Schweitzer Fachinformationen
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Es ist einer dieser Nachmittage Mitte Juni, die früh beginnen und bis in die Nacht andauern. Es hat wieder nicht geregnet - wie schon seit Wochen nicht. Der Mai war wie ein großzügiges Abschiedsgeschenk der Himmelsgötter, die zeigen wollten, dass solch ein blankgeputzter, goldener Monat in meinem Leben nicht mehr vorkommen wird.
Auf dem Hof hinter dem grünen Tor hatte ich eine Galerie aus Oleandertöpfen aufstellen lassen. Linkerseits acht, rechterseits sieben. Im Treibhaus hatten sie überwintert und lange, dünne Äste gegen die Glasdecke gestreckt, als wollten sie im Potsdamer Winter durch die Fenster ins Freie fliehen. Jetzt eskortieren sie jeden, der über den gepflasterten Hof will, und berühren ihn mit ihren giftigen Blüten und den ebenso giftigen, schmalen Blättern, die wie Sardellen geformt sind.
Ich komme vom Garten, der sich weitflächig wie ein konzeptlos angelegtes Paradies erstreckt. Die Pflanzenrabatten, Wiesen, Bäume und Büsche im wenige Schritte entfernten Park Sanssouci standen in der Hitze der letzten Wochen vor Wassermangel ganz still. Unser Garten hingegen, den wir abwechselnd gießen und sprengen - den Teich auffüllen, während die Frösche von den Seerosenblättern ins olivgrüne Wasser hopsen -, erscheint mir im abnehmenden Licht dieses Tages so schweigsam, aber auch verwöhnt und satt, verglichen mit der notleidenden Natur rundherum.
Die Frau, die ich von weitem durch das Tor treten sehe, ist meine Tochter Jette. An ihrem zögernden Schritt habe ich sie eher erkannt als an ihrem Gesicht. Irgendeine Absicht für ihren Besuch kann ich spüren. Hinter ihr, in Kornblumenblau, ihr wortkarger Schatten Sasha. Er sagt gern «okay», wenn er etwas zu familiären oder geschäftlichen Konversationen beitragen will. Er ist hochgewachsen, und sein blondes Haar und der kurze Vollbart sind nicht so deutsch, wie man denken könnte.
«Weißt du, Jette, was ich auf Business of Fashion gelesen habe? Dass die Welt sich rasant ändert, nur die Mode nicht. Was man eigentlich von ihr erwarten müsste», begrüße ich meine Tochter.
«Wie soll sich etwas ändern, was sich längst selbst gekillt hat», antwortet Jette.
Und ich sage nichts mehr. Denn schnell und schlau hat meine Tochter mir gezeigt, dass sie entweder «prepared» oder «bored» ist. So war sie immer: konzentriert und abwesend zugleich, wie früher im Mathematikunterricht.
Wir gehen gemeinsam zum Wohnhaus.
«Sasha, sag es ruhig laut», erklärt Jette plötzlich, als wir in der Eingangshalle stehen.
Ich habe nichts gehört.
«Sasha, du kannst Papa die Wahrheit sagen!»
«Was denn?», frage ich.
«Dass du den gelben Engel mit dem schwarzen Totenkopf zur Hochzeit haben willst!»
Sasha erwidert nichts.
«Wie wär's mit einer Wunschliste .?», schlage ich vor.
«Oh ja - Porzellan, wir brauchen alles», erklärt Jette. Meint aber: Sieh mal, ich werde gewollt und geheiratet und falle euch nicht mehr zur Last.
Daraufhin frage ich: «Bist du hier, um die Maklerin zu treffen?»
«Ja, sie sagt, die Preise steigen. Und ich habe auch das Penthouse mal schätzen lassen.»
Ich weiß es schon lange, dass Jette Stück für Stück von unserem Besitz verkaufen will. Nicht nur weil sie kann, sondern auch weil sie sich von uns und unserer Vergangenheit freikaufen will. In den Rabatten finde ich Disteln, die ich mit Gummihandschuhen aus den Beeten reiße. Die Tätigkeit entbindet mich langer Abschiedsworte. Jette und Sasha müssen ohnehin los.
Von links durch hohen Rittersporn und Rosenbüsche schlendert Karin auf mich zu. Ihr fast weißes Haar fliegt um ihren Kopf wie der Schatten einer Taube und flattert beim Gehen auf und ab. Die Leinen ihrer Hunde hält sie gebündelt in der Hand. Die rote Umhängetasche sitzt schräg über dem blauen Jeanskleid. Karin und ich schauen uns an. Wir tauschen aus, was uns schon längst bewusst ist, und wundern uns dennoch, wie wenig wir uns in dem, was unsere Töchter treiben, spiegeln können. Das, was die Töchter treiben . ja, da staunen die beiden alt gewordenen Kinder. Wir, die wir niemals erwachsen sein wollten, werden vom Alter nun zurechtgewiesen.
Ich betrachte Karin und mache mir klar, dass ich ähnliche Spuren im Gesicht trage, denn ich erkenne in ihrem Blick, was ich mit eigenen Augen sehe: Der Geist, der in gemeinsam vergangenen Jahren wohnt, der die Tage zu Jahren werden lässt und alles weiß, was wir nicht wissen wollen, streckt seinen Finger nach uns aus und verwischt endgültig die Linien der Jugend.
