Schweitzer Fachinformationen
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Bombay, Indien, 1937: Die berühmte Malerin Mira Novak wird nach einer Fehlgeburt ins Krankenhaus eingeliefert. Krankenschwester Sona übernimmt Miras Pflege und lauscht in den folgenden Tagen den prächtigen Erzählungen der Künstlerin über ihre Reisen und die vielen Liebhaber, die Mira in Europa zurückgelassen hat. Die beiden Frauen freunden sich an. Mira verkörpert für Sona all das, was sie in ihrem eigenen engen Leben nicht besitzt: Unabhängigkeit, Stärke, kreative Freiheit.
Doch kurz darauf verstirbt Mira und hinterlässt Sona einen Brief, verbunden mit einem Auftrag, und vier ihrer liebsten Gemälde. Sona tritt daraufhin eine Reise auf den Spuren ihrer berühmten Freundin an, die sie für immer verändern wird.
Alka Joshi wurde in Indien geboren und lebt seit ihrem neunten Lebensjahr in den USA. Sie hat in Stanford studiert und besitzt einen Master of Fine Arts vom California College of Arts. Mit 62 Jahren veröffentlichte Alka Joshi ihren Debütroman Die Hennakünstlerin. Der Roman stand monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times und wird momentan als TV-Serie verfilmt.
Mira zuckte vor Schmerzen zusammen, als ein Krampf sie durchfuhr. Ich legte ihr die Hand auf die Stirn. Ihre Haut war glühend heiß, wie ein Jalebi, das frisch aus einem Topf siedenden Öls kommt. Ich griff mir ein Baumwollhandtuch von dem Stapel neben ihrem Bett, tauchte es in ihr Wasserglas und drückte es ihr auf die Stirn. Langsam schien sie sich ein wenig zu entspannen, sie stieß einen Seufzer aus.
»Was ist mit dem Baby?«, murmelte sie.
Ich öffnete den Mund, um es ihr zu sagen, überlegte es mir dann aber anders. »Lassen Sie mich den Arzt für Sie holen, Ma'am.«
Sie riss die Augen auf, als hätte sie verstanden, was ich ihr verschwieg. »Oh nein!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wir müssen es Paolo sagen.«
Ich runzelte die Stirn. Laut ihrem Kurvenblatt hieß ihr Ehemann Filip. Verwirrte sie das Morphium? »Paolo?«, fragte ich vorsichtig.
»Meine große Liebe. Brachte mir bei, wie man Porträts malt. Bevor ich ihn kennenlernte, malte ich nur Landschaften. Danach war es so, als könnte ich nur noch Menschen malen.« Sie sprach atemlos, als versuchte sie, die Worte einzufangen, bevor sie davonschwebten. »Und jetzt lässt Whitney ihn die großen Meister kopieren, was wirklich schade ist. Was für eine Talentverschwendung! Die Menschen hängen sich gerne die Kopien an die Wand und hoffen, dass ihre Gäste es nicht bemerken. Den meisten fällt der Unterschied auch tatsächlich nicht auf.« Sie griff nach meiner Hand. »Ich werde Filip bitten, meine Gemälde herzubringen.« Sie verzog den Mund. »Natürlich nur die vier, die mir noch geblieben sind.« Ihr Englisch klang nicht so wie das eines Burra Sahib und hatte auch nicht den singenden Tonfall von uns Angloindern. Es klang weicher, die harten Konsonanten gedämpft.
Sie stöhnte auf, diesmal laut, und drückte meine Hand so fest, dass es wehtat. Die Wirkung des Morphiums ließ nach. Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Noch zwei Stunden bis zu ihrer nächsten Dosis.
Ich entwand ihr meine Hand, um die inzwischen warm gewordene Kompresse von ihrer Stirn zu nehmen, und tauchte den Stoff noch einmal im Wasserglas ein. Als ich ihn wieder auf ihre Augenbrauen legte, schien sie ein wenig ruhiger zu werden. »Sie haben ein bezauberndes Lächeln.«
Hitze kroch mir den Nacken hoch. Als ich in der dritten Klasse war, hatte einer meiner Lehrer einmal das Gleiche zu mir gesagt. Meine Mutter war in Hörweite gewesen und hatte auf den Boden gespuckt, um die Geister abzuwehren, die Eitelkeit missbilligen. Seitdem war ich Komplimenten gegenüber misstrauisch, aus Sorge, dass meine Mutter dann auf die Knie sinken und für meine Sicherheit zu Krishna beten würde.
