Schweitzer Fachinformationen
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Der Gutshof Cederström im Bergbaugebiet Bergslagen wäre wohl kaum in den Geschichtsbüchern erwähnt worden, wenn nicht ein junger Mann den Hof im Winter des Jahres 1791 besucht hätte. Es sei ein ganz gewöhnlicher Tag gewesen, erklärte Graf Axel von Cederström dem Polizeipräsidenten ein Jahr später.
Der Graf hatte sich an diesem Tag in der Bibliothek seiner Korrespondenz gewidmet, wie er es oft nach dem Mittagessen tat, als auf dem Hofplatz vor dem Fenster das Geräusch von Hufschlägen ertönte. Er spähte hinaus und konnte durch das Fensterglas einen einsamen Reiter erkennen.
Der alternde Graf musterte das Gesicht des Fremden und durchforschte seine Erinnerungen. Er war überzeugt davon, diesen Mann noch niemals zuvor gesehen zu haben. Der Reiter saß ab und humpelte in Richtung des Eingangs. Sein Stockdegen und die fleckenfreien Kavalleriestiefel wiesen ihn deutlich erkennbar als Offizier aus. Nur ein Offizier, der sein Pferd im Griff hatte, war in der Lage, mitten im Winter bis zu Cederströms Gutshaus zu reiten, ohne dabei schmutzig zu werden.
An der Tür stellte der Fremde sich als Hauptmann Anckarström vor, merkte aber an, dass er aus der Armee ausgeschieden sei. Er bat den Grafen um ein kurzes Gespräch, es gehe um die Zukunft des Königreichs. Anschließend wolle er nach Stockholm zurückkehren. Der Graf, der den größten Respekt für die königlichen Offiziere hegte, bat ihn einzutreten. Er bot Anckarström an, sich in einem Sessel am offenen Feuer niederzulassen, wo er sich aufwärmen könne. Den angebotenen warmen Punsch lehnte der Hauptmann aber dankend ab. Eine Weile lang saß er reglos da und starrte auf seine zitternden Hände, während er kaum hörbar vor sich hin murmelte.
«Womit kann ich Ihnen dienen?», erkundigte sich der Graf.
«Crimen laesae maiestatis», antwortete der Mann und sah ihn mit einer furchterregenden Eindringlichkeit an. «Hochverrat. Beistand bei einer Sache im Interesse der Nation.»
Ein Jahr später sollte ebendieser Anckarström König Gustav III. auf einem Maskenball erschießen. Bereits am nächsten Tag wurde er festgenommen. Er bekannte sich schuldig und gab zu, Graf Cederström getroffen zu haben, erklärte aber auch, dass das Treffen «keine Früchte getragen» habe. Dennoch sei dem Anliegen des Hauptmanns mit «kaltblütiger Ruhe und herzlicher Ermunterung» begegnet worden, was dem Polizeipräsidenten im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Ereignisse besonders kompromittierend erschien. Außerdem erachtete er es als notwendig, den anderen Adelsfamilien des Landes deutlich zu machen, dass derartige Gespräche über die Krone in keinem Fall zu akzeptieren waren.
Als der Graf wiederum vom Polizeipräsidenten verhört wurde, stritt er zunächst jeglichen Kontakt zu dem Meuchelmörder ab, besann sich dann aber, als ihm der Polizeipräsident mit der Konfiszierung des Gutshofs drohte, und berichtete detailgetreu über das Treffen mit Anckarström.
Am selben Tag, an dem der Königsmörder in Stockholm hingerichtet wurde, entsandte der Hof einen Repräsentanten zum Gutshof, um Cederström mitzuteilen, dass er fünf Jahre lang Strafsteuern würde zahlen müssen. Der Grund für diese Bestrafung wurde nie publik gemacht, aber die Bauern und Pächter auf den Feldern des Gutshofs zogen schnell ihre eigenen Schlüsse: Der Graf hatte bei der Ermordung des Königs eine Rolle gespielt. Und trotz der vielen guten Vermächtnisse, die der alternde Graf hinterlassen würde - er hatte die einzige Landwirtschaftsschule der Region aufgebaut, eine geregelte Landwechselwirtschaft eingeführt und eine der größten Werkzeugfabriken des Landes finanziert -, war sein Ruf nicht mehr zu retten. In den folgenden Jahren hatte der Gutshof mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Pächter und Bauern wehrten sich gegen die Landabgaben, und als nach fünf Jahren die letzte Strafsteuer bezahlt war, hatte Axel von Cederström Bankrott gemacht. Eigene Kinder hatte er nicht.
Ein Jahr darauf brachte er sich in ebenjenem Sessel um, in dem damals Anckarström gesessen hatte.
Um zweihundert Jahre später zum Gutshof zu gelangen, musste man sich durch längst vergessene Ortschaften und kleine Dörfer schlagen. Die neuen Besitzer des Hofs hatten keine Mühe darauf verwendet, die Zufahrtsstraßen zu modernisieren.
Jonatan Stark hatte schon vom Gutshof Cederström gehört und stellte sich eine Art Camelot vor, das in überwuchertem und hügeligem Gelände versteckt lag. Ein idealer Ort für politische Beratungen weit weg vom Großstadtgewimmel. Er kannte diese Art von Treffen, war selbst schon mit Papierstapeln zu Verhandlungsorten mitten im Nirgendwo geschickt worden, um vor Männern mit versteinerten Mienen Vorträge zu halten, die eigentlich nur darauf warteten, endlich auf die Jagd gehen zu können.
