Schweitzer Fachinformationen
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Elf Jahre seit meinem letzten Aufenthalt, und der Flughafen von Freetown immer noch chaotisch, einer von denen, wo eine Treppe ans Flugzeug gerollt wird und man aus den geregelten Temperaturen Europas direkt in die Bruthitze Westafrikas tritt. Der Shuttle zum Terminal war passabel, aber nicht klimatisiert.
Drinnen der übliche Pulk Idioten. Ich musterte die glänzenden Gesichter, aber das von Michael sah ich nicht.
Die PA-Anlage ertönte. Nur die Vokale drangen durch. «Wurde da gerade ein Mr. Nair ausgerufen?», fragte ich laut über die Köpfe der am Schalter wartenden Leute hinweg.
«Nein, Sir. Nein!»
«Mr. Nair?»
«Nichts für so einen Namen.»
Ein Mann in dunklem Anzug mit Krawatte sagte: «Willkommen, Mr. Naylor, in Sierra Leone», dirigierte mich durch das Chaos und redete während der ganzen Zollabfertigung auf mich ein, die nicht lange dauerte, denn ich bin ein Handgepäck-Typ. Er lotste mich nach draußen zu einem sauberen weißen Wagen, einem Honda Prelude. «Und für mich zweihundert Dollar», sagte er mit flau wirkendem Lächeln. Ich gab ihm ein paar Ein-Euro-Münzen. «Aber, Sir», sagte er, «das ist nicht genug heute, Sir», und ich sagte, er solle den Mund halten.
Der Fahrer des Hondas wollte so um die eine Million. Ich sagte: «Spensy mohnee!», und als er begriff, dass ich etwas Krio konnte, machte er ein langes Gesicht. Wir einigten uns im Dutzender-Bereich. Weiter könne er nicht runtergehen, sagte er, denn die kriminellen Benzinkosten hätten ihm das Herz gebrochen.
An der Fähre gab es Ärger - eine Frau mit einem Obstkarren, Polizisten in himmelblauen Uniformen, die die Waren der Frau in die Bucht warfen, während sie schrie, als ertränkten sie ihre Kinder. Drei Mann waren nötig, um sie zur Seite zu zerren, als unser Wagen über die Gangway rumpelte. Ich stieg aus und trat an die Reling, um die feuchte Brise zu erwischen. An Land verschränkten die Uniformierten die Arme vor der Brust. Einer trat gegen den Karren der Frau, der jetzt leer war und umkippte. Schreiend marschierte sie hin und her. Die Fähre fuhr in die Bucht hinaus, die Szene wurde kleiner und kleiner, und ich wechselte auf die andere Seite des Decks, um Freetown auf uns zukommen zu sehen, einen Haufen Gebäude, viele davon verfallend, und rundherum zahllose Schatten und zerlumpte Gestalten, die über ihre leeren Bäuche gebeugt weiß Gott wohin trotteten.
Am Kai von Freetown entdeckte ich einen Mann, den ich kannte, einen dürren alten Euro namens Horst, er stand neben einem Mietwagen, die Hand gegen die untergehende Sonne über die Augen gelegt, und besah sich die Ankommenden. Als unser Wagen an ihm vorbeifuhr, machte ich mich klein und wandte das Gesicht ab. Danach behielt ich ihn im Auge. Er stieg in seinen Wagen, ohne jemanden mitzunehmen.
Horst . Mit Vornamen hieß er so ähnlich wie Cosmo, aber Cosmo war es nicht. Leo, Rollo. Ich wusste es nicht mehr.
Ich nannte Emil, meinem Fahrer, das Papa Leone, meines Wissens das einzige Hotel mit verlässlicher Stromversorgung und Pool. Als wir unter der Hotelmarkise hielten, kam uns ein anderer Wagen entgegen, scherte aus, fing sich wieder und raste vorbei, im Fenster das Schild: THE SPLENDID DRIVING SCHOOL. Das sah nach Handel und Gewerbe aus, aber vom Neuen Afrika spürte ich nichts. Ich wechselte einen Blick mit einem jungen Mädchen, das gleich gegenüber vom Hotel herumlungerte, um sich zu verkaufen. Arm, schmutzig, sehr hübsch. Und sehr jung. Ich fragte Emil, wie viele Kinder er habe. Eigentlich zehn, sagte er, aber sechs seien tot.
Emil wollte mich umstimmen, was das Hotel betraf, es sei «sehr abgestiegen». Aber drinnen brannte elektrisches Licht, die geräumige Lobby roch sauber oder auch giftig, je nachdem, wie man zu gewissen Chemikalien stand, und sah akzeptabel aus. Ich hatte gehört, dass die Rebellen sich hier in den Fluren eine Schießerei mit den Machthabern geliefert hatten, aber das war vor etlichen Jahren gewesen, kurz nachdem ich geflohen war, und in der Zwischenzeit hatten sie offensichtlich alles wieder zusammengeflickt.
Der Mann an der Rezeption gab mir ohne Reservierung ein Zimmer und hatte dann eine Überraschung für mich:
«Mr. Nair, eine Nachricht für Sie.»
Nicht von Michael - vom Management, das mich mit violetter Tinte und in Schönschrift zur «Lösung aller Ihrer Probleme» willkommen hieß. Adressiert an sehr geehrte Damen und Herren, daran geheftet ein Zettel mit Instruktionen für den Internetzugang. Der Mann an der Rezeption sagte, im Moment gebe es keinen, das sei aber nicht immer so. Vielleicht heute Abend wieder.
Ich hatte ein Nokia-Telefon und nahm an, ich könnte mir irgendwo eine lokale SIM-Karte kaufen, in diesem Hotel allerdings gehe das nicht, sagte der Mann. Fürs Erste war ich so ziemlich von der Welt abgeschnitten.
