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Deutschland war, wie jeder weiß, mehr als 40 Jahre lang in zwei Hälften geteilt. Vor und hinter dem von Joseph Stalin heruntergelassenen Eisernen Vorhang - ein Begriff aus der Welt der Schausteller - entwickelten sich unterschiedliche Staatssysteme, ein demokratisches im Westen, im Osten ein volksdemokratisches. In der von Hans Eissler komponierten DDR-Hymne hieß es zwar hoffnungsvoll "Deutschland, einig Vaterland", tatsächlich aber waren die beiden deutschen Staaten sich so uneinig wie heutzutage noch Nord- und Südkorea, bis die Ostdeutschen sich 1989 erhoben und mit dem Ruf erst "Wir sind das Volk" und dann "Wir sind ein Volk" die Wiedervereinigung erzwangen.
Wer jedoch glaubt, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung seien alle Spuren der Trennung verwischt, der irrt. Wer sich ein aktuelles Bild von Deutschland machen will, der muss auch die Schlacke jener 40-jährigen gewaltsamen Trennung unter die Lupe nehmen und gleichzeitig in Betracht ziehen, was die auf den Zerfall der kommunistischen Systeme folgende Globalisierung mit den Völkern Europas gemacht hat.
Mir sind 2014, als ich meine "Deutsche SchildBürgerKunde" vorlegte, ein paar Personen und Sachen durch die Lappen gegangen. Das will ich im Folgenden korrigieren und gleichzeitig versuchen, die Gegenwart nicht aus den Augen zu verlieren, denn 30 Jahre nach der Wiedervereinigung beobachten unsere Nachbarn, aber nicht nur die, Erscheinungen, die man besorgniserregend nennen kann.
Zu den Personen, die mir damals durch die Lappen gegangen sind, gehören Oskar Schindler und John Rabe. Oskar Schindler ist der Welt durch Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" bekannt geworden. Schindlers Grab ist in Jerusalem zu finden. Die Israelis nahmen ihn ihrerseits in die Liste der "Gerechten unter den Völkern" auf. In Deutschland West gibt es Oskar-Schindler-Straßen in Augsburg, Frankfurt am Main, Hildesheim, Köln, Nürnberg, Sendenhorst (Nordrhein-Westfahlen) und Wehrheim (Hessen) sowie einen Oskar-Schindler-Ring in Rheine.
John Rabe hat man den Schindler Chinas genannt, weil er viele Chinesen vor dem Zugriff japanischer Soldateska schützte, die 1937/38 in Nanking ein Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hatte. Auf deutschen Straßenschildern sucht man ihn vergebens.
In meiner "Deutschen SchildBürgerKunde" tauchte Bruno Apitz nicht auf, weil ich sozialistische Schriftsteller mit weniger als 3 Straßenehrungen damals ausgeschlossen hatte. Das war ein Fehler. Wäre ich gelernter DDR-Bürger gewesen, wäre mir das nicht passiert. Sein Roman "Nackt unter Wölfen" war Pflichtlektüre in den Schulen der DDR und ein Welterfolg obendrein. Es soll zwischen 17 und 30 Übersetzungen in fremde Sprachen geben. Die Quellen sprechen von 3 Millionen verkauften Exemplaren. "Nackt unter Wölfen" wurde 1963 von der DEFA erstmals verfilmt, und selbst die Wiesbadener Filmbewertungsstelle erteilte die Note "Besonders wertvoll". Der "Mitteldeutsche Rundfunk" (MDR) strahlte 2015 eine Neuverfilmung aus. Es gibt gute Gründe, sich das Buch und die beiden Verfilmungen etwas näher anzusehen.
Bei dem Romantitel denken viele vielleicht an Mythen oder Märchen, an Romulus und Remus, die Gründer Roms, an Rudyard Kiplings Mougli, der von Wölfen aufgezogen wurde oder an das Grimmsche Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Bei Apitz geht es um einen dreijährigen polnisch-jüdischen Waisenknaben, dessen Eltern in Auschwitz vergast worden sind. Er ist von seinem Beschützer in einem Koffer in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar geschmuggelt worden.
Erinnert das nicht an Biblisches? Moses, der Erretter des Volkes Israel, wird, wie Bibelleser wissen, in einem Weidenkörbchen ans Nilufer geschwemmt, und Christus aus dem Neuen Testament wurde von seinen Eltern in einen Futtertrog gelegt. Weder bei Apitz noch bei Beyer wird der Bezug zur biblischen Geschichte explizit gemacht. Die DDR war atheistisch. Aber auch atheistische Autoren können unbeabsichtigt Spuren legen.
