Schweitzer Fachinformationen
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»Ich komme nicht mit in gar kein Amsterdam! Ich will zu Ada nach Venedig!«, brülle ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Dort werden Ohrringe geklaut! Ada braucht meine Hilfe! Dort muss ich die Räuber mit dem Lasso fangen!« Ratsch, löse ich das Lasso von meinem Bauch.
»Nein. Nicht schwingen!«, ruft Mama. »Nicht in der Wohnung!«
Ich grinse und binde es wieder fest. »Abgemacht. Erst in Venedig.«
»Elio.« Mama atmet tief ein und aus und schließt die Augen. »Elio, Lieber, Ada macht dort einen Italienischkurs. Und sie braucht Zeit mit ihrer Mutter.«
Ich drücke mir die Hände auf die Ohren, denn ich weiß, was Mama jetzt erzählt. Sie hat es mir schon eine Million Mal erklärt.
Mama zieht mir die Hände von den Ohren. »Elio, du hörst mir gar nicht zu.«
»Tu ich wohl«, sage ich. »Du hast gesagt, dass Ada dort Italienisch lernen soll und viel Zeit mit ihrer Mutter braucht. Dabei kann Ada Italienisch. Hast du das vergessen? Sie hat dort gelebt, bis sie acht war. Sie versteht alles.«
Mama bleibt der Mund offenstehen. »Dass du supergut hörst, wusste ich, aber dass das sogar geht, wenn du dir die Ohren zupresst ... Aber ich habe auch noch gesagt ...«
Ich falle ihr ins Wort. »Dass alle wollen, dass sie kein cooles Tablet mehr zum Sprechen braucht. Sie soll langweilig reden wie die anderen. Stimmt's?«
Mama nickt.
Mein Grinsen wird zu einem Lachen. »Siehst du. Du weißt eben auch nicht alles. Du weißt zum Beispiel nicht, dass Ada mir Sprachnachrichten schickt.«
»Darf ich mal hören?« Mama greift nach meinem Handy, das auf dem Schreibtisch liegt.
»Darfst du gar nicht.« Ich schiebe sie weg und erwische das Handy eine winzige Winzlingssekunde vor ihr. »Das ist geheim.«
»Komm schon, Elio. So kommen wir nicht weiter.«
Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen, und lecke eine oder zwei mit der Zunge weg. »Du bist so gemein! Schaue ich etwa deine Nachrichten an? Bei dir ist immer alles privat. Mama, ich bin elf! Da hört sich die Mama nicht mehr die geheimsten Geheimnachrichten an. Bei meinen Brüdern machst du das auch nie.«
»Aber«, sagt Mama, »ich möchte Adas Stimme hören. Die kenne ich gar nicht.«
Papa kommt ins Zimmer und lächelt mich an. Er kann das mit dem Atmen und dem Lächeln noch besser als Mama. Er arbeitet nämlich in einer Schule und dort braucht er das ständig. Er weiß auch ganz viel unnützes Zeugs, zum Beispiel wie viele Meter in einem Kreis Platz haben. Er will mich umarmen.
Doch ich weiche ihm aus. »Mama will mein Handy abhören. Dabei ist sie gar keine Kriminalpolizei.«
Ich drücke das Handy an meine Brust und renne ins Badezimmer. Dort schiebe ich den Riegel vor, setze mich auf den Klodeckel und suche Adas Sprachnachricht.
Sprachnachrichten aufs Handy sprechen kann Ada mittlerweile prima. Wenn ich vor ihr stehe, spricht sie fast nie. Dann schreibt sie mit ihrem Tablet. Aber mit ihrem Handy reden kann sie. Sie geht in ihr Zimmer und quasselt und quasselt. Keine Ahnung, wieso das klappt. Mit Fremden redet sie überhaupt nicht und telefonieren traut sie sich noch weniger als ich. Aber Sprachnachrichten schickt sie mir ohne Ende. Das finde ich klasse. Denn lesen kann ich nicht.
Ich klicke auf die Nachricht:
Elio, hier in der Schule ist etwas komisch. Im Raum unter uns gibt es einen Kurs. Dort kann man aus Glas oder Wolle Schmuck basteln. Und man kann lernen, wie man wertvollen Schmuck repariert. Gestern sind die Diamant-Ohrringe einer netten, alten Dame verschwunden. Die sind total viel wert. Sie ist so traurig. Und Elio! Ich glaube, ich weiß, wer die Ohrringe geklaut hat. Kannst du kommen und mir helfen?
Wieder greife ich nach dem Lasso. Im Sommer habe ich damit in Amsterdam einen echten Verbrecher gefangen. Aber in den Herbstferien sind die Räuber anscheinend in Venedig.
Ich tippe auf mein Handy und sage:
Natärlich komme ich. Ich bin dabei, unsere Reise zu organisieren.
Es klingelt an der Tür.
Papa ruft: »Ich mache auf. Erwartest du Besuch, Viola?«
»Nein«, höre ich Mama aus der Küche.
Ich überlege.
Wer könnte das sein? Erwarte ich Besuch? Nein. Ada ist in diesem Venedig. Aber vorsichtshalber renne ich aus dem Badezimmer zur Haustür. »Wer ist es? Friedel?«
»Tante Friedel klingelt doch nicht«, sagt Mama.
Friedel ist die Schwester meiner gestorbenen Oma. Sie wohnt im Haus neben uns und ist die tollste Friedel, die ich kenne. Also, eigentlich kenne ich keine andere Friedel, aber egal.
»Hallo Gerhard«, sagt Papa.