»Reden Sie mit mir. Bitte«, flehte die Malerin, während sie wieder nach mir griff, damit ich sie durch ihren Schmerz begleitete. Ich blickte auf unsere miteinander verflochtenen Hände, eine Studie der Gegensätze: ihre blau geädert und bleich, die Nägel bis zum Nagelbett abgekaut, Farbreste in den Wirbeln ihrer Fingerkuppen; meine hingegen sandfarben, sauber geschrubbt und an den Fingerspitzen leicht spröde. Die Wärme ihrer Haut, feucht vom Fieber, war seltsam tröstlich, wie die Berührung meiner Mutter. Mira Novak schien sich genauso intensiv nach Intimität zu sehnen, wie die meisten Patienten sie mieden; Letztere wollten nur ihren Körper - den wir anstupsten und anspornten - so bald wie möglich wiederhergestellt sehen und die Erinnerung an ihre Rekonvaleszenz abschütteln.
Sie hatten Miss Novak gegen elf Uhr abends ins Wadia Hospital gebracht. Sie fieberte und war aufgewühlt, hielt die Arme auf ihren Bauch gepresst. Ihr Rock war hinten blutgetränkt. Ihr Ehemann, ein bleicher Mann mit breiten Schultern, sagte, dass sie seit ein paar Tagen unter Schmerzen litt.
Der Ehemann war nicht dageblieben. Er war gegangen, kurz nachdem er sie eingeliefert hatte.
Als Dr. Holbrook, unser hauseigener Chirurg, mit ihrer Behandlung fertig war - sie musste mit ein paar Stichen genäht werden und benötigte einiges an Morphium -, hatte die Oberschwester sie mir als Patientin zugewiesen. Das war nicht unüblich. Patienten, die auch nur ein kleines bisschen ausländisch waren, wurde entweder mir oder Rebecca zugeteilt, der anderen angloindischen Krankenschwester in der Nachtschicht, weil wir beide fließend Englisch sprachen. Für die Tagschicht teilte die Oberschwester dann eine andere eurasische Schwester ein oder kümmerte sich selbst um den Patienten.
»Möglicherweise bleibt sie für eine Weile hier«, flüsterte die Oberschwester mir mit einem bedeutungsvollen Blick zu.
Wir sind ein kleines Krankenhaus, und die Patientin hatte ein Einzelzimmer bekommen. Es war mir nicht entgangen, dass man sie in ein größeres Krankenhaus hätte bringen können, das bei den Briten beliebt war, aber offenbar war hier Diskretion erforderlich. Doch natürlich kursierten Gerüchte in den Fluren. Das war keine einfache Fehlgeburt. Sie hat versucht, es selbst zu tun. Ihr Ehemann hat es getan. Sie hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Ich achtete nicht darauf. Mir reichte es zu wissen, dass eine Frau unsere Hilfe benötigte; unsere Aufgabe war es, sie gesund zu pflegen.
Noch bevor ich ihr Kurvenblatt gelesen hatte, wusste ich, wer sie war. Mira Novak. Die Malerin. Berühmt, selbst hier in Bombay. Ich hatte im Bombay Chronicle von ihr gelesen und ihr Foto gesehen. Laut dem Artikel hatte sie mit gerade einmal fünfzehn Jahren angefangen, an der Accademia di Belle Arti di Firenze in Italien Malerei zu studieren, die jüngste Studentin, die dort je zugelassen worden war. Ihre indische Mutter, eine Frau aus einer hohen Kaste, hatte ihre Tochter von ihrem Zuhause in Prag nach Florenz begleitet und letztlich nach Paris, um Miras Talent zu fördern. Bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte Mira noch keinen Fuß auf indischen Boden gesetzt. Aber als ich mir die Abbildungen ihrer Gemälde in jenem Artikel ansah, sah ich nicht Paris oder Florenz oder irgendeinen der anderen weit entfernten Orte, die ich liebend gerne eines Tages besuchen würde. Ich sah Dorffrauen in Saris, die Haut viel dunkler als meine oder Miras. In ihren Gemälden saßen sie leise und trübsinnig herum, während sie sich gegenseitig die Hände mit Henna bemalten oder Schafe in den Hügeln hüteten oder Kuhdung auf die Wände ihrer Häuser strichen. Warum war eine privilegierte junge Frau so besessen von den gewöhnlichen Menschen, den Armen?, fragte ich mich.
Sie war neunundzwanzig laut ihrem Kurvenblatt - sechs Jahre älter als ich - und meiner Ansicht nach bezaubernd. Glatte, makellose Haut. Eine Augenbrauenlinie, die zu den hohen Wangenknochen abfiel. Auch wenn sie die Augen geschlossen hatte, konnte ich sehen, dass sie groß waren, vielleicht sogar ein bisschen hervorstanden, aber eben auf eine Art, die attraktiv wirkte und den Blick des Betrachters auf sich zog. Ihre Nase, die in einer leicht nach oben geneigten Spitze endete, verlieh ihr ein gebieterisches Aussehen. Das musste an ihrem königlichen Stammbaum liegen. Sie war nicht schön. Meine Mutter würde sagen, dass sie beeindruckend sei, ihr Gesicht Charakter habe.
Jetzt riss sie die Augen auf, zwinkerte und sah mich neugierig an, als hätten wir nicht vor ein paar Minuten noch miteinander gesprochen. Ihre Pupillen waren verengt, und sie wirkte desorientiert.
»Mrs. Novak?« Ich wartete auf ein Zeichen des Wiedererkennens. »Sie befinden sich im Wadia Hospital, Ma'am. In Bombay. Sie wurden vor ein paar Stunden hier eingeliefert.« Ich sprach leise, auf Englisch mit Hindi-Akzent.
Mit einem Stirnrunzeln blickte sie an ihrem Körper hinunter und dann wieder zu mir hoch. »Nicht Mrs.«, erwiderte sie, »sondern Miss Novak.«
»Dann entschuldigen Sie bitte, Ma'am.« Ich verstand das nicht, ließ es mir aber nicht anmerken. Wie konnte eine Frau verheiratet sein und immer noch ihren Geburtsnamen tragen? Doch meine Aufgabe war nicht, Fragen zu stellen, und nach dem, was bei meiner vorherigen Stelle in Kalkutta passiert war, war ich vorsichtig damit, meine Gedanken auszusprechen. Dort war ich nicht die einzige Krankenschwester gewesen, der die männlichen Patienten in Brüste und Gesäß gekniffen hatten, aber ich war die einzige gewesen, die sich darüber beschwert hatte - laut und häufig -, wodurch die Oberschwester in dem katholischen Krankenhaus eine Migräne bekommen hatte und die Erlaubnis, mich aus ihrem Sichtfeld zu verbannen. Ich sei eine Unruhestifterin, hatte sie gesagt. Warum hätte ich nicht einfach den Mund gehalten, so wie die anderen?
Aber jetzt war ich nicht mehr in Kalkutta. Ich war in Bombay. Und ich hatte meiner Mutter versprochen, dass es hier anders laufen würde.
»Wie fühlen Sie sich, Ma'am?«
Sie schloss die Augen und lachte leise. »Es ging mir schon mal besser, Schwester .« Sie ließ die Worte in der Luft schweben und wartete darauf, dass ich die Lücke füllte.
»Falstaff, Ma'am.«
»Und Ihr Vorname?«
Ein Gefühl wie warmer Honig breitete sich in meinen Gliedern aus. Die meisten Patienten machten sich diese Mühe nicht und beließen es einfach bei Schwester. »Ich heiße Sona«, erwiderte ich etwas befangen.
Sie öffnete die Augen. »Sona? So wie .« Sie zeigte auf die winzigen goldenen Kreolen in meinen Ohrläppchen.
Ich lächelte. »Ja, Ma'am. Es bedeutet Gold.« Ich hätte ihr erzählen können, dass meine Mutter mir im dritten Monat nach meiner Geburt die Ohrläppchen...
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