vergleich zu Darius besaß er sehr viel mehr Geduld mit der Familie, die sich um das Abendessen scharte.
Auf dem Weg hinab zum Krankenhaus wurde Rovira Zeuge eines ganz normalen winterlichen Mittwochnachmittags: Hausmädchen mit weißen Schürzen, die Körbe vor sich her trugen und von hier nach da eilten, Kindermädchen mit einem Kind auf dem Arm oder im Kinderwagen, jede Menge Männer mit grauen oder braunen Kitteln, allerlei Straßenverkäufer und inmitten von all dem Getümmel ein paar Herren, die mit ihrem Gehstockgeklapper auf dem Pflasterstein und festem Schritt irgendeinem wichtigen Ziel entgegeneilten. Kinder rannten von einer Straßenseite auf die andere und liefen dabei Gefahr, von einer Kutsche überfahren zu werden, oder sie jagten so nah an den Kutschrädern vorbei, dass Darius hörte, wie Antonio sie lautstark verfluchte. Kurz hinter der Plaça de Catalunya befanden sich die Floristen, die vor ihren vor Grün und anderen Farben nur so strotzenden Ständen saßen und auf Nachmittagskundschaft warteten, die nicht lange auf...
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