Ich schaue zur Tür. Dort steht Finn. Er geht in die gleiche Schule wie ich. Bei uns sind nämlich nicht nur Kinder wie ich. Wir sind eine integrative Schule. Das ist eine Schule, in der nicht alle Kinder das Gleiche machen. Die meisten Kinder können gut rechnen und schreiben und gescheit sein, so wie Finn. Nur ich und sonst ein paar Kinder nicht.
Finn ist der winzigste Drittklässler, den ich je gesehen habe. Sein Gesicht ist braungebrannt und seine Haare blond-weiß.
»Du bist doch nicht Gerhard? So heißt dein Papa.«
Finn kichert und zeigt hinter sich.
Tatsächlich. Ich schaue an einem Papakörper mit vielen Muskeln hoch bis zum Kopf. Dort wachsen genauso helle Haare wie bei Finn. Aber nur um den Kopf herum. In der Mitte ist braungebrannte Haut. Mama hat mir erklärt, dass man dazu nicht Loch im Kopf, sondern Glatze sagt. »Habt ihr Spiderman-Bilder für mich? Zum Tauschen?«
Finn nickt. »Ja, das auch. Aber vor allem wollen wir fragen, ob du am Wochenende mit uns ins Kino kommst. Sie zeigen einen alten Film von Spiderman. Der muss supertoll sein, oder Papa?«
Gerhard lächelt und nickt mehrmals.
Ich muss kichern. Gerhard liebt Superhelden ohne Ende. Wenn ich bei Finn bin, reden wir eine Million Stunden über Spiderman. »Darf ich, Mama? Ich habe noch nie einen Film von Spiderman gesehen. Ich kenne nur seine Bildchen.«
Sie seufzt und atmet wieder tief ein und aus. »Ich glaube, solche Filme sind noch nichts für dich. Und am Wochenende sind wir schon in Amsterdam. Das geht nicht. Das habe ich dir erklärt.«
»Stimmt«, sage ich. »Ich kann nicht mit ins Kino kommen. Da bin ich in Venedig.«
»Venedig!«, ruft Gerhard. »Die Stadt des Mondes! Dort will ich unbedingt mal hin. Da muss man wunderbar schreiben können. Ich habe eine neue Idee für eine Geschichte. In Venedig könnte ich sie schreiben.«
»Gibt es in Venedig Marsmenschen?«, frage ich. Gerhard schreibt nämlich cooles Zeug über Raumschiffe und Sterne und so.
»Ich glaube nicht«, sagt Gerhard. »Ach, wie gern möchte ich nach Venedig.« Seine Augen werden glasig und er hört mit Lächeln gar nicht mehr auf. »Ich könnte mich in ein Café setzen, den Gondeln zuschauen und schreiben. Auf die Kanäle blicken und schreiben! Ein Traum!«
»Hast du denn schon wieder Ferien?«, frage ich.
Gerhard arbeitet nämlich in einer Werkstatt. Dort verteilt er Rohre in Häuser. Er kann das total gut. Manchmal muss er sich auch während der Schulferien um seine Rohre kümmern. Dann geht Finn in die Ferien-Kinder-Aufbewahrung.
Gerhard strahlt. »Ich habe doch einen Literaturpreis gewonnen. Mit dem Geld mache ich ein halbes Jahr Urlaub.«
»Das ist cool. Dann gehen wir zusammen nach Venedig.« Ich ziehe Mama am Ärmel. »Hast du gehört? In Venedig gibt es auch Kanäle! Dann ist es dort fast genau wie in Amsterdam. Die Omis und Opis werden ihre Kanäle haben. Du musst ihnen nur sagen, dass die dieses Jahr in einer anderen Stadt sind. Alle werden das toll finden.«
Mama schaut Papa an. »Sag du etwas, John. Ich kann es Elio tausendmal erklären und er hört mir nicht zu.«
Ich presse mir wieder die Hände auf die Ohren. »Ich höre gar nicht zu, gar nicht zu.«
Finn tanzt um seinen Vater herum. »Ich will auch mit! Fahren wir zusammen nach Venedig? Ich will mit einer Gondel fahren! Biiiiittttteeee, Papa.«
Ich hüpfe auf und ab. »Du bist genial, Finn. Das ist doch eine tolle Idee, Gerhard, oder?«
»John, sag endlich etwas«, sagt Mama.
Papa öffnet den Mund, schließt ihn wieder, atmet tief ein und aus. Dann fängt er damit noch einmal von vorne an und sagt: »Ich weiß nicht.«
»Ach, John. So habe ich das nicht gemeint. Nein sagen sollst du.«
Papa lächelt sie an. »Sag das doch gleich, Liebste. Dann weiß ich, was ich zu tun habe.« Er macht Falten in seine Stirn und sagt: »Nein!«
Ich setze mich auf den Boden und heule.
Finn setzt sich neben mich und zieht meine Kuschelspinne Spidy unter meinem T-Shirt heraus. Ich trage sie immer, immer bei mir. »Schau, Elio. Das hilft, wenn man traurig ist.«
Gerhard schaut immer noch träumerisch durch die Wohnung. »Venedig. In jeder Ecke spürt man dort die Kunst, die Literatur, die Magie.«
Mama setzt sich zu mir und Finn. »Ach, Elio. Dein Vater muss arbeiten und Friedel will unbedingt mit ihrem René zurück nach Amsterdam. Dort haben sie sich ineinander verliebt. Sie kann nicht mit dir nach Venedig fahren. Es tut mir leid.«
Mein Handy vibriert und ich trotte in mein Zimmer. Wieder eine Sprachnachricht von Ada:
Ich habe heute einen Mann mit einem Pudel beobachtet. Er geht jeden Tag fär etwa eine halbe Stunde in den Schmuckkurs. Dann...
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