Schweitzer Fachinformationen
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Nachdem die junge Londonerin Ava sich von ihrem Freund getrennt hat, nimmt sie mit einem mulmigen Gefühl das Angebot ihres Chefs David an, in der Wohnung von dessen verstorbener Tochter zu wohnen. Avas ungutes Gefühl verwandelt sich schnell in Angst, denn David versucht sofort, jeden Aspekt ihres Lebens zu kontrollieren. Dann verliebt Ava sich auch noch in Davids Sohn Josh. Als David davon erfährt, entführt er Ava auf seinen abgelegenen Landsitz. Wird sie sich befreien können?
Wenn ich an Olivia denke, fällt mir sofort ein, wie sie an dem Morgen nach ihrem Tod gerochen hat. Nicht abstoßend oder penetrant, denn sie war noch nicht lange tot, aber unangenehm süßlich. Und an diesen frühen Totengeruch erinnere ich mich immer als Erstes. Als Nächstes sehe ich die unbeschwerte Haltung ihrer erstarrten Glieder vor mir und den stark nach hinten gebeugten Kopf, der über die Sofakante hing, fast bis zum Boden, und die geradeaus gerichteten schwarzen Augen. Es sah unbequem aus, so als hätte ein Puppenspieler ihre Fäden durchtrennt. Ich habe mich oft gefragt, woran sie wohl dachte, was ihr während der letzten Atemzüge durch den Kopf ging. War ihr bewusst, dass sie sterben würde? Manchmal versetze ich mich in ihre Lage und stelle mir vor, wie bedrohlich mein Herz klopft, wie meine Hände schwitzen, sich Blut in meiner Lunge sammelt und aufsteigt, als wollte es ans Licht. Wegen ihrer letzten Körperhaltung - der rechte Arm lag über den Beistelltisch ausgestreckt - ist mir auch immer wieder der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht noch nach dem Telefon greifen wollte. Es lag nur ein paar Zentimeter von ihren Fingerspitzen entfernt. Olivia war eine freundliche, schöne und sehr intelligente junge Frau; sie hatte es nicht verdient, auf so würdelose Art zu sterben.
Ich schlug die Hände vors Gesicht, um die entsetzliche Slideshow in meinem Kopf anzuhalten, und drückte mir die Fingerspitzen an die Stirn, die Nägel in die Haut. Ich holte scharf Luft und fühlte dann meinen warmen Atem gegen die Handflächen strömen, allein in der Totenstille an meinem Arbeitsplatz, denn das Großraumbüro jenseits der Glaswand war verwaist. Tagsüber herrschte dort reger Betrieb, nachts glich es einem Friedhof.
»Alles in Ordnung?« Ich schreckte zusammen. David. Bei seiner Frage klopfte er entschieden an meine offene Tür. David ist mein höchster Vorgesetzter, der Inhaber von Watson & Stein Partners, kurz W&SP, und Olivias Vater. Überrascht, dass er noch da war, sah ich zur Uhr. Kurz nach zehn. Ich hätte schon vor Stunden heimfahren sollen. Seine katzenhaften Augen wurden schmal. Offenbar zögerte ich zu lange mit meiner Antwort. Er wartete sie nicht ab. »Du solltest so spät nicht mehr arbeiten.«
»Ich weiß. Ich hab nur .«
»Den Bericht über die Bekanntgabe des Coroners gelesen?«
Ich blickte ihn entschuldigend an. Er wusste es. »Ja«, räumte ich ein und wich seinem Blick aus. Er kam herein und setzte sich schweigend in einen der Sessel mir gegenüber. Die Dunkelheit ringsherum hatte die Glaswände in schwarze Spiegel verwandelt, sodass ich sein Gesicht in beiden Scheiben sehen konnte. Einen Moment lang betrachtete ich seine kantigen Züge, seine scharf geschnittene Kinnpartie, die hohlen Wangen, die vorstehende Stirn und tief liegenden Augen. Kein Wunder, dass ich in seiner Gegenwart oft nervös wurde. Sein Gesicht hatte nichts Freundliches. Doch das war nicht der einzige Grund. Er besaß auch eine furchteinflößende Erhabenheit. Eine Aura. Er war ein Mann, vor dem man gewarnt wurde: gefährlich, kontrollsüchtig, mehr Geld als Verstand. Ich denke, ich habe ihn immer ein wenig beunruhigend gefunden, aber als er in dem Moment vor mir saß, fiel mir zum ersten Mal die Verletzlichkeit, die Zartheit an ihm auf. Seine Trauer war spürbar.
Unsicher, was ich sagen sollte, sah ich ihn vorsichtig an. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie sich fühlen. Das hatte ich seit Olivias Tod schon x-mal zu ihm gesagt. Wahrscheinlich hatte er solche Bekundungen satt. Stattdessen füllte ich den Raum zwischen uns mit Schweigen. Nur das Geräusch des Lüfters in meinem Computer war zu hören. David schien sich an der Stille nicht zu stören. Er wirkte gedankenverloren und schaute ins Leere. Er strich über die Bügelfalte seines linken Hosenbeins und zog sie glatt.
»Ich habe mich so sehr bemüht, ihr zu helfen«, sagte er leise und kniff die Falte wieder zusammen. »Die besten Rehas, die besten Ärzte, die besten Therapien . Nichts hat geholfen gegen .«
Er stockte abrupt, nicht gewillt, den Namen der Substanz zu nennen, die seine Tochter getötet hatte. Kokain. Als Olivia noch lebte, war das Zeug bei W&SP reichlich verfügbar gewesen, aber seit ihrem Tod zeigte David sich entschlossen, das Büro von dem Gift zu reinigen. Besser spät als nie.
Eines Morgens hatte er von einer Privatfirma die Schreibtische der Angestellten durchsuchen lassen und jedem fristlos gekündigt, bei dem Rauschgift gefunden wurde. Die Säuberung wirkte. Alle, die nicht über den Tag kamen, ohne auf der Toilette ihre Lines zu ziehen, verließen seine Agentur. Ich persönlich habe den Reiz nie verstanden. Für mich fallen Drogen in dieselbe Nein-danke-Kategorie wie Achterbahnfahrten, Hubschrauberrundflüge und Käfigtauchen mit Haien. Mir ist unbegreiflich, wie etwas derart Lebensbedrohliches als Spaß empfunden werden kann.
David blickte zu Boden, um sich zu fassen, und kaute wie so oft auf den Innenseiten seiner Wangen. Ich stellte mir einen löchrigen Hautstreifen vor, entstanden durch das besessene Nagen. Und das brachte mich zurück zu dem Morgen, als ich ihm mitgeteilt hatte, dass Olivia nicht zu unserer Neun-Uhr-Besprechung erschienen war. Zunächst hatte er mich misstrauisch angesehen - ich arbeitete erst seit drei Monaten bei W&SP - und den Kopf schräg gelegt, als wollte er sagen: Wer sind Sie, und was tun Sie in meinem Büro?
»Haben Sie bei ihr angerufen?«, fragte er, nachdem er mich kritisch gemustert hatte.
»Ja«, antwortete ich geduldig. »Fünf Mal schon.«
Er fing an, auf einer Wange zu kauen, so wie er es jetzt auch tat, und ich plapperte weiter.
»Ich dachte nur, jemand sollte nach ihr sehen. Haben Sie einen Schlüssel von ihrer Wohnung?«
Ein Schatten war über den Raum gefallen, und er hatte mich gefragt, ob ich ihn begleiten wolle. Mehrmals setzte ich zu einer Antwort an. Nein, sagte mein erster Impuls, wieso wollen Sie das? Aber ich hatte nicht darauf gehört, sondern gedacht, dass es nur gut sein konnte, persönlichen Kontakt mit David zu bekommen.
»Sicher«, antwortete ich. »Wenn es ihr gut genug geht, können wir die Besprechung dort abhalten. Ich hole meine Sachen.« Hätte ich nur auf meinen Instinkt gehört!
Jetzt kann ich nicht an Olivia denken, ohne den hellroten Schaum auf ihren Wangen, die urindurchnässte Hose und das klumpige Erbrochene in ihren Haaren vor mir zu sehen.
»Du kanntest sie einige Jahre. Glaubst du, sie wollte sterben?«, fragte David geistesabwesend. Ich ließ mir mit der Antwort einen Moment Zeit. Es drängte mich, Ja zu sagen, doch das wäre nicht die Wahrheit gewesen.
»Nein. Aber ich denke, sie hatte keine Angst vor dem Tod. Von Angst hat sie sich nie zurückhalten lassen.«
Das war vermutlich das Problem gewesen.
Meine Gedanken wanderten zurück zu der glücklicheren Zeit an der Universität, wo Olivia und ich uns zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren. Ich bewunderte sie, weil sie rauchte, ohne einen Gedanken an Lungenkrebs zu verschwenden, weil sie sorglos One-Night-Stands genoss und sich nicht um antibiotikaresistente Tripperkeime scherte, weil sie sich lieber über die Bedeutung des Lebens ausließ als über die von Essays oder Abgabefristen und Prüfungen. Ich erlebte alles ganz anders, für mich war das Erwachsenwerden nichts weniger als eine Feuertaufe. Zu der Zeit bekam ich meinen ersten richtigen Kuss, und zwar von einem Jungen mit kräftiger Kinnpartie und Rugby-Stipendium, bei dem ich in den Spalten seiner Mundhöhle auf den Geschmack von Kotze stieß. Das beeindruckte mich mehr als der Kuss selbst, und später war mir ebenfalls schlecht. Auf dem Heimweg erbrach ich mich über dem gelb blühenden Beet eines Vorgartens. Am nächsten Morgen kehrte ich dahin zurück. Bröckchen von Erbsensuppe hatten das Erdreich überkrustet, und ich stahl mich durch das Gartentor, um sie zu entfernen. Als ich Olivia davon erzählte, lachte sie, aber freundlich. Kotze ist biologisch abbaubar, Dummchen. Du hättest das lassen können. Deshalb sind Friedhöfe so grün: Die Toten nähren die Pflanzen.
»Sie ist der Sonne zu nahe gekommen. Genau wie ihre Mutter.« David richtete seinen Blick wieder auf meine tränenfeuchten Augen. »Sie haben beide nie auf mich gehört.«
Mir kam eine Erinnerung: wie Olivia meine Hände ergriff und mich anflehte, ihren Rückfall für mich zu behalten. Sie hatte schreckliche Angst, es könnte in der Firma die Runde machen und bis zu ihrem Vater gelangen. Er hatte für ihre Entzugsbehandlungen Tausende ausgegeben. »Bitte«, hatte sie unter Tränen gesagt. »Er bringt mich um, wenn er das erfährt.«
In dem Moment vibrierte mein Handy auf der Glasplatte des Schreibtischs, ratterte wie ein Pressluftbohrer. Ich drückte den Anruf weg, bevor es zum zweiten Mal auf sich aufmerksam machen konnte, aber David hatte mir die Panik schon vom Gesicht abgelesen.
»Lass mich raten. Dein Freund?«
»Woher weißt du das?«
»Nun, du bist noch hier, zu einer unvernünftig späten Uhrzeit, und informierst dich über das Untersuchungsergebnis des Coroners. Offenbar findest du nicht, dass du mit ihm darüber reden kannst. Andernfalls wärst du jetzt zu Hause.«
Ich war überrascht, weil er sich zu meinem Privatleben äußerte. Er hatte sich noch nie daran interessiert gezeigt. In den Monaten nach Olivias Tod war zwischen uns eine gewisse Nähe entstanden. Dabei war mir nie der Gedanke gekommen, dass wir Freunde werden könnten, doch da saßen wir nun und durchbrachen die Schranke zwischen Beruflichem und Privatem verblüffend leicht....
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