Unendlich lange gehen wir schon durch diesen Garten, der, benannt nach meiner Tante, «Ullas Garten» heißt. Wie oft hatte ich sie von «meinem Garten» sprechen hören. Die Schwestern Charlotte, Ehefrau im Westen, und Elisabeth, hier im Osten, hatten ja einen Mann, um den sie sich kümmern mussten, damit waren sie für Ulla vom Anspruch auf und Verpflichtung für ihren Garten entbunden. Ulla war «verheiratet» gewesen mit Herrn Kühn, dem Gärtner, und mit ihrem Garten. Wenn Tante Ulla «mein Garten» sagte, lag die Betonung auf «mein», und die ließ keinen Widerspruch zu. Es ist ihr Garten geblieben. In all den Jahren ließ er sich von niemandem wirklich verändern. Auch zu mir spricht dieser Flecken Erde nicht, er hat sich mir nicht erschlossen. Daran merke ich, dass ein Ort treu sein kann. Auch unsere andere Tochter Florentine betritt den Garten kaum, obwohl sie doch jetzt hier lebt. Als Jette hier wohnte, verlandete der Seerosenteich, das Unkraut übernahm die Herrschaft, und die Rosen blühten, ohne bewundert zu werden.
Ich kann die Verantwortung für diesen Garten nicht tragen. Das weiß ich. Dabei hat dieser Garten mich aufgenommen, wie ich es mir gewünscht hatte; nein - wie ich es mir nicht anders hatte vorstellen können.
Schließe ich die Augen, kommen die Bilder der Erinnerung unaufgefordert. Der alte Kuhstall mit dem schweren hölzernen Schiebetor war durch einen Gang zweigeteilt. Die Decke, ebenfalls aus Holz, hatte in der Mitte ein rundes Loch. Auf dem Dachboden lagerten Stroh und Heu. Mit einer großen Mistgabel wurde mal Heu, mal Stroh hinuntergeworfen, für die Schweine links und die Kühe rechts vom Gang.
Mit Angela oder Hilde, der Tochter der Melkerin Frau Kussin, spielte ich Verstecken. Manchmal spielten wir auch ein anderes Spiel, das wir «Verlobung» nannten. Wir hatten die Magd und den Kutscher heimlich beim Liebesspiel auf dem Strohboden beobachtet. Ab und an retteten wir ein Schwalbenküken, das aus einem der vielen Nester, die an den Wänden unter dem Dach klebten, gefallen war. Wir nahmen eine Pinzette aus Ullas Waschbeutel und fütterten das magere Baby mit Fliegen. Sie waren leicht zu fangen bei den Kühen und Schweinen. Das Vogelbaby öffnete seinen Schnabel jedes Mal so weit, dass wir tief in das Hälschen schauen konnten. Nicht eines der geretteten Küken überlebte.
Trat man aus dem düsteren Stall ins Freie, erstreckte sich vor einem der zwei Morgen große Garten. Zur Linken verlief eine lehmgelbe Backsteinmauer mit einem kleinen Tor, das auf den Bornstedter Friedhof hinausführte. Hatte man ihn durchquert, stand man plötzlich im weitläufigen Park von Schloss Sanssouci.
Unser Garten endete am Hohenzollerngraben. Er war ungefähr zweihundert Meter lang. Warum sich die Hohenzollern keinen längeren Graben leisten konnten, hatte ich Opa Paul oft gefragt, aber keine Antwort bekommen. Hinter dem Graben befand sich eine Senke, die sich nach ein paar Regengüssen in einen kleinen Naturteich verwandelte. Große Weidenbäume bildeten vereinzelte, urwaldartige Inseln, und dort, wo das Schilf stand, führte eine Straße zum Nachbardorf Bornim. Die Senke gehörte der Bornstedter Kirche, aber wir schnitten das Schilfgras, um daraus wärmende Schilfmatten flechten zu lassen. Die verhüllten dann in den Frühbeetkästen die keimende Saat und die ersten jungen Pflanzen - und brachten sie beschützt durch den Winter.
Wenn die ersten Sonnenstrahlen den Boden wärmten, wurden die Matten eingerollt. Dann glitzerten die Fensterscheiben wie das Eis, das noch die Pfützen und den kleinen Teich zwischen den Weiden bedeckte.
In regelmäßigen Abständen standen die Frühbeetkästen und beanspruchten die ganze linke Seite des Gartens. Auf schmalen Wegen gelangte man zu ihnen, und zu zweit - einer oben, der andere unten - wurden die Fenster an einem Griff angehoben und vorsichtig auf die Nachbarfenster gelegt.
Die Frauen, die auf dem Hof arbeiteten, trugen dicke Turnhosen unter den Röcken, zogen zwei Jacken übereinander und knieten sich vor die Kästen auf den kalten Boden, um die zu dicht keimenden Pflanzen zu «pikieren». Das heißt, die Pflanzen, die zu dicht standen, herauszuziehen und in weiteren Abständen erneut einzupflanzen. Komischerweise sagt man «Ich bin pikiert», wenn man sich beleidigt fühlt.
Erst langsam mit den Jahren und neuen Notwendigkeiten veränderte sich der Garten zu Ullas Garten.
Meine Tante Ulla hatte sich schon früh von ihrem Vater, Opa Paul, ein kleines Stück eigenen Garten erbettelt. Erbettelt deshalb, weil Opa Paul vom Blumenanbau nichts hielt.
Ein alter Fliederbusch wurde zum Mittelpunkt von Ullas Gärtchen. Er breitete sich im Laufe der Zeit aus wie eine bunte Insel im Meer der grünen Nutzpflanzen. Bis auf ein Erdbeerbeet und zwei Reihen Tomatenpflanzen unterwarf Ulla den alten Nutzgarten ihrem Schönheitssinn und ihrer für diese Gegend typischen Liebe zu natürlich angelegten Gärten.
Neben Rosenbüschen und Rhododendren wuchsen Apfel-,...
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