Auch gut. Ich fühlte mich noch nicht bereit für Michael Adriko. Wahrscheinlich war er hier im Papa, in einem Zimmer direkt über mir, auch wenn er nach meinen Informationen nicht mehr auf den afrikanischen Kontinent zurückgekehrt war und es auch nicht tun würde, sondern mich nur in einem seiner unbegreiflichen Versuche, witzig zu sein, hergelockt hatte.
Das Zimmer war klein und hatte ebenfalls dieses «Wir haben alles getötet, was du fürchtest»-Aroma. Das Bett war in Ordnung. Auf dem Nachttisch eine weiße Kerze auf einer Untertasse neben einer rot-blauen Streichholzschachtel.
Ich war von Amsterdam aus über London Heathrow hergeflogen, hatte eine Stunde gewonnen und keinen Jetlag, nur das Bedürfnis nach einer kleinen Instandsetzung. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht, hängte ein paar Sachen auf und nahm meinen Computerkram in der gelben Segeltuchtasche mit hinunter an den Pool.
Unterwegs organisierte ich mir beim Barkeeper einen doppelten Whiskey. Etwas später dann, an einem Tisch beim Pool, von kunstvollen Pflanzen und Steinen umgeben, bestellte ich ein Sandwich und einen weiteren Drink.
Ein paar Tische weiter saß eine Frau, die Hände aneinandergedrückt, das Gesicht zu den Fingerspitzen geneigt, und lächelte. Ich grüßte sie.
«How d'body?»
«D'body not well», sagte sie. «D'body need you.»
Ich klappte meinen Laptop auf und schaltete ihn ein. «Heute Abend nicht.»
Sie sah überhaupt nicht nach einer Hure aus. Wahrscheinlich hatte sie sich hier bloß die Füße ausruhen wollen und dann die Chance gewittert, auch gleich ihren Körper zu verkaufen. Am Pool waren inzwischen ein Tanzensemble und ein Schlagzeuger in Stellung gegangen, und die Gäste wurden still. Plötzlich konnte ich das Meer riechen. Der Nachthimmel war schwarz, kein Stern zu sehen. Ein irrwitziges Getrommel setzte ein.
Offline schrieb ich an Tina:
Ich bin im Papa Leone Hotel in Freetown. Von unserem alten Freund Michael keine Spur.
Es ist Abend, und ich sitze im Restaurant am Pool, wo eine afrikanische Tanztruppe, ich glaube, aus dem Kissi Chiefdom (sie sehen wie Obdachlose aus), gerade eine Nummer bringt, bei der viel hingefallen, dies und das angezündet und wild auf Congas getrommelt wird. Einer vergewaltigt jetzt quasi, vollständig bekleidet, einen Haufen brennender Stöcke, und die Leute, die in der Nähe sitzen, werfen mit Geld. Jetzt wälzt er sich neben dem Pool auf dem Boden, die brennenden Stöcke in den Armen, er hält sie an die Brust gedrückt und wälzt sich hin und her. Mit einem lichterloh brennenden Bündel Kleinholz, ungefähr halb so groß wie er. Ich wollte nur etwas essen und trinken, hatte keine Ahnung, dass wir hier von einem masochistischen Pyromanen unterhalten werden würden. O Gott, Süße, ich bin in einem afrikanischen Hotel und beobachte einen brennenden Mann und bin ein bisschen betrunken, denn ich glaube, das ist man hier in Westafrika am besten immer ein wenig, die Welt ist weich, die Nacht ist weich, und ich beobachte einen Mann
Auf der anderen Seite der Terrasse tauchte Horst auf und fädelte sich durch das Feuer und den Dunst bis zu mir durch. Horst war ein braungebrannter, schmucker weißhaariger Weißer in einer Anglerweste mit tausend Taschen, und normalerweise trug er dazu braune Wanderschuhe mit weißen Schnürsenkeln, wie mir jetzt wieder einfiel, aber im Moment konnte ich das nicht erkennen.
«Roland! Du bist es! Hübscher Bart.»
«C'est moi», gab ich zu.
«Hast du mich am Kai gesehen? Ich dich schon!» Er setzte sich. «Der Bart verleiht dir Würde.»
Wir spendierten uns gegenseitig einen Drink. «Sie sind schnell», sagte ich zu dem Barkeeper und gab ihm ein paar Euro Trinkgeld. «Das Personal hier arbeitet doch gar nicht schlecht. Wer behauptet, das Hotel hätte abgewirtschaftet?»
«Ein Sofitel ist es nicht mehr.»
«Wem gehört es jetzt?»
«Dem Präsidenten oder einem von seinen Spezis.»
«Und was ist das Problem?»
Er zeigte auf mein Gerät. «Du wirst nicht ins Internet kommen.»
Ich prostete ihm zu. «Horst verkehrt also immer noch hier.»
«Bin nach wie vor Stammgast, ja. Ungefähr sechs Monate im Jahr. Aber dieses Mal konnte ich fast ein ganzes Jahr nicht weg von zu Hause, seit letztem November. Elf Monate.»
Die Show wurde zu laut. Ich rückte meinen Bildschirm zurecht und legte die Finger auf die Tastatur. Unhöflich von mir. Aber ich hatte ihn nicht gebeten, sich zu mir zu setzen.
«Meine Frau ist ziemlich krank», sagte er, hielt kurz inne und fügte dann, fast stolz, «todkrank» hinzu.
Inzwischen hatte der Darsteller zwei Meter von uns entfernt, am Beckenrand, sein Hemd und seine Hose in Brand gesetzt.
An Tina:
Beim Einchecken...
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