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Mit vierundzwanzig Jahren bin ich zum Diakon geweiht worden. Heute würde ich sagen: Das war zu früh. Ich hätte noch etwas anderes studieren, mir mehr Zeit lassen sollen. Während der Weihehandlung hatte ich das Zölibatsversprechen abzulegen. Ich habe das damals mit voller Überzeugung getan, dabei aber im Stillen gedacht: Hoffentlich geht das gut! Das Diakonatsjahr war dann jedoch fantastisch. Es gab damals noch überschaubare Gemeinden: eine Kirche, ein Pfarrheim, ein Pfarrhaus, ein Pfarrer und eine Pastoralreferentin. Jetzt war ich auch da, jetzt gehörte ich dazu. Der Pfarrer hatte eine gute Mentoratsmethode: learning by doing. Ich durfte alles machen, alles ausprobieren. Und weil er in der Lebensmitte und gerade ein bisschen müde war, ließ er mich vor allem das tun, wozu er selbst im Moment keine Lust hatte. Ein Diakon im Ausbildungsjahr muss Fehler machen dürfen, und das habe ich auch. Dennoch war ich auf »Wolke sieben«, der Zuspruch war hoch. Kinder- und Jugendarbeit, Religionsunterricht, Taufen, Trauungen, Beerdigungen - alles lief wie am Schnürchen. Auch für kritische Positionen in Sachen Theologie und Kirche gab es einen Raum. Nach einem Jahr war ich allerdings so entkräftet, dass ich im Krankenhaus gelandet bin. Ich hatte mich in meiner Begeisterung schlichtweg übernommen.
Danach ging es wieder für einige Monate ins Priesterseminar, mit wiederum wenig Verwertbarem für die konkrete Pastoral. Aber egal, es war eine Verschnaufpause, wir haben uns im Weihekurs gut verstanden und eine Menge Unsinn veranstaltet, zum Beispiel eine kirchenkritische Kunstausstellung, die über Nacht das ganze Seminar ausfüllte und für eine große Verunsicherung gesorgt hat. Die Priesterweihe rückte näher, dafür musste vieles vorbereitet werden. Von den siebenunddreißig Theologiestudenten, die 1987 gemeinsam mit mir im Collegium Borromäum angefangen hatten, waren jetzt noch achtzehn übrig geblieben, dennoch für heutige Verhältnisse ein riesengroßer Kurs. Nach der Weihe im Dom zu Münster standen einige Primizfeiern an. Primiz nennt man die erste Messfeier, der ein neugeweihter Priester vorsteht, darum ranken sich viele magische Vorstellungen, die auch 1994 noch nicht überwunden waren. So wurde der Weg zwischen meinem Elternhaus und der Kirche mit Birkenzweigen und achtzehntausend Papierrosen geschmückt, es war sehr feierlich, die ganze Gemeinde war auf den Beinen, selbst der Bürgermeister und mein ehemaliger Gymnasialdirektor hielten eine Rede. Die Primizfeiern habe ich mit stoischer Gelassenheit ertragen, ich hatte den Eindruck, dass hier eine Volksreligiosität fröhliche Urständ feierte, die theologisch niemand mehr verantworten konnte.
Noch besser als im Diakonat ging es mir in der ersten Kaplansgemeinde. An einem Pfarrer, der wirklich durch und durch Seelsorger war, konnte ich Maß nehmen und tue dies bis heute. Kein Pfarrer, den ich kenne, konnte sich selbst dermaßen zurücknehmen und dadurch seine Mitchristen ermutigen wie er. Keine andere Gemeinde, in der ich tätig war, hatte so viele Getaufte, die ihr Christsein bewusst ernstnahmen, die der Kirche gegenüber kritisch und dem Evangelium gegenüber loyal waren. Die so genannten »Hauptamtlichen« mussten gar nicht alles selber leiten, vielmehr hatten die Ehrenamtlichen ihren Glauben selbstbewusst in die Hand genommen. Ich erinnere mich an das erste Treffen mit dem Ausschuss zur Vorbereitung des Firmsakraments. Eine Mitchristin sagte mir: »Herr Kaplan, wir bereiten die Firmkatechese vor, wenn Sie Zeit und Lust haben, können Sie auch dazukommen.« Die hätten das also auch ohne mich gemacht, gut so. Auch als Religionslehrer konnte ich mich ausprobieren; die Erfahrungen an einem bischöflichen Gymnasium vermochten mich mit meiner eigenen eher langweiligen Schulvergangenheit zu versöhnen. Es war eine unglaublich bereichernde Zeit, die leider zu schnell endete: Nach zweieinhalb Jahren Kaplanszeit starb der Pfarrer an Krebs, nach insgesamt drei von eigentlich vier vorgesehenen Kaplansjahren wurde ich versetzt.
Als Jugendseelsorger war ich fortan zuständig für die Jugendverbände einer Region sowie für eine Jugendbildungsstätte. Damit hatte ich zunächst zu kämpfen, denn ursprünglich hatte man mir eine andere Stelle fest versprochen. Der eigentlich zur Versetzung anstehende Kollege behielt jedoch die Stelle, weil er die größere Nähe zum damaligen Bischof hatte. Ich selbst fühlte mich deshalb überflüssig und »entsorgt«. Später verliebte sich der Kollege in eine Frau, doch man bot ihm an, ihn dennoch weiter zu stützen, wenn er dieses Verhältnis geheim halten würde, was er aber nicht tat. Er selbst war also aufrichtig, der Fisch stank wieder einmal vom Kopf her, aber diese Heuchelei vermochte mich schon nicht mehr zu berühren. Vielmehr wurde mir von Tag zu Tag klarer, dass wir eine grundlegende Kirchenreform brauchen.
Die kirchliche Jugendarbeit, mein neues Arbeitsfeld, war damals vorrangig sozialpädagogisch aufgestellt, es ging teilnehmerorientiert zu, ähnlich wie im problemorientierten Religionsunterricht während meiner Schulzeit. In den Kursen leitete man einige Methoden an, um die Jugendlichen ins Gespräch und vor allem in Aktion zu bringen; worüber, das war eigentlich egal. Um Gebetszeiten, Bibel und Gottesdienst musste ich deshalb immer wieder mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Sozialpädagogik ringen. Als ich einmal Psalm 139 in eine Traumreise eingefügt habe, meinte hinterher ein Kollege: »Da hast du denen ja mal wieder den lieben Gott ganz schön um die Ohren gehauen.« Dennoch hatte ich mir irgendwann ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet: Ich stand für die Inhalte. Die prozess- oder teilnehmerorientierte Arbeit hatte den Vorteil, dass die Wünsche der Teilnehmer im Vordergrund standen, und den Nachteil, dass konkrete Inhalte meistens keine Rolle spielten, am wenigsten Gott. Um ihn ging es nur am Rand, er wurde mitgedacht, wenn die Atmosphäre stimmte und man gut miteinander umging. Was für ein Trugschluss! Meine Grunderfahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit lautet: Die Kirche ist bis ins Mark säkularisiert, wir finden auch unter den hauptamtlichen Mitarbeitern nur sehr wenige Glaubenszeugen. Die Kirche ist zu einem Sozialkonzern auf ganz dünnen theologischen Beinchen geworden, denn die meisten ihrer Mitarbeiter sind religiös sprachunfähig oder schämen sich sogar ihres Glaubens. Nur mit dem pastoralen Dreischritt »ankommen - verkommen - umkommen« (Vorsicht Ironie!) kann man kein christliches Profil schärfen und auch nicht glaubwürdig von Jesus Christus Zeugnis geben.
Allein als Jugendseelsorger fühlte ich mich deshalb nicht wohl, ich brauchte auch eine Gemeinde. Diese fand ich in Gestalt einer kleinen Pfarrei, die man noch nicht in eine größere einverleiben konnte, weil die Nachbarpfarrer schon zu alt waren und sich eine weitere Aufgabe und Verantwortung nicht zutrauen wollten. Diese kleine Pfarrei war meine Rettung. Ich war dort der Hobbypastor, die Leitung der Pfarrei war mein Ehrenamt, denn ich hatte ja weiterhin eine volle Stelle als Jugendseelsorger. Mit dieser Gemeinde konnte ich endlich wieder regelmäßig die Eucharistie feiern, nun hatte ich Menschen, die mit mir glaubten, und nicht nur Kursteilnehmer, für die ich etwas zu veranstalten hatte. In der Gemeinde herrschte ein archaisch-magischer Kinderglaube vor, eine klerikal verursachte Unmündigkeit, wie ich sie aus meiner Heimatgemeinde kannte. Mein Vorgänger hinterließ mir also eine große pastorale Aufgabe, dazu einen riesigen Reparaturstau und eine Million D-Mark in Nebenkassen jenseits der nachprüfbaren Kirchenverwaltung. Gute Ausgangsbedingungen für den Gemeindeaufbau sind das, der Kirchenvorstand konnte damit alle Gebäude renovieren und ich durfte den Glauben der Mitchristen auf eigene Füße stellen.
Damals habe ich zum ersten Mal einen meiner wichtigsten Schwerpunkte gesetzt, die Erwachsenenkatechese. Während die Sakramentenkatechese für Kinder nicht mehr als eine Eingewöhnung in die Rituale der Kirche sein kann, geht es bei der Erwachsenenkatechese um eine Vertiefung des Glaubens, um ein intellektuelles und existenzielles Verstehen seiner Inhalte, um das persönlich-geistliche Leben und eine kritisch-loyale Kirchlichkeit. Zu den Glaubensgesprächen dieser Pfarrei kamen Menschen aus der ganzen Umgebung, die Gemeindeexerzitien waren wenige Tage nach deren Ausschreibung voll belegt. Die kleine Pfarrei hatte nur eintausend Mitglieder; weil aber die Kirche der einzige Kulturträger im Dorf war, gab es sehr viele Ministranten, Chorsänger, Orchestermusiker, Ehrenamtliche. Und einen Gottesdienstbesuch von etwa fünfzig Prozent. Es gab Leiter von Wortgottesfeiern, Jugendarbeit und Caritas lagen komplett in der Hand von Ehrenamtlichen, also von Getauften.
In meiner Diözese begann damals gerade die Fusionswelle, die ersten Pfarreien wurden zusammengelegt. Ambitionierte Weihbischöfe wetteiferten, wie mir damals schien, darum, wer die gewachsenen Gemeindestrukturen wohl am schnellsten zerschlagen würde. Die Erfahrung aus meiner kleinen Pfarrei hat mich gelehrt, wie zerstörerisch die vielen Gemeindefusionen sein würden. Zwar ist das Christentum eher eine Aufbruchsgemeinschaft und kein Heimatverein, wie es damals etwas despektierlich von einigen aus der Diözesanleitung zu hören war; man kündigte das Ende der territorialen Pfarrei an und meinte, Christsein bräuchte in mobiler Gesellschaft andere, neue Sozialformen - was das konkret heißen würde, blieb offen. Ich habe damals dagegen erfahren dürfen, dass der Glaube nach wie vor ein Zuhause braucht und eine verbindliche Gemeinschaft. Die Fusionen zu sogenannten...
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