Bei den Wölfen handelt es sich um SS-Angehörige, die den in ihren Augen nutzlosen Esser vermutlich sofort getötet hätten, wären sie seiner habhaft geworden. Die Selbstverwaltung des KZs Buchenwald bei der Goethe- und Schillerstadt Weimar - sie wird von kommunistischen Häftlingen gestellt - steht vor einer schwierigen Entscheidung. Von der SS sind die Häftlinge mit der Verwaltung des Lagers betraut worden. Durch die Kooperation mit ihren Peinigern - die Kapos34 stellen zum Beispiel Transportlisten von Häftlingen zusammen, die anderenorts getötet werden - sollen sie sich mitschuldig machen. Die Häftlinge haben aber auch eine Widerstands- und Befreiungsorganisation - das Internationale Lagerkomitee (ILK) - gegründet, das über Waffen und Kämpfer verfügt. Sie warten nur auf den richtigen Moment um zuzuschlagen. Wir befinden uns im Frühjahr 1945, und die amerikanischen Panzerspitzen kommen dem Lager von Tag zu Tag näher. Die SS hat Wind bekommen von Kind und ILK. Sie fahndet nach den Köpfen. Das Kind soll ihnen als Schlüssel dienen, der ihnen Tor und Tür zur Widerstandsorganisation öffnet. Der Dreijährige gefährdet so die konspirative Gruppe. Im Interesse des ILK und mittelbar auch der 50.000 Insassen muss der Junge deshalb schnellstmöglich mit einem Transport aus dem Lager geschafft werden - in den sicheren Tod. Das Gebot der Menschlichkeit fordert dagegen, dass das Kind versteckt und gerettet wird.
Den Jungen hat es tatsächlich gegeben, auch wenn er nicht im Koffer nach Buchenwald kam (s. dazu Niven 2009). Aber auch einen anderen Jungen hat es gegeben, einen 16-jährigen Sinto, der an seiner Stelle auf die Transportliste gesetzt und ermordet wurde. Und es hat den Häftling Nr. 2417 gegeben, Bruno Apitz, der zwischen 1937 und 1945 in Buchenwald inhaftiert war. Nach der Befreiung wollte er seinen Kameraden ein literarisches Denkmal setzen. "Ich grüße", schreibt er im Frontispiz, "mit dem Buch unsere toten Kampfgenossen aller Nationen, die wir auf unserem opferreichen Weg im Lager Buchenwald zurücklassen mussten. Sie zu ehren, gab ich vielen Gestalten des Buches ihren Namen."
Im Roman kommt einer derer, die das Kind im Lager verstecken, tatsächlich ums Leben. Er wird in Gestapohaft zu Tode gefoltert. Zwei andere überleben mit Mühe und Not. Kurz bevor die Amerikaner Buchenwald erreichen, verdrückt sich die SS. Bei Apitz liest sich das anders, dramatischer. Die Kämpfer des ILK holen ihre Waffen aus den Verstecken und vertreiben die Wachmannschaften. Apitz und auch Frank Beyer, der Filmregisseur, haben die Wirklichkeit eine wenig geschönt im Interesse der deutschdemokratischen Mythenbildung, die im antifaschistischen Widerstand die raison d'être der DDR erkennen wollte.
Schriftsteller Apitz (Reißland 1976) wurde am 28. April 1900 in Leipzig geboren. Er war praktisch sein ganzes erwachsenes Leben lang Kommunist und deshalb auch häufig in Konflikt mit der Obrigkeit. Einzig auf die DDR ließ er nichts kommen. Darin ähnelte er Anna Seghers, über deren Schicksal und Kommemoration auf deutschen Straßenschildern wir (Jung 2014, Kapitel III) berichtet haben. Von vielen Berichterstattern - Lars Förster hat 2015 eine politische Biographie veröffentlicht - wird Apitz als vielfältig begabt geschildert. Kaum einer vergisst jedoch, darauf hinzuweisen, dass er Autodidakt war, und man fragt sich, wozu dieser Hinweis gut sein soll. Als Schriftsteller geht man nicht bei einem Meister in die Schule, man liest sich vielmehr durch die Jahrhunderte, bis man, wie T.S. Eliot es gesagt hat, die literarische Vergangenheit in den Knochen spürt.
Wie immer dem sei, Apitz machte sich nach der Befreiung an die Arbeit und diente seine Entwürfe dann verschiedenen Verlagen an. Ohne Erfolg. Erst der Mitteldeutsche Verlag in Halle griff zu und veröffentlichte "Nackt unter Wölfen" ein Jahr nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Der Verlag hatte dem Autodidakten allerdings einen Lektor zur Seite gestellt. Sein Name: Martin Gustav Schmidt. Der hatte unter dem Pseudonym Martin Gregor einige Gedichte veröffentlicht, die aber von Erwin Strittmatters Frau Eva verrissen worden waren, weil sie nicht staatstragend genug waren. Kaum war das Buch lektoriert und erschienen, da setzte sich Martin Gustav Schmidt in die BRD ab, wo er es unter einem weiteren Pseudonym, Martin Gregor-Dellin, zu Ehren brachte. Er stieg bis zum Präsidenten des westdeutschen PEN-Zentrums auf.
In seinen Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Bruno Apitz heißt es: "Der eigentlich schwierige Teil der Arbeit am Manuskript setzte jeweils ein, wenn ... es ans Sprachliche ging, an die Streichung von Adjektiven, an die Beseitigung stilistischer Unmöglichkeiten. Manchmal mussten ganze Sätze fallen. Die Gefahr, dass hier der Lektor entweder versagte oder Opernhaftes stehen blieb, ... lag immer nahe" (zitiert nach Förster 2015: 144).
Martin Gregor-Dellin war übrigens nicht der einzige Kollege von Apitz, der sich kritisch über die...
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