Nach einer Stunde in dem BMW, der über verschlungene Straßen durch den Wald raste, machte sich eine leichte Übelkeit bei ihm bemerkbar. Seit dem Tag, als er von dem Unfall erfahren hatte, bei dem seine Eltern ums Leben gekommen waren, hasste er es, so hilflos als Beifahrer im Auto zu sitzen, es verursachte jedes Mal ein Gefühl der Beklemmung - auch jetzt.
«Geht es Ihnen nicht gut?», fragte der Fahrer, der Bo Kessler hieß und ein eigenes Consultingbüro betrieb, das Investmentanalysen und strategische Beratungen anbot.
«Ich komme schon klar», sagte Jonatan.
«Sicher?» Der Mann hinter dem Steuer ging ein wenig vom Gas. «Wir sind gleich da.»
Jonatan konnte hören, wie der Hybridmotor vom elektrischen in den Verbrennungsbetrieb schaltete, was beinahe wie ein Tonartwechsel klang.
«Das letzte Stück ist das schlimmste», sagte Kessler. «Zu der Zeit, als der Gutshof errichtet wurde, konnte ein Eichhörnchen hier in die Baumspitzen klettern, ohne den Boden auf seinem Weg nach Süden noch einmal berühren zu müssen, bevor es den Strand bei Travemünde erreichte.»
Am Abend zuvor hatte Kessler vor dem Fitnessstudio in der Kocksgatan auf Jonatan gewartet. Jonatan wohnte allein und trainierte oft noch am späten Abend. Nach seiner Zeit als politischer Berater für Energiefragen im schwedischen Regierungssitz Rosenbad lebte er vom Arbeitslosengeld, um so finanziell die Zeit zu überbrücken, bis er im nächsten Jahr wieder in die Forschung wechseln und weiter an seinen Untersuchungen zu Solarzellen arbeiten würde.
Kessler war offensichtlich kein Mann, der viel Sport trieb, für solche Dinge hatte er wahrscheinlich keine Zeit. Für Berater wie Bo Kessler war Zeit ein rares Gut. Das kleine bisschen Übergewicht nahm er dabei wohl einfach in Kauf. Mit Männern von Kesslers Sorte hatte Jonatan schon oft zu tun gehabt. Gewöhnlich tauchten sie in den entscheidenden Momenten auf und verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren. Was andere von ihnen dachten, war ihnen völlig egal, und sie waren kaltschnäuzig und skrupellos. Männer wie Bo Kessler scheuten sich nicht davor, die Privatsphäre anderer Menschen zu verletzen.
Auf dem Bürgersteig vor dem Fitnessstudio war Kessler am Abend zuvor rastlos hin und her gelaufen. Seine linke Hand war in seiner Hosentasche vergraben, und er hatte die Stimme gesenkt, während er mit Jonatan sprach und die Passanten an ihnen vorbeigingen.
Das schwedische Gasnetz wechselt bald wieder seinen Besitzer, hatte er erklärt. Das wird ein historischer Deal, und wir brauchen dringend einen politischen Sachverständigen wie Sie an unserer Seite, der noch für die frühere Regierung gearbeitet hat und erläutern kann, wie man damals darüber gedacht hat.
Jonatans Bauchgefühl sagte ihm sofort, dass er ablehnen sollte. Sein Interesse für Politik hatte sich weitestgehend verflüchtigt, auch wenn ihn Energiethemen immer noch interessierten und er sich in diesem Bereich gut auskannte. Als er noch in Rosenbad tätig gewesen war, hatten die anonymen Eigentümer hinter LSI Holdings das schwedische Gasnetz erworben. Dabei waren Bestechungen und Erpressungen im Spiel gewesen, und auch jetzt waren sie als Netzbetreiber nicht gerade beliebt. Als ihre Geschäftsmethoden dann in den Medien publik wurden, war es politisch nicht mehr tragbar, dass sie im Besitz eines so wichtigen Teils der schwedischen Infrastruktur blieben. Daher setzte sich die Regierung inzwischen dafür ein, dass das Gasnetz vom staatlichen Energiekonzern Sveakraft zurückgekauft wurde.
Wie haben Sie mich gefunden?
Kessler hatte sich beim Energieministerium über Jonatan Stark erkundigt und so herausgefunden, wo er abends normalerweise unterwegs war.
Ihre Kollegin Mikaela Paulsson sagt, Sie seien ein Boxfreak, hatte Kessler gefeixt. Außerdem sagt sie, dass Sie mal wieder raus in die echte Welt müssen. Sie haben zu viel Zeit und zu wenig zu tun, findet sie.
Also hatte Jonatan zugestimmt, Kessler als Sachverständiger zu dem Treffen auf Gutshof Cederström zu begleiten. Sie hatten sich auf ein Honorar geeinigt, das ungefähr einem Monatslohn entsprach. Allein das hätte Jonatan schon stutzig machen müssen, doch er entschied sich, nicht weiter darüber nachzudenken.
Gerade kamen sie an einem geschnitzten Wegweiser aus Holz vorbei, der anzeigte, dass es noch zwei Kilometer bis zum Gutshof waren. Jonatan rieb sich mit den Händen über das Gesicht, um seinen Kreislauf in Fahrt zu bekommen, denn er fühlte sich abgeschlagen und müde.
«Der Gutshof ist mittlerweile in russischem Besitz», sagte Kessler. «Wussten Sie, dass Anckarström, lange bevor er den König erschoss, verdächtigt wurde, ein russischer Spion zu...
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