Schweitzer Fachinformationen
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Wer ist diese Frau? Redet ihr immer so miteinander? Von Fenster zu Fenster? Was will sie von dir?
Terrys Mutter ist gerade gestorben, sagte ich.
Maria wuchtete ihren Koffer aufs Bett.
Na und? Was hast du damit zu tun, Tom?
Sie begann, ihre Kleider in meinen Schrank zu räumen. Es klopfte wieder ans Fenster. Maria fuhr herum: Sie soll das lassen. Sag ihr, dass sie das lassen soll.
Im September war Terrys Foto auf der Titelseite der Philadelphia Daily News gewesen. Aber daran hatte ich mich erst später erinnert.
Wir lebten in einem Apartmenthaus an der Pennsylvania Avenue, beide im elften Stockwerk, ich im mittleren Gebäude, Terry im Südflügel. Von meinem Küchenfenster aus konnte ich in ihr Wohnzimmer schauen.
Einmal hatte sie mit nacktem Hintern und nur einem Unterhemd bekleidet vor dem Fernseher gestanden und im Sekundentakt durch die Programme geschaltet. Nervös war sie von einem Fuß auf den anderen getreten, hatte sich ihr langes, hellblondes Haar mit einer hektischen Handbewegung aus dem Gesicht gestrichen und immer wieder zur Tür geschaut, als erwartete sie jemanden. Dann hatte sich ihr Körper angespannt, ihre Pobacken waren fest und weiß gewesen. Auf dem Bildschirm eine Nachrichtensendung. Terry streckte den Finger aus, zeigte auf etwas im Fernsehen, drehte sich plötzlich um, ich zog den Kopf zurück, stieß mich am Fensterrahmen. Terry ließ sofort die Jalousien herunter.
Als ich etwas später wieder aus dem Küchenfenster schaute, gingen die Jalousien hoch. Terry schob das Fenster auf und lehnte sich hinaus.
Ja, ich bin's, sagte sie. Du irrst dich nicht, du hast mich im Fernsehen gesehen. Oder in der Zeitung. Lässt du mich jetzt in Ruhe?
Bist du Schauspielerin?, fragte ich.
Nein. Hör auf, mich anzustarren.
Was hast du dann im Fernsehen gemacht?
Ihre Hand hatte gezuckt, sich leicht auf eine Stelle oberhalb der linken Brust gelegt. Ich bin verletzt.
Verletzt? Was soll das heißen?, fragte Maria.
Ich gab ihr die Kopie des Zeitungsartikels, die ich mir besorgt hatte. Sie überflog ihn nur kurz.
Soll ich jetzt Mitleid haben? Wahrscheinlich hat sie ihn irgendwie provoziert. Ich konnte meine Lehrer auch nie leiden.
Wie lang kennst du sie schon?
Vielleicht zwei, drei Monate.
Ach, zum Teufel. Dann geh eben auf die Beerdigung ihrer Mutter. Aber denk nicht, dass ich hier auf dich warte.
Ich zog ihre Hand an meine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen.
Du bist doch gerade erst angekommen, sagte ich.
Terry gehörte ein silberfarbener VW-Kombi. Sie bat mich zu fahren, saß ruhig neben mir auf dem Beifahrersitz, die Hände im Schoß gefaltet, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Sie trug einen knielangen, schwarzen Rock und einen dünnen, schwarzen Rollkragenpullover, von dem sich ihr blondes Haar leuchtend abhob. Als wir den Delaware River überquert hatten, setzte sie sich auf, stützte die Hände auf ihre Knie und sagte in einem sehr förmlichen Ton: Mein Vater wird mich auf meine gescheiterte Ehe ansprechen wollen. Ich werde dich ihm als meinen neuen Freund präsentieren. Wenn du dabei bist, traut er sich nicht.
Terry lehnte sich wieder zurück. Außerdem soll er nicht glauben, ich wäre verlassen worden.
Bist du?, fragte ich.
Sie schwieg.
Auf der Beerdigung waren außer uns und Terrys Vater nur noch der Pfarrer. Wir warfen Blumen ins Grab, Rosen, Terrys Vater eine weiße Lilie. Danach schüttelte er mir die Hand, begrüßte mich herzlich und schien sich nicht sicher zu sein, ob wir uns schon einmal begegnet waren. Dann wandte er sich Terry zu: Ich habe es in der Zeitung gelesen. Schreckliche Geschichte. Wie lang warst du im Krankenhaus? Ich habe dir immer gesagt, du sollst nicht an so einer Schule arbeiten. In so einer Gegend. Mit solchen Kindern. Ist deine Mutter damit einverstanden gewesen? Geht es dir wieder besser?
Du hättest anrufen können, sagte Terry.
Leider stimmt deine Nummer nicht mehr.
Konnte mein Mann dir meine neue nicht geben?
Ich dachte, du würdest dich melden, wenn du etwas brauchst.
Hattest du mit deiner Mutter noch einmal gesprochen?
Nicht, seit sie sich auf meiner Hochzeit wie eine Irre aufgeführt hat.
Und was machst du mit ihrem Haus?
Terry legte einen Arm um mich. Wir wollen es behalten.
Ich bin eben dran vorbeigefahren, sagte der Vater. Du weißt, wie es aussieht, oder?
Was ist denn damit?, fragte Terry.
Er sah auf die Uhr. Ich muss los. Mittagessen mit der Familie. Ihr könnt uns ja mal besuchen kommen. Ich würde mich freuen.
Er strich Terry über die Schulter und schüttelte mir die Hand.
Viel Glück.
Das Erste, was wir sahen, war ein Urwald.
Hier?, fragte ich ungläubig.
Das kann doch nicht wahr sein, sagte Terry.
Ich stieg aus dem Wagen und zündete mir eine Zigarette an. Von der Straße aus war das Haus nicht zu sehen, und als wir die fast völlig zugewachsene Auffahrt hinaufgingen, bemerkten wir, dass man es durch die Haustür nicht betreten konnte, weil es keinen Weg mehr gab, der dorthin führte.
Hintenrum, sagte Terry und bahnte uns einen Weg durch die schulterhohen Büsche und Sträucher. Einen Moment lang kam ich mir vor wie in einem Kindheitstraum - ein zugewachsenes Haus, ein geheimer Eingang -, aber als wir durch die Terrassentür in die Küche traten, roch ich, dass ich mich irrte. In keinem meiner Träume hätte es jemals so stinken können. Am Anfang wussten wir nicht, woher der Geruch kam. Alles wirkte gepflegt. Über dem Gasherd hingen polierte Kupfertöpfe, die Spülmaschine war neu, das Geschirr darin sauber. Terry öffnete den Kühlschrank, der noch aus den sechziger Jahren stammte. Bis auf zwei Kanister mit Milch war er leer. Wonach stinkt es hier so?, fragte Terry und atmete hörbar durch den Mund ein.
Keine Ahnung.
Von der Küche gingen drei Räume ab, links und rechts Wohn- und Fernsehzimmer, geradedurch lag ein kleines Esszimmer, aus dem eine steile Holztreppe in den ersten Stock führte. Alles war sehr zweckmäßig eingerichtet, unpersönlich, nur das schwarz lackierte Klavier im Wohnzimmer und das Kruzifix über dem Fernseher ließen auf die Persönlichkeit der Frau schließen, die hier gelebt hatte.
Da hat sie mich rangezwungen, sagte Terry, klappte den Deckel des Klaviers auf und fuhr einmal mit der Hand über die Tasten.
Hat sie selbst auch gespielt?
Was weiß ich. Mit dem Kreuz da hätte ich sie manchmal am liebsten erschlagen.
Was Terry sagte, war mir unangenehm, und ich ging in den nächsten Raum weiter. Die Wände schienen mit einer Art Ölfarbe gestrichen zu sein, es sah aus, als würden sie schwitzen.
Ich strich darüber. Feucht.
Verfault?, fragte Terry.
Kann ich nicht sagen. Vielleicht.
Ich kotz gleich.
Mach ein Fenster auf.
Ich stieg die Treppe in den ersten Stock hoch. Der Gestank wurde schwächer. Der schmale Flur hatte vier Türen, neben einer hing ein Wandteppich, ein Hungertuch mit biblischen Motiven in verblichenen Farben. Ich öffnete eine Tür nach der anderen. Schlafzimmer, Bad, ein Schrank, Handtücher und Bettwäsche darin. Ein leeres Zimmer. Ich trat ein. Es war dunkel, hinter den Wänden raschelte es, und ich dachte wieder an die Märchen, die mein Vater mir als Kind vorgelesen hatte, an ein verwunschenes Schloss, an ein Hexenhaus, an meine Mutter, der die Märchen zu grausam gewesen waren. Ich schaltete das Licht ein, gleichzeitig begann sich ein mit bunten Blumen beklebter Deckenventilator zu drehen.
Total verzogen, rief Terry von unten. Ich krieg die Fenster nicht auf.
Der Raum war klein, quadratisch. Auf dem Holzfußboden Abdrücke von vier Bettpfosten. Über der Tür ein kleines Kruzifix. Rosafarbene Gardinen. Ein leerer Bilderrahmen auf der Fensterbank.
Unten knallte eine Tür.
Ratten!
Terry rannte durch die Küche und stürzte in den Garten hinaus. Ich hörte, wie sie sich übergab.
Ob Vater mein Kinderzimmer in Deutschland ausgeräumt hatte? Oder war alles so geblieben, wie ich es verlassen hatte? Ich sah mich noch einmal in dem leeren Zimmer um, dann schloss ich die Tür und ging in die Küche hinunter.
Ich hielt den Atem an. Aufgeplatzte Müllsäcke türmten sich die Kellertreppe hoch, der ganze Keller musste damit gefüllt sein. Aus einer Tüte quoll ein dunkler Brei, in dem sich Maden bewegten.
Terry hockte auf der Terrasse, hielt sich mit beiden Händen das Haar aus dem Gesicht.
O Gott, jammerte sie. O mein Gott.
Ich nahm ein Glas aus dem Küchenschrank, füllte es mit Wasser und brachte es ihr.
Das trinke ich nicht. Das kommt aus der Leitung. Was meinst du, wie die hier aussehen.
Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Da ist noch Milch im Kühlschrank, sagte ich. Willst du .
Sie übergab sich wieder.
Ich schau mal, ob noch etwas anderes da ist.
Ich ging zurück in die Küche, schob einen Wandschrank auf. Dahinter standen eine Waschmaschine und ein Trockner, auf dem alte Zeitungen lagen, eine Ausgabe der Philadelphia Daily News ganz zuoberst. Auf einem Foto sah man die Schule, an der Terry unterrichtet hatte, daneben war ihr Bild, eine Porträtaufnahme mit blauem Studiohintergrund.
Wo hatten sie das Foto her?, fragte ich.
Was für ein Foto?
Ich hielt die Zeitung hoch. Terry wandte sich ab.
Von meiner Mutter. Ich hatte es ihr zum Geburtstag geschickt. Sie hat es an deine Scheißzeitung weitergegeben. Tolle Kollegen hast du.
Wir nehmen, was wir kriegen.
So sieht es aus.
Sie stand auf, schwankte ein wenig. Komm. Komm, weg hier.
Ich brauche etwas